Produktdetails
- Verlag: Import / Lane
- Repr.
- Seitenzahl: 151
- Englisch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 288g
- ISBN-13: 9780713995701
- Artikelnr.: 61832630
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2002Briefträger beim Cognac?
Auf der Wannsee-Konferenz verkündete Heydrich die "Endlösung"
Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die NS-Bürokratie den Holocaust organisierte. Propyläen Verlag, Berlin 2002. 221 Seiten, 19,- Euro.
Im Frühjahr 1947 wurde in Nürnberg der letzte amerikanische Nachfolgeprozeß des Internationalen Militärtribunals vorbereitet. Mitarbeiter des stellvertretenden Anklägers Robert M.W. Kempner durchstöberten die erbeuteten Akten des Auswärtigen Amts und fanden ein Schlüsseldokument: die von ursprünglich 30 Ausfertigungen einzig überlieferte Ergebnisniederschrift der Sitzung von fünfzehn hochrangigen Ministerialbeamten und Angehörigen der SS beziehungsweise der NSDAP am 20. Januar 1942 in der Berliner Villa Am Großen Wannsee 56-58. Das als "Wannsee-Protokoll" bekanntgewordene Schriftstück bietet in euphemistisch-kaltem Behördendeutsch Einblick in Umsetzung und Koordinierung der Entscheidung, die Juden Europas zu ermorden.
Für Kempner stand seit dem Fund der "Geheimen Reichssache" fest, daß sich unter der Ministerialbürokratie des "Dritten Reiches" die größten Schreibtischtäter offensichtlich im Auswärtigen Amt befunden hätten; dort vermutete er eine "Mörderbande" und "Verbrecherhöhle". Daher führten acht Diplomaten die Liste der Angeklagten im Wilhelmstraßen-Prozeß an. Ebenfalls angeklagt waren drei Reichsminister und andere Funktionsträger aus Banken, Industrie und Bürokratie. Nur einer der 21 Beschuldigten hatte persönlich an der Wannsee-Konferenz teilgenommen: Staatssekretär Wilhelm Stuckart. Zu seiner Entlastung sagte Hans Globke aus. Globke hatte im Reichsministerium des Innern gemeinsam mit Stuckart den sogenannten "Stuckart-Globke"-Kommentar zu den Nürnberger "Rassegesetzen" von 1935 verfaßt. Der spätere Chef des Bundeskanzleramtes in der Adenauer-Zeit bestätigte 1948 vor Gericht sein Wissen, "daß die Juden massenweise umgebracht wurden" und die "Ausrottung der Juden systematisch vorgenommen worden" sei. Er habe allerdings nicht genau gewußt, ob "sie sich auf alle Juden bezog". Manchmal sei er während des Krieges erstaunt darüber gewesen, "wie uninformiert Dr. Stuckart" gewesen sei.
Nicht nur Stuckart behauptete im Wilhelmstraßen-Prozeß, von den Vernichtungslagern nichts gewußt zu haben. Auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Ernst Freiherr von Weizsäcker, und die Mitangeklagten aus dem Auswärtigen Amt bestritten jegliche Kenntnis der Judenmorde in Lagern. Letztlich liefen alle in Nürnberg vorgebrachten Rechtfertigungen darauf hinaus, in Auschwitz kein Todes-, sondern nur ein Arbeitslager gesehen zu haben und - wie Weizsäcker einmal formulierte - "in diesen schauerlichen Angelegenheiten" nur als "Briefträger" fungiert zu haben.
Das Auswärtige Amt wurde auf der Wannsee-Konferenz durch einen gelernten Möbelspediteur vertreten: Martin Luther hatte seinen kometenhaften Aufstieg der persönlichen Bekanntschaft zum Reichsaußenminister von Ribbentrop zu verdanken und leitete als Unterstaatssekretär die 1940 neugeschaffene Abteilung "Deutschland". Dort gab es das berüchtigte Referat D III "Judenfrage, Rassenpolitik; Information der Auslandsvertretungen über wichtige innenpolitische Vorgänge" unter Franz Rademacher. Luthers und Rademachers Paraphen und handschriftliche Bemerkungen befinden sich auf zwei Einladungsschreiben und einem Begleitschreiben zur Niederschrift über die Wannsee-Sitzung, die SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich als "Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD" zwischen November 1941 und Februar 1942 an Luther richtete. Diese Dokumente werden in Mark Rosemans Buch noch einmal als Faksimiles wiedergegeben, zusammen mit dem schriftlichen Auftrag des "Reichsmarschalls" und Hitler-Stellvertreters Hermann Göring vom 31. Juli 1941 an Heydrich, "mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Voraussetzungen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen".
