Das Verhältnis zwischen Mann und Frau oder die Vergänglichkeit der Jugend sind nur einige der vielen Themen, die Margaret Atwood in diesem Buch mit dem für sie typischen Witz und Scharfsinn beleuchtet. Wunderschön illustriert mit ihren eigenen Zeichnungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2007Leben als Suppenwürfel
"Ich will doch nur so sein wie alle anderen." Margaret Atwood seziert in ihren Kurzgeschichten das Leben und die Suche nach der eigenen Identität. Überraschend minimalistisch.
Sind diese kurzen Texte Fingerübungen einer bedeutenden Schriftstellerin, die sich zwischen zwei großen Werken aufwärmt? Auf den ersten Blick ist man versucht, so zu urteilen. Die Sammlung von Kurzgeschichten der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood wirkt stellenweise etwas vorläufig und skizzenhaft. Nicht überall gelingt die Strategie der schroffen Reduktion. Nicht jeder dieser Miniaturprosatexte gibt durch barsche Wortkargheit eine umso schillerndere Botschaft frei. Margaret Atwood versammelt im Erzählband "Das Zelt" witzige, bösartige, lapidare, illusionslose, tagträumerische, aber auch schlichte Impressionen über den fatalen Lauf der Welt. Mal sind es effektbewusste Knaller, mal sind es dialogische Spielereien, mal sind es prosagedichtartige Kreationen.
Durch alle Geschichten aber leuchtet das Leitmotiv, das die Schriftstellerin mit ihrer eigenen Umschlagillustration andeutet: Sprache ist Heimat, ein bergender Zufluchtsort. Wörter bilden ein schützendes Zelt. Die Gefahr allerdings ist allgegenwärtig. Zwei rote Höllengeschöpfe bedrohen den fragilen Unterstand, der im Inneren Satzfetzen und verbale Versatzstücke birgt - Evokationen von Kälte, Eis und Wildnis.
Dieses Bild spiegeln auch die Prosaskizzen der kanadischen Schriftstellerin. Sie halten den flüchtigen Augenblick fest. Sie transportieren das Ungesagte und Unsägliche. Sie erkunden das Böse und Niederträchtige. Sie recherchieren hartnäckig, was die Welt im Innersten zusammenhält. Auf diesem Feld kommt Margaret Atwood mit ihrer Einkochmethode zu produktiven Ergebnissen.
"Lebensgeschichten" heißt die Eingangserzählung, und der erste Satz gibt den symbolträchtigen Auftakt: "Woher kommt der Hunger nach solchen Geschichten?" Eine rhetorische Frage. Das Leben ein Spiel, seine Stationen ein Zufall, der unbändige Wille nach dem Erzählen einer "Lebensgeschichte" aber, so suggeriert es zumindest die Autorin, bedeutet eine Form von Herrschsucht. Ein untaugliches Mittel, um das Unkontrollierbare in den Griff zu bekommen. Anstatt also ein Curriculum Vitae zu exponieren, zerstückelt die Erzählerin den Lebensentwurf mutwillig in seine Einzelteile - ein unkonventioneller Weg, um den eigenen Lebenslauf zu erforschen.
Nicht zusammensetzen wolle sie die Biographie, erst die Schnitte machten die entscheidenden Schnipsel deutlich, aus denen sich das Ganze im Lauf der Zeit geformt habe. Alle verbalen Stereotypen, mit denen man üblicherweise den Gang des Lebens beschreibt, wischt sie mit trotzig lakonischer Bewegung weg, "Ich wurde geboren, ich wuchs heran, ich studierte, ich liebte, ich heiratete, ich pflanzte mich fort, ich sagte, ich schrieb - das ist jetzt alles weg." Alles eliminiert die rabiate Erzählerin, radiert Überflüssiges vom Lebenspapier - Freunde, Geliebte, gesichtslose Begleiter - bis die Vita auf ihre Essenz zusammenschrumpft, auf den Motor, der alles in Bewegung hält: "Ich wurde geboren. / Ich wurde. / Ich."
