America is in crisis. In the space of a generation, it has become more than ever a country of winners and losers, as industries have failed, institutions have disappeared and the country's focus has shifted to idolise celebrity and wealth. This book tells the story of America over the years, empathizing with those facing difficult challenges.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2014Der amerikanische Traum ist ausgeträumt
Ohne moralischen Kompass: George Packer hat persönliche Schicksale bekannter und unbekannter Amerikaner seit den siebziger Jahren begleitet. Sein Buch "Die Abwicklung" zeichnet ein trübes Bild eines Landes, dessen Zukunft auch uns angeht.
Der liberale, mehrfach preisgekrönte amerikanische Journalist George Packer hat ein grandioses Buch vorgelegt, eine Sammlung sehr persönlich gehaltener, aber nur ganz selten sentimentaler Reportagen über das Leben bekannter und nicht ganz so bekannter Amerikaner und ihr Leben zwischen dem Ende der siebziger Jahre und der Gegenwart.
Im Mittelpunkt stehen der evangelikale, südstaatliche Kleinunternehmer Dean Price, ein ökonomisches Stehaufmännchen, das immer neue Anläufe nimmt, um sich im bergigen Hinterland des oberen Südens seinen ganz persönlichen amerikanischen Traum zu erfüllen; der zwischen Idealismus und Karrieredenken schwankende Politikberater Jeff Connaughton, ebenfalls aus dem Süden der Vereinigten Staaten; die schwarze Sozialarbeiterin Tammy Thomas aus Youngstown, Ohio, das einst ein Song Bruce Springsteens zu einer Ikone des rust belt, der ehemaligen industriellen Hochburgen im produktiven Schwerindustriegürtel der Vereinigten Staaten machte, sowie Peter Thiel, einer der modernen Zauberer von Oz, die von Silikon Valley aus einst die Kommunikationsrevolution des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die schöne neue Welt des Internet vorbereiteten.
Hinzu treten Langzeitreportagen über Mittelklassefamilien in Tampa, Florida und Einzelstücke unter anderem über die Talk-Show-Queen Oprah Winfrey, die jeder nur Oprah nennt und deren Wirtschaftsimperium den Haushalt manchen afrikanischen Staats zwergenhaft erscheinen lässt, Newt Gingrich, einen der Vordenker der neuen Republikanischen Partei nach Reagan, den libertären, streitbaren Internetjournalisten Andrew Breitbart oder den Rapper Jay-Z.
Diese verstreuten Einzeldarstellungen sind allesamt solide gemacht und bieten oft interessante Informationen, dennoch wirken sie mitunter bemüht und inkonsequent. Den eigentlichen Höhepunkt des Buches machen die vier fast schon epischen Darstellungen aus. In ihnen gelingt es Packer, mit Hilfe weniger, aber präziser Pinselstriche ein kaleidoskopartiges Bild der Entwicklung seit den siebziger Jahren zu zeichnen. Das nämlich macht die eigenartige Größe dieses Werkes aus: die Fähigkeit eine Entwicklung darzustellen und nicht einfach statisch einen Zustand zu zeichnen.
Packer denkt und argumentiert als journalistischer Historiker, der zuerst einmal sein Handwerk versteht. Seine Sprache ist unprätentiös, klar und - vor allem im englischen Original, an das die deutsche Übersetzung notwendig nicht durchweg heranreicht - äußerst eingängig. Insbesondere vermeidet er, bei aller Emotionalität, effekthascherische Sentimentalitäten. Packer gibt sich weder als allwissender Autor mit göttlichem Blick, noch verfolgt er mit missionarischer Besessenheit eine allzu offenkundige politische Tagesordnung. Er zeichnet aus der Fülle seiner Interviews mit der notwendigen Distanz souverän Charaktere, die einem bald lebendig vor Augen stehen, ohne dabei ständig mit dem Holzhammer Partei zu ergreifen.
Auf diese Art von engagiertem Journalismus verstehen sich heute leider nicht mehr viele seiner Kollegen. Nur gelegentlich schimmern Spurenelemente von Nostalgie durch, wenn er etwa schildert, wie in der guten alten Zeit, die ganz so gut dann doch offenbar nicht war, pikanterweise der Mob, also die italienische, irische, polnische und jüdische Mafia, und nicht die stets korrupte und unfähige lokale Polizei auf den Straßen Youngstowns für Ruhe und Ordnung sorgte und wie dieses prekäre Gleichgewicht inzwischen durch die schwarzen Drogenhändlergangs der Hoods und Cripps zerstört wurde.
