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Das Beste in Bobbys Leben, einem jungen Schwarzen aus der Bronx, ist seine hispanische Freundin Maria. Als das Paar auf dem Weg zur Schule von einer hispanischen Gang angegriffen und krankenhausreif geschlagen wird, beginnt für beide ein nicht enden wollender Alptraum.

Produktbeschreibung
Das Beste in Bobbys Leben, einem jungen Schwarzen aus der Bronx, ist seine hispanische Freundin Maria. Als das Paar auf dem Weg zur Schule von einer hispanischen Gang angegriffen und krankenhausreif geschlagen wird, beginnt für beide ein nicht enden wollender Alptraum.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2000

Ein Hot Dog, wenn es innig wird
Spätes Pathos: Hubert Selby liebt das Schweigen nicht

Pathos bedeutet "Unglück", "Leid" und "Leidenschaft" und bezeichnet den Gemütszustand ernster und gewaltiger Erregung. Das Pathetische ist daher der Sprachausdruck, den große, leidenschaftliche Affekte fordern: bei der Darstellung der leidenden Natur und ihrer Würde im überwältigenden Schmerz, in Momenten des Erhabenen sowie bei tragischer Erkenntnis. Die klassische Redelehre behält das Pathetische denn auch dem Genus grande vor, der höchsten Form der Rede, die auf Erschütterung und Rührung zielt und, klug dosiert, im Epos oder der Tragödie Wirkung zeigt. Dergleichen stilistische Beschränkung beruht auf Einsicht. Als Grenzerlebnis bleibt Pathos mächtig; als andauernde Erregungs- und Erzählhaltung, im zeitgenössischen Roman nur selten anzutreffen, kommt es schnell an seine Grenzen.

Auf Seite 378 von Hubert Selbys neuem Roman Willow Tree lesen wir: " Seine Augen traten hervor, er klammerte sich an die Armlehnen des Sessels, merkte, wie er stöhnte, als ein alles vernichtendes Entsetzen seinen Körper erstarren ließ und seine Gedanken lähmte, ein Schrei um Gnade drängte verzweifelt nach Ausdruck, und Moishe rang um die Luft, die er brauchte, um diesen Schrei nach draußen zu lassen, starrte die Wand vor sich an, sah aber nur das Starren des Todes, hörte, wie die Wölfe steif gefrorenes Fleisch von steif gefrorenen Knochen rissen, die Knöchel an seinen Händen waren weiß, die Hände blau von dem immer fester werdenden Griff, mit dem er sich an die Armlehnen klammerte, um seine Brust spannte sich ein Band, das so fest war, dass ihm der Kiefer herunterfiel, als er um Luft rang, sein Körper zuckte unaufhörlich, bis wie eine Totenstimme ein flehender Schrei ertönte, der nichts mit ihm zu tun hatte, der aus den Tiefen der Hölle kam."

Der hier um Ausdruck ringt, ist Werner Schultz, genannt Moishe, die geheime Hauptfigur von Selbys Roman. Als Deutscher geboren, als Jude denunziert und als Häftling im Konzentrationslager geschunden, ist er nach dem Krieg mit der Familie in die Vereinigten Staaten ausgewandert, um dort die Schrecken zu vergessen. Sein neues Glück zerbricht, als der geliebte Sohn im Vietnamkrieg und die Frau im Kummer sterben. Nach allen Schicksalsschlägen findet er im Alter unerwartet Trost: Moishe begegnet einem schwer verletzten jungen Schwarzen namens Bobby aus der Bronx, pflegt ihn gesund und will ihn in ein besseres Leben führen, jenseits von blindem Hass und der Gewalt der Straße. Doch ebendiese Hoffnung schwindet hier. Die zitierte Aufwühlung ergreift Moishe, als Bobby wieder in die alten Racherituale zurückzufallen droht. Der Affekt ist furchtbar. Wie aber ist sein Ausdruck?

Von Anfang an steht man als Leser vor dieser einen Frage. Selbys Figuren werden so unbarmherzig von den ganz großen Gefühlen heimgesucht und sind so unentwegt in so tiefes Leid verstrickt, dass weder Satzzeichen noch Wörter dafür hinzureichen scheinen und auch die Syntax förmlich bricht. Ein Beispiel: "Bobby fing an zu stöhnen und veränderte seine Lage ein bisschen. Ha??? Wa???? Ohhh . . . diese Scheiß . . ." Die letzten Äußerungen sind als wörtliche Rede zu lesen und zeigen doch, wie sich der Text durchgehend liest. Auch wer bis zum Ende durchhält, wo die Versöhnungsbotschaft doch noch siegt, wird nicht aus der Ergriffenheit entlassen. Hier drängen dann Liebe, Heil und Glück rückhaltlos zur Sprache.

Dem amerikanischen