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§A spellbinding journey through the troubled history and colourful folklore of the Balkans, from the youngest ever winner of the Orange Prize.
'Beautifully executed, haunting and lyrical' Independent
'A delightful work, as enchanting as it is surprising' Sunday Times
'Assured, eloquent and not easily forgotten' Independent on Sunday
Natalia is on a quest: to discover the truth about her beloved grandfather. He has died far from home, in circumstances shrouded in mystery.
Recalling stories her grandfather told her as a child, Natalia suspects he may have died trying to unravel
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Produktbeschreibung
§A spellbinding journey through the troubled history and colourful folklore of the Balkans, from the youngest ever winner of the Orange Prize.

'Beautifully executed, haunting and lyrical' Independent

'A delightful work, as enchanting as it is surprising' Sunday Times

'Assured, eloquent and not easily forgotten' Independent on Sunday

Natalia is on a quest: to discover the truth about her beloved grandfather. He has died far from home, in circumstances shrouded in mystery.

Recalling stories her grandfather told her as a child, Natalia suspects he may have died trying to unravel two mysteries. One was the fate of a tiger which escaped during German bombing raids in 1941; the other a man who claimed to be immortal. But, as Natalia learns, there are no simple truths or easy answers in this landscape echoing with myths but still scarred by war.

'Spellbinding' Marie Claire

'Striking, affecting and ingenious' Scotsman

'A poignant, seductive novel' Observer

'The most thrilling discovery in years' Colum McCann

'A book you will want to read again and again' Independent

'Varied, poignant and beguilingly fantastical' Time Out

'Obeht has a vibrant, rangy, full-bodied prose style, which moved expertly between realistic and mythic modes of storytelling, conjuring brilliant images on every page' Sunday Times

'One of the most extraordianry debuts of recent memory . . . gorgeous' Vogue
Autorenporträt
Obreht, Tea
Téa Obreht is the author of THE TIGER'S WIFE, winner of the Orange Prize and a finalist for the National Book Award, and INLAND. She was born in Belgrade, in the former Yugoslavia, in 1985 and has lived in the United States since the age of twelve. She currently lives in New York City.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2012

Wer hat Angst vor der Bestie?

Eines der erstaunlichsten Debüts der jüngeren amerikanischen Literatur: Téa Obreht erzählt mit der Geschichte vom Tiger und seiner Frau eine geheimnisvolle Liebe und erweist sich als Erzählerin von Rang und Reife.

Von Ernst Osterkamp

Zunächst das Ärgernis: Natürlich klingt der Titel "Die Tigerfrau" fetziger als "Die Frau des Tigers", aber er geht am Inhalt dieses Romans, der im Original präzise "The Tiger's Wife" heißt, gänzlich vorbei. Denn die Frau des Tigers, von der in diesem wunderbaren Buch erzählt wird, ist keine erotisch aufgeladene Powerfrau, sondern eine geschundene Kreatur: ein vielfach misshandeltes taubstummes Mädchen, dessen Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit sich nur in der geheimnisumwobenen Begegnung mit einer anderen geschundenen Kreatur, einem aus einem bombardierten Zoo geflohenen Tiger, zu erfüllen vermag. In dieser Konstellation von traurigster Schönheit findet nicht Stärke zu Stärke, sondern Schwäche zu Schwäche, woraus sich für kurze Zeit ein Kraftpotential für das Überleben in finsteren Zeiten entfaltet. Nein, eine Tigerfrau ist dieses Mädchen nicht, das mit seinem Leben dafür bezahlen muss, dass die misstrauischen und verängstigten Bewohner des weltverlorenen Dorfes, in das es verschlagen wurde, es für die Frau eines Tigers halten.

Aber nun wollen wir uns darauf konzentrieren, unsere Bewunderung für eines der erstaunlichsten Debüts in der jüngeren amerikanischen Erzählliteratur zu begründen. Als "The Tiger's Wife" im vergangenen Jahr erschien (F.A.Z. vom 3. August 2011), war die Autorin gerade fünfundzwanzig. Zwar hat auch Téa Obreht die in amerikanischen Schriftstellerkarrieren üblichen Creative-Writing-Kurse durchlaufen, und doch kann man kaum Besseres über ihren Roman sagen, als dass man ihm dies - sieht man von seiner handwerklichen Makellosigkeit ab - nicht anmerkt. Das Buch vibriert von einer ursprünglichen Erzählenergie und einer ebenso ursprünglichen Erfindungsgabe und kann deshalb auch nicht auf Vorbilder zurückgeführt werden; der von der Kritik und vom Verlag gern herangezogene Vergleich mit Gabriel García Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" ist pure Reklame. Denn die Welt dieses Romans ist in den Traditionen eines europäischen mündlichen Erzählens verankert.