Ansonsten liefert Packer dichte Beschreibungen des Wandels von Alltag zwischen der allmählich untergehenden gesellschaftlichen Ordnung der industriellen Hochmoderne und der postindustriellen Gesellschaft. Denn tatsächlich, und da kommt der Historiker in ihm zum Zuge, liegt all den scheinbar zusammenhanglos nebeneinanderstehenden Geschichten und Geschichtchen aus dem ganz banalen Leben normaler Amerikaner dann doch eine einheitliche These zugrunde. Für Packer haben die Vereinigten Staaten seit der Präsidentschaft Jimmy Carters ihren inneren Zusammenhalt und ihren moralischen Kompass verloren, weniger in der Außenpolitik, als im Alltag, im Beruf, in der Wirtschaft.
Einst, so Packer, wurden die Vereinigten Staaten in erster Linie durch einen gemeinsamen Traum zusammengehalten, die Hoffnung auf Chancengerechtigkeit und sozialen Aufstieg auf der Grundlage eigener Anstrengungen, wenn nötig mit etwas staatlicher Unterstützung. Dies war bereits in der jungen Republik des neunzehnten Jahrhunderts so gewesen, um dann durch den New Deal Franklin D. Roosevelts und die Great Society Lyndon B. Johnsons zwischen 1933 und 1965 vollendet zu werden. Dann aber kam der große Bruch, den bereits Daniel T. Rogers in "The Age of Fracture", Robert Putnam in "Bowling Alone" oder John D. Hunter in "Culture Wars" als Historiker oder Soziologen beschrieben haben.
Packer liefert dazu die eindringlichen, lebendigen und charakteristischen Bilder aus dem Alltagsleben von Durchschnittsamerikanern. Mit dem Niedergang der alten industriellen Ordnung zerbröselten nicht allein die Sozialsysteme, sondern vorrangig der innere Zusammenhalt. Zugespitzt formuliert: Der Neoliberalismus und der Raubtierkapitalismus der neunziger und nuller Jahre zerstörten all das, was Liberalismus und Kapitalismus zu schützen vorgaben, vor allem die Aussicht auf beruflichen Erfolg aus eigenem Antrieb und eigener Kraft.
Packer ist beileibe kein Apologet des sozialdemokratischen oder christdemokratischen Wohlfahrtsstaates, sondern jemand, der an die Fähigkeit von Individuen glaubt, sich letztendlich selbst helfen zu können. Genau diese Fähigkeit aber ist in den vergangenen Jahrzehnten systematisch ausgehöhlt worden - und zwar nicht von den Individuen selbst, sondern strukturell von Banken und Großkonzernen.
Besonders gut zeigt sich dies in der Geschichte von Dean Price. Neben zahllosen eigenen Fehlern, die ihn beständig aufs Neue in den Ruin trieben, scheiterte er im Endeffekt an der mehr und mehr marktbeherrschenden Stellung global agierender Ketten, die auf lokaler Ebene Menschen nur noch zu Billiglöhnen einstellen und alle Profite an die Börsen New Yorks, Londons und Frankfurts tragen. Für ländliche Regionen wie den südstaatlichen Piedmont ist das auf Dauer ein Todesurteil, keines das rasch vollstreckt wird, sondern sich in schier endlose Agonie verwandelt. Selbst das Internet ist, wie ein frustrierter Peter Thiel am Ende einräumt, kein Instrument, die Krise zu bewältigen, sondern eher ein weiteres Symptom.
"Die Abwicklung" endet, jenseits der leeren Stereotype vom immer optimistischen Amerikaner, in tiefem Pessimismus. Lösungen hat nämlich auch George Packer nicht zu bieten. Seine verhaltene Analyse aber reißt mit, gerade weil sie so erfrischend frei von hohlem Pathos ist. In Amerika wurde das im vergangenen Jahr unter dem Titel "The Unwinding" publizierte Buch mit dem National Book Award ausgezeichnet. Dass das Thema auch deutsche Leser interessiert, zeigt Packers Einstand auf der "Spiegel"-Bestsellerliste. Dort kam sein Buch in seiner ersten Verkaufswoche soeben aus dem Stand auf den neunten Platz.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER
George Packer: "Die Abwicklung". Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 512 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ohne moralischen Kompass: George Packer hat persönliche Schicksale bekannter und unbekannter Amerikaner seit den siebziger Jahren begleitet. Sein Buch "Die Abwicklung" zeichnet ein trübes Bild eines Landes, dessen Zukunft auch uns angeht.
