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The much-anticipated first novel from the Guardian First Book Award-winning Chinese writer.

Produktbeschreibung
The much-anticipated first novel from the Guardian First Book Award-winning Chinese writer.
Autorenporträt
Yiyun Li grew up in Beijing and came to the United States in 1996. Her debut collection, A Thousand Years of Good Prayers, won the Frank O'Connor International Short Story Award and Guardian First Book Award. Her novel, The Vagrants, was shortlisted for Dublin IMPAC Award. Her books have been translated into more than twenty languages. She was selected by Granta as one of the 21 Best Young American Novelists under 35, and was named by The New Yorker as one of the top 20 writers under 40. She lives in Oakland, California with her husband and their two sons.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009

Als das Sterben schon nicht mehr das Schlimmste war

Unschuldig kann man nicht bleiben: Yiyun Li hat ein furioses, zutiefst verstörendes Romandebüt über das postmaoistische China geschrieben.

Von Sandra Kegel

Der Tod ist nicht das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Dieser Gedanke, der das Ende allen Denkens markiert und der dem alten Lehrer durch den Kopf geht, als er seine misshandelte Tochter Shan ein letztes Mal vor ihrer Hinrichtung im Gefängnis besucht, bildet den morastigen Untergrund dieses meisterlichen Romans, der sich liest wie ein dunkler Traum, aus dem es kein Erwachen gibt. Die Welt im postmaoistischen China, von der Yiyun Li in ihrem Debüt erzählt, ist in ihren Grundfesten zerrüttet. Menschlichkeit gilt als Verbrechen, Mitgefühl als Sünde, und Unschuld ist nicht möglich, weil nur überlebt, wer sich schuldig macht - an seiner Familie, seinen Freunden, seinen Nachbarn. Indem man wegschaut, täuscht und verrät. Die zwölfjährige Nini, die, weil ihre im achten Monat schwangere Mutter gefoltert wurde, als Krüppel zur Welt kam, ist nur ein Sinnbild für die Deformation einer ganzen Gesellschaft, die einer unmenschlichen Politik zum Opfer fiel.

Der Roman "Die Sterblichen" beginnt am Morgen der Tagundnachtgleiche des Jahres 1979 mit einem Festtag in Hun Jian, einer im Nirgendwo aus dem Boden gestampften Provinzstadt. Munter schwatzend ziehen Männer, Frauen und Kinder durch die Gassen und wedeln mit bunten Fahnen und Spruchbändern. Alle haben frei, doch nicht etwa, weil endlich der Frühling gekommen ist. Vielmehr wird an diesem Tag die achtundzwanzigjährige Gu Shan hingerichtet, und die Bürger des Städtchens strömen zur Denunziationszeremonie ins Stadion. Noch ehe die Gefesselte der Masse vorgeführt wird, hat man ihr die Stimmbänder entfernt, damit sie keine "konterrevolutionären Parolen" mehr schreien kann. Später schneidet man ihr dann am lebendigen Leib die Nieren heraus, die für einen alternden Politkader bestimmt sind. Und weil der Boden zu dieser Jahreszeit noch hart und vereist ist, macht man sich nach der Hinrichtung auch nicht die Mühe, den Leichnam zu verscharrten. So kann sich ein perverser Alter an der toten Frau vergehen. Die angeordnete Ermordung Gu Shans, deren Vergehen es war, sich von einer fanatischen Rotgardistin zur Gegnerin des Systems zu wandeln, löst in der Stadt und mithin in einem System, in dem kein Handeln folgenlos bleibt, eine Kettenreaktion aus, der sich kaum jemand entziehen kann. Nicht nur für das Ehepaar Gu, das kein Wort findet für die Trauer, zu Lebzeiten ein Kind verloren zu haben, ändert dieser Märztag alles. Auch in der Radiosprecherin Kai, die als junges Mädchen einst ihre Klassenkameradin Shan bewunderte, nagt nun das Misstrauen gegenüber dem System, dessen offizielle Stimme sie ist.