Norbert Kampe von der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz weist in seinen Bemerkungen zu diesen Quellen auf das mit Vorsicht zu benutzende Buch "Eichmann und Komplizen" von Kempner aus dem Jahr 1961 hin: "In diesem Buch präsentierte Kempner, ohne dies kenntlich zu machen, eine Mischung aus Abschriften des Originals, echten Faksimiles sowie Kollagen aus Faksimiles und Abschriften. Der Text selbst dagegen wurde immer korrekt nach dem Original wiedergegeben. Doch auch in der Kommentierung unterliefen Kempner eine Reihe von handwerklichen Fehlern, die ein Historiker oder Archivar wohl vermieden hätte. Dies war Wasser auf die Mühlen der ,Revisionisten', die ihren Fälschungsvorwurf durch Kempners fragwürdiges Verfahren zu untermauern suchten."
Roseman setzt sich nun ausführlich und überzeugend mit der Frage auseinander, warum die Konferenz überhaupt stattfand. Denn bekanntlich mußte am Wannsee keine Entscheidung über die Ermordung der Juden gefällt werden, weil diese längst im Gange war. An Hitlers Willen zur Vernichtung und seiner Verantwortlichkeit läßt Roseman keinen Zweifel. Gleichzeitig arbeitet er - gestützt auf die jüngere Holocaust-Forschung - heraus, wie sich der "genozidale Krieg" aus den brutalen Massenmorden seit Sommer 1941 entwickelte: "Hitler war derjenige, der das Klima für eine solche Radikalisierung schuf." Und: "Alles in allem spricht nichts dafür, daß es einen einzelnen, klaren Befehl gab, alle Juden zu töten." Ein "mittleres Mordmanagement" regionaler Befehlshaber habe die aus ihrer Sicht "unproduktiven Esser" und "gefährlichen Partisanen" ausrotten wollen. Ein "kohärenter, umfassender Befehl der Zentrale" sei anfangs gar nicht notwendig gewesen. Aber selbst dort, "wo Hitler seine Beteiligung verschleierte", habe die Verantwortung stets bei ihm gelegen.
Heydrichs Gäste erfuhren am 20. Januar 1942, daß anstelle der Auswanderung "nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten" sei. Das breitgestreute und von Adolf Eichmann angefertigte "Wannsee-Protokoll" sei - so das Resümee - ein "Hinweisschild" gewesen, "das kundtat, daß der Genozid zur offiziellen Politik geworden war". Die Zustimmung hätten die Konferenzteilnehmer signalisiert, "während sie an ihren Cognacs nippten und höflich miteinander plauderten".
RAINER BLASIUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf der Wannsee-Konferenz verkündete Heydrich die "Endlösung"
Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die NS-Bürokratie den Holocaust organisierte. Propyläen Verlag, Berlin 2002. 221 Seiten, 19,- Euro.
Im Frühjahr 1947 wurde in Nürnberg der letzte amerikanische Nachfolgeprozeß des Internationalen Militärtribunals vorbereitet. Mitarbeiter des stellvertretenden Anklägers Robert M.W. Kempner durchstöberten die erbeuteten Akten des Auswärtigen Amts und fanden ein Schlüsseldokument: die von ursprünglich 30 Ausfertigungen einzig überlieferte Ergebnisniederschrift der Sitzung von fünfzehn hochrangigen Ministerialbeamten und Angehörigen der SS beziehungsweise der NSDAP am 20. Januar 1942 in der Berliner Villa Am Großen Wannsee 56-58. Das als "Wannsee-Protokoll" bekanntgewordene Schriftstück bietet in euphemistisch-kaltem Behördendeutsch Einblick in Umsetzung und Koordinierung der Entscheidung, die Juden Europas zu ermorden.
Für Kempner stand seit dem Fund der "Geheimen Reichssache" fest, daß sich unter der Ministerialbürokratie des "Dritten Reiches" die größten Schreibtischtäter offensichtlich im Auswärtigen Amt befunden hätten; dort vermutete er eine "Mörderbande" und "Verbrecherhöhle". Daher führten acht Diplomaten die Liste der Angeklagten im Wilhelmstraßen-Prozeß an. Ebenfalls angeklagt waren drei Reichsminister und andere Funktionsträger aus Banken, Industrie und Bürokratie. Nur einer der 21 Beschuldigten hatte persönlich an der Wannsee-Konferenz teilgenommen: Staatssekretär Wilhelm Stuckart. Zu seiner Entlastung sagte Hans Globke aus. Globke hatte im Reichsministerium des Innern gemeinsam mit Stuckart den sogenannten "Stuckart-Globke"-Kommentar zu den Nürnberger "Rassegesetzen" von 1935 verfaßt. Der spätere Chef des Bundeskanzleramtes in der Adenauer-Zeit bestätigte 1948 vor Gericht sein Wissen, "daß die Juden massenweise umgebracht wurden" und die "Ausrottung der Juden systematisch vorgenommen worden" sei. Er habe allerdings nicht genau gewußt, ob "sie sich auf alle Juden bezog". Manchmal sei er während des Krieges erstaunt darüber gewesen, "wie uninformiert Dr. Stuckart" gewesen sei.
