WINNER OF THE PULITZER PRIZE FOR FICTION 2017
WINNER OF THE ARTHUR C. CLARKE AWARD 2017
LONGLISTED FOR THE MAN BOOKER PRIZE 2017
NATIONAL BOOK AWARD WINNER 2016
AMAZON.COM #1 BOOK OF THE YEAR 2016
#1 NEW YORK TIMES BESTSELLER AND A NEW YORK TIMES BOOK OF THE YEAR
'Whitehead is on a roll: the reviews have been sublime' Guardian
'Luminous, furious, wildly inventive' Observer
'Hands down one of the best, if not the best, book I've read this year' Stylist
'Dazzling' New York Review of Books
Praised by Barack Obama and an Oprah Book Club Pick, The Underground Railroad by Colson Whitehead won the National Book Award 2016 and the Pulitzer Prize for Fiction 2017.
Cora is a slave on a cotton plantation in Georgia. All the slaves lead a hellish existence, but Cora has it worse than most; she is an outcast even among her fellow Africans and she is approaching womanhood, where it is clear even greater painawaits. When Caesar, a slave recently arrived from Virginia, tells her about the Underground Railroad, they take the perilous decision to escape to the North.
In Whitehead's razor-sharp imagining of the antebellum South, the Underground Railroad has assumed a physical form: a dilapidated box car pulled along subterranean tracks by a steam locomotive, picking up fugitives wherever it can. Cora and Caesar's first stop is South Carolina, in a city that initially seems like a haven. But its placid surface masks an infernal scheme designed for its unknowing black inhabitants. And even worse: Ridgeway, the relentless slave catcher sent to find Cora, is close on their heels. Forced to flee again, Cora embarks on a harrowing flight, state by state, seeking true freedom.
At each stop on her journey, Cora encounters a different world. As Whitehead brilliantly recreates the unique terrors for black people in the pre-Civil War era, his narrative seamlessly weaves the saga of America, from the brutal importation of Africans to the unfulfilled promises of the present day. The Underground Railroad is at once the story of one woman's ferocious will to escape the horrors of bondage and a shatteringly powerful meditation on history.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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NATIONAL BOOK AWARD WINNER 2016
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'Whitehead is on a roll: the reviews have been sublime' Guardian
'Luminous, furious, wildly inventive' Observer
'Hands down one of the best, if not the best, book I've read this year' Stylist
'Dazzling' New York Review of Books
Praised by Barack Obama and an Oprah Book Club Pick, The Underground Railroad by Colson Whitehead won the National Book Award 2016 and the Pulitzer Prize for Fiction 2017.
Cora is a slave on a cotton plantation in Georgia. All the slaves lead a hellish existence, but Cora has it worse than most; she is an outcast even among her fellow Africans and she is approaching womanhood, where it is clear even greater painawaits. When Caesar, a slave recently arrived from Virginia, tells her about the Underground Railroad, they take the perilous decision to escape to the North.
In Whitehead's razor-sharp imagining of the antebellum South, the Underground Railroad has assumed a physical form: a dilapidated box car pulled along subterranean tracks by a steam locomotive, picking up fugitives wherever it can. Cora and Caesar's first stop is South Carolina, in a city that initially seems like a haven. But its placid surface masks an infernal scheme designed for its unknowing black inhabitants. And even worse: Ridgeway, the relentless slave catcher sent to find Cora, is close on their heels. Forced to flee again, Cora embarks on a harrowing flight, state by state, seeking true freedom.
At each stop on her journey, Cora encounters a different world. As Whitehead brilliantly recreates the unique terrors for black people in the pre-Civil War era, his narrative seamlessly weaves the saga of America, from the brutal importation of Africans to the unfulfilled promises of the present day. The Underground Railroad is at once the story of one woman's ferocious will to escape the horrors of bondage and a shatteringly powerful meditation on history.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2017Amerikas Erbe
In seinem überwältigenden Roman "Underground Railroad" erzählt Colson Whitehead, warum die Geschichte der Sklaverei nicht abgeschlossen ist. Ihre Folgen durchziehen bis heute den amerikanischen Alltag
Cora ist eine Sklavin.
Das ist ein ungeheuerlicher Satz. Was er sagt, ist in dem metaphorischen Gebrauch des Worts untergegangen. Hier ist er wörtlich zu nehmen. Was der Satz bedeutet, ist dies: Cora ist vor dem Gesetz kein Mensch. Sie ist ein Ding im rechtmäßigen Besitz eines anderen, eines Plantagenbesitzers, für den sie Baumwolle pflückt. Er hatte ihre Großmutter gekauft, bevor Coras Mutter geboren war, das einzige der fünf Kinder, das älter wurde als zehn. Randall hieß der Plantagenbesitzer, und auch Cora gehörte ihm, schon ehe sie den ersten Atemzug tat. Ein Ding im Besitz eines anderen zu sein vererbt sich über die Mütter, denn wer weiß schon, wer die Väter sind und ob sie vielleicht Freie waren und weiß, vielleicht der Besitzer oder der Vorbesitzer selbst. Als Sklavin hat Cora nicht mehr Rechte als der Rechen im Schuppen, hinter dem sie vergewaltigt wird. Auf einem winzig kleinen Stück Land, zwischen ihrer Hütte und der nächsten, so groß wie ein Schritt im Quadrat, pflanzt sie Sauerampfer und Yam. Als ein Stärkerer kommt, der einen Hund hat und sie vertreiben will, greift sie zur Axt. Wie alle Sklaven denkt sie nur an eines, an die Flucht. Wie die meisten wagt sie kaum, sie sich vorzustellen.
Cora ist die Heldin in Colson Whiteheads Roman "Underground Railroad", eine Heldin, existentiell und kreatürlich, die tötet, wenn es sein muss, und zutritt, weil es ihr guttut. Das Buch erzählt die Geschichte ihrer Flucht in einer furiosen Genremischung: Da Cora sich als Halbwüchsige auf den Weg macht, ist es ein Entwicklungsroman, auch wenn die Geschichte nicht psychologisch angelegt ist. Da sie das Land von Süden nach Norden durchquert, eine Reisegeschichte, da sie verfolgt wird, ein Thriller, und weil die Underground Railroad im Titel hier tatsächlich eine unterirdische Eisenbahn ist, haben der Thriller und die Reisegeschichte einen phantastischen Überbau.
Im Kern aber ist das Ganze der literarische Aufriss der wahren Geschichte Amerikas. Daran ändert nichts, dass Whitehead Cora erfunden hat wie auch die Reiseroute, die Gesetze einiger Staaten, die anderen Figuren und auch die Underground Railroad, die im neunzehnten Jahrhundert eine Metapher für Fluchthilfe war, aber keine Eisenbahn. Auch die Staaten, die Cora auf ihrer Flucht durchquert, sind Erfindungen, obwohl sie so heißen, wie sie auf der Landkarte stehen - Georgia, South Carolina, North Carolina, Tennessee, Indiana und "der Norden". Aber jeder dieser Staaten steht für einen bestimmten Aspekt, eine besondere Ausprägung des amerikanischen Rassismus durch die Zeiten hindurch.