Der liberale, mehrfach preisgekrönte amerikanische Journalist George Packer hat ein grandioses Buch vorgelegt, eine Sammlung sehr persönlich gehaltener, aber nur ganz selten sentimentaler Reportagen über das Leben bekannter und nicht ganz so bekannter Amerikaner und ihr Leben zwischen dem Ende der siebziger Jahre und der Gegenwart.
Im Mittelpunkt stehen der evangelikale, südstaatliche Kleinunternehmer Dean Price, ein ökonomisches Stehaufmännchen, das immer neue Anläufe nimmt, um sich im bergigen Hinterland des oberen Südens seinen ganz persönlichen amerikanischen Traum zu erfüllen; der zwischen Idealismus und Karrieredenken schwankende Politikberater Jeff Connaughton, ebenfalls aus dem Süden der Vereinigten Staaten; die schwarze Sozialarbeiterin Tammy Thomas aus Youngstown, Ohio, das einst ein Song Bruce Springsteens zu einer Ikone des rust belt, der ehemaligen industriellen Hochburgen im produktiven Schwerindustriegürtel der Vereinigten Staaten machte, sowie Peter Thiel, einer der modernen Zauberer von Oz, die von Silikon Valley aus einst die Kommunikationsrevolution des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die schöne neue Welt des Internet vorbereiteten.
Hinzu treten Langzeitreportagen über Mittelklassefamilien in Tampa, Florida und Einzelstücke unter anderem über die Talk-Show-Queen Oprah Winfrey, die jeder nur Oprah nennt und deren Wirtschaftsimperium den Haushalt manchen afrikanischen Staats zwergenhaft erscheinen lässt, Newt Gingrich, einen der Vordenker der neuen Republikanischen Partei nach Reagan, den libertären, streitbaren Internetjournalisten Andrew Breitbart oder den Rapper Jay-Z.
Diese verstreuten Einzeldarstellungen sind allesamt solide gemacht und bieten oft interessante Informationen, dennoch wirken sie mitunter bemüht und inkonsequent. Den eigentlichen Höhepunkt des Buches machen die vier fast schon epischen Darstellungen aus. In ihnen gelingt es Packer, mit Hilfe weniger, aber präziser Pinselstriche ein kaleidoskopartiges Bild der Entwicklung seit den siebziger Jahren zu zeichnen. Das nämlich macht die eigenartige Größe dieses Werkes aus: die Fähigkeit eine Entwicklung darzustellen und nicht einfach statisch einen Zustand zu zeichnen.
Packer denkt und argumentiert als journalistischer Historiker, der zuerst einmal sein Handwerk versteht. Seine Sprache ist unprätentiös, klar und - vor allem im englischen Original, an das die deutsche Übersetzung notwendig nicht durchweg heranreicht - äußerst eingängig. Insbesondere vermeidet er, bei aller Emotionalität, effekthascherische Sentimentalitäten. Packer gibt sich weder als allwissender Autor mit göttlichem Blick, noch verfolgt er mit missionarischer Besessenheit eine allzu offenkundige politische Tagesordnung. Er zeichnet aus der Fülle seiner Interviews mit der notwendigen Distanz souverän Charaktere, die einem bald lebendig vor Augen stehen, ohne dabei ständig mit dem Holzhammer Partei zu ergreifen.
Auf diese Art von engagiertem Journalismus verstehen sich heute leider nicht mehr viele seiner Kollegen. Nur gelegentlich schimmern Spurenelemente von Nostalgie durch, wenn er etwa schildert, wie in der guten alten Zeit, die ganz so gut dann doch offenbar nicht war, pikanterweise der Mob, also die italienische, irische, polnische und jüdische Mafia, und nicht die stets korrupte und unfähige lokale Polizei auf den Straßen Youngstowns für Ruhe und Ordnung sorgte und wie dieses prekäre Gleichgewicht inzwischen durch die schwarzen Drogenhändlergangs der Hoods und Cripps zerstört wurde.
