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This volume describes the content and discusses the history and origins of the three core commitments of Darwinism, examines the three critiques that challenge this Darwinian edifice and proposes a system for integrating these commitments and critiques into a structure of evolutionary thought.

Produktbeschreibung
This volume describes the content and discusses the history and origins of the three core commitments of Darwinism, examines the three critiques that challenge this Darwinian edifice and proposes a system for integrating these commitments and critiques into a structure of evolutionary thought.
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Autorenporträt
Stephen Jay Gould
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.2002

Darwins Testament
Ein Ereignis: Stephen Jay Goulds Ende der Naturgeschichte

Eines der beeindruckendsten Beispiele dafür, wie ein wissenschaftshistorischer Einzelfall durch die Erhellung seiner Möglichkeitsbedingungen verstehen lehrt, was das Zeitalter, in dem er stattfand, über sich selbst wissen konnte und wollte, ist der Werdegang des 1941 geborenen Stephen Jay Gould.

Der als Geologe, Paläontologe und Philosoph ausgebildete Gelehrte hat soeben sein 1400 Seiten umfassendes wissenschaftliches Hauptwerk vorgelegt: "The Structure of Evolutionary Theory". Es behandelt die Entstehung, Wirkung und von Gould erwartete baldige Ablösung des Darwinismus. Das geistige Gebäude, das Generationen von Forschern, Philosophen und metaphysischen Grundstücksspekulanten auf Charles Darwins Darlegungen über den Mechanismus "natürliche Auslese" errichtet haben, ist bei allen Versuchen Goulds, aus dessen teils blind gewordenen, teils nur zu klaren Fenstern einen Blick auf die umliegenden Landschaften der Wirklichkeit zu werfen, immer sein intellektuelles Zuhause geblieben.

Er kann es nicht verlassen - sosehr er auch darauf besteht, daß in Darwins Haus nur Menschen und deren Ideen hausen, keine Fakten oder gar ewige Wahrheiten. Weil er es schon so lange bewohnt - Goulds erste wissenschaftliche Veröffentlichung datiert aus dem Jahr 1965, sein erster großer darwinistischer Revisionsansatz, die zusammen mit Niles Eldredge erdachte Theorie des löchrigen Gleichgewichts der Arten, aus dem Jahr 1972 -, liebt er inzwischen auch die schiefen Treppenstufen und die Löcher im Dach. Indem er nun in Form eines Abschlußberichts prophezeit, das alte Haus werde bald bis in die Fundamente hinunter erneuert, damit aber auch beseitigt und so im berühmten Hegelschen Sinn "aufgehoben" werden, erklärt er nicht zuletzt, wie er selbst darin aufgewachsen ist und sich darin zu orientieren gelernt hat. Das Buch ist gerade an jenen Stellen, wo die Auseinandersetzung mit den vermuteten Denkfaulheiten der neodarwinistischen Orthodoxie in eine Apologie von Goulds eigenem Werk umschlägt, eine besonders aufschlußreiche, weil unverstellt parteiliche Besichtigung unseres wissenschaftlichen Zeitalters.

"The Structure of Evolutionary Theory" zeugt bei aller Spitzfindigkeit und Detailmanie sehr grundsätzlich von den oft übersehenen Glücksangeboten ebendieses Zeitalters für Kompilatoren und Schöpfer altmodisch mühsamer Sammler-Lebenswerke. Daß am absehbaren Ende des Darwinschen Zeitalters ein Akademiker wie Gould, dessen Belesenheit, Beredtheit und Neigung zu muschelkammerhaft spiralförmigen Sätzen seine charakteristischen Eigenschaften sind, in der angelsächsischen Welt eine solche Berühmtheit werden konnte, sagt viel Gutes über eine Öffentlichkeit, der man viel zu häufig unheilbaren Stumpfsinn unterstellt.