Der Roman spielt um 1850, also vor dem Bürgerkrieg, der von 1861 bis 1865 dauerte. Doch Whitehead nimmt vorweg, was im und nach dem Bürgerkrieg geschah. Das Lynchen vermeintlich freier Bürger. Medizinische Experimente an schwarzen Körpern. Phantasien vom rein weißen Amerika durch Deportation aller Schwarzen zurück nach Afrika. Die "große Wanderung" nach Norden in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Jim-Crow-Gesetze, die zum Beispiel in "Whites Only"-Schildern in Bussen oder Restaurants rassistische Segregation festschrieben. Und in Ridgeway, dem Sklavenjäger, der Cora verfolgt, ist ein nicht sehr ferner Verwandter jener Polizisten zu erkennen, die heute unbewaffnete Afroamerikaner erschießen. Gleichzeitig wird in dieser Figur eine der zentralen Paradoxien der Idee von "White Supremacy" greifbar. Denn die fanatische Gewalt, mit der Ridgeway hinter Cora her ist, bindet ihn mit immenser Kraft an sie, über der er doch haushoch zu stehen behauptet. Die Sklaverei zeichnet die Sklaven ebenso wie alle, die Sklaverei betreiben.
Underground Railroad" ist daher nicht die Geschichte des schwarzen Amerikas. Nicht die Geschichte der Afroamerikaner, sondern die Geschichte des ganzen Landes. Bisher sind wir gewohnt, die Geschichte der Vereinigten Staaten als Landnahme- und Besiedlungsgeschichte zu lesen, als Erzählung vom immer weiter nach Westen vorrückenden Grenzland. Im Western geschieht das gern auch unter dem Schutz ehemaliger Kämpfer für die "verlorene Sache" der Südstaaten, die nach dem Krieg mit der Kavallerie dem Pazifik entgegenritten.
Mit "Underground Railroad" hat sich diese sentimentale Sicht endgültig erledigt. Whitehead ist sich dessen bewusst. Sein Amerika ist von Anfang an auf Verbrechen und Gewalt gegründet: "Falls es irgendwo Gerechtigkeit gibt auf dieser Welt, dürfte diese Nation nicht existieren, denn sie beruht auf Mord, Diebstahl und Grausamkeit." Weder die Enteignung und weitgehende Ausrottung der Ureinwohner noch das Institut der Sklaverei sind Nebenzweige auf dem Weg des Landes vom frühen siebzehnten Jahrhundert bis heute. Sie sind die Geschichte, und Whitehead rückt sie aus den Fußnoten der Geschichtsbücher, in denen sie gemeinhin stehen, und von den Rändern, an die sie gedrängt wurden, ins Zentrum. Seht her, sagt er mit diesem Buch, Coras Geschichte und die derer, denen sie begegnet - ihrer Peiniger so gut wie ihrer Helfer, ihrer Begleiter so gut wie ihrer Verfolger -, das ist euer Erbe. Da kommt ihr her. Das ist die Vorgeschichte für alles, was heute in eurem, unserem Land geschieht. Der "amerikanische Imperativ", den Ridgeway einmal zitiert, klingt nicht wie aus fernen Zeiten: "Wenn du es behalten kannst, ist es deins. Dein Besitz. Sklave oder Kontinent." Man muss auch das wörtlich nehmen.
Gerade die populäre Kultur und da insbesondere der Western haben die Legende genährt, im Bürgerkrieg sei mit der Sklaverei, zu der sich kaum einer nach Kriegsende noch offen bekennen mochte, auch etwas untergegangen, dessen Verlust zu betrauern sei. Ein Süden, in dem nicht alle Sklavenhalter schlecht waren, in dem die Gemeinschaft - wenn auch nur die der Weißen, Reichen - etwas zählte, in dem die Menschen unentfremdet mit der Natur lebten und die Städte keine der Laster der Großstadtmoloche des Nordens beherbergten. Viele der Statuen von den Helden dieser Legenden, zu denen auch General Robert E. Lee gehört, wurden nicht etwa nach dem Bürgerkrieg, sondern ungefähr zur selben Zeit errichtet, in der die Filme (wie die Kavallerietrilogie von John Ford etwa, oder auch "The Searchers") solchen Männern der Vergangenheit im Kino ein Denkmal setzten. Man braucht in ihnen keine Verherrlichung der Sklaverei zu sehen, die in ihnen auch gar keine Rolle spielt.
Aber dass sie in ihrer Verklärung des Südens, wie er einmal gewesen sei, eine Legende erzählen, die nicht von der Versöhnung einstiger Sklaven und ihrer Besitzer handelt, sondern einzig von der Versöhnung der Weißen mit ihrer Vergangenheit als Sklavenhalter, löst heute diese Wut aus und das Bedürfnis, solche Denkmäler zu stürzen. Ein Ort des Verbrechens übrigens wie der Auktionsblock, auf dem in Charlottesville nicht weit von General Robert E. Lees Standbild Sklaven versteigert wurden, ist dort nur mit einer kleinen Plakette im Bürgersteig gekennzeichnet. Es gibt keinen verlorenen Süden, um den es sich zu trauern lohnte, außer für die, in deren Händen er einmal war. Auch das zeigt dieses Buch, das im vergangenen Jahr in Amerika erschien und weder von Donald Trump noch vom Erstarken der "White Supremacists" etwas wissen konnte.
Cora ist ungefähr acht, vielleicht auch zehn, als ihre Mutter Mabel eines Nachts verschwindet und nicht wiederkommt. Ridgeway und andere Sklavenjäger sind hinter ihr her, ein Kopfgeld wird ausgesetzt, aber niemand findet sie. Mabel, so wird erzählt, ist die Einzige, der jemals die Flucht von der Plantage in Georgia gelang. Die Einzige, die nicht wieder eingefangen wurde. Cora ist wütend auf ihre Mutter, die sie verlassen hat, so dass sie allein zurückblieb, und die ihr fehlt. Aber sie ist auch stolz auf diese Frau, die sich offenbar die Freiheit erkämpfte und sie sich nicht wieder nehmen ließ. Als Cora sich entschließt, dem Vorschlag Caesars, eines Sklaven auf derselben Plantage, zu folgen und gemeinsam zu verschwinden, denken sie beide daran, dass es Mabel vor ihnen geschafft hat. Sechs Jahre ist das her. Caesar will Cora dabeihaben, damit ihm Mabels Tochter Glück bringt. Erst sagt Cora Nein. Doch nachdem sie einen Jungen beschützte - "ehe die Sklavin in ihr den Menschen in ihr einholte" - und zur Strafe schwer misshandelt wurde, sagt sie Ja. Und das, obwohl sie mitangesehen hat, was Big Anthony angetan wurde, der auf seiner Flucht immerhin 26 Meilen weit gekommen war, bevor er wieder eingefangen wurde.
Den schwarzen Körper zur Belustigung und Unterhaltung der Weißen zu quälen, auszustellen, begaffen zu lassen - das war weitverbreitete Praxis bis in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein und ist bis heute ein Topos in den Beziehungen zwischen Afroamerikanern und Weißen (wie zuletzt die Auseinandersetzung um Dana Schutz' Gemälde "Open Casket" zeigte). Whitehead schildert diese Art des Entertainments so: "Randalls Besucher schlürften gewürzten Rum, während Big Anthony mit Öl übergossen und geröstet wurde. Den Zeugen blieben seine Schreie erspart, weil man ihm schon am ersten Tag sein Geschlecht abgeschnitten, es ihm in den Mund gestopft und diesen zugenäht hatte. Der Block qualmte, verkohlte und brannte." Am nächsten Abend ziehen Cora und Caesar los.