Am Ende der vierzig eisigen Frühlingstage, von denen dieser Roman erzählt, wird eine Mutter für ihre politischen Ideale ihr Kind im Stich gelassen haben; ein Mädchen, das von seinen Eltern wie eine Sklavin gehalten wird, seine Schwestern verbrennen lassen; ein Junge, um den eigenen Vater zu retten, Unschuldige denunziert haben. Und es wird abermals ein Mensch aufs Schafott geführt.

Yiyun Li, die 1972 in Peking geboren wurde und seit 1996 in Amerika lebt, wo sie zunächst Immunologie studierte und bislang einige Kurzgeschichten veröffentlicht hat, schreibt all das in erschreckend eindringlicher, lakonischer Sprache auf, mit einem fast schon nüchtern-dokumentarischen Blick auf das Geschehen. Neben Junoz Díaz und Aleksandar Hemon gehört die Chinesin zu jener jungen amerikanischen Schriftstellergeneration, deren Thema die fremde Herkunft ist. Nicht das kommunistische System und seine Vorkämpfer steht indes im Mittelpunkt. Deng Xiaoping und die Regierenden in Peking bleiben im Roman so fern wie die tyrannischen Machthaber der Provinz. Für den Leser wirkt deren Präsenz mithin genauso anonym und ungreifbar wie für die Opfer. Spürbar sind allein die Folgen monströser Entscheidungen, die irgendwer irgendwo fällt.

In geschickter Parallelmontage verdichtet Yiyun Li das Schicksal von mehreren Figuren zu einem Kosmos des Grauens, dem man sich kaum entziehen kann. Hier kann man nur überleben, indem man sich unsichtbar macht, oder man muss verbrecherisch handeln. Aus dieser verdrehten Logik folgt, dass Eltern sich wünschen, dass ihre Kinder nichts lernen. Shan wäre niemals eine glühende Mao-Anhängerin geworden, glaubt ihr Vater, der alte Lehrer Gu, "wenn sie die verlockenden Sprüche der Kulturrevolution nicht hätte lesen können; und sie wäre nicht verhaftet worden, als sie ihre Zweifel anmeldete, hätte er ihr nicht beigebracht, selbständig zu denken, statt den Argumenten der Masse zu glauben".

Sie selbst sei aufgewachsen in einer Welt, wie der Roman sie schildert, erzählte die Autorin, die auf Englisch schreibt, als ihr Werk Anfang des Jahres im Original erschien. Die Zeit nach Mao und der Kulturrevolution, die späten siebziger und frühen achtziger Jahre, als in China vorsichtige Demokratiebestrebungen keimten, erlebte sie als Kind in Peking. Mao wurde in ihrer Familie der "Höllenfürst" genannt, doch nur, wenn die Türen verschlossen waren. Als Fünfjährige schleifte eine Lehrerin sie auf einen Platz, auf dem, genau wie im Roman, eine Hinrichtungszeremonie stattfand. Jahre später überstand sie das Tiananmen-Massaker, keine fünfzehn Minuten entfernt in ihrem Kinderzimmer, in das die Eltern sie in jener Nacht gesperrt hatten. Die Warnung, außerhalb der eigenen vier Wände niemals etwas zu sagen, hat sie tief verinnerlicht.

Dass Autorität grausam und Macht tyrannisch ist, davon handelt Yiyun Lis beunruhigende Anklage gegen das kommunistische China. Trost und Hoffnung, dass dem brutalen Frühling ein besserer Sommer folgen könnte, hat die junge Autorin nicht zu bieten. Im Gegenteil lässt sie nicht einen einzigen Mensch auftauchen, der sich nicht schuldig gemacht hätte. Das ist wohl die bitterste Erfahrung der Lektüre: Dass in einer Welt, die von der dunklen Seite der Macht beherrscht wird, so etwas wie Integrität, Loyalität oder Güte für jedermann obsolet geworden sind.