Téa Obreht wurde 1985 in Belgrad geboren und kam als Zwölfjährige in die Vereinigten Staaten; Stefan Obreht, dem das Buch gewidmet ist, dürfte ihr 2006 verstorbener Großvater sein. Aus den Erzählungen des Großvaters, von dessen Tod die junge Ärztin Natalia zu Beginn des Buches erfährt, entfaltet sich auch der Kosmos dieses Romans.

Er spielt in dem politisch und ethnisch zerrissenen Balkan, wobei die Handlung die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, rund ein Jahrzehnt nach dem Jugoslawienkrieg, und damit ein ganzes Jahrhundert umfasst. Die Länder bleiben namenlos, die Orte tragen Namen, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Dennoch lässt sich die "Hauptstadt", in der die Familie der Erzählerin wohnt, als das serbische Belgrad identifizieren und in der Stadt Sarobor mit ihrer berühmten alten Brücke das bosnische Mostar erkennen. In Sarobor hatte der Großvater einst geheiratet, und hierher kehrte er am Tag vor der Zerstörung der Stadt zurück, in Sarobor lebte aber auch einst der Schlachtersohn Luka als Gusla-Spieler und wurde dort gegen seinen Willen mit der Taubstummen verheiratet, womit ein fürchterliches Unglück begann. Diese historisch unbezeichneten Handlungsräume gewähren der Erzählerin Natalia die Möglichkeit, einen Ort jenseits der politischen, ethnischen und religiösen Feindschaften, die noch die Gegenwart der Erzählung prägen, einzunehmen: einen Ort der reinen Menschlichkeit - wie ihn ihr Großvater als berühmter und geachteter Arzt, der über alle Konfliktlinien hinweg zu helfen suchte, lebenslang bezogen hat.

Die Nachricht von seinem Tod erreicht Natalia, als sie mit einer Freundin die Grenze zu dem noch vor wenigen Jahren militärisch bekämpften Nachbarland überschreitet, um dort die Kinder eines Waisenhauses mit Medikamenten zu versorgen. Sie erfährt zugleich, dass der todkranke Großvater kurz zuvor dieselbe Grenze überquert hatte, um junge Männer, die auf Minen getreten waren, medizinisch zu versorgen. Damit beginnt ein Erinnerungsprozess, der tief in die Kindheit der Erzählerin und von dort in die Jugend des Großvaters in dem einsamen Dorf Galina führt, in dem der Aberglaube noch lebendig geblieben war. In dieser abgeschiedenen dörflichen Welt begegnet der Großvater als Neunjähriger dem Tiger, ohne ihn je wirklich zu sehen, und wird zum Helfer der Taubstummen, die das aus der bombardierten Hauptstadt in die Berge geflohene Tier an sich zieht. Gemeinsam versuchen sie es vor der Verfolgung durch die Dörfler zu retten, die ihre Angst vor der Bestie nur durch Hass auf die Taubstumme bewältigen können.

Mit herrlichster Fabulier- und Detailfreude entwirft Téa Obreht für die Protagonisten des Dorfs herzzerreißend schief laufende Biographien, von denen die des Schlachters Luka die traurigste ist: das Leben eines schwulen Dichters und Sängers, der, als er kurz vor dem Erfolg steht, durch einen Trick mit der Taubstummen verheiratet und so gezwungen wird, in die Enge seines Dorfes zurückzukehren; fortan weiß er sich nur noch mit brutalster Gewalt seines Elends zu erwehren.