Die Stationen der Underground Railroad, von der Caesar gehört hat und von denen aus sie nach Norden gelangen würden, erreichen sie durch Falltüren in Häusern von hilfreichen Menschen oder über Treppenabgänge in Höhlen, die in den Untergrund führen. Die Stationen sind in unterschiedlichem Zustand, manche prächtig, manche verfallen und voller Ungeziefer, manche Streckenabschnitte sind bereits wieder geschlossen, andere von vornherein ein Gerücht. Es ist ein phantastischer literarischer Trick von Whitehead, die Underground Railroad in eine tatsächliche unterirdische Bahn zu verwandeln. Er nimmt den Namen wörtlich, wie es der Tradition oraler Überlieferung entspricht. Denn eigentlich war Underground Railroad nur die metaphorische Bezeichnung für jene organisatorisch lose verbundenen Männer und Frauen, die in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts Fluchthilfe leisteten, und für die "safehouses" entlang der Fluchtrouten. Es waren freie Afroamerikaner oder ihrerseits Geflohene und auch aufgeklärte Weiße aus der Abolitionsbewegung, die entkommene Sklaven von den Plantagen im Süden aufnahmen und ihnen den Weg in den Norden, wo die Sklaverei zum Teil bereits abgeschafft war, erleichterten beziehungsweise überhaupt erst ermöglichten.
Die Helfer trugen Tarnbezeichnungen wie "Schaffner" oder "Stationsvorsteher", und die Menschen, denen sie halfen, waren "Lieferungen" oder "Pakete". William Still zum Beispiel, der minutiös die Erzählungen von Geflohenen gesammelt und 1872 veröffentlicht hat ("The Underground Railroad Authentic Narratives and First-Hand Accounts"), war "Schaffner". Obwohl hier wie in anderen Zeugnissen der Bewegung das Gegenteil dokumentiert ist, herrschte lange die Auffassung, die geflohenen Sklaven hätten sich vor allem dank weißer Retter in Sicherheit bringen können, und selbst der Ruhm von Harriet Tubman, der ihrerseits die Flucht in den Norden geglückt war und die vielen Hundert Sklaven zu entkommen half, konnte an der Geschichte vom "white savior" nicht viel ändern. Auch Quentin Tarantino hat sie in "Django Unchained" wieder aufgewärmt.
Die Helfer in Whiteheads Roman sind schwarz und weiß, und ihr Schicksal, wenn sie gefasst werden, ist von besonderer Grausamkeit. Cora begegnet ihnen auf ihrem Weg durch eine historisch elastische Landschaft, in der Whitehead wesentliche Motive und Ereignisse der Geschichte, die zeitlich weit auseinanderliegen, geographisch festschreibt, ein Manöver phantastischen Schreibens, das hier ebenso blendend funktioniert wie sein Auslegen falscher Fährten (etwa in der Geschichte um Mabels Flucht) und anderer Plottechniken, die in einem Sklavenroman eher ungewöhnlich sind. In South Carolina, wo Cora sich zunächst aufgehoben und umfassend betreut fühlt, wird schwarzen Frauen die Sterilisierung nahegelegt, und eine Klinik führt Experimente durch, die an die Syphilis-Studie erinnern, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts infizierte Schwarze zu Forschungszwecken unbehandelt blieben.
In South Carolina ist es auch, dass Cora kostümiert und grimassierend Teil einer Ausstellung wird, eines Dioramas im "Museum der Naturwunder", das eine sentimental verklärte Version des Plantagenlebens in die Erinnerungskultur überführt. In North Carolina überlebt Cora wie einst Harriet Ann Jacobs auf dem Dachboden eines Ehepaars, das aus unterschiedlichen Motiven hilft: Martin, der Mann, weil er die Arbeit seines Vaters fortführt. Ethel, seine Frau, weil sie immer schon "eine Wilde" ihr "Eigentum nennen" wollte. Durchs Fenster beobachtet Cora, was draußen vor sich geht: öffentliche Lynchmorde als Wochenendschauspiel für die Dorfgemeinschaft. Sie wird verraten, gefasst, flieht erneut. In Tennessee trifft sie endlich auf eine Gemeinschaft anderer, die es geschafft haben. Ein Utopia, das nicht lange bestehen bleibt. Und so unterläuft Whitehead den erhebenden Effekt, der Geschichten geflohener Sklaven innewohnt. Cora entkommt immer nur vorübergehend.
Dreißig Jahre ist es her, dass Toni Morrisons großer Roman "Beloved" herauskam, ein Buch, von dem man dachte, mit ihm sei literarisch das endgültige Wort zur Sklaverei gesprochen. Doch seither türmen sich weitere Romane, Sachbücher, Filme, Fernsehserien zum Thema. Whitehead hat das zur Kenntnis genommen und dennoch etwas ganz Neues geschaffen. Sein Roman steht einerseits in der Tradition von "Beloved" als fiktiver Geschichte eines Sklavenlebens, und im ersten kurzen Kapitel über Coras Großmutter Ajarry kann man fast ein Echo von Toni Morrisons Stimme hören, wenn Ajarry sich an ihre Kinder erinnert, die gestorben sind: "Wenigstens sind sie nie verkauft worden." Doch dann geht Whitehead noch ein Stück weiter und macht die Geschichte, die er erfindet, als all American history kenntlich, die gerade nicht so funktioniert, wie es all American stories gern tun. Dem Kampf um die Freiheit folgt in diesem Fall nicht der Lohn.
Die Geschichte der Sklaverei ist nicht abgeschlossen. Ihre Folgen durchziehen bis heute den amerikanischen Alltag. So muss man dieses Buch lesen, das Erzählungen, Erfahrungen und Erinnerungen aus dreieinhalb Jahrhunderten in sich aufgenommen hat und als neue, alle Spuren berührende und zusammenführende Geschichte vor uns steht, als The Great American Novel.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem überwältigenden Roman "Underground Railroad" erzählt Colson Whitehead, warum die Geschichte der Sklaverei nicht abgeschlossen ist. Ihre Folgen durchziehen bis heute den amerikanischen Alltag
Cora ist eine Sklavin.
Das ist ein ungeheuerlicher Satz. Was er sagt, ist in dem metaphorischen Gebrauch des Worts untergegangen. Hier ist er wörtlich zu nehmen. Was der Satz bedeutet, ist dies: Cora ist vor dem Gesetz kein Mensch. Sie ist ein Ding im rechtmäßigen Besitz eines anderen, eines Plantagenbesitzers, für den sie Baumwolle pflückt. Er hatte ihre Großmutter gekauft, bevor Coras Mutter geboren war, das einzige der fünf Kinder, das älter wurde als zehn. Randall hieß der Plantagenbesitzer, und auch Cora gehörte ihm, schon ehe sie den ersten Atemzug tat. Ein Ding im Besitz eines anderen zu sein vererbt sich über die Mütter, denn wer weiß schon, wer die Väter sind und ob sie vielleicht Freie waren und weiß, vielleicht der Besitzer oder der Vorbesitzer selbst. Als Sklavin hat Cora nicht mehr Rechte als der Rechen im Schuppen, hinter dem sie vergewaltigt wird. Auf einem winzig kleinen Stück Land, zwischen ihrer Hütte und der nächsten, so groß wie ein Schritt im Quadrat, pflanzt sie Sauerampfer und Yam. Als ein Stärkerer kommt, der einen Hund hat und sie vertreiben will, greift sie zur Axt. Wie alle Sklaven denkt sie nur an eines, an die Flucht. Wie die meisten wagt sie kaum, sie sich vorzustellen.
