Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2009Der Besuch der alten Damen
Das Hexeneinmaleins der Verführung und der Zauber der bösen Zunge: Der letzte Roman, den John Updike vollenden konnte, ist sein Wiedersehen mit Eastwick.
Von Patrick Bahners
Das letzte Wort von John Updikes Roman "Die Hexen von Eastwick" aus dem Jahr 1984 heißt "Legende". Die Hexen sind aus Eastwick verschwunden, die drei geschiedenen Frauen sind neue Ehen eingegangen und haben sich aus dem Staub gemacht, den sie mit ihren Verführungstricks und ihren Zaubersprüchen in Küchenlatein aufgewirbelt hatten. Zum letzten Mal verwandelt sich die Erzählerstimme in das Organ des Gemeinschaftsbewusstseins der kleinen Stadt in Rhode Island, dem kleinsten der zur großen amerikanischen Republik vereinigten Staaten. In der ersten Person Plural legt die Gemeinde beziehungsweise ein namenloser Stadtschreiber oder vielleicht auch eine Anonyma das Bekenntnis ab, dass die Hexen im Bewusstsein der Stadt Spuren hinterlassen haben. Manchmal meint man sie an einer bestimmten Straßenecke noch davonfliegen zu sehen, es liegt noch etwas in der Luft, die Gerüchte von damals geben dem Namen der Stadt einen unverkennbaren Beigeschmack. Wie aufsteigender Rauch sich kräuselt, so wird wie von selbst durch Verdrehungen aus dem Skandal die Legende.
Dieser Schluss legt sowohl die Poetik des Romans offen als auch die soziologische Hypothese, der die Prämisse dieser ingeniösen Fiktion ihre geheime Plausibilität verdankt. Der alte Hexenmeister klappt seinen Chemiekasten auf. Dem Leser wird zu glauben zugemutet, dass es im entzauberten Amerika des Vietnamkrieges weise Frauen gegeben haben soll, die mit vereinten Willenskräften die Macht der Natur entfesseln konnten. Tatsächlich war die Wiedergewinnung eines durch den Terror des Patriarchats in den Untergrund gedrängten überlegenen Wissens der Frauen ein feministisches Projekt. Diese zeithistorische Tatsache gehört zu den äußeren Voraussetzungen von Updikes Experiment; sie legt nahe, den Roman als Satire auf den Feminismus zu lesen.
In dieser Intention geht der Roman aber nicht auf. Mit literarischen Kunstmitteln muss Updike die innere Glaubwürdigkeit seiner naturgesetzwidrig erdachten Kleinschöpfung erzeugen, und es gelingt ihm eine Verdichtung, die für allegorische Zwecke viel zu stark ausfällt. Zu real wirkt die Welt des Romans, die Welt, die Alexandra, Jane und Sukie, die drei Hexen von Eastwick, formen zu können meinen, als dass die Kritik feministischer Gegenmachtphantasien die Pointe sein dürfte. Der Eskapismus der trivialromantischen Hexenliteratur liegt zutage; zu seiner Entlarvung bedarf es keiner umständlichen Parodie. Das reiche Vergnügen, das der Roman gewährt, hat seine Quelle in der Harmonie von Form und Stoff. Updikes Verfahren macht sich eine Grunderkenntnis der Hexenforschung zunutze.
Die Schlüsselwörter sind Legende und Gerücht. Für das legendäre Erzählen ist eine durchgängige Atmosphäre des Wunderbaren charakteristisch, das auf keine externe Beglaubigung angewiesen ist. Alle berichteten Einzelheiten kommen mit derselben Autorität daher; in diesem Kontext gesättigter Alltäglichkeit wirkt nichts unglaubwürdig. Es ist Updikes geschicktester Kunstgriff, dass er der Kunst seiner drei Heldinnen einen bescheidenen Radius zieht. Die Kunststücke fallen zunächst gar nicht weiter auf. Schabernack - beim Empfang nach einem Kirchenkonzert reißt die Perlenkette einer besonders pompösen Hüterin des guten Tons - ist keine Revolution. Der meteorologische Ausnahmezustand, den Alexandra beschwört, weil sie am Strand ungestört ihren Hund spazieren führen möchte, schmiegt sich der Normalität des wechselhaften Wetters der Küstenstadt an.
Als dann bösen Wünschen schauerliche Ereignisse folgen, als Sukies Geliebter seine Ehefrau erschlägt und Jenny, die Konkurrentin der drei Hexen um die Gunst des teuflischen Darryl Van Horne, an Krebs stirbt, bleibt offen, ob die Verwünschungen wirklich ursächlich für die Todesfälle sind. Es gilt allerdings für alle Willensakte, dass ihre Konsequenzen immer auch der Naturkausalität zugeschrieben werden können. Nach einer puritanischen Sündenlehre, die sich auf Jesusworte berufen kann, kommt es auf die Ausführung der bösen Absicht gar nicht an, konstituiert schon der lüsterne Blick oder Gedanke den Ehebruch.
Der Glaube an die Fernwirkung des bösen Denkens schafft seine eigene Realität. Die Magie des berufsmäßigen Zauberkünstlers ist Suggestion, bei der Hexerei mischt sich Autosuggestion hinein. Dass die drei Gespielinnen des reichen Mannes aus New York, der sich mit Labor, Pop-Art-Kollektion und höllisch heißem Schwimmbad im alten Herrenhaus am Ortsrand eingerichtet hat, ihre jüngere Rivalin auf dem Gewissen haben, ist das, was man sich so erzählt und was der Roman weitererzählt. Eine einflussreiche Richtung der Forschung zum Hexenwahn der Frühen Neuzeit führt die diabolische Dynamik der sich fortzeugenden Anschuldigungen auf die Kommunikationsverhältnisse kleiner Gemeinschaften zurück, in denen jeder jeden kennt und das soziale Wissen lokal und mündlich ist.
Die gleiche nur in der Kleinstadt unmittelbar wirksame Macht, die ihre Feinde am Ende einsetzen, um sie aus der Stadt zu vertreiben, üben die Hexen aus. Jeden Donnerstag treten die drei Frauen zusammen, deren Ehemänner sich in Luft aufgelöst haben. Der Sinn des Rituals ist der Austausch von Nachrichten. Dank ihrer wechselnden Geliebten verfügen die Hexen über Informationen aus dem Arkanbereich der anständigen Gesellschaft. Wenn sie über die böse Zunge der Gattin des Chefredakteurs der Lokalzeitung herziehen, ihr Federn und Ungeziefer in den Hals wünschen und das Opfer diese Müllpartikel dann tatsächlich ausspuckt, ist das nur eine gesteigerte Form des Klatsches. Sukie, die jüngste der Hexen, schreibt für die Zeitung, "The Word", eine Klatschkolumne. Die Ehefrauen schließen sich gegen die Geschiedenen zusammen, deren sexuelle Unabhängigkeit für jede bestehende Ehe eine Gefahr darstellt. Im Mikrokosmos des Romans ist die Vermutung der Hexen vollkommen schlüssig, dass die Organisatorinnen der Hexenverfolgung ihrerseits Hexen sind.
Für die sozialkritische Aussage von Updikes Aktualisierung des Neuengland-Topos des Ortsgeistes fanatischer Moralhygiene ist entscheidend, dass er Eastwick nicht als rückständig zeichnet. Nicht zu Unrecht meinen die Bürger, in der "subtilen Provinz" zu leben. Rhode Island stellt Updike als den Staat vor, der seit je theologisch progressiven Häretikern eine Heimstatt bietet. Die Kampagne gegen die Außenseiterinnen geht von Damen aus, die in den guten Sachen des liberalen Engagements das Wort führen. Ihre Kanzel steht in der Kirche der Unitarier - der Konfession, die allen dogmatischen Ballast abgelegt hat und sogar den Teufel als Gastprediger einlädt. Sein Thema: wie schlecht die Schöpfung gemacht ist.
So aufgeklärt ist der Geist von Eastwick, dass der Stadtchronist bis zu der Einsicht vordringt, die Hexen seien eine Ausgeburt der kollektiven Phantasie, des schlechten Gewissens des Gemeinwesens, ihre Kunst ein Produkt derselben beengten Verhältnisse, die anderswo die Gedichte einer Emily Dickinson hervorgebracht hätten. Indem Updike dieses Gemeinschaftsbewusstsein zur Erzählinstanz macht, kann er sich des Urteils enthalten. Wie er spielerisch den Wahrheitsgehalt des Berichts unbestimmt lässt, so bleiben alle Bewertungen der Rationalisierungen der sexuellen Energie, der Urkraft, die Gemeinschaft stiftet und zerstört, ambivalent, relativ zu einem Bewusstsein, das heillos in die Arbeit der Wunscherfüllung verstrickt ist.
Der letzte Roman, den John Updike vollenden konnte, ist sein Wiedersehen mit Eastwick. Die Hexen, die schon im Original, als das dreißigste Lebensjahr hinter ihnen lag, von der Angst vor dem Alter heimgesucht wurden, kehren dreißig Jahre später, nachdem ihnen die Zweitmänner auf natürlichem Wege abhandengekommen sind, an den Ort ihrer Taten beziehungsweise der Gerüchte zurück. Für das System der lokalen Kommunikation, das den Hexen Macht verleiht, indem es sich gegen sie abzuschließen versucht, findet Updike ein frappierendes Bild: "Die Nachricht, das verdammenswerte Trio halte sich wieder in der Stadt auf, sickerte von Ohr zu Ohr wie Regenwasser durch die Gänge einer Ameisenkolonie." Die Eastwicker schrumpfen vor Schreck: Im Ameisenstaat erkennen sie, als sie sich angegriffen wähnen, ihr Ebenbild, in der Diktatur des Konformismus.
Die Verdammungsurteile des Volksempfindens haben jetzt einen deutlich höheren Schwefelanteil - als hätte, seit die Stadt zum Freilichtmuseum mit Wärtern in Vorvätertracht gemacht worden ist, auch der Stadthistoriker sich ins parodistisch überladene Sprachkostüm des gnadenlosen Puritaners zwängen müssen. Mit den alten Zauberformeln lässt sich nicht mehr so viel anrichten wie zu Nixons Zeiten - doch nicht, weil die Gesellschaft repressiver geworden wäre, sondern wohl gerade umgekehrt wegen des Fortschritts der Individualisierung.
Sukie schreibt jetzt Liebesromane. Mit dem Computer hebt sie Textbausteine aus einem Werk ins nächste. So zitiert auch Updike sich selbst. Im neuen Roman überkommt Alexandra beim Gedanken an Jenny die Vision des eigenen Todes, "als ginge rasch die Blende einer gigantischen Kamera auf" - dasselbe Bild, das sich im alten Roman vor das innere Auge der todkranken Jenny schob. Ein Roman sei eine "einfache Wortmaschine", die auf dem Reißbrett entworfen werden könne, hatte der Teufel Sukie eingeflüstert. So hat Updike nie geschrieben. Schöpfung war für ihn nicht Konstruktion, sondern Prozess, er überließ sich der Lust der Sprache. Sein letztes Buch ist ein Spaziergang durch das Vorgängerwerk geworden, dessen Energie ihn, wie er gestanden hat, beim Wiederlesen verblüffte. Nur wer die "Hexen" kennt, sollte die "Witwen" lesen.
Man muss das Buch als Fortschreibung der Legende einordnen. Es antwortet auf Fragen einer elementaren Neugier: Was ist eigentlich aus Alexandra und ihrem Töpfer geworden? Solche Nachträge pflegen sich an Legenden anzulagern, hier hat der Autor selbst das Weiterdichten übernommen. Der Hexer im Bann des eigenen Meisterwerks: den Trick dieses Abgangs macht John Updike keiner nach.
John Updike: "Die Witwen von Eastwick". Roman. Aus dem Englischen von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 414 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Hexeneinmaleins der Verführung und der Zauber der bösen Zunge: Der letzte Roman, den John Updike vollenden konnte, ist sein Wiedersehen mit Eastwick.
Von Patrick Bahners
Das letzte Wort von John Updikes Roman "Die Hexen von Eastwick" aus dem Jahr 1984 heißt "Legende". Die Hexen sind aus Eastwick verschwunden, die drei geschiedenen Frauen sind neue Ehen eingegangen und haben sich aus dem Staub gemacht, den sie mit ihren Verführungstricks und ihren Zaubersprüchen in Küchenlatein aufgewirbelt hatten. Zum letzten Mal verwandelt sich die Erzählerstimme in das Organ des Gemeinschaftsbewusstseins der kleinen Stadt in Rhode Island, dem kleinsten der zur großen amerikanischen Republik vereinigten Staaten. In der ersten Person Plural legt die Gemeinde beziehungsweise ein namenloser Stadtschreiber oder vielleicht auch eine Anonyma das Bekenntnis ab, dass die Hexen im Bewusstsein der Stadt Spuren hinterlassen haben. Manchmal meint man sie an einer bestimmten Straßenecke noch davonfliegen zu sehen, es liegt noch etwas in der Luft, die Gerüchte von damals geben dem Namen der Stadt einen unverkennbaren Beigeschmack. Wie aufsteigender Rauch sich kräuselt, so wird wie von selbst durch Verdrehungen aus dem Skandal die Legende.
Dieser Schluss legt sowohl die Poetik des Romans offen als auch die soziologische Hypothese, der die Prämisse dieser ingeniösen Fiktion ihre geheime Plausibilität verdankt. Der alte Hexenmeister klappt seinen Chemiekasten auf. Dem Leser wird zu glauben zugemutet, dass es im entzauberten Amerika des Vietnamkrieges weise Frauen gegeben haben soll, die mit vereinten Willenskräften die Macht der Natur entfesseln konnten. Tatsächlich war die Wiedergewinnung eines durch den Terror des Patriarchats in den Untergrund gedrängten überlegenen Wissens der Frauen ein feministisches Projekt. Diese zeithistorische Tatsache gehört zu den äußeren Voraussetzungen von Updikes Experiment; sie legt nahe, den Roman als Satire auf den Feminismus zu lesen.
In dieser Intention geht der Roman aber nicht auf. Mit literarischen Kunstmitteln muss Updike die innere Glaubwürdigkeit seiner naturgesetzwidrig erdachten Kleinschöpfung erzeugen, und es gelingt ihm eine Verdichtung, die für allegorische Zwecke viel zu stark ausfällt. Zu real wirkt die Welt des Romans, die Welt, die Alexandra, Jane und Sukie, die drei Hexen von Eastwick, formen zu können meinen, als dass die Kritik feministischer Gegenmachtphantasien die Pointe sein dürfte. Der Eskapismus der trivialromantischen Hexenliteratur liegt zutage; zu seiner Entlarvung bedarf es keiner umständlichen Parodie. Das reiche Vergnügen, das der Roman gewährt, hat seine Quelle in der Harmonie von Form und Stoff. Updikes Verfahren macht sich eine Grunderkenntnis der Hexenforschung zunutze.
Die Schlüsselwörter sind Legende und Gerücht. Für das legendäre Erzählen ist eine durchgängige Atmosphäre des Wunderbaren charakteristisch, das auf keine externe Beglaubigung angewiesen ist. Alle berichteten Einzelheiten kommen mit derselben Autorität daher; in diesem Kontext gesättigter Alltäglichkeit wirkt nichts unglaubwürdig. Es ist Updikes geschicktester Kunstgriff, dass er der Kunst seiner drei Heldinnen einen bescheidenen Radius zieht. Die Kunststücke fallen zunächst gar nicht weiter auf. Schabernack - beim Empfang nach einem Kirchenkonzert reißt die Perlenkette einer besonders pompösen Hüterin des guten Tons - ist keine Revolution. Der meteorologische Ausnahmezustand, den Alexandra beschwört, weil sie am Strand ungestört ihren Hund spazieren führen möchte, schmiegt sich der Normalität des wechselhaften Wetters der Küstenstadt an.
Als dann bösen Wünschen schauerliche Ereignisse folgen, als Sukies Geliebter seine Ehefrau erschlägt und Jenny, die Konkurrentin der drei Hexen um die Gunst des teuflischen Darryl Van Horne, an Krebs stirbt, bleibt offen, ob die Verwünschungen wirklich ursächlich für die Todesfälle sind. Es gilt allerdings für alle Willensakte, dass ihre Konsequenzen immer auch der Naturkausalität zugeschrieben werden können. Nach einer puritanischen Sündenlehre, die sich auf Jesusworte berufen kann, kommt es auf die Ausführung der bösen Absicht gar nicht an, konstituiert schon der lüsterne Blick oder Gedanke den Ehebruch.
Der Glaube an die Fernwirkung des bösen Denkens schafft seine eigene Realität. Die Magie des berufsmäßigen Zauberkünstlers ist Suggestion, bei der Hexerei mischt sich Autosuggestion hinein. Dass die drei Gespielinnen des reichen Mannes aus New York, der sich mit Labor, Pop-Art-Kollektion und höllisch heißem Schwimmbad im alten Herrenhaus am Ortsrand eingerichtet hat, ihre jüngere Rivalin auf dem Gewissen haben, ist das, was man sich so erzählt und was der Roman weitererzählt. Eine einflussreiche Richtung der Forschung zum Hexenwahn der Frühen Neuzeit führt die diabolische Dynamik der sich fortzeugenden Anschuldigungen auf die Kommunikationsverhältnisse kleiner Gemeinschaften zurück, in denen jeder jeden kennt und das soziale Wissen lokal und mündlich ist.
Die gleiche nur in der Kleinstadt unmittelbar wirksame Macht, die ihre Feinde am Ende einsetzen, um sie aus der Stadt zu vertreiben, üben die Hexen aus. Jeden Donnerstag treten die drei Frauen zusammen, deren Ehemänner sich in Luft aufgelöst haben. Der Sinn des Rituals ist der Austausch von Nachrichten. Dank ihrer wechselnden Geliebten verfügen die Hexen über Informationen aus dem Arkanbereich der anständigen Gesellschaft. Wenn sie über die böse Zunge der Gattin des Chefredakteurs der Lokalzeitung herziehen, ihr Federn und Ungeziefer in den Hals wünschen und das Opfer diese Müllpartikel dann tatsächlich ausspuckt, ist das nur eine gesteigerte Form des Klatsches. Sukie, die jüngste der Hexen, schreibt für die Zeitung, "The Word", eine Klatschkolumne. Die Ehefrauen schließen sich gegen die Geschiedenen zusammen, deren sexuelle Unabhängigkeit für jede bestehende Ehe eine Gefahr darstellt. Im Mikrokosmos des Romans ist die Vermutung der Hexen vollkommen schlüssig, dass die Organisatorinnen der Hexenverfolgung ihrerseits Hexen sind.
Für die sozialkritische Aussage von Updikes Aktualisierung des Neuengland-Topos des Ortsgeistes fanatischer Moralhygiene ist entscheidend, dass er Eastwick nicht als rückständig zeichnet. Nicht zu Unrecht meinen die Bürger, in der "subtilen Provinz" zu leben. Rhode Island stellt Updike als den Staat vor, der seit je theologisch progressiven Häretikern eine Heimstatt bietet. Die Kampagne gegen die Außenseiterinnen geht von Damen aus, die in den guten Sachen des liberalen Engagements das Wort führen. Ihre Kanzel steht in der Kirche der Unitarier - der Konfession, die allen dogmatischen Ballast abgelegt hat und sogar den Teufel als Gastprediger einlädt. Sein Thema: wie schlecht die Schöpfung gemacht ist.
So aufgeklärt ist der Geist von Eastwick, dass der Stadtchronist bis zu der Einsicht vordringt, die Hexen seien eine Ausgeburt der kollektiven Phantasie, des schlechten Gewissens des Gemeinwesens, ihre Kunst ein Produkt derselben beengten Verhältnisse, die anderswo die Gedichte einer Emily Dickinson hervorgebracht hätten. Indem Updike dieses Gemeinschaftsbewusstsein zur Erzählinstanz macht, kann er sich des Urteils enthalten. Wie er spielerisch den Wahrheitsgehalt des Berichts unbestimmt lässt, so bleiben alle Bewertungen der Rationalisierungen der sexuellen Energie, der Urkraft, die Gemeinschaft stiftet und zerstört, ambivalent, relativ zu einem Bewusstsein, das heillos in die Arbeit der Wunscherfüllung verstrickt ist.
Der letzte Roman, den John Updike vollenden konnte, ist sein Wiedersehen mit Eastwick. Die Hexen, die schon im Original, als das dreißigste Lebensjahr hinter ihnen lag, von der Angst vor dem Alter heimgesucht wurden, kehren dreißig Jahre später, nachdem ihnen die Zweitmänner auf natürlichem Wege abhandengekommen sind, an den Ort ihrer Taten beziehungsweise der Gerüchte zurück. Für das System der lokalen Kommunikation, das den Hexen Macht verleiht, indem es sich gegen sie abzuschließen versucht, findet Updike ein frappierendes Bild: "Die Nachricht, das verdammenswerte Trio halte sich wieder in der Stadt auf, sickerte von Ohr zu Ohr wie Regenwasser durch die Gänge einer Ameisenkolonie." Die Eastwicker schrumpfen vor Schreck: Im Ameisenstaat erkennen sie, als sie sich angegriffen wähnen, ihr Ebenbild, in der Diktatur des Konformismus.
Die Verdammungsurteile des Volksempfindens haben jetzt einen deutlich höheren Schwefelanteil - als hätte, seit die Stadt zum Freilichtmuseum mit Wärtern in Vorvätertracht gemacht worden ist, auch der Stadthistoriker sich ins parodistisch überladene Sprachkostüm des gnadenlosen Puritaners zwängen müssen. Mit den alten Zauberformeln lässt sich nicht mehr so viel anrichten wie zu Nixons Zeiten - doch nicht, weil die Gesellschaft repressiver geworden wäre, sondern wohl gerade umgekehrt wegen des Fortschritts der Individualisierung.
Sukie schreibt jetzt Liebesromane. Mit dem Computer hebt sie Textbausteine aus einem Werk ins nächste. So zitiert auch Updike sich selbst. Im neuen Roman überkommt Alexandra beim Gedanken an Jenny die Vision des eigenen Todes, "als ginge rasch die Blende einer gigantischen Kamera auf" - dasselbe Bild, das sich im alten Roman vor das innere Auge der todkranken Jenny schob. Ein Roman sei eine "einfache Wortmaschine", die auf dem Reißbrett entworfen werden könne, hatte der Teufel Sukie eingeflüstert. So hat Updike nie geschrieben. Schöpfung war für ihn nicht Konstruktion, sondern Prozess, er überließ sich der Lust der Sprache. Sein letztes Buch ist ein Spaziergang durch das Vorgängerwerk geworden, dessen Energie ihn, wie er gestanden hat, beim Wiederlesen verblüffte. Nur wer die "Hexen" kennt, sollte die "Witwen" lesen.
Man muss das Buch als Fortschreibung der Legende einordnen. Es antwortet auf Fragen einer elementaren Neugier: Was ist eigentlich aus Alexandra und ihrem Töpfer geworden? Solche Nachträge pflegen sich an Legenden anzulagern, hier hat der Autor selbst das Weiterdichten übernommen. Der Hexer im Bann des eigenen Meisterwerks: den Trick dieses Abgangs macht John Updike keiner nach.
John Updike: "Die Witwen von Eastwick". Roman. Aus dem Englischen von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 414 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2009Liebe zu den herzlosen Geschöpfen
Gerade Sex verknüpft uns mit der Gesellschaft: John Updikes letzter Roman „Die Witwen von Eastwick”
Die „Witwen von Eastwick” sind John Updikes letzter Roman. Schon im Titel knüpft er an die drei Jahrzehnte zurückliegenden „Hexen von Eastwick” an (wobei „widows” und „witches” im Englischen klanglich noch näher beieinander stehen). Der Film war ein großer Erfolg, mit Jack Nicholson in der Rolle des diabolischen Darryl van Horne, der in seinem Badezuber die drei Hexen Alexandra, genannt Lexa, Jane und Sukie vernascht, gespielt von Susan Sarandon, Cher und Michelle Pfeiffer. Frisch geschieden, spürten sie in sich eine bislang unterdrückte Kraft; die lästige Kinderschar schickten sie aufs Internat oder vernachlässigten sie, um ein Leben voller Experimente zu starten, bei denen Liebhaber und schwarze Künste ganz oben rangierten. Kein Wunder, dass sie sich in dem kleinen Badeort Eastwick, Rhode Island, wenig Freunde machten; als sie mehr oder weniger fluchtartig verschwanden, hinterließen sie drei Leichen, von denen besonders eine ihr Gewissen drückt: Die junge, unschuldige Jenny hatte den unverzeihlichen Fehler begangen, einen Heiratsantrag van Hornes zu erhalten, woraufhin ihr der Dreibund in nächtlicher Sitzung einen Eierstockkrebs anzauberte; daran starb sie.
Seither sind mehr als dreißig Jahre vergangen. Alle drei haben wieder geheiratet: Lexa, die älteste, robusteste und gutmütigste unter ihnen einen Cowboy-Töpfer in Taos, New Mexico; die zierliche, sarkastische Jane einen „Investitionsberater” in Connecticut; und die elfenhafte Sukie, damals Klatschreporterin und nunmehr Verfasserin historischer Liebesromane, einen windigen Vertreter. So war Ruhe in ihr Leben eingekehrt, und sie hatten einander aus den Augen verloren. Doch dann sterben die Ehemänner rasch hintereinander weg, und die rüstigen Witwen, alle um die siebzig, die auf einmal merken, wie allein sie in der Welt stehen, nehmen zögernd den Kontakt wieder auf. Sie reisen gemeinsam, nach Ägypten, nach China, und beschließen endlich, den Sommer zusammen in Eastwick zu verbringen. Das einzige Haus, das es für sie zu mieten gibt, ist van Hornes altes Domizil, von geschäftstüchtigen Maklern inzwischen in kleinteilige Appartements zerlegt.
Mit Hass kommt man weit
Trotz des gelassenen Erzähltempos hat der Roman seinen Spannungsbogen: Wie werden die drei Hexen im Ruhestand mit den vielen alten Rechnungen umgehen, die im Ort noch offen sind? Wird es ihnen noch einmal gelingen, den Ring zu schließen und ihre frühere Macht zurückzuerobern? Und wenn ja, was werden sie damit anstellen? Lexa beharrt darauf, dass sie nur noch weiße Magie treiben sollten; Jane, die böseste der drei, fände auch ein bisschen schwarze ganz lustig. Wer wird sich durchsetzen?
Es gehört zum wohlbedachten Charme dieses Buchs, dass die Hexen wirklich hexen können, eben genug, um den drei älteren Damen den Reiz des Gefährlichen zu verleihen, aber nicht so viel, dass es dem Leser mit der Humorlosigkeit des magischen Realismus beschwerlich fiele. Zum Aufwärmen lassen sie in Peking den einbalsamierten Mao zwinkern, ganz kurz nur, aber doch so, dass das ernsthafte junge chinesische Paar, das Zeuge wird, den Unfug missbilligt, den diese Langnasen mit dem Großen Steuermann treiben.
Updike und seine Platzhalterinnen – man weiß nicht genau, wie man diese besondere Art des Erzählens verorten soll, in der das personale und das auktoriale Element sich zu einer einzigen Sensibilität verflechten – reagieren mit spontaner Intelligenz auf das, was sie sehen; unangestrengt springen sie von Gegenstand zu Gegenstand. „,Lebt ihr Mann noch?’ ,Warum nicht? Zum Sterben hat er doch gar nicht die Klasse.’” Unter welchen Bedingungen kann ein Mann in einem Pornofilm mitwirken? „,Um Porno zu machen (sagt ein Veteran der Branche), musst du sie entweder sehr gern mögen oder hassen. Mit Hass kommst du ziemlich weit dabei. Sie sind die Stars, du bist das Fleisch.’” „Sie” sind natürlich die Frauen, das versteht sich bei Updike von selbst. Lexa entdeckt zu ihrem Leidwesen, dass ihre Zimmergenossin Jane schnarcht, und es folgt die ungemein präzise Analyse eines einzelnen Schnarch-Atemzuges, in dem sich die ganze Psyche der Schnarchenden offenbart. Während die Älteren, Schriftsteller so gut wie andere Leute, sonst gern meinen, es gäbe nichts Neues unter der Sonne, entdecken Updike und seine Heldinnen ein bemerkenswertes Detail und einen verblüffenden Bezug nach dem anderen.
Wer sich Updike anvertraut, dem kann es im Leben, und zwar gerade im banalsten Leben, niemals langweilig werden. Er sollte aber wissen, welcher Preis hierfür zu entrichten ist. Um es so zuzuspitzen, wie seine Hexen es zu tun nicht zaudern würden: Updike glaubt nicht an Liebe, sondern an Sex. Liebe, auf Dauer gestellt, macht bequem und spießig (die entfremdeten Kinder der Hexen, mit ihren Couchgarnituren und Bierbäuchen, bieten abschreckende Beispiele, sie ziehen an ihren Müttern vorbei in ein frühes stumpfes Alter); Sex erfordert mit der Leibes- auch die Geistesgegenwart. Gerade in seiner anarchischen Unruhe liefert er den Kitt der Gesellschaft. „Bevor Sukie alt wurde, hatte sie sich vorgestellt, dass die Marotten – schlechte Charakterzüge und Verschrobenheiten – verschwinden würden, sobald das Bedürfnis, sexuell zu beeindrucken, entfiele; dass ohne die Ablenkung des Sex ein wahreres, ehrlicheres Selbst zum Vorschein käme. Doch es erwies sich, dass gerade Sex uns mit der Gesellschaft verknüpft, unsere Wachsamkeit erhält und uns dazu bringt, unsere scharfen Kanten zu glätten, damit wir mitmachen können.” Updike liebt seine herzlosen Geschöpfe; und wenn sie sich mit obszöner Andacht an die Begegnungen mit ihren Liebhabern erinnern, beschert er ihnen die rührendsten Momente seines Buchs.
Das alles würde Updike zu einer äußerst unterhaltsamen und anregenden, zu einer unbedingt empfehlenswerten Lektüre machen; aber noch nicht zum großen Autor, der er ist. Seine Kunst ist in seine Leichtigkeit verschränkt. Updike scheint zu treffen, ohne gezielt zu haben; seine Texte besitzen eine zen-artige Qualität. Sie gehört nicht ihm allein. Er könnte sie nicht haben ohne die Sprache, deren Sprecher er ist. Aber er holt aus den günstigen Vorbedingungen des Englischen sein eigenes Maximum heraus. Das betrifft zunächst den unglaublich reichen Wortschatz. Bei Updike finden sich auf einer Seite zwei verschiedene ironische Adjektive für Leute und Orte, die mit Kunst zu tun haben, „the artsy-craftsy crowd” und „arty Taos”. Man fühlt die Differenz, ohne ihr im Deutschen etwas ähnlich Müheloses zur Seite stellen zu können. Die Übersetzerin bietet den „Stamm von Möchtegernkünstlern” und das „kunstgewerbliche Taos”, eine Lösung, die ihre Deutlichkeit mit ihrer Schwere bezahlt.
Vor allem aber verdient Updikes Satzbau aufmerksame Bewunderung. Dieses Englisch gleitet durch die Luft, wo andere Idiome zu Fuß gehen müssen. Wenn hier jetzt ein Satz des Originals mit dem der deutschen Übersetzung verglichen werden soll, dann könnte das leicht wie eine Ungerechtigkeit gegenüber der Leistung von Angela Praesent erscheinen; tatsächlich sind ihre Beschränkungen diejenigen unserer Muttersprache überhaupt. Über Lexas Ehemann heißt es gleich auf der ersten Seite: „Jim Farlander, the husband she had conjured for herself from a hollowed pumpkin, a cowboy hat, and a pinch of Western soil scraped from inside the back fender of a pickup truck with Colorado plates that she had seen parked, looking eerily out of place, on Oak Street in the early 1970s, had, as their marriage settled and hardened, proved difficult to budge from his ceramics studio and little-frequented pottery shop on a side street in Taos, New Mexico.” Die komplette Geschichte einer Ehe, von den Träumen und Tricks der künftigen Braut bis zur Routine der späteren Jahre, samt einem Sprung quer über den amerikanischen Kontinent, ist hier in einen einzigen Satz gefasst; es ist ein langer, komplexer, gehaltreicher Satz, aber keiner, der übertrieben schwer zu verstehen wäre; ihn trägt sein federnder Rhythmus, dem das Viele leicht wird.
Bei Praesent wird daraus: „Jim Farlander, der Ehemann, den sie sich zusammengezaubert hatte aus einem ausgehöhlten Kürbis, einem Cowboyhut und einer Prise Westernerde, abgekratzt von der Innenseite der hinteren Stoßstange eines Pick-up-Truck mit einem Colorado-Kennzeichen, der an der Oak Street geparkt war und damals, in den frühen Siebzigern, ominös deplatziert gewirkt hatte, war, wie sich zeigte, als sich ihre Ehe gesetzt und gefestigt hatte, nur mit Mühe herauszuholen gewesen aus seiner Keramikerwerkstatt und dem spärlich besuchten Töpferwarenladen an einer Seitenstraße in Taos, New Mexico.”
Kecker Griff an die Stoßstange
Nicht dass dieser Satz im Deutschen um etwa dreißig Prozent länger gerät, stellt das Problem dar – Updike schreibt noch viel längere Sätze –, sondern dass unsere Sprache gar keine Wahl hat, als die zwanglose Reihe, mit der es immer noch weiter geht, in den Schraubstock der Syntax zu spannen. Praesent kennt die Gefahren des überdehnten deutschen Satzbogens und weicht ihnen aus, so gut sie kann, indem sie zum Beispiel das „zusammengezaubert hatte” weit nach vorn holt und nicht etwa, wie es die Normalstellung wäre, erst nach „Westernerde” einfügt, wenn nicht gar nach „gewirkt hatte”. Es hilft nicht viel; aus „had proved difficult to budge” wird unvermeidlich „war, wie sich zeigte, nur mit Mühe herauszuholen gewesen”, und der kecke rasche Griff an die Stoßstange des fremden Autos verwandelt sich in eine umständlichste Prozedur, die dennoch irgendwie so überhastet vonstatten geht, dass man gar nicht recht begreift, was passiert. Wo Kürze nachgeahmt werden soll, bei der „Westernerde” etwa oder „ominös deplatziert”, wird nur erreicht, dass der Leser stutzt: so dauert alles noch länger. Es geht nicht; und dass es nicht geht, ließe sich Satz für Satz beweisen.
Niemand könnte heute auf Deutsch so schreiben, wie Updike es auf Englisch kann. Die Klage vom übermächtigen Einfluss der Weltsprache auf die unsrige geht fehl; sie konzentriert sich engstirnig auf Fragen des Wortschatzes und sieht nicht, welche ungeheuren Chancen die englische Syntax böte, wären wir nur bereit, von ihr zu lernen, speziell von der wunderbaren Gewichtlosigkeit ihrer Partizipial- und Infinitiv-Konstruktionen. Das Deutsche leidet an der Herrschsucht seiner Verben, die sich anscheinend nur abwehren lässt, indem man über sie den Bann der Substantivierung verhängt. Wie man das Verb in der Vielfalt seiner möglichen Beziehungen nutzt und ihm zugleich einen dienenden Platz anweist, das könnte die Lehre des Englischen sein, eine Lehre der geschmeidigen Komplexität. Einem angehenden deutschen Schriftsteller, der um Rat fragt, wie er sein Schreiben tauglich machen soll, sagt man am besten: Lies viel Updike im Original. BURKHARD MÜLLER
JOHN UPDIKE: John Updike: The Widows of Eastwick. Hamish Hamilton, London 2008, 308 S, 19,80 Euro.
JOHN UPDIKE: Die Witwen von Eastwick. Roman. Aus dem Englischen von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, 413 S., 19,80 Euro.
Der diabolische Mann und drei Bezaubernde: „Die Hexen von Eastwick” (1986) Foto: cinetext
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Gerade Sex verknüpft uns mit der Gesellschaft: John Updikes letzter Roman „Die Witwen von Eastwick”
Die „Witwen von Eastwick” sind John Updikes letzter Roman. Schon im Titel knüpft er an die drei Jahrzehnte zurückliegenden „Hexen von Eastwick” an (wobei „widows” und „witches” im Englischen klanglich noch näher beieinander stehen). Der Film war ein großer Erfolg, mit Jack Nicholson in der Rolle des diabolischen Darryl van Horne, der in seinem Badezuber die drei Hexen Alexandra, genannt Lexa, Jane und Sukie vernascht, gespielt von Susan Sarandon, Cher und Michelle Pfeiffer. Frisch geschieden, spürten sie in sich eine bislang unterdrückte Kraft; die lästige Kinderschar schickten sie aufs Internat oder vernachlässigten sie, um ein Leben voller Experimente zu starten, bei denen Liebhaber und schwarze Künste ganz oben rangierten. Kein Wunder, dass sie sich in dem kleinen Badeort Eastwick, Rhode Island, wenig Freunde machten; als sie mehr oder weniger fluchtartig verschwanden, hinterließen sie drei Leichen, von denen besonders eine ihr Gewissen drückt: Die junge, unschuldige Jenny hatte den unverzeihlichen Fehler begangen, einen Heiratsantrag van Hornes zu erhalten, woraufhin ihr der Dreibund in nächtlicher Sitzung einen Eierstockkrebs anzauberte; daran starb sie.
Seither sind mehr als dreißig Jahre vergangen. Alle drei haben wieder geheiratet: Lexa, die älteste, robusteste und gutmütigste unter ihnen einen Cowboy-Töpfer in Taos, New Mexico; die zierliche, sarkastische Jane einen „Investitionsberater” in Connecticut; und die elfenhafte Sukie, damals Klatschreporterin und nunmehr Verfasserin historischer Liebesromane, einen windigen Vertreter. So war Ruhe in ihr Leben eingekehrt, und sie hatten einander aus den Augen verloren. Doch dann sterben die Ehemänner rasch hintereinander weg, und die rüstigen Witwen, alle um die siebzig, die auf einmal merken, wie allein sie in der Welt stehen, nehmen zögernd den Kontakt wieder auf. Sie reisen gemeinsam, nach Ägypten, nach China, und beschließen endlich, den Sommer zusammen in Eastwick zu verbringen. Das einzige Haus, das es für sie zu mieten gibt, ist van Hornes altes Domizil, von geschäftstüchtigen Maklern inzwischen in kleinteilige Appartements zerlegt.
Mit Hass kommt man weit
Trotz des gelassenen Erzähltempos hat der Roman seinen Spannungsbogen: Wie werden die drei Hexen im Ruhestand mit den vielen alten Rechnungen umgehen, die im Ort noch offen sind? Wird es ihnen noch einmal gelingen, den Ring zu schließen und ihre frühere Macht zurückzuerobern? Und wenn ja, was werden sie damit anstellen? Lexa beharrt darauf, dass sie nur noch weiße Magie treiben sollten; Jane, die böseste der drei, fände auch ein bisschen schwarze ganz lustig. Wer wird sich durchsetzen?
Es gehört zum wohlbedachten Charme dieses Buchs, dass die Hexen wirklich hexen können, eben genug, um den drei älteren Damen den Reiz des Gefährlichen zu verleihen, aber nicht so viel, dass es dem Leser mit der Humorlosigkeit des magischen Realismus beschwerlich fiele. Zum Aufwärmen lassen sie in Peking den einbalsamierten Mao zwinkern, ganz kurz nur, aber doch so, dass das ernsthafte junge chinesische Paar, das Zeuge wird, den Unfug missbilligt, den diese Langnasen mit dem Großen Steuermann treiben.
Updike und seine Platzhalterinnen – man weiß nicht genau, wie man diese besondere Art des Erzählens verorten soll, in der das personale und das auktoriale Element sich zu einer einzigen Sensibilität verflechten – reagieren mit spontaner Intelligenz auf das, was sie sehen; unangestrengt springen sie von Gegenstand zu Gegenstand. „,Lebt ihr Mann noch?’ ,Warum nicht? Zum Sterben hat er doch gar nicht die Klasse.’” Unter welchen Bedingungen kann ein Mann in einem Pornofilm mitwirken? „,Um Porno zu machen (sagt ein Veteran der Branche), musst du sie entweder sehr gern mögen oder hassen. Mit Hass kommst du ziemlich weit dabei. Sie sind die Stars, du bist das Fleisch.’” „Sie” sind natürlich die Frauen, das versteht sich bei Updike von selbst. Lexa entdeckt zu ihrem Leidwesen, dass ihre Zimmergenossin Jane schnarcht, und es folgt die ungemein präzise Analyse eines einzelnen Schnarch-Atemzuges, in dem sich die ganze Psyche der Schnarchenden offenbart. Während die Älteren, Schriftsteller so gut wie andere Leute, sonst gern meinen, es gäbe nichts Neues unter der Sonne, entdecken Updike und seine Heldinnen ein bemerkenswertes Detail und einen verblüffenden Bezug nach dem anderen.
Wer sich Updike anvertraut, dem kann es im Leben, und zwar gerade im banalsten Leben, niemals langweilig werden. Er sollte aber wissen, welcher Preis hierfür zu entrichten ist. Um es so zuzuspitzen, wie seine Hexen es zu tun nicht zaudern würden: Updike glaubt nicht an Liebe, sondern an Sex. Liebe, auf Dauer gestellt, macht bequem und spießig (die entfremdeten Kinder der Hexen, mit ihren Couchgarnituren und Bierbäuchen, bieten abschreckende Beispiele, sie ziehen an ihren Müttern vorbei in ein frühes stumpfes Alter); Sex erfordert mit der Leibes- auch die Geistesgegenwart. Gerade in seiner anarchischen Unruhe liefert er den Kitt der Gesellschaft. „Bevor Sukie alt wurde, hatte sie sich vorgestellt, dass die Marotten – schlechte Charakterzüge und Verschrobenheiten – verschwinden würden, sobald das Bedürfnis, sexuell zu beeindrucken, entfiele; dass ohne die Ablenkung des Sex ein wahreres, ehrlicheres Selbst zum Vorschein käme. Doch es erwies sich, dass gerade Sex uns mit der Gesellschaft verknüpft, unsere Wachsamkeit erhält und uns dazu bringt, unsere scharfen Kanten zu glätten, damit wir mitmachen können.” Updike liebt seine herzlosen Geschöpfe; und wenn sie sich mit obszöner Andacht an die Begegnungen mit ihren Liebhabern erinnern, beschert er ihnen die rührendsten Momente seines Buchs.
Das alles würde Updike zu einer äußerst unterhaltsamen und anregenden, zu einer unbedingt empfehlenswerten Lektüre machen; aber noch nicht zum großen Autor, der er ist. Seine Kunst ist in seine Leichtigkeit verschränkt. Updike scheint zu treffen, ohne gezielt zu haben; seine Texte besitzen eine zen-artige Qualität. Sie gehört nicht ihm allein. Er könnte sie nicht haben ohne die Sprache, deren Sprecher er ist. Aber er holt aus den günstigen Vorbedingungen des Englischen sein eigenes Maximum heraus. Das betrifft zunächst den unglaublich reichen Wortschatz. Bei Updike finden sich auf einer Seite zwei verschiedene ironische Adjektive für Leute und Orte, die mit Kunst zu tun haben, „the artsy-craftsy crowd” und „arty Taos”. Man fühlt die Differenz, ohne ihr im Deutschen etwas ähnlich Müheloses zur Seite stellen zu können. Die Übersetzerin bietet den „Stamm von Möchtegernkünstlern” und das „kunstgewerbliche Taos”, eine Lösung, die ihre Deutlichkeit mit ihrer Schwere bezahlt.
Vor allem aber verdient Updikes Satzbau aufmerksame Bewunderung. Dieses Englisch gleitet durch die Luft, wo andere Idiome zu Fuß gehen müssen. Wenn hier jetzt ein Satz des Originals mit dem der deutschen Übersetzung verglichen werden soll, dann könnte das leicht wie eine Ungerechtigkeit gegenüber der Leistung von Angela Praesent erscheinen; tatsächlich sind ihre Beschränkungen diejenigen unserer Muttersprache überhaupt. Über Lexas Ehemann heißt es gleich auf der ersten Seite: „Jim Farlander, the husband she had conjured for herself from a hollowed pumpkin, a cowboy hat, and a pinch of Western soil scraped from inside the back fender of a pickup truck with Colorado plates that she had seen parked, looking eerily out of place, on Oak Street in the early 1970s, had, as their marriage settled and hardened, proved difficult to budge from his ceramics studio and little-frequented pottery shop on a side street in Taos, New Mexico.” Die komplette Geschichte einer Ehe, von den Träumen und Tricks der künftigen Braut bis zur Routine der späteren Jahre, samt einem Sprung quer über den amerikanischen Kontinent, ist hier in einen einzigen Satz gefasst; es ist ein langer, komplexer, gehaltreicher Satz, aber keiner, der übertrieben schwer zu verstehen wäre; ihn trägt sein federnder Rhythmus, dem das Viele leicht wird.
Bei Praesent wird daraus: „Jim Farlander, der Ehemann, den sie sich zusammengezaubert hatte aus einem ausgehöhlten Kürbis, einem Cowboyhut und einer Prise Westernerde, abgekratzt von der Innenseite der hinteren Stoßstange eines Pick-up-Truck mit einem Colorado-Kennzeichen, der an der Oak Street geparkt war und damals, in den frühen Siebzigern, ominös deplatziert gewirkt hatte, war, wie sich zeigte, als sich ihre Ehe gesetzt und gefestigt hatte, nur mit Mühe herauszuholen gewesen aus seiner Keramikerwerkstatt und dem spärlich besuchten Töpferwarenladen an einer Seitenstraße in Taos, New Mexico.”
Kecker Griff an die Stoßstange
Nicht dass dieser Satz im Deutschen um etwa dreißig Prozent länger gerät, stellt das Problem dar – Updike schreibt noch viel längere Sätze –, sondern dass unsere Sprache gar keine Wahl hat, als die zwanglose Reihe, mit der es immer noch weiter geht, in den Schraubstock der Syntax zu spannen. Praesent kennt die Gefahren des überdehnten deutschen Satzbogens und weicht ihnen aus, so gut sie kann, indem sie zum Beispiel das „zusammengezaubert hatte” weit nach vorn holt und nicht etwa, wie es die Normalstellung wäre, erst nach „Westernerde” einfügt, wenn nicht gar nach „gewirkt hatte”. Es hilft nicht viel; aus „had proved difficult to budge” wird unvermeidlich „war, wie sich zeigte, nur mit Mühe herauszuholen gewesen”, und der kecke rasche Griff an die Stoßstange des fremden Autos verwandelt sich in eine umständlichste Prozedur, die dennoch irgendwie so überhastet vonstatten geht, dass man gar nicht recht begreift, was passiert. Wo Kürze nachgeahmt werden soll, bei der „Westernerde” etwa oder „ominös deplatziert”, wird nur erreicht, dass der Leser stutzt: so dauert alles noch länger. Es geht nicht; und dass es nicht geht, ließe sich Satz für Satz beweisen.
Niemand könnte heute auf Deutsch so schreiben, wie Updike es auf Englisch kann. Die Klage vom übermächtigen Einfluss der Weltsprache auf die unsrige geht fehl; sie konzentriert sich engstirnig auf Fragen des Wortschatzes und sieht nicht, welche ungeheuren Chancen die englische Syntax böte, wären wir nur bereit, von ihr zu lernen, speziell von der wunderbaren Gewichtlosigkeit ihrer Partizipial- und Infinitiv-Konstruktionen. Das Deutsche leidet an der Herrschsucht seiner Verben, die sich anscheinend nur abwehren lässt, indem man über sie den Bann der Substantivierung verhängt. Wie man das Verb in der Vielfalt seiner möglichen Beziehungen nutzt und ihm zugleich einen dienenden Platz anweist, das könnte die Lehre des Englischen sein, eine Lehre der geschmeidigen Komplexität. Einem angehenden deutschen Schriftsteller, der um Rat fragt, wie er sein Schreiben tauglich machen soll, sagt man am besten: Lies viel Updike im Original. BURKHARD MÜLLER
JOHN UPDIKE: John Updike: The Widows of Eastwick. Hamish Hamilton, London 2008, 308 S, 19,80 Euro.
JOHN UPDIKE: Die Witwen von Eastwick. Roman. Aus dem Englischen von Angela Praesent. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, 413 S., 19,80 Euro.
Der diabolische Mann und drei Bezaubernde: „Die Hexen von Eastwick” (1986) Foto: cinetext
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