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Modern liberal political philosophy is closely associated with post-1945 secularism. But Eric Nelson contends that the liberal tradition founded by John Rawls is an unwitting outgrowth of ancient theological debates about justice and evil. When we understand this, we can better untangle the knotted strands of liberal political thought.

Produktbeschreibung
Modern liberal political philosophy is closely associated with post-1945 secularism. But Eric Nelson contends that the liberal tradition founded by John Rawls is an unwitting outgrowth of ancient theological debates about justice and evil. When we understand this, we can better untangle the knotted strands of liberal political thought.
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Autorenporträt
Eric Nelson
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2021

Wer diesen Schleier hebt

Theologische Prämissen und historische Bedingungen eines philosophischen Erfolgs: Zwei kritische Deutungen der "Theorie der Gerechtigkeit" von John Rawls.

Von Oliver Weber

Stellen Sie sich folgende Situation vor" - mit diesem Satz beginnen viele Argumentationen von John Rawls, der am 21. Februar 1921 in Baltimore geboren wurde und im Alter von fünfzig Jahren mit seiner "Theorie der Gerechtigkeit" eines der bedeutendsten theoretischen Werke des zwanzigsten Jahrhunderts veröffentlichte. Das Gedankenspiel steht dabei nicht im Dienst einer utopischen Phantasie, sondern fungiert als notwendiger Abstraktionsschritt auf dem Weg zur Lösung philosophischer Probleme. Die Reinigung von kontingenten Bedingungen soll den Blick für das Wesentliche öffnen.

Auf diese Weise führt Rawls die Fiktion des Urzustandes ein: Auf welche Prinzipien der Gerechtigkeit würden vernünftige Individuen sich einigen, hätten sie keine Informationen über ihre zukünftigen sozialen Positionen und natürlichen Fähigkeiten? Die Antwort von Rawls, hinter einem solchen "Schleier des Nichtwissens" würden die beiden Prinzipien der Freiheit und Gleichheit anderen - wie etwa utilitaristischen - vorgezogen werden, prägte mehrere Generationen praktischer Philosophen.

Zu diesem Abstraktionscharakter der Rawls'schen Philosophie gehen zwei neue Veröffentlichungen junger Wissenschaftler auf Distanz. Obwohl sie von zwei grundverschiedenen methodischen Prämissen starten und politisch zu fast gegensätzlichen Schlussfolgerungen kommen, teilen Katrina Forrester ("In the Shadow of Justice". Postwar Liberalism and the Remaking of Political Philosophy. Princeton University Press, Princeton 2019. 432 S., geb., 35,- $) und Eric Nelson ("The Theology of Liberalism". Political Philosophy and the Justice of God. Harvard University Press, Cambridge, Mass., 2019. 232 S., geb., 29,95 $) die kritische Absicht, den fiktionalen Urzustand auf dessen ausgeblendete Voraussetzungen hin zu prüfen. Beide Autoren lehren in Harvard, an der ehemaligen Wirkungsstätte von John Rawls.

Forrester begibt sich auf ideengeschichtliche Spurensuche. Es geht ihr um das Erzählen einer "Geistergeschichte": Der Geist der Gerechtigkeit spukt, so Forrester, noch heute durch die Universitäten und politischen Diskurse, wobei kaum jemand bemerke, dass es sich um einen Untoten handelt. Sie möchte beschreiben, wie eine "Theorie, die in der Nachkriegszeit geboren wurde", die englischsprachige politische Philosophie auch "unter neuen historischen Bedingungen prägen konnte, lange nachdem ihre Geburtsstunde vorüber war". So war die Erläuterung des zweiten Gerechtigkeitsprinzips - dass jede Ungleichheit nur gerechtfertigt sein kann, wenn die am schlechtesten gestellte Person davon indirekt profitiert - begrifflich an eine keynesianische Wachstumspolitik gebunden. Auch die Beschäftigung von Rawls mit dem Problem der Generationengerechtigkeit verblieb laut Forrester in diesem historischen Rahmen, weil sie sich um Spar- und Investitionsraten drehe und nicht um die Umweltzerstörung.

Steckt hinter dem "Schleier des Nichtwissens" nur eine individualistische Interpretation des umverteilenden, planerischen Wohlfahrtsstaats der Nachkriegsära? Forresters konsequente Historisierung der Rawls'schen Philosophie versucht vorzuführen, dass sich deren Abstraktionsschritte von ihrem geschichtlichen Kontext nie ganz zu trennen vermögen. Ihr Buch arbeitet die versteckte "Politik politischer Philosophie" detailliert heraus - von der Wirtschaftspolitik über den Vietnamkrieg bis zur Debatte über zivilen Ungehorsam in der Bürgerrechts- und Studentenbewegung.