Cora ist die Heldin in Colson Whiteheads Roman "Underground Railroad", eine Heldin, existentiell und kreatürlich, die tötet, wenn es sein muss, und zutritt, weil es ihr guttut. Das Buch erzählt die Geschichte ihrer Flucht in einer furiosen Genremischung: Da Cora sich als Halbwüchsige auf den Weg macht, ist es ein Entwicklungsroman, auch wenn die Geschichte nicht psychologisch angelegt ist. Da sie das Land von Süden nach Norden durchquert, eine Reisegeschichte, da sie verfolgt wird, ein Thriller, und weil die Underground Railroad im Titel hier tatsächlich eine unterirdische Eisenbahn ist, haben der Thriller und die Reisegeschichte einen phantastischen Überbau.
Im Kern aber ist das Ganze der literarische Aufriss der wahren Geschichte Amerikas. Daran ändert nichts, dass Whitehead Cora erfunden hat wie auch die Reiseroute, die Gesetze einiger Staaten, die anderen Figuren und auch die Underground Railroad, die im neunzehnten Jahrhundert eine Metapher für Fluchthilfe war, aber keine Eisenbahn. Auch die Staaten, die Cora auf ihrer Flucht durchquert, sind Erfindungen, obwohl sie so heißen, wie sie auf der Landkarte stehen - Georgia, South Carolina, North Carolina, Tennessee, Indiana und "der Norden". Aber jeder dieser Staaten steht für einen bestimmten Aspekt, eine besondere Ausprägung des amerikanischen Rassismus durch die Zeiten hindurch.
Der Roman spielt um 1850, also vor dem Bürgerkrieg, der von 1861 bis 1865 dauerte. Doch Whitehead nimmt vorweg, was im und nach dem Bürgerkrieg geschah. Das Lynchen vermeintlich freier Bürger. Medizinische Experimente an schwarzen Körpern. Phantasien vom rein weißen Amerika durch Deportation aller Schwarzen zurück nach Afrika. Die "große Wanderung" nach Norden in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Jim-Crow-Gesetze, die zum Beispiel in "Whites Only"-Schildern in Bussen oder Restaurants rassistische Segregation festschrieben. Und in Ridgeway, dem Sklavenjäger, der Cora verfolgt, ist ein nicht sehr ferner Verwandter jener Polizisten zu erkennen, die heute unbewaffnete Afroamerikaner erschießen. Gleichzeitig wird in dieser Figur eine der zentralen Paradoxien der Idee von "White Supremacy" greifbar. Denn die fanatische Gewalt, mit der Ridgeway hinter Cora her ist, bindet ihn mit immenser Kraft an sie, über der er doch haushoch zu stehen behauptet. Die Sklaverei zeichnet die Sklaven ebenso wie alle, die Sklaverei betreiben.
Underground Railroad" ist daher nicht die Geschichte des schwarzen Amerikas. Nicht die Geschichte der Afroamerikaner, sondern die Geschichte des ganzen Landes. Bisher sind wir gewohnt, die Geschichte der Vereinigten Staaten als Landnahme- und Besiedlungsgeschichte zu lesen, als Erzählung vom immer weiter nach Westen vorrückenden Grenzland. Im Western geschieht das gern auch unter dem Schutz ehemaliger Kämpfer für die "verlorene Sache" der Südstaaten, die nach dem Krieg mit der Kavallerie dem Pazifik entgegenritten.
Mit "Underground Railroad" hat sich diese sentimentale Sicht endgültig erledigt. Whitehead ist sich dessen bewusst. Sein Amerika ist von Anfang an auf Verbrechen und Gewalt gegründet: "Falls es irgendwo Gerechtigkeit gibt auf dieser Welt, dürfte diese Nation nicht existieren, denn sie beruht auf Mord, Diebstahl und Grausamkeit." Weder die Enteignung und weitgehende Ausrottung der Ureinwohner noch das Institut der Sklaverei sind Nebenzweige auf dem Weg des Landes vom frühen siebzehnten Jahrhundert bis heute. Sie sind die Geschichte, und Whitehead rückt sie aus den Fußnoten der Geschichtsbücher, in denen sie gemeinhin stehen, und von den Rändern, an die sie gedrängt wurden, ins Zentrum. Seht her, sagt er mit diesem Buch, Coras Geschichte und die derer, denen sie begegnet - ihrer Peiniger so gut wie ihrer Helfer, ihrer Begleiter so gut wie ihrer Verfolger -, das ist euer Erbe. Da kommt ihr her. Das ist die Vorgeschichte für alles, was heute in eurem, unserem Land geschieht. Der "amerikanische Imperativ", den Ridgeway einmal zitiert, klingt nicht wie aus fernen Zeiten: "Wenn du es behalten kannst, ist es deins. Dein Besitz. Sklave oder Kontinent." Man muss auch das wörtlich nehmen.
Gerade die populäre Kultur und da insbesondere der Western haben die Legende genährt, im Bürgerkrieg sei mit der Sklaverei, zu der sich kaum einer nach Kriegsende noch offen bekennen mochte, auch etwas untergegangen, dessen Verlust zu betrauern sei. Ein Süden, in dem nicht alle Sklavenhalter schlecht waren, in dem die Gemeinschaft - wenn auch nur die der Weißen, Reichen - etwas zählte, in dem die Menschen unentfremdet mit der Natur lebten und die Städte keine der Laster der Großstadtmoloche des Nordens beherbergten. Viele der Statuen von den Helden dieser Legenden, zu denen auch General Robert E. Lee gehört, wurden nicht etwa nach dem Bürgerkrieg, sondern ungefähr zur selben Zeit errichtet, in der die Filme (wie die Kavallerietrilogie von John Ford etwa, oder auch "The Searchers") solchen Männern der Vergangenheit im Kino ein Denkmal setzten. Man braucht in ihnen keine Verherrlichung der Sklaverei zu sehen, die in ihnen auch gar keine Rolle spielt.
Aber dass sie in ihrer Verklärung des Südens, wie er einmal gewesen sei, eine Legende erzählen, die nicht von der Versöhnung einstiger Sklaven und ihrer Besitzer handelt, sondern einzig von der Versöhnung der Weißen mit ihrer Vergangenheit als Sklavenhalter, löst heute diese Wut aus und das Bedürfnis, solche Denkmäler zu stürzen. Ein Ort des Verbrechens übrigens wie der Auktionsblock, auf dem in Charlottesville nicht weit von General Robert E. Lees Standbild Sklaven versteigert wurden, ist dort nur mit einer kleinen Plakette im Bürgersteig gekennzeichnet. Es gibt keinen verlorenen Süden, um den es sich zu trauern lohnte, außer für die, in deren Händen er einmal war. Auch das zeigt dieses Buch, das im vergangenen Jahr in Amerika erschien und weder von Donald Trump noch vom Erstarken der "White Supremacists" etwas wissen konnte.