Mit dieser zwanglosen Erzählstrategie dringt Margaret Atwood in undurchsichtige Lebensbezirke vor und schaut sich ruhig um. "Kleiderträume" ist so ein Fall: eine Kürzestgeschichte von neunzehn Zeilen. Der Text untersucht die Frage nach der wahren Identität, den verlorenen Wünschen, der Selbstinszenierung und der Selbsttäuschung. Aber wie er das tut! Mit zwei, drei Sätzen schafft Margaret Atwood eine magische Aura, die den Leser verzaubert. Indem sie Wörter und Sätze auf dem Papier in immer neuen Kombinationen verschiebt, eröffnet sie unerwartete Sichtweisen. "Kleiderträume" zeigt das Ich auf der somnambulen Suche nach der eigenen Rolle, die vielleicht eine falsche, von fremden Ansprüchen diktierte ist.
Zu imponierenden Ergebnissen kommt die Schriftstellerin vor allem auf dem Terrain der Erkundung des Ichs in Beziehung zum anderen. ",Ich will doch nur so sein wie alle anderen', sagte ich." Auftakt des Textes mit dem Titel "Flasche", der die Begegnung zwischen einer Frau und einem Mann inszeniert. Sie sind dabei, die Konditionen ihrer Beziehung auszuhandeln. Was sich zwischen den beiden entspinnt, ist ein absurder Dialog über die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung des anderen. Beide nennen diese Verhandlungen ironisch "das Einstellungsgespräch".
In Wahrheit demonstriert das scheinbar harmlose Prosastückchen das Scheitern einer erotischen Annäherung. Was als hochfahrende Bewegung aufeinander zu begann, zersplittert am Ende an den falschen Masken, an der vorgetäuschten Identität, an den verschleierten Motiven. "Bist du wirklich das, was du zu sein behauptest" - der scheinbar harmlose Satz wird zur bohrenden Kernfrage, welche die Verhältnisse zur Explosion und das Paar zu Fall bringt. Da zeigt sich exemplarisch, mit welch minimalistischen Mitteln die kanadische Schriftstellerin große Wirkung erzeugt - zum Vergnügen des Lesers.
PIA REINACHER.
Margaret Atwood: "Das Zelt". Erzählungen. Mit Zeichnungen der Autorin. Aus dem Englischen übersetzt von Malte Friedrich. Berlin Verlag. Berlin 2007. 157 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ich will doch nur so sein wie alle anderen." Margaret Atwood seziert in ihren Kurzgeschichten das Leben und die Suche nach der eigenen Identität. Überraschend minimalistisch.
Sind diese kurzen Texte Fingerübungen einer bedeutenden Schriftstellerin, die sich zwischen zwei großen Werken aufwärmt? Auf den ersten Blick ist man versucht, so zu urteilen. Die Sammlung von Kurzgeschichten der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood wirkt stellenweise etwas vorläufig und skizzenhaft. Nicht überall gelingt die Strategie der schroffen Reduktion. Nicht jeder dieser Miniaturprosatexte gibt durch barsche Wortkargheit eine umso schillerndere Botschaft frei. Margaret Atwood versammelt im Erzählband "Das Zelt" witzige, bösartige, lapidare, illusionslose, tagträumerische, aber auch schlichte Impressionen über den fatalen Lauf der Welt. Mal sind es effektbewusste Knaller, mal sind es dialogische Spielereien, mal sind es prosagedichtartige Kreationen.
Durch alle Geschichten aber leuchtet das Leitmotiv, das die Schriftstellerin mit ihrer eigenen Umschlagillustration andeutet: Sprache ist Heimat, ein bergender Zufluchtsort. Wörter bilden ein schützendes Zelt. Die Gefahr allerdings ist allgegenwärtig. Zwei rote Höllengeschöpfe bedrohen den fragilen Unterstand, der im Inneren Satzfetzen und verbale Versatzstücke birgt - Evokationen von Kälte, Eis und Wildnis.
Dieses Bild spiegeln auch die Prosaskizzen der kanadischen Schriftstellerin. Sie halten den flüchtigen Augenblick fest. Sie transportieren das Ungesagte und Unsägliche. Sie erkunden das Böse und Niederträchtige. Sie recherchieren hartnäckig, was die Welt im Innersten zusammenhält. Auf diesem Feld kommt Margaret Atwood mit ihrer Einkochmethode zu produktiven Ergebnissen.