Dass der genuin philosophische Gehalt der kritisierten Theorie dabei bisweilen zu kurz kommt, ist der Methodik geschuldet. Ein Vorteil ist es aber, dass Forrester auch die Diskurse der Schüler und Enkelschüler von Rawls nicht bloß immanent nachzeichnet. Den Erfolg des berühmten Buches möchte sie vor allem auf die intensive Lehr- und Vernetzungstätigkeit des Autors zurückführen, der schon Kollegen und Studenten um sich scharte. Genau diesen Kreisen attestiert Forrester eine "Naturalisierung der Kategorien", was heißt, dass sie sich unbedachterweise im Schatten der Gerechtigkeitstheorie bewegt hätten - selbst dort, wo sie zu heftiger Kritik ausholten.

Verdrängte Alternativen

Die in den achtziger Jahren aufkommenden neoliberalen Ideen - unter Schlagworten von Public Choice bis New Public Management - wurden genauso in einem rawlssianischen Rahmen diskutiert wie Versuche der Wiederbelebung des Marxismus durch analytische Philosophen. Selbst der Kommunitarismus bewegte sich noch innerhalb der "konzeptuellen Entscheidungen" der egalitären Liberalen, auch wenn er an die Stelle des "atomistischen Individuums" sozial eingebundene Personen setzen wollte.

All den theoretischen Ansätzen, die dabei verlorengingen, gilt Forresters Sorge: Feministische Kritik am Bestehenden, postkoloniale Diskurse, französische Philosophien des Politischen, agonistische Theorien und radikale Demokratietheorien seien von der liberal-egalitären Dominanz des letzten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts entweder absorbiert und damit entradikalisiert oder an den Rand gedrängt worden. Dass das nicht nur theoretische Auswirkungen hatte, arbeitet Forrester an der Unterbelichtung von Gewerkschaftskämpfen, sozialen Bewegungen und Forderungen des Ausgleichs für das Unrecht der Sklaverei heraus. Mit ihrer ideengeschichtlichen Methode will sie einen Beitrag zur Öffnung des philosophisch Denkbaren leisten, damit Fragen der Gerechtigkeit bessere Antworten finden oder bessere Fragen gestellt werden können.

Auch Eric Nelson will zeigen, dass die "Arbeitsteilung" zwischen der Erforschung der Geschichte des politischen Denkens und "normativer politischer Theorie", solange sie auf eine strikte Trennung hinausläuft, verfehlt ist. Ideengeschichtliche Kenntnisse helfen dabei, bessere Philosophie zu betreiben, so sein Grundsatz. Nelsons Gegenstand ist die theologische Kontroverse, aus deren Tradition sich der moderne Liberalismus entwickelt hat. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die erst vor wenigen Jahren wiederentdeckte und veröffentlichte Abschlussarbeit, die Rawls 1941 in Princeton einreichte. Eine deutsche Übersetzung ist, mit einem Nachwort von Jürgen Habermas versehen, unter dem Titel "Über Sünde, Glaube und Religion" soeben bei Suhrkamp erschienen.

Im Rahmen der Priesterausbildung der Episkopalkirche, des amerikanischen Anglikanismus, schrieb Rawls über die "Bedeutung von Sünde und Glaube". Er bezog Stellung in einem jahrtausendealten Streit. Seiner Kritik verfiel die spätantike und bis in den neuzeitlichen Liberalismus hinein immer wieder vertretene theologische Position, wonach der Mensch grundsätzlich frei sei, sündhaft oder gut zu handeln, und das Schlechte der Welt somit auf menschliche Entscheidungen zurückzuführen sei. Damit wäre, so der zwanzigjährige Rawls, "das Kreuz Christi bedeutungslos" gemacht. Denn wo der Mensch für seine Sünde und sein Heil selbst verantwortlich ist, braucht es keinen Gottessohn, der sich für die Sünden der Welt ans Kreuz schlagen lässt.