Cora ist ungefähr acht, vielleicht auch zehn, als ihre Mutter Mabel eines Nachts verschwindet und nicht wiederkommt. Ridgeway und andere Sklavenjäger sind hinter ihr her, ein Kopfgeld wird ausgesetzt, aber niemand findet sie. Mabel, so wird erzählt, ist die Einzige, der jemals die Flucht von der Plantage in Georgia gelang. Die Einzige, die nicht wieder eingefangen wurde. Cora ist wütend auf ihre Mutter, die sie verlassen hat, so dass sie allein zurückblieb, und die ihr fehlt. Aber sie ist auch stolz auf diese Frau, die sich offenbar die Freiheit erkämpfte und sie sich nicht wieder nehmen ließ. Als Cora sich entschließt, dem Vorschlag Caesars, eines Sklaven auf derselben Plantage, zu folgen und gemeinsam zu verschwinden, denken sie beide daran, dass es Mabel vor ihnen geschafft hat. Sechs Jahre ist das her. Caesar will Cora dabeihaben, damit ihm Mabels Tochter Glück bringt. Erst sagt Cora Nein. Doch nachdem sie einen Jungen beschützte - "ehe die Sklavin in ihr den Menschen in ihr einholte" - und zur Strafe schwer misshandelt wurde, sagt sie Ja. Und das, obwohl sie mitangesehen hat, was Big Anthony angetan wurde, der auf seiner Flucht immerhin 26 Meilen weit gekommen war, bevor er wieder eingefangen wurde.
Den schwarzen Körper zur Belustigung und Unterhaltung der Weißen zu quälen, auszustellen, begaffen zu lassen - das war weitverbreitete Praxis bis in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein und ist bis heute ein Topos in den Beziehungen zwischen Afroamerikanern und Weißen (wie zuletzt die Auseinandersetzung um Dana Schutz' Gemälde "Open Casket" zeigte). Whitehead schildert diese Art des Entertainments so: "Randalls Besucher schlürften gewürzten Rum, während Big Anthony mit Öl übergossen und geröstet wurde. Den Zeugen blieben seine Schreie erspart, weil man ihm schon am ersten Tag sein Geschlecht abgeschnitten, es ihm in den Mund gestopft und diesen zugenäht hatte. Der Block qualmte, verkohlte und brannte." Am nächsten Abend ziehen Cora und Caesar los.
Die Stationen der Underground Railroad, von der Caesar gehört hat und von denen aus sie nach Norden gelangen würden, erreichen sie durch Falltüren in Häusern von hilfreichen Menschen oder über Treppenabgänge in Höhlen, die in den Untergrund führen. Die Stationen sind in unterschiedlichem Zustand, manche prächtig, manche verfallen und voller Ungeziefer, manche Streckenabschnitte sind bereits wieder geschlossen, andere von vornherein ein Gerücht. Es ist ein phantastischer literarischer Trick von Whitehead, die Underground Railroad in eine tatsächliche unterirdische Bahn zu verwandeln. Er nimmt den Namen wörtlich, wie es der Tradition oraler Überlieferung entspricht. Denn eigentlich war Underground Railroad nur die metaphorische Bezeichnung für jene organisatorisch lose verbundenen Männer und Frauen, die in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts Fluchthilfe leisteten, und für die "safehouses" entlang der Fluchtrouten. Es waren freie Afroamerikaner oder ihrerseits Geflohene und auch aufgeklärte Weiße aus der Abolitionsbewegung, die entkommene Sklaven von den Plantagen im Süden aufnahmen und ihnen den Weg in den Norden, wo die Sklaverei zum Teil bereits abgeschafft war, erleichterten beziehungsweise überhaupt erst ermöglichten.
Die Helfer trugen Tarnbezeichnungen wie "Schaffner" oder "Stationsvorsteher", und die Menschen, denen sie halfen, waren "Lieferungen" oder "Pakete". William Still zum Beispiel, der minutiös die Erzählungen von Geflohenen gesammelt und 1872 veröffentlicht hat ("The Underground Railroad Authentic Narratives and First-Hand Accounts"), war "Schaffner". Obwohl hier wie in anderen Zeugnissen der Bewegung das Gegenteil dokumentiert ist, herrschte lange die Auffassung, die geflohenen Sklaven hätten sich vor allem dank weißer Retter in Sicherheit bringen können, und selbst der Ruhm von Harriet Tubman, der ihrerseits die Flucht in den Norden geglückt war und die vielen Hundert Sklaven zu entkommen half, konnte an der Geschichte vom "white savior" nicht viel ändern. Auch Quentin Tarantino hat sie in "Django Unchained" wieder aufgewärmt.
Die Helfer in Whiteheads Roman sind schwarz und weiß, und ihr Schicksal, wenn sie gefasst werden, ist von besonderer Grausamkeit. Cora begegnet ihnen auf ihrem Weg durch eine historisch elastische Landschaft, in der Whitehead wesentliche Motive und Ereignisse der Geschichte, die zeitlich weit auseinanderliegen, geographisch festschreibt, ein Manöver phantastischen Schreibens, das hier ebenso blendend funktioniert wie sein Auslegen falscher Fährten (etwa in der Geschichte um Mabels Flucht) und anderer Plottechniken, die in einem Sklavenroman eher ungewöhnlich sind. In South Carolina, wo Cora sich zunächst aufgehoben und umfassend betreut fühlt, wird schwarzen Frauen die Sterilisierung nahegelegt, und eine Klinik führt Experimente durch, die an die Syphilis-Studie erinnern, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts infizierte Schwarze zu Forschungszwecken unbehandelt blieben.
In South Carolina ist es auch, dass Cora kostümiert und grimassierend Teil einer Ausstellung wird, eines Dioramas im "Museum der Naturwunder", das eine sentimental verklärte Version des Plantagenlebens in die Erinnerungskultur überführt. In North Carolina überlebt Cora wie einst Harriet Ann Jacobs auf dem Dachboden eines Ehepaars, das aus unterschiedlichen Motiven hilft: Martin, der Mann, weil er die Arbeit seines Vaters fortführt. Ethel, seine Frau, weil sie immer schon "eine Wilde" ihr "Eigentum nennen" wollte. Durchs Fenster beobachtet Cora, was draußen vor sich geht: öffentliche Lynchmorde als Wochenendschauspiel für die Dorfgemeinschaft. Sie wird verraten, gefasst, flieht erneut. In Tennessee trifft sie endlich auf eine Gemeinschaft anderer, die es geschafft haben. Ein Utopia, das nicht lange bestehen bleibt. Und so unterläuft Whitehead den erhebenden Effekt, der Geschichten geflohener Sklaven innewohnt. Cora entkommt immer nur vorübergehend.
Dreißig Jahre ist es her, dass Toni Morrisons großer Roman "Beloved" herauskam, ein Buch, von dem man dachte, mit ihm sei literarisch das endgültige Wort zur Sklaverei gesprochen. Doch seither türmen sich weitere Romane, Sachbücher, Filme, Fernsehserien zum Thema. Whitehead hat das zur Kenntnis genommen und dennoch etwas ganz Neues geschaffen. Sein Roman steht einerseits in der Tradition von "Beloved" als fiktiver Geschichte eines Sklavenlebens, und im ersten kurzen Kapitel über Coras Großmutter Ajarry kann man fast ein Echo von Toni Morrisons Stimme hören, wenn Ajarry sich an ihre Kinder erinnert, die gestorben sind: "Wenigstens sind sie nie verkauft worden." Doch dann geht Whitehead noch ein Stück weiter und macht die Geschichte, die er erfindet, als all American history kenntlich, die gerade nicht so funktioniert, wie es all American stories gern tun. Dem Kampf um die Freiheit folgt in diesem Fall nicht der Lohn.