Goulds schriftstellerische Strategie der Wahrheitsfindung via Erstellung langer Exzerpte aus den Werken der Großen seines Fachs nebst genüßlich-eleganter Kommentierung derselben hat ihn im Hauptwerk dazu verführt, sich kokett als "den arrogantesten aller Literaten" zu bezeichnen. Gleichzeitig jedoch ist er eine Art volkstümlicher Weltweiser, nämlich der in den Vereinigten Staaten bekannteste Naturwissenschaftler: Seine aus konzisen Kolumnen und blitzartig riesige Ideenfelder erhellenden kurzen Artikeln zusammengestellten Aufsatzbände wie "Bravo, Brontosaurus" oder "Der Dinosaurier im Heuhaufen" sind Bestseller; in einer Folge der Zeichentrickserie "Die Simpsons" durfte er gar neben Stephen Hawking als Retter der hochbegabten kleinen Lisa Simpson auftreten.

Was Gould zur Sache vorbringt, ist für einen Naturwissenschaftler ungewöhnlich stark abhängig von der Kontrastwirkung gegenüber dem, was andere geschrieben haben. Während die landläufige Vorstellung des Unterschieds zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften ihre präziseste Formulierung in der These des Philosophen Cornelius Castoriadis gefunden hat, Geisteswissenschaftler studierten Texte, Naturwissenschaftler aber Sachverhalte, zeigt Goulds Arbeit und deren öffentliche Aufnahme, daß Texte und Sachverhalte einander beim wissenschaftlichen Arbeiten gleich welcher Art nichts nehmen und ihre Abhängigkeiten zahlreicher und verwickelter sind, als selbst das ausuferndste wissenssoziologische Gemälde zeigen kann.

Wie im Roman "Darwinia" von Robert Charles Wilson aus dem Jahr 1998 Europa plötzlich verschwindet und einer albtraumhaften, von einem unerforschbar menschenfeindlichen Dschungel überwucherten Landschaft Platz macht, so zeigt Goulds akribische Lektüre von Darwins "Entstehung der Arten", die das Herzstück seines Hauptwerks bildet, daß man sich nach der Durchsetzung einer starken Theorie mit ausgeformter logischer Geographie fast keine sinnvollen, begreifbaren Alternativlandschaften mehr vorstellen kann, die von anderem Licht erleuchtet würden als dem einmal gefundenen. Und doch, sagt Gould, gibt es Alternativen. Die sind fast immer aus literarischen Quellen geborgen: Ob Goethes Morphologie und deren "strukturalistisches" Bild vom "Ur-Blatt", in dem die Baupläne aller Pflanzenblätter eingefaltet sind, Texte von Lamarck und Saint-Hilaire, Francis Bacons Warnung davor, den "Theater-Idolen" des Diskurses aufzusitzen, oder Ideen aus Nietzsches "Genealogie der Moral"- wo Gould grundsätzlich wird, ruft er die Literatur in den Zeugenstand.

Die rein argumentativen Passagen, die daneben Platz finden, suggerieren oft, Gould glaube wohl, die Evolutionisten des neunzehnten Jahrhunderts wie Alfred Russel Wallace, Charles Darwin und Ernst Haeckel seien seine Zeitgenossen. Jener Gelehrtentyp wurde damals geschichtsfähig, weil "das Lebendige", um dessen Woher und Wohin es ihm ging, dem Zugriff mathematisch-physikalischer Theoretisierung entzogen zu sein schien. Es war die Zeit, als das Reich "Bios" Freiwildgehege für Philosophen war und "die Biologie" sowohl den prokapitalistischen Sozialdarwinismus als auch Friedrich Engels' paradarwinistische Schrift über den "Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" inspirieren konnte. Den Grund dafür beschreibt der indische Physiker Apoorva Patel: "Organismen bestehen weder aus völlig regulären, festkörperhaften noch aus restlos freibeweglich-gasförmigen Arrangements. Dadurch werden die üblichen Werkzeuge der Physik - Gleichgewichtsdynamiken, axiomatisches Schließen, periodische Strukturen und Störungstheorien - weitgehend nutzlos."

Nur deshalb konnte das schriftstellerische Modell des "Lebenserzählers" aufkommen, der die Historisierung von Sexualität und Tod leisten mußte, als die Geschichte gerade fortschrittsbedingt zu erkennen begann, daß es sie gibt. Der bedeutendste dieser Erzähler war Darwin, die wichtigste entsprechende Erzählung ist die von der natürlichen Auslese, von der Konkurrenz der einzelnen Organismen als deren Schauplatz, von ihrem Vermögen, das Neue zu schaffen, und von ihrer Reichweite bis zurück an die Schranke des Anorganischen.

An allen drei Teilen der Erzählung arbeitet Gould sich ab als der neben dem Engländer Richard Dawkins vielleicht letzte Erfüller jenes Lebenserzähler-Programms. Goulds Erzählung ist eine der Abweichungen: Nicht der Organismus, sondern die Art sei der aufschlußreichste Schauplatz der Auslese, die Entstehung von Arten aber, die "Speziation", geschehe nicht notwendig graduell, sondern oft auch abrupt, Anpassung sei nicht gleich Verbesserung, Zufall und Katastrophen spielten eine größere Rolle, als bei Darwin zugelassen wurde.

Wie falsch oder richtig das alles sein mag - literarisch betrachtet zieht hier ein Schriftsteller für den modernen Roman und gegen die neuen Teleologien zu Felde, wie sie eines Tages auch aus der Informatiknähe neuer Lebenswissenschaften wie der Genomik entstehen könnten. Goulds Gegner Dawkins, der Erfinder der Formel vom "egoistischen Gen", der noch unter die Organismenebene auf die des Genoms als wíchtigsten Ort der Auslese verfällt, ist womöglich der einsichtsvollere, auch bescheidenere Naturerzähler, der gerade auf den robustesten Darwinschen Ideen beharrt.

Denn er hat die mikrobiologische Lektion gründlicher gelernt, sich ihr williger ergeben als sein amerikanischer Widersacher und wird schon durch die unverwüstliche Schärfe seiner Polemik der Idee gerecht, ein Entwicklungsgang sei auch ohne "Fortschritt" im emphatischen Sinn immer noch etwas "nach vorn" gerichtetes. Gould bleibt demgegenüber zu Ornament, Digression und folgenloser Sehnsucht nach besseren, redseligeren Gelehrtenzeiten verurteilt. So muß er sich schließlich, wie die englischsprachigen Medien aus Anlaß des Erscheinens von "The Structure of Evolutionary Theory" berichten, sogar mit Mißverständnissen auseinandersetzen, die ihn gerade wegen der Vielstimmigkeit seiner Schreibweisen ereilen: Auf die "plötzliche Entstehung von Arten", eine Kernidee der von ihm und Eldredge formulierten Theorie des löchrigen Gleichgewichts, berufen sich inzwischen sehr zu Goulds Verdruß auch Anhänger der buchstäblich genommenen Schöpfungslehre. Das könnte Dawkins nie passieren. In der nun anbrechenden Ära der durch Computermodellierung erschlossenen Großdynamiken ist beinah jeder Dissens mit Darwin, den Gould in seinem Buch austrägt, eine vernachlässigbare Größe, ein Streit um Darwins Bart. So mag Dawkins denn eines Tages besser dastehen, weil er Darwin heute nicht verfeinern und aufheben, sondern seine Ideen den Nachgeborenen in mikrogenetischer Sprache erläutern will, bevor sie sich in Rechenanweisungen aufzulösen beginnen.

Der literarischen Schönheit von Goulds "Structure of Evolutionary Theory" tut das keinen Abbruch. Was die Literatur weiß, mag der Fortschritt ruhig vergessen; dieses Wissen ist bei ihr in Sicherheit. Alternde Wissenschaft wird zu Kunst nicht kraft ihrer Erkenntnisse, sondern da, wo sie kurz vor Torschluß ästhetisches Glück spendet und jemand bereitsteht, davon zu berichten.

DIETMAR DATH

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