Nicht nur Stuckart behauptete im Wilhelmstraßen-Prozeß, von den Vernichtungslagern nichts gewußt zu haben. Auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Ernst Freiherr von Weizsäcker, und die Mitangeklagten aus dem Auswärtigen Amt bestritten jegliche Kenntnis der Judenmorde in Lagern. Letztlich liefen alle in Nürnberg vorgebrachten Rechtfertigungen darauf hinaus, in Auschwitz kein Todes-, sondern nur ein Arbeitslager gesehen zu haben und - wie Weizsäcker einmal formulierte - "in diesen schauerlichen Angelegenheiten" nur als "Briefträger" fungiert zu haben.
Das Auswärtige Amt wurde auf der Wannsee-Konferenz durch einen gelernten Möbelspediteur vertreten: Martin Luther hatte seinen kometenhaften Aufstieg der persönlichen Bekanntschaft zum Reichsaußenminister von Ribbentrop zu verdanken und leitete als Unterstaatssekretär die 1940 neugeschaffene Abteilung "Deutschland". Dort gab es das berüchtigte Referat D III "Judenfrage, Rassenpolitik; Information der Auslandsvertretungen über wichtige innenpolitische Vorgänge" unter Franz Rademacher. Luthers und Rademachers Paraphen und handschriftliche Bemerkungen befinden sich auf zwei Einladungsschreiben und einem Begleitschreiben zur Niederschrift über die Wannsee-Sitzung, die SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich als "Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD" zwischen November 1941 und Februar 1942 an Luther richtete. Diese Dokumente werden in Mark Rosemans Buch noch einmal als Faksimiles wiedergegeben, zusammen mit dem schriftlichen Auftrag des "Reichsmarschalls" und Hitler-Stellvertreters Hermann Göring vom 31. Juli 1941 an Heydrich, "mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Voraussetzungen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen".
Norbert Kampe von der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz weist in seinen Bemerkungen zu diesen Quellen auf das mit Vorsicht zu benutzende Buch "Eichmann und Komplizen" von Kempner aus dem Jahr 1961 hin: "In diesem Buch präsentierte Kempner, ohne dies kenntlich zu machen, eine Mischung aus Abschriften des Originals, echten Faksimiles sowie Kollagen aus Faksimiles und Abschriften. Der Text selbst dagegen wurde immer korrekt nach dem Original wiedergegeben. Doch auch in der Kommentierung unterliefen Kempner eine Reihe von handwerklichen Fehlern, die ein Historiker oder Archivar wohl vermieden hätte. Dies war Wasser auf die Mühlen der ,Revisionisten', die ihren Fälschungsvorwurf durch Kempners fragwürdiges Verfahren zu untermauern suchten."
Roseman setzt sich nun ausführlich und überzeugend mit der Frage auseinander, warum die Konferenz überhaupt stattfand. Denn bekanntlich mußte am Wannsee keine Entscheidung über die Ermordung der Juden gefällt werden, weil diese längst im Gange war. An Hitlers Willen zur Vernichtung und seiner Verantwortlichkeit läßt Roseman keinen Zweifel. Gleichzeitig arbeitet er - gestützt auf die jüngere Holocaust-Forschung - heraus, wie sich der "genozidale Krieg" aus den brutalen Massenmorden seit Sommer 1941 entwickelte: "Hitler war derjenige, der das Klima für eine solche Radikalisierung schuf." Und: "Alles in allem spricht nichts dafür, daß es einen einzelnen, klaren Befehl gab, alle Juden zu töten." Ein "mittleres Mordmanagement" regionaler Befehlshaber habe die aus ihrer Sicht "unproduktiven Esser" und "gefährlichen Partisanen" ausrotten wollen. Ein "kohärenter, umfassender Befehl der Zentrale" sei anfangs gar nicht notwendig gewesen. Aber selbst dort, "wo Hitler seine Beteiligung verschleierte", habe die Verantwortung stets bei ihm gelegen.
Heydrichs Gäste erfuhren am 20. Januar 1942, daß anstelle der Auswanderung "nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten" sei. Das breitgestreute und von Adolf Eichmann angefertigte "Wannsee-Protokoll" sei - so das Resümee - ein "Hinweisschild" gewesen, "das kundtat, daß der Genozid zur offiziellen Politik geworden war". Die Zustimmung hätten die Konferenzteilnehmer signalisiert, "während sie an ihren Cognacs nippten und höflich miteinander plauderten".
RAINER BLASIUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main