Die Geschichte der Sklaverei ist nicht abgeschlossen. Ihre Folgen durchziehen bis heute den amerikanischen Alltag. So muss man dieses Buch lesen, das Erzählungen, Erfahrungen und Erinnerungen aus dreieinhalb Jahrhunderten in sich aufgenommen hat und als neue, alle Spuren berührende und zusammenführende Geschichte vor uns steht, als The Great American Novel.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2017Geraubte Körper, geraubtes Land
Colson Whiteheads „Underground Railroad“ über den Rassismus im 19. Jahrhundert ist
in den USA das Buch der Stunde. Die Schwächen des Romans steigern seine moralische Wucht
VON CHRISTOPH BARTMANN
Fast jedes Schulkind in den USA hat schon einmal von der „Underground Railroad“ gehört, jener geheimen Infrastruktur aus Pfaden und sicheren Häusern, auf denen, unterstützt oft von weißen Fluchthelfern und Schleusern, afroamerikanische Sklaven in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Weg in die Freiheit fanden. Seit Bill Clintons Präsidentschaft ist dieses legendäre „Network to Freedom“ ein Teil des „National Park Service“ und kann in seinen Überresten vielerorts zwischen dem Mittleren Westen und Neuengland besichtigt werden. Auch die Erinnerungen der glücklich Geflohenen sind wohl dokumentiert, etwa in den „Underground Railroad Records“ des Abolitionisten William Still von 1872. Die „Underground Railroad“, dramatisch, wahr, positiv und „inspirational“, wie sie ist, hat alle Qualitäten einer „Great American Story“.
Gerade die vergangenen Jahre haben, wohl auch beflügelt von Obamas Präsidentschaft, einen neuen Boom von dokumentarischer Literatur zur „Underground Railroad“ ausgelöst. Im Sommer 2016 erschien dann Colson Whiteheads gleichnamiger Roman, gerade noch rechtzeitig, dass der bald scheidende Präsident es zu seiner Ferienlektüre erklären konnte. Vorher hatte schon die New York Times, was sie sonst selten tut, größere Teile des Buches vorab gedruckt. Etwas später wählte Oprah Winfrey das Buch für ihren „Book Club“ aus, im Herbst folgte der „National Book Award“ und in diesem Jahr der Pulitzer-Preis. Weitere Ehrungen dürften folgen. Dass inzwischen im Weißen Haus ein Präsident regiert, von dem keiner weiß, ob und was er im Urlaub liest, hat der Wichtigkeit von Whiteheads Buch eher noch Auftrieb gegeben. Nach Trump, Bannon und dem Ku Klux Klan in Charlottesville hat „Black lives matter“ eine Dringlichkeit bekommen, die auch Colson Whitehead nicht hat vorhersehen können.
Was ist nun dran an „Underground Railroad“, nicht am Phänomen, sondern an Whiteheads Buch selbst? Zunächst fällt auf, dass ihm die vielfach überlieferten historischen Tatsachen ziemlich egal sind. Whitehead hat vieles davon gelesen, aber noch mehr frei erfunden. Nichts anderes war, wenn man schon einmal etwas von ihm gelesen hat (etwa „The Intuitionist“ von 2001), zu erwarten. Die „Underground Railroad“ selbst ist bei Whitehead eine Erfindung, es gibt sie hier nämlich wirklich, als unterirdisch, wenn auch unregelmäßig, verkehrende Dampfeisenbahn, und nicht etwa nur als Metapher für ein undercover betriebenes Verkehrsmittel.
Es wird nicht klar, wann genau Whiteheads Roman spielt. Als einzige Jahreszahl taucht einmal 1820 auf. Zu dieser Zeit gab es jedenfalls weder Züge noch gar Dampflokomotiven, die zum Zweck der Tarnung unterirdisch fuhren. Und eine „Underground Railroad“ existierte südlich der Mason-Dixon-Linie, welche die Nord- von den Südstaaten trennte, nicht einmal im metaphorischen Sinn. Die sagenhafte Bahn, mit deren Hilfe Whiteheads Protagonistin Cora von der Plantage des grausamen Sklavenhalters Randall durch mannigfache Gefahren in die Freiheit entkommt, hat es nie gegeben. Auch an anderen Stellen bewegt sich Whitehead, wohlwissend, wie zu vermuten ist, auf anachronistischem Boden. Das Griffin Building in South Carolina hat zwölf Stockwerke und sogar einen Fahrstuhl, mit dem auch Cora einmal fährt. Der erste Personenaufzug wurde erst 1853 in New York in Betrieb genommen.
Das kann dem Romancier herzlich egal sein, die Frage bleibt indes, was ihn bewegt haben könnte, seiner Geschichte diesen Drall ins Fantastische zu geben. Whitehead ist ein Modernist, ihn interessiert Thomas Pynchon sicher mehr als Harriet Beecher Stowe. Vielleicht sind ja die Dampfeisenbahn und der Aufzug als Elemente einer afrofuturistischen Science Fiction zu verstehen. Wenn schon kein Raumschiff zur Bergung der Entlaufenen auf die Erde herabsinkt, dann müssen wenigstens auf der Erde technische Lösungen bereitgestellt werden, die das aktuell Machbare imaginär überschreiten.
Wir begreifen dann die „Underground Railroad“ (deren Anfälligkeit für Störungen aller Art Whitehead nicht genug betonen kann) als Allegorie einer Befreiung, nicht nur aus den Ketten einer empirisch belegten Sklaverei, sondern aus dem Gefängnis der Tatsachen überhaupt hinein in neue Dimensionen von Zeit und space. Überhaupt nährt Whitehead, wo er kann, Zweifel an einer realistischen, moralisierenden Lesart seines Romans. Als modernistischer afro-amerikanischer Autor ist er durch zu viele Schulen der Popkultur und der „Appropriations“-Fragen gegangen, als dass er hier lediglich einen Beitrag zur Erinnerungskultur im Sinn hätte. Das Allegorische der Gesamtanlage findet seinen Ausdruck auch in der Art, wie die einzelnen Bundesstaaten in ihrer Rassen- und Sklavenpolitik gezeichnet werden.
Wie das Inhaltsverzeichnis verrät, handelt der Roman nicht sehr ausführlich von Personen (Coras Großmutter Ajarry, dem Sklavenjäger Ridgeway, dem Sklaven Caesar, der Cora zur Flucht überredet hat und anderen), dafür umso ausführlicher von Staaten (Georgia, South Carolina, North Carolina, Tennessee, Indiana, „Der Norden“), in denen er seine Handlung ansiedelt. Gewiss, wir nehmen am Schicksal der geflohenen Cora Anteil, aber das scheint nur die Route zu sein, auf der die Empathie der Leser auf die sicherste Weise ans Ziel gelangt. Viel interessanter ist etwa Georgia, der Staat, in dem bei Whitehead (und nur bei ihm) die Plantagensklaverei auf eine geradezu Tarantino-hafte Weise verwirklicht zu sein scheint, erkennbar an den furchtbaren Körperstrafen, die Randall, der Sklavenhalter, gegen entlaufene und wieder eingefangene Sklaven verhängt.