So ist niemand in diesem Personentableau allein Opfer, alle sind auch Täter. Die hingerichtete Gu Shan etwa war, ehe sie abschwor, selbst eine der grausamsten Vollstreckerinnen der Mao-Doktrin gewesen, die nicht nur Freunde und Verwandte quälte und folterte, sondern auch diejenige war, die Ninis Mutter so brutal in den Bauch trat, dass diese ein verkrüppeltes Kind zur Welt brachte. Auch Shans Vater wurde damals als Intellektueller gedemütigt und gefoltert: Nun glaubt Lehrer Gu inzwischen selbst, dass man "zum Leben kein Gewissen braucht". Als seine einzige Tochter erbarmungslos zuschlägt, versteckt er sich hilflos in seinem Büro und schreibt einen feinsinnigen Aufsatz über die Poesie in Zeiten der Tyrannei. Das alte Ehepaar Hua wiederum, das vom Müll der Stadt lebt und die ausgesetzten Säuglinge am Flussufer aufsammelt, um sie großzuziehen, will Lehrer Gu nicht einmal in seiner schwersten Stunde mit einem Gefallen beispringen, der sie nichts kosten würde. Und Nini, die zu Hause nichts zu essen bekommt und den Mehlkleister der Propagandaplakate an den Wänden ableckt, zögert nicht eine Sekunde, die einzigen Menschen zu verraten, die je gut zu ihr waren.

Kai schließlich, die den umgekehrten Weg ihrer früheren Schulfreundin Shan einschlägt und sich von der Konformistin zur Rebellin wandelt, verhält sich nicht weniger skrupellos wie zuvor, als sie noch das fügsame Sprachrohr der Partei war. Denn mit dem Aufstand, den sie gegen die Regierung anzettelt, opfert sie nicht nur sich selbst, sie opfert auch ihr Kind.

Wer dieser Tage auch nur ein Buch über China lesen will, sollte zu diesem Roman greifen. Dass Yiyun Li an den Verrat, den Schmerz, und die Verirrung erinnert, die einem verrückt gewordenen System entsprungen sind, ist ein Verdienst. Doch wie sie das tut, mit Bildern, die man nicht vergisst, das ist große Kunst.

Yiyun Li: "Die Sterblichen". Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube. Hanser Verlag, München 2009. 378 S., geb., 21,90 [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2009