In dieser frühen theologischen Ablehnung des mit der Willensfreiheit argumentierenden Pelagianismus, benannt nach einem um 400 lebenden britischen Mönch, entdeckt Nelson Argumente, die für den späteren Rawls bedeutend blieben. Der Antipelagianismus kehrte dreißig Jahre später säkularisiert zurück. In dieser Sicht wiederholt die für die "Theorie der Gerechtigkeit" zentrale Behauptung, dass natürliche Fähigkeiten und soziale Stellungen "aus moralischer Sicht willkürlich" seien, die frühere Ablehnung des selbsterarbeiteten Seelenheils. Nur dass das Konzept "Gott" durch "Zufall" oder "Kontingenz" ersetzt wurde.

Nelsons Frage lautet: Wie kann es sein, dass der wichtigste Vordenker des Liberalismus des zwanzigsten Jahrhunderts heftig antipelagianisch argumentiert, wenn von Locke über Milton bis Kant der Pelagianismus zur theologischen Grundposition des neuzeitlichen Liberalismus zählte? Nelsons Antwort: Es kann nicht sein - Rawls war gar kein Liberaler. Wenn wir die Früchte unserer Arbeit und die Ergebnisse unserer Entscheidungen nicht moralisch verdienen, weil sie zu einem unbekannt großen Anteil Ergebnis kontingenter biologischer und gesellschaftlicher Umstände sind, dann lässt sich auch kein egalitäres Gerechtigkeitsprinzip formulieren, wonach jedem Bürger eine gewisse ausgleichende Teilhabe an Grundgütern zusteht. Entweder den Menschen stehen gewisse Güter zu, weil sie ihrem Tun entspringen, oder sie tun es nicht, weil sie nur vom Zufall profitieren. Rawls fehlte demnach ein Kriterium für die Umverteilung, als deren Apologet er in der Rezeption seines großen Buches Epoche machte.

Ungestellte Fragen

Mit "The Theology of Liberalism" zielt Nelson in das Herz der politischen Philosophie in der Nachfolge von John Rawls. Die moralische Unwesentlichkeit von natürlichen Fähigkeiten und sozialen Stellungen ist die Prämisse der Fiktion des "Urzustandes", in dem unabhängig von kontingenten Umständen ein Gerechtigkeitskonsens imaginiert werden kann. Gerade die Synthese von liberaler Bejahung der Freiheit jedes Einzelnen und egalitärer Umverteilung aufgrund kollektiver Kontingenz in den beiden Gerechtigkeitsprinzipien machte die "Theorie der Gerechtigkeit" philosophisch und politisch attraktiv. Sie bezog eine Mittelposition zwischen einem libertären Nachtwächterstaat und einem bevormundenden Staat der Sozialisierungen.

Mit der Erörterung des theologischen Kontexts dieser philosophischen Position schafft es Nelson, die Problematik der Vereinbarkeit von Freiheit und Gleichheit wieder in aller Dringlichkeit hervorzuheben. Beharrt Nelson aber zu Recht darauf, dass philosophische Kontroversen unter Bezugnahme auf ihre theologischen Vorgängerprobleme zu lösen seien? Steht der Totalitätsanspruch theologischer Theorien einer differenzierten Betrachtung nicht im Weg? Es fällt auf, dass Rawls in seiner "Theorie der Gerechtigkeit" viel zurückhaltender und spezifischer argumentiert, als Nelson das mit Hilfe der Auseinandersetzung um Seelenheil und Ursünde darzustellen vermag.

Beide Neuerscheinungen zeigen, dass viele englischsprachige politische Theoretiker bemüht sind, den Rawls'schen Rahmen zu verlassen, um die politische Gegenwart zu analysieren. Sowohl Forresters Historisierung als auch Nelsons Rekonstruktion des theologischen Kontexts bezeugen, dass die philosophische Imagination des "Urzustandes" unter einem "Schleier des Nichtwissens" selbst problematisierbar geworden ist und nicht mehr umstandslos als Analysegrundlage für Gerechtigkeitsfragen herhalten kann. Ja, es stellt sich mehr denn je die Frage, ob "Gerechtigkeit" überhaupt die zentrale Kategorie ist, um die sich das Geschäft der Politischen Philosophie drehen sollte.

Was in der von Rawls gelehrten Abstraktion verlorenging, findet man auf, um das philosophische Fragen neu anzustoßen. Wie die prominente Stellung der Rawls-Schüler und -Adepten in beiden Büchern nahelegt, trifft die damit einhergehende Kritik weniger das ursprüngliche Werk als vielmehr die tradierende, aber durch das Tradieren verfälschende Nachfolge des großen Philosophen. Bis die Kritik eigene Nachfolger finden wird.

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