Es ist ein Beweis für die erzählerische Reife Téa Obrehts, dass sie es versteht, selbst dieser zunächst abstoßendsten Figur des Romans Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem sie ihr wie allen anderen Gestalten seelische Tiefe und damit zugleich menschliches Geheimnis verleiht. Dies ist ohnehin eine der größten Stärken dieser Erzählerin: so konkret und lebensnah erzählen zu können und dabei doch jedem Leben sein Rätsel zu belassen. Gewiss, die Menschen sterben. Aber den Tiger hat niemand töten können; er lebt, so will es der Roman, noch heute ungesehen irgendwo in den Bergen.

Die Geschichte vom Tiger und seiner Frau ist eine der geheimnisvollsten Liebesgeschichten der jüngeren Literatur. Die andere Erfahrung, die das Leben des Großvaters geprägt hat, ist die Begegnung mit dem Tod. In entscheidenden Situationen seines Lebens ist der Großvater einem seltsamen Todesboten begegnet: dem Mann, der nicht sterben kann. Der ist ein Neffe des Todes selbst, der ihn zuerst zu einem Arzt gemacht und dann mit der Unsterblichkeit bestraft hat, weil er aus Liebe gegen das Gebot verstieß, eine dem Tod anheimgefallene junge Frau doch noch heilen zu wollen. Das ist allerdings eine etwas mühsame erzählerische Konstruktion, wie denn auch die Begegnungen des Großvaters mit diesem unsterblichen Vagabunden aufgrund von dessen demütiger Geschwätzigkeit ein wenig ermüdend ausfallen.

Die Liebe bleibt in diesem Buch schon deshalb das größere Geheimnis, weil sie stumm bleibt. Allerdings gibt Téa Obreht dem Tod am Schluss einiges von seiner Unbegreiflichkeit zurück, denn Natalia begibt sich in einem stockfinsteren Nachtstück auf die Fährte des Mannes, der nicht sterben kann. Das, worauf sie dabei stößt, ist die erste und auch einzige sichtbare Spur, die der Tiger im Leben ihres Großvaters hinterlassen hat. Und weil dieser ihr nie die Geschichte vom Tiger und seiner Frau erzählt hat, nimmt sie am Ende die Spurensuche im Dorf seiner Kindheit auf. Das Ergebnis hält der Leser in den Händen: eine große Erzählung, die den Bogen schlägt zwischen dem dörflichen Mythos und einer von Kriegen zerrissenen Moderne, die zwar, wie der Unsterbliche sagt, an gar nichts mehr glauben will, sich aber dennoch Liebe und Tod nur durch die Kraft des Erzählens begreiflich zu machen versteht.

Man sieht, wie sorgfältig dieser aus vielen Geschichten und Erzählsträngen zusammengefügte Roman aufgebaut ist und mit welch sicherer Hand die Autorin die Fäden zusammenhält. Dabei werden die politischen und ethnischen Zerklüftungen und Verwerfungen des letzten Jahrhunderts von den Weltkriegen über den Zerfall Jugoslawiens bis zu den Balkankriegen und darüber hinaus so in die Erzählung integriert, dass sie sich zu einem Epochenpanorama zusammenschließt, in dem es viele Opfer, aber keine Sieger gibt. Ihnen allen lässt dieser wunderbar lebensvolle und humane Roman über die Abgründe der Geschichte hinweg poetische Gerechtigkeit widerfahren. Téa Obreht hat sich mit diesem Buch, das Bettina Abarbanell insgesamt zuverlässig ins Deutsche übertragen hat, als eine Tigerfrau des Erzählens erwiesen.

Téa Obreht: "Die Tigerfrau". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 414 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2012