Ansonsten liefert Packer dichte Beschreibungen des Wandels von Alltag zwischen der allmählich untergehenden gesellschaftlichen Ordnung der industriellen Hochmoderne und der postindustriellen Gesellschaft. Denn tatsächlich, und da kommt der Historiker in ihm zum Zuge, liegt all den scheinbar zusammenhanglos nebeneinanderstehenden Geschichten und Geschichtchen aus dem ganz banalen Leben normaler Amerikaner dann doch eine einheitliche These zugrunde. Für Packer haben die Vereinigten Staaten seit der Präsidentschaft Jimmy Carters ihren inneren Zusammenhalt und ihren moralischen Kompass verloren, weniger in der Außenpolitik, als im Alltag, im Beruf, in der Wirtschaft.
Einst, so Packer, wurden die Vereinigten Staaten in erster Linie durch einen gemeinsamen Traum zusammengehalten, die Hoffnung auf Chancengerechtigkeit und sozialen Aufstieg auf der Grundlage eigener Anstrengungen, wenn nötig mit etwas staatlicher Unterstützung. Dies war bereits in der jungen Republik des neunzehnten Jahrhunderts so gewesen, um dann durch den New Deal Franklin D. Roosevelts und die Great Society Lyndon B. Johnsons zwischen 1933 und 1965 vollendet zu werden. Dann aber kam der große Bruch, den bereits Daniel T. Rogers in "The Age of Fracture", Robert Putnam in "Bowling Alone" oder John D. Hunter in "Culture Wars" als Historiker oder Soziologen beschrieben haben.
Packer liefert dazu die eindringlichen, lebendigen und charakteristischen Bilder aus dem Alltagsleben von Durchschnittsamerikanern. Mit dem Niedergang der alten industriellen Ordnung zerbröselten nicht allein die Sozialsysteme, sondern vorrangig der innere Zusammenhalt. Zugespitzt formuliert: Der Neoliberalismus und der Raubtierkapitalismus der neunziger und nuller Jahre zerstörten all das, was Liberalismus und Kapitalismus zu schützen vorgaben, vor allem die Aussicht auf beruflichen Erfolg aus eigenem Antrieb und eigener Kraft.
Packer ist beileibe kein Apologet des sozialdemokratischen oder christdemokratischen Wohlfahrtsstaates, sondern jemand, der an die Fähigkeit von Individuen glaubt, sich letztendlich selbst helfen zu können. Genau diese Fähigkeit aber ist in den vergangenen Jahrzehnten systematisch ausgehöhlt worden - und zwar nicht von den Individuen selbst, sondern strukturell von Banken und Großkonzernen.
Besonders gut zeigt sich dies in der Geschichte von Dean Price. Neben zahllosen eigenen Fehlern, die ihn beständig aufs Neue in den Ruin trieben, scheiterte er im Endeffekt an der mehr und mehr marktbeherrschenden Stellung global agierender Ketten, die auf lokaler Ebene Menschen nur noch zu Billiglöhnen einstellen und alle Profite an die Börsen New Yorks, Londons und Frankfurts tragen. Für ländliche Regionen wie den südstaatlichen Piedmont ist das auf Dauer ein Todesurteil, keines das rasch vollstreckt wird, sondern sich in schier endlose Agonie verwandelt. Selbst das Internet ist, wie ein frustrierter Peter Thiel am Ende einräumt, kein Instrument, die Krise zu bewältigen, sondern eher ein weiteres Symptom.
"Die Abwicklung" endet, jenseits der leeren Stereotype vom immer optimistischen Amerikaner, in tiefem Pessimismus. Lösungen hat nämlich auch George Packer nicht zu bieten. Seine verhaltene Analyse aber reißt mit, gerade weil sie so erfrischend frei von hohlem Pathos ist. In Amerika wurde das im vergangenen Jahr unter dem Titel "The Unwinding" publizierte Buch mit dem National Book Award ausgezeichnet. Dass das Thema auch deutsche Leser interessiert, zeigt Packers Einstand auf der "Spiegel"-Bestsellerliste. Dort kam sein Buch in seiner ersten Verkaufswoche soeben aus dem Stand auf den neunten Platz.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER
George Packer: "Die Abwicklung". Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 512 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Packer's is an American voice of exceptional clarity and humanity in a tradition of reportage that renders the quotidian extraordinary. When our descendants survey the ruins of this modern imperium and sift its cultural detritus, American voices like this will be the tiny treasures that endure. David Goldbatt Independent