Foto: Getty
Zur Hölle fährt man zu zweit
Bitte zahlen Sie für die Hinrichtung Ihrer Tochter! Yiyun Li erzählt von dem übermächtigen Unheil, das das kommunistische China erleiden muss Von Ulrich Baron
Zwanzig Jahre alt ist die Stadt Hun Jiang, als am 21. März 1979 der Roman von Yiyun Li einsetzt. Entstanden ist sie, als die ländlichen Gebiete China durch den „Großen Sprung nach vorn” industrialisiert werden sollten. Millionen Menschen verhungerten damals, und was vom alten China noch übrig war, wurde ab 1966 vom entfesselten Mob der Kulturrevolution in den Dreck getreten.
All das ist im Jahr 1979 schon Geschichte. Die Kulturrevolution ist beendet, Mao ist tot. China richtet erste Sonderwirtschaftszonen ein, doch in Hun Jiang spürt man davon wenig. Dieser 21. März ist für den Lehrer Gu und seine Frau der Tag, an dem ihre Tochter Shan hingerichtet werden soll. Einst eine fanatische Rotgardistin, war sie vom Glauben an die Revolution abgefallen und hatte während ihrer zehnjährigen Haft den Verstand verloren. Schon am Vortag ist die Gebühr von „zwei nicht unhöflichen Beamten” erhoben worden: „Es war Lehrer Gu nie zuvor in den Sinn gekommen, dass er und seine Frau für die Kugel zahlen mussten, die seine Tochter töten würde, doch warum diese Absurdität in Frage stellen, wenn er nicht dazu berechtigt war?”
Gu zählt zu den Intellektuellen, die von der Kulturrevolution zerbrochen wurden. Als Lehrer hat er resigniert, seitdem er von einer Schar „junger Revolutionäre” verprügelt worden war, zu deren wildesten seine eigene Tochter zählte: „Die bloße Tatsache, dass jemand ein Mensch war, schien für sie Grund genug, ihn zu demütigen.”
Als er erfuhr, dass Shan, der er „von Kindesbeinen an beigebracht hatte, Gedichte aus der Tang-Dynastie zu rezitieren”, einer Schwangeren in den Bauch getreten hatte, hatte er sich in seinem Büro versteckt und einen langen Aufsatz geschrieben – „eine Meditation über das Versagen der Poesie als Erziehungsmittel in einem unpoetischen Zeitalter”.
Shans Hinrichtung vereint die Romanfiguren in einem Reigen, der ihre Leben auf fatale Weise verändern wird. Da ist Bashi, der verwaiste aber vom Staat üppig alimentierte Sohn eines Kriegshelden. Bashi ist ein pubertärer Tor, ein Hundevergifter und Voyeur, der sich nach einer Freundin sehnt. Und da ist Nini, die von ihm fürsorglich missbrauchte Zwölfjährige, das eigentliche Opfer des Trittes, den Shan seinerzeit jener Schwangeren versetzt hatte. Nini ist ein halbierter Mensch. Ihre „schlechte” Seite ist grotesk verkrüppelt, und so konnte sie vor ihrer Bekanntschaft mit Bashi vom Leben kaum mehr erwarten als ein Dasein als Dienstmagd ihrer Eltern und Kindermädchen ihrer Schwestern, die statt Namen Nummern tragen.
Da ist schließlich die Schauspielerin und Nachrichtensprecherin Kai, die in eine aufstrebende Funktionärsfamilie eingeheiratet hat, aber insgeheim mit der Opposition sympathisiert. Aus der gesellschaftlichen Horizontale, aus einem Leben in Kälte und Hunger richtet Yiyun Li hier den Blick nach oben, auf die Eliten, zu denen Kai nicht lange zählen wird.
Während Schüler klassenweise zu „Denunziationszeremonien” geführt werden, die den Tod Shans als grässliches Volksfest umrahmen, verschieben sich die Konstellationen der Figuren. Lehrer Gu zitiert ein altes Gedicht – „Sehen ist nicht so gut wie blind bleiben” –, aber seine Frau will es sich nicht verbieten lassen, öffentlich um ihre Tochter zu trauern und deren Hinrichtung als Mord anzuprangern. Die blutige Demonstration der Staatsmacht wird zum Zündfunken öffentlicher Opposition, zumal aus dem fernen Beijing Gerüchte von einer „Mauer der Demokratie” zu vernehmen sind, an der jeder seine Meinung öffentlich kundtun könne.
Tatsächlich ist die Hinrichtung Shans ein Justizmord. Nicht nur, weil Shan unschuldig und unzurechnungsfähig ist, sondern auch weil der eigentliche Hinrichtungsgrund ihre Nieren sind, auf deren Transplantation ein hoher Kader wartet. Ironischerweise besteht der Lohn für die Abwicklung dieses Handels, an dem auch Kais Mann beteiligt ist, aus japanischen Fernsehern, aber die einstige Bilderbuchkommunistin wird davon nichts haben. Unter dem Eindruck der Hinrichtung hat sie sich öffentlich auf die Seite der Oppositionellen geschlagen – was 1979 so verfrüht war wie 1989.