Anders ist die Lage in den Carolinas, hier ist die Sklaverei bereits abgeschafft. In South Carolina hat man die eigene Gewaltgeschichte in einen Themenpark verwandelt, in dem auch Cora, als Darstellerin ihrer selbst, eine zeitweilige Anstellung findet. Zu dieser Art Rassenpolitik gehört indes auch ein Programm, bei dem die Freigelassenen eugenischen Experimenten unterzogen werden. In North Carolina haben weiße Suprematisten mit der Sklaverei gleich auch die Sklaven selbst abgeschafft, deren Leichen nun von den Alleebäumen eines sogenannten Freedom Trail herabhängen. Tennessee wiederum ist für Menschen gleich welcher Hautfarbe anscheinend so unbewohnbar wie der Mond geworden. „Schwarze Bäume neigten sich, verkrüppelte schwarze Arme zeigten wie auf einen fernen, von Flammen noch unberührten Ort. Sie fuhren vorbei an unzähligen schwarzen Gerippen von Häusern und Scheunen, Schornsteinen, die wie Grabmale aufragten, den leeren Mauern verwüsteter Mühlen und Kornspeicher.“ Nichts ist realistisch an dieser Rede, alles (die schwarzen Bäume, Arme, Gerippe ebenso wie der „ferne, von Flammen unberührte Ort“) wird zur Allegorie.
Und welcher Bundesstaat repräsentiert nun das ganze, in unbewältigter rassistischer Vergangenheit und Gegenwart gefangene Amerika? Natürlich keiner, oder alle zusammen. Überdies ist ja die Verschleppung und Versklavung von Afrikanern in die USA Teil einer noch größeren Unterwerfungsgeschichte. Der Roman erinnert gelegentlich daran (oder er lässt Cora sich erinnern): „Das Land, das sie beackert und bearbeitet hatte, war indianisches Land gewesen. Sie wusste, die Weißen prahlten mit der Gründlichkeit der Massaker, bei denen sie Frauen und kleine Kinder getötet und deren Zukunft in der Wiege erstickt hatten.“ Und dann weiter, und wahrscheinlich nicht mehr Coras Gedanken: „Geraubte Körper bearbeiteten geraubtes Land.“
Wie in vielen intelligenten Romanen hat der Autor mehr Intelligentes zu sagen, als er seinen Figuren realistischerweise in den Mund legen oder denken lassen kann. Solche Stellen, an denen die Autorenperspektive den Figuren in die Quere kommt, sind nicht selten: „Cora dankte dem Herrn dafür, dass ihre Haut nie auf diese Weise gebrandmarkt worden war. Dabei sind wir alle gebrandmarkt worden, innerlich, wenn nicht äußerlich“. Der gewaltige Erfolg von Whiteheads Roman mag mehr mit solchen Schwächen zu tun haben als mit seinen Stärken. Das Realistische, Identifikatorische und generell Mutmachende der (so könnte ein Werbetext formulieren) „Reise einer jungen Frau in die Freiheit“ führt den Autor verlässlicher in Oprah’s „Book Club“ als fraktale Experimente mit der Vergangenheit. Wer sich als Leser in den Sog einer so gut wie wahren moralischen Fabel ziehen lassen will, kommt bei „Underground Railroad“ auf seine Kosten. Und erliegt zugleich einer Illusion, vor der derselbe Roman aufs Deutlichste warnt.
Was mag den Autor bewegt
haben, seiner Geschichte diesen
Drall ins Fantastische zu geben?
„Wir alle sind gebrandmarkt
worden, innerlich,
wenn nicht äußerlich.“
Weiße Gegner der Sklaverei helfen schwarzen Sklaven bei der Flucht in die Nordstaaten: Charles T. Webbers „The Underground Railroad“ (1893).
Foto: mauritius images
Colson Whitehead:
Underground Railroad. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Carl Hanser Verlag,
München 2017.
349 Seiten, 24 Euro.
E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Colson Whiteheads „Underground Railroad“ über den Rassismus im 19. Jahrhundert ist
in den USA das Buch der Stunde. Die Schwächen des Romans steigern seine moralische Wucht
VON CHRISTOPH BARTMANN
Fast jedes Schulkind in den USA hat schon einmal von der „Underground Railroad“ gehört, jener geheimen Infrastruktur aus Pfaden und sicheren Häusern, auf denen, unterstützt oft von weißen Fluchthelfern und Schleusern, afroamerikanische Sklaven in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Weg in die Freiheit fanden. Seit Bill Clintons Präsidentschaft ist dieses legendäre „Network to Freedom“ ein Teil des „National Park Service“ und kann in seinen Überresten vielerorts zwischen dem Mittleren Westen und Neuengland besichtigt werden. Auch die Erinnerungen der glücklich Geflohenen sind wohl dokumentiert, etwa in den „Underground Railroad Records“ des Abolitionisten William Still von 1872. Die „Underground Railroad“, dramatisch, wahr, positiv und „inspirational“, wie sie ist, hat alle Qualitäten einer „Great American Story“.
Gerade die vergangenen Jahre haben, wohl auch beflügelt von Obamas Präsidentschaft, einen neuen Boom von dokumentarischer Literatur zur „Underground Railroad“ ausgelöst. Im Sommer 2016 erschien dann Colson Whiteheads gleichnamiger Roman, gerade noch rechtzeitig, dass der bald scheidende Präsident es zu seiner Ferienlektüre erklären konnte. Vorher hatte schon die New York Times, was sie sonst selten tut, größere Teile des Buches vorab gedruckt. Etwas später wählte Oprah Winfrey das Buch für ihren „Book Club“ aus, im Herbst folgte der „National Book Award“ und in diesem Jahr der Pulitzer-Preis. Weitere Ehrungen dürften folgen. Dass inzwischen im Weißen Haus ein Präsident regiert, von dem keiner weiß, ob und was er im Urlaub liest, hat der Wichtigkeit von Whiteheads Buch eher noch Auftrieb gegeben. Nach Trump, Bannon und dem Ku Klux Klan in Charlottesville hat „Black lives matter“ eine Dringlichkeit bekommen, die auch Colson Whitehead nicht hat vorhersehen können.
Was ist nun dran an „Underground Railroad“, nicht am Phänomen, sondern an Whiteheads Buch selbst? Zunächst fällt auf, dass ihm die vielfach überlieferten historischen Tatsachen ziemlich egal sind. Whitehead hat vieles davon gelesen, aber noch mehr frei erfunden. Nichts anderes war, wenn man schon einmal etwas von ihm gelesen hat (etwa „The Intuitionist“ von 2001), zu erwarten. Die „Underground Railroad“ selbst ist bei Whitehead eine Erfindung, es gibt sie hier nämlich wirklich, als unterirdisch, wenn auch unregelmäßig, verkehrende Dampfeisenbahn, und nicht etwa nur als Metapher für ein undercover betriebenes Verkehrsmittel.