Das Geheimnis des Großvaters
Ein Talent, ohne Zweifel: Téa Obreht erzählt in ihrem Debütroman „Die Tigerfrau“ vom Balkan in Zeiten des Krieges
Als Natalia dreizehn wird, beginnt sie sich für ein Ritual zu schämen, das sie mit ihrem Großvater verbindet. Die beiden besuchen die Tiger im Zoo einer Stadt, die keinen Namen hat, sich aber wie Belgrad anfühlt. Schon das macht den Zoo hochsymbolisch, eröffnet die 1941er-Bombardierung der jugoslawischen Hauptstadt durch die Wehrmacht, bei welcher der Zoo schwer getroffen wurde, doch den eindrücklichsten und umstrittensten Film zum Jugoslawien-Krieg: Emir Kusturicas „Underground“.
Die amerikanische Autorin Téa Obreht, 1985 in Belgrad geboren, setzt eine viel harmlosere Szene an den Anfang ihres hochgelobten Erstlings: Ein Tiger nimmt sich einen ungeschickten Wärter vor, der aber entkommt.
Die Ich-Erzählerin, damals ein kleines Mädchen, glaubt, dass der Großvater absichtlich stehen blieb, um sie den Kampf sehen zu lassen, der sie auch beeindruckt. Doch mit der Zeit beginnt sie den alten Herrn als nicht standesgemäße Begleitung zu empfinden. Es ist ihr recht, dass der Kriegsausbruch die Schließung des Zoos nach sich zieht. Dass der Großvater nicht nur für sie dorthin spaziert ist, dass ihn eine geheimnisvolle Geschichte mit „der Tigerfrau“ verbindet, realisiert sie später.
Der Titel, der dem des amerikanischen Originals entspricht, das jetzt in dreißig Sprachen übersetzt wird, klingt eher billig, sodass überrascht ist, wer das Buch zu lesen beginnt: Téa Obreht ist jung und erinnert sich an ihre Belgrader Zeit als Kind. Das ergibt eine ungewöhnliche Perspektive auf einen der literarisch meist ausgeweideten politischen Konflikte der letzten Jahre. Differenziert und, soweit es geht, unvoreingenommen, schildert Obreht das Alltagsleben in den Anfängen des Kriegs, der für Kinder und Jugendliche zuerst nur eine Ausrede war: „Wenn die Eltern sagten: Ab mit dir zur Schule, durfte man erwidern: Aber es ist Krieg und stattdessen zum Fluss runtergehen.“ Auch wer um drei Uhr nachts „mit nach Rauch stinkenden Haaren“ heim kam, konnte sich auf die „besondere Situation“ verlassen. Mitschüler verschwanden „ohne Vorwarnung, ohne Abschied, wie Flüchtlinge es eben tun – aber ich trottete nach wie vor jeden Morgen mit meinem Pausenpaket zur Schule“. Der Kriegsschauplatz lag 1200 Kilometer entfernt: „Diese ersten sechzehn Monate des Krieges hatten fast nichts Reales an sich, und das machte sie unglaublich, unwiderstehlich.“
Eine erfrischende Direktheit ist in solchen Erinnerungen, die mehr erzählen als manche Analyse. Inzwischen pflegt Natalia Kriegsopfer in einem Waisenhaus. Da hört sie von der Großmutter, dass der Großvater in einem unbekannten Kaff gestorben sei. Da in dieser Familie immer Paare Geheimnisse haben, um Dritte zu schonen, und Natalia die Vertraute des Großvaters blieb, vermutet die Großmutter, dass die Enkelin von seinem Tod weiß. Er habe behauptet, zu ihr zu fahren? Natalia wusste, dass der Großvater Krebs hatte, aber auf dem Weg zu ihr war er nicht. So schickt Obreht ihre Heldin auf die klassische Suche nach den letzten Momenten des Toten.
Der war alternativ-balkanisch. Will heißen: kein Fanatiker, sondern rational. Mit einer Muslimin verheiratet, gehört der freundliche alten Mann bei Obreht zu den renommiertesten Belgrader Ärzten. Auch nach dem Ende von Titos Reich pflegt er seine Patienten, unabhängig von ihrer Herkunft. Ein Teil seines Ruhms rührt daher, dass er dem „Marschall“, wie Tito im Buch heißt, einmal das Leben gerettet hat. Aber viel gehalten haben soll er auch von ihm nicht. In der „nationalen Zeit“ muss er seine Praxis schließen – aber zieht jeden Morgen mit seiner Tasche los.