Nachdem die Liberalisierung ausgeblieben ist, flammt der rote Terror auf, zerschlägt Opposition, und Oppositionelle, schickt sie in Haft oder vor ein Hinrichtungskommando. Doch was in Büchern wie Yu Huas „Brüder” als brachiale Kakophonie voller Unrat und Obszönitäten auf einen niedergeht, entfaltet die 1972 in Beijing geborene und seit 1996 in den Vereinigten Staaten lebende Yiyun Li in ihrem Debütroman auf eine Weise, die den Rezensenten der New York Times an den italienischen Neorealismus erinnerte. Die Autorin selbst sieht eher den irischen Schriftsteller William Trevor als ihr großes Vorbild. Und man kann sie in der Tat dessen Meisterschülerin nennen.
Yiyun Li nähert sich dem Grauen mit einem vollkommenen Stilgefühl und einem Trevorschen Sinn für erzählerische Ökonomie, für subtile Verzahnungen der großen Rahmenhandlung mit den Schicksalen ihrer Gestalten. Da gibt es zum einen das Ausgesprochene, wenn Ninis entnervte Mutter zu ihr und ihrer nur „Kleine Sechste” genannten Schwester ganz ohne Ironie sagt: „Könnt ihr beide nicht für einen Augenblick tot sein?”
Da ist zum anderen das Unausgesprochene, das Yiyun Li meisterhaft zu zeigen weiß. Nachdem Lehrer Gu bemerkt hatte, wie seine Tochter ihm entglitt, hatte er begonnen, zwanghaft possierliche Papierfiguren zu falten: „Beim Frühstück an einem frühen Sommertag, als Shan auf ihn einredete, dass er sich den revolutionären Jugendlichen fügen sollte, statt mit seinem Schweigen Widerstand zu leisten, ließ er den Papierfrosch hüpfen, und er landete im Reisbrei seiner Frau. Weder Frau Gu noch Lehrer Gu nahmen den Frosch heraus, und da wusste er, dass sie nie wieder gemeinsam als Familie lachen würden.”
Yiyun Li zeigt, wie der lebenden Shan die Nieren aus dem Leib geschnitten werden, und enthüllt, dass die tote von dem Mann geschändet worden ist, den ihre Eltern für ihre Beerdigung bezahlt hatten. Um aber die Tragödie der Familie Gu spürbar zu machen, genügt ihr die Beschreibung dieses so kläglich scheiternden Scherzes.
So übermächtig in diesem Roman das Unheil ist, so vielschichtig und ambivalent entwickeln sich die Charaktere. Nini und Bashi zählen zu den außergewöhnlichsten Paaren der Weltliteratur, gerade weil sie aneinander nichts Außergewöhnliches zu erblicken vermögen. Doch kann man sich seine Partner nicht immer aussuchen: „Erinnerst du dich noch an den Tag, als wir Freunde wurden neben der Leiche der Frau?”, sagt am Ende der verurteilte Leichenschänder Kwen zu dem ebenfalls inhaftierten Bashi: „Die Pforte zum Himmel ist schmal, und es kann immer nur ein Held auf einmal durchgehen, aber die, die in die Hölle fahren, sagte Kwen, sind immer zu zweit unterwegs, Hand in Hand.”
Solch ein infernalischer und zynischer Optimismus wäre ein eindrucksvoller Schlussakzent eines großen, pessimistischen Zeitromans, aber Yiyun Li gelingt noch mehr. Zu ihren Figurenpaaren zählen auch der alte Gua und seine Frau – zwei Menschen aus dem Millionenheer der Wanderarbeiter. Passt der deutsche Titel „Die Sterblichen” zum säkularen Drama der Stadtbewohner, so lautet der Originaltitel „The Vagrants”, was aber als „Vaganten” oder „Vagabunden” übersetzt, falsche, romantisierende Assoziationen erwecken würde.
Die Guas sammeln Müll, fegen Straßen und verbreiten um sich eine Aura beinahe heiliger Freundlichkeit. Sieben ausgesetzte Babys haben sie aufgelesen und aufgezogen, sieben Töchter, die ihnen der Staat wieder genommen hat. Am Ende wird die von ihren Eltern verstoßene Nini ihre letzte Tochter werden und mit auf Wanderschaft gehen: „Es gab nichts mehr, was sie in der Stadt oder sonst irgendwo auf der Welt hielt, doch ihre Herzen waren erfüllt von der Hoffnung, die Freiheit des Bettlerlebens wiederzuerlangen.”
Kein zynischer Blick in die Hölle, sondern ein Weitergehen bildet den eigentlichen Abschluss dieses Romans – ohne große Erwartungen, aber frei und mit brennender Geduld. Yiyun Li hat eine sehr chinesische Geschichte und zugleich Weltliteratur geschrieben.
Yiyun Li
Die Sterblichen
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. Carl Hanser Verlag, München 2009. 378 Seiten, 21,50 Euro.
Ein altes Gedicht: „Sehen ist nicht so gut wie blind bleiben.”
„Ihre Herzen waren erfüllt von der Hoffnung, die Freiheit des Bettlerlebens wiederzuerlangen.”
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