Es wird nicht klar, wann genau Whiteheads Roman spielt. Als einzige Jahreszahl taucht einmal 1820 auf. Zu dieser Zeit gab es jedenfalls weder Züge noch gar Dampflokomotiven, die zum Zweck der Tarnung unterirdisch fuhren. Und eine „Underground Railroad“ existierte südlich der Mason-Dixon-Linie, welche die Nord- von den Südstaaten trennte, nicht einmal im metaphorischen Sinn. Die sagenhafte Bahn, mit deren Hilfe Whiteheads Protagonistin Cora von der Plantage des grausamen Sklavenhalters Randall durch mannigfache Gefahren in die Freiheit entkommt, hat es nie gegeben. Auch an anderen Stellen bewegt sich Whitehead, wohlwissend, wie zu vermuten ist, auf anachronistischem Boden. Das Griffin Building in South Carolina hat zwölf Stockwerke und sogar einen Fahrstuhl, mit dem auch Cora einmal fährt. Der erste Personenaufzug wurde erst 1853 in New York in Betrieb genommen.
Das kann dem Romancier herzlich egal sein, die Frage bleibt indes, was ihn bewegt haben könnte, seiner Geschichte diesen Drall ins Fantastische zu geben. Whitehead ist ein Modernist, ihn interessiert Thomas Pynchon sicher mehr als Harriet Beecher Stowe. Vielleicht sind ja die Dampfeisenbahn und der Aufzug als Elemente einer afrofuturistischen Science Fiction zu verstehen. Wenn schon kein Raumschiff zur Bergung der Entlaufenen auf die Erde herabsinkt, dann müssen wenigstens auf der Erde technische Lösungen bereitgestellt werden, die das aktuell Machbare imaginär überschreiten.
Wir begreifen dann die „Underground Railroad“ (deren Anfälligkeit für Störungen aller Art Whitehead nicht genug betonen kann) als Allegorie einer Befreiung, nicht nur aus den Ketten einer empirisch belegten Sklaverei, sondern aus dem Gefängnis der Tatsachen überhaupt hinein in neue Dimensionen von Zeit und space. Überhaupt nährt Whitehead, wo er kann, Zweifel an einer realistischen, moralisierenden Lesart seines Romans. Als modernistischer afro-amerikanischer Autor ist er durch zu viele Schulen der Popkultur und der „Appropriations“-Fragen gegangen, als dass er hier lediglich einen Beitrag zur Erinnerungskultur im Sinn hätte. Das Allegorische der Gesamtanlage findet seinen Ausdruck auch in der Art, wie die einzelnen Bundesstaaten in ihrer Rassen- und Sklavenpolitik gezeichnet werden.
Wie das Inhaltsverzeichnis verrät, handelt der Roman nicht sehr ausführlich von Personen (Coras Großmutter Ajarry, dem Sklavenjäger Ridgeway, dem Sklaven Caesar, der Cora zur Flucht überredet hat und anderen), dafür umso ausführlicher von Staaten (Georgia, South Carolina, North Carolina, Tennessee, Indiana, „Der Norden“), in denen er seine Handlung ansiedelt. Gewiss, wir nehmen am Schicksal der geflohenen Cora Anteil, aber das scheint nur die Route zu sein, auf der die Empathie der Leser auf die sicherste Weise ans Ziel gelangt. Viel interessanter ist etwa Georgia, der Staat, in dem bei Whitehead (und nur bei ihm) die Plantagensklaverei auf eine geradezu Tarantino-hafte Weise verwirklicht zu sein scheint, erkennbar an den furchtbaren Körperstrafen, die Randall, der Sklavenhalter, gegen entlaufene und wieder eingefangene Sklaven verhängt.
Anders ist die Lage in den Carolinas, hier ist die Sklaverei bereits abgeschafft. In South Carolina hat man die eigene Gewaltgeschichte in einen Themenpark verwandelt, in dem auch Cora, als Darstellerin ihrer selbst, eine zeitweilige Anstellung findet. Zu dieser Art Rassenpolitik gehört indes auch ein Programm, bei dem die Freigelassenen eugenischen Experimenten unterzogen werden. In North Carolina haben weiße Suprematisten mit der Sklaverei gleich auch die Sklaven selbst abgeschafft, deren Leichen nun von den Alleebäumen eines sogenannten Freedom Trail herabhängen. Tennessee wiederum ist für Menschen gleich welcher Hautfarbe anscheinend so unbewohnbar wie der Mond geworden. „Schwarze Bäume neigten sich, verkrüppelte schwarze Arme zeigten wie auf einen fernen, von Flammen noch unberührten Ort. Sie fuhren vorbei an unzähligen schwarzen Gerippen von Häusern und Scheunen, Schornsteinen, die wie Grabmale aufragten, den leeren Mauern verwüsteter Mühlen und Kornspeicher.“ Nichts ist realistisch an dieser Rede, alles (die schwarzen Bäume, Arme, Gerippe ebenso wie der „ferne, von Flammen unberührte Ort“) wird zur Allegorie.
Und welcher Bundesstaat repräsentiert nun das ganze, in unbewältigter rassistischer Vergangenheit und Gegenwart gefangene Amerika? Natürlich keiner, oder alle zusammen. Überdies ist ja die Verschleppung und Versklavung von Afrikanern in die USA Teil einer noch größeren Unterwerfungsgeschichte. Der Roman erinnert gelegentlich daran (oder er lässt Cora sich erinnern): „Das Land, das sie beackert und bearbeitet hatte, war indianisches Land gewesen. Sie wusste, die Weißen prahlten mit der Gründlichkeit der Massaker, bei denen sie Frauen und kleine Kinder getötet und deren Zukunft in der Wiege erstickt hatten.“ Und dann weiter, und wahrscheinlich nicht mehr Coras Gedanken: „Geraubte Körper bearbeiteten geraubtes Land.“
Wie in vielen intelligenten Romanen hat der Autor mehr Intelligentes zu sagen, als er seinen Figuren realistischerweise in den Mund legen oder denken lassen kann. Solche Stellen, an denen die Autorenperspektive den Figuren in die Quere kommt, sind nicht selten: „Cora dankte dem Herrn dafür, dass ihre Haut nie auf diese Weise gebrandmarkt worden war. Dabei sind wir alle gebrandmarkt worden, innerlich, wenn nicht äußerlich“. Der gewaltige Erfolg von Whiteheads Roman mag mehr mit solchen Schwächen zu tun haben als mit seinen Stärken. Das Realistische, Identifikatorische und generell Mutmachende der (so könnte ein Werbetext formulieren) „Reise einer jungen Frau in die Freiheit“ führt den Autor verlässlicher in Oprah’s „Book Club“ als fraktale Experimente mit der Vergangenheit. Wer sich als Leser in den Sog einer so gut wie wahren moralischen Fabel ziehen lassen will, kommt bei „Underground Railroad“ auf seine Kosten. Und erliegt zugleich einer Illusion, vor der derselbe Roman aufs Deutlichste warnt.
Was mag den Autor bewegt
haben, seiner Geschichte diesen
Drall ins Fantastische zu geben?
„Wir alle sind gebrandmarkt
worden, innerlich,
wenn nicht äußerlich.“
Weiße Gegner der Sklaverei helfen schwarzen Sklaven bei der Flucht in die Nordstaaten: Charles T. Webbers „The Underground Railroad“ (1893).
Foto: mauritius images
Colson Whitehead:
Underground Railroad. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Carl Hanser Verlag,
München 2017.
349 Seiten, 24 Euro.
E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
It has invaded both my sleeping and waking thoughts . . . Each character feels alive with a singular humanity . . . Whitehead is on a roll, the reviews have been sublime Bim Adewunmi Guardian