Bis dahin ist „Die Tigerfrau“ eine angenehm aufgeklärte, feinfühlige Opa-Enkelin-Geschichte. Doch zum Bestseller-Ruhm, der ihr vorauseilt, gehört das Lob, Obreht schreibe den „magischen Realismus“ von García Márquez fort. In der Tat hat der Roman eine zweite, mythische Seite, die anfangs kraftvoll sichtbar wird, als die Großmutter Natalia anlässlich der Todesnachricht die Geschichte von den „40 Tagen der Seele“ erzählt, derzufolge die Überbleibsel eines Verstorbenen vierzig Tage lang nicht angerührt werden dürfen, weil die Lebenden darauf spekulieren können, dass die Seele dann aus Heimweh zurückkehrt.
Im Lauf des Romans kommen eine Menge solcher Geschichten dazu, alle phantasievoll erzählt. Etwa die des Mannes, der nicht sterben kann, weil er seine Aufgabe als Bote des Todes nicht erfüllt, und der das Sterben einer Frau, in die er sich verliebt hat, zweimal verhindert – eine Variation auf Vampirgeschichten und den „Fliegenden Holländer“. Oder die von der Mesalliance zwischen der Tigerfrau, einem taubstummen Mädchen, und dem eher an Männern interessierten musischen Metzger Luca. Hier spielt Obreht mit dem Motiv der vertauschten Braut: Der amazonenhaften Schwester der Tigerfrau hatte der Schlachter gefallen, weil auch sie nicht Liebe, sondern Musik machen wollte. Als sie aber kurz vor der Heirat geküsst wird, ist es um sie geschehen. Der wütende Vater kostümiert die taubstumme Schwester und übertölpelt den Bräutigam. Die vom Mann verprügelte Taubstumme wird zur „Tigerfrau“, indem sie sich dem entlaufenen Tier widmet, das 1941 um die Häuser streicht.
Obreht selbst macht diese Geschichten groß, indem sie Natalia erzählen lässt, dass zwischen ihnen „alles“ vorhanden sei, um ihren Großvater zu verstehen. Das Problem des Buches jedoch ist, dass es beim besten Willen nicht möglich scheint, die beiden Geschichten mit dem, was sonst vom Großvater und seinen Ansichten erzählt wird, zu verbinden. Bedeutet der Tiger etwas, im Rahmen des Kriegs? Ist er die Verkörperung der einst gezähmten Gewalt, durch die Gewalt der deutschen Bomben freigesetzt? Wären also die Nazis Schuld am Jugoslawien-Krieg? Eine klassische serbische Interpretation. Aber waren es nicht eher innerbalkanische Geschichten? Und wenn der Tiger Gewalt symbolisiert, warum liebt der friedliche Großvater ihn dann?
Wenn Shir Khan aber einfach lieb wäre, von bösen Menschen eingesperrt, was bedeutet sein Herumirren dann? Man kann kein derart prominentes Symbol einfach ins Leere tigern lassen. Und je mehr magisch-mythische Geschichten Obreht einfügt, desto unschärfer wirkt der Zusammenhang des Ganzen. Auch die Story des Mannes, der nicht sterben kann, ist schön erzählt, aber wenn man sie in die Nähe des Kriegs und seiner möglichen Ursachen rückt, wie im Buch, kommt man nicht weiter als bis zu nebulösen Reden vom Tod, der regiert.
Könnte es sein, dass der reale Großvater Stefan Obreht, dem das Buch gewidmet ist, die Geschichten wirklich erzählt hat, die ihm seine Enkelin in den Mund legt? Wenn ja, wäre das wunderbare Material von der Enkelin vielleicht noch nicht genügend in den Roman integriert. Man muss sich keineswegs für Realität oder Phantasie entscheiden, aber der magische Realismus entsteht erst, wenn er die beiden zu verbinden versteht. Dass Téa Obreht ein Erzähltalent ist, steht freilich fest. In seinen einzelnen Geschichten ist dieser erste Roman einer 25-Jährigen ein Genuss. HANS-PETER KUNISCH
TÉA OBREHT: Die Tigerfrau. Roman. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 416 Seiten, 19,95 Euro.
Téa Obreht Foto: Béatrice de Géa
Nach der Bombardierung des Zoos in Belgrad am 6. April 1941 durch die Deutsche Wehrmacht zogen die Tiere durch die Stadt. In seinem Film „Underground“ (1995) hat der Regisseur Emir Kusturica in einer symbolischen Sequenz die Partisanen, die Tierwächter und die streifenden Tiere zusammengeführt. Das hier gezeigte Bild entstand 1993 während der Dreharbeiten in Prag.
Foto: Peter Marlow/Magnum Photos
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Obreht's novel is that rarity: a debut that arrives fully formed, super smart but wearing its learning lightly. Above all The Tiger's Wife bristles with confidence Adrian Turpin Financial Times