"Lebensgeschichten" heißt die Eingangserzählung, und der erste Satz gibt den symbolträchtigen Auftakt: "Woher kommt der Hunger nach solchen Geschichten?" Eine rhetorische Frage. Das Leben ein Spiel, seine Stationen ein Zufall, der unbändige Wille nach dem Erzählen einer "Lebensgeschichte" aber, so suggeriert es zumindest die Autorin, bedeutet eine Form von Herrschsucht. Ein untaugliches Mittel, um das Unkontrollierbare in den Griff zu bekommen. Anstatt also ein Curriculum Vitae zu exponieren, zerstückelt die Erzählerin den Lebensentwurf mutwillig in seine Einzelteile - ein unkonventioneller Weg, um den eigenen Lebenslauf zu erforschen.
Nicht zusammensetzen wolle sie die Biographie, erst die Schnitte machten die entscheidenden Schnipsel deutlich, aus denen sich das Ganze im Lauf der Zeit geformt habe. Alle verbalen Stereotypen, mit denen man üblicherweise den Gang des Lebens beschreibt, wischt sie mit trotzig lakonischer Bewegung weg, "Ich wurde geboren, ich wuchs heran, ich studierte, ich liebte, ich heiratete, ich pflanzte mich fort, ich sagte, ich schrieb - das ist jetzt alles weg." Alles eliminiert die rabiate Erzählerin, radiert Überflüssiges vom Lebenspapier - Freunde, Geliebte, gesichtslose Begleiter - bis die Vita auf ihre Essenz zusammenschrumpft, auf den Motor, der alles in Bewegung hält: "Ich wurde geboren. / Ich wurde. / Ich."
Mit dieser zwanglosen Erzählstrategie dringt Margaret Atwood in undurchsichtige Lebensbezirke vor und schaut sich ruhig um. "Kleiderträume" ist so ein Fall: eine Kürzestgeschichte von neunzehn Zeilen. Der Text untersucht die Frage nach der wahren Identität, den verlorenen Wünschen, der Selbstinszenierung und der Selbsttäuschung. Aber wie er das tut! Mit zwei, drei Sätzen schafft Margaret Atwood eine magische Aura, die den Leser verzaubert. Indem sie Wörter und Sätze auf dem Papier in immer neuen Kombinationen verschiebt, eröffnet sie unerwartete Sichtweisen. "Kleiderträume" zeigt das Ich auf der somnambulen Suche nach der eigenen Rolle, die vielleicht eine falsche, von fremden Ansprüchen diktierte ist.
Zu imponierenden Ergebnissen kommt die Schriftstellerin vor allem auf dem Terrain der Erkundung des Ichs in Beziehung zum anderen. ",Ich will doch nur so sein wie alle anderen', sagte ich." Auftakt des Textes mit dem Titel "Flasche", der die Begegnung zwischen einer Frau und einem Mann inszeniert. Sie sind dabei, die Konditionen ihrer Beziehung auszuhandeln. Was sich zwischen den beiden entspinnt, ist ein absurder Dialog über die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung des anderen. Beide nennen diese Verhandlungen ironisch "das Einstellungsgespräch".
In Wahrheit demonstriert das scheinbar harmlose Prosastückchen das Scheitern einer erotischen Annäherung. Was als hochfahrende Bewegung aufeinander zu begann, zersplittert am Ende an den falschen Masken, an der vorgetäuschten Identität, an den verschleierten Motiven. "Bist du wirklich das, was du zu sein behauptest" - der scheinbar harmlose Satz wird zur bohrenden Kernfrage, welche die Verhältnisse zur Explosion und das Paar zu Fall bringt. Da zeigt sich exemplarisch, mit welch minimalistischen Mitteln die kanadische Schriftstellerin große Wirkung erzeugt - zum Vergnügen des Lesers.
PIA REINACHER.
Margaret Atwood: "Das Zelt". Erzählungen. Mit Zeichnungen der Autorin. Aus dem Englischen übersetzt von Malte Friedrich. Berlin Verlag. Berlin 2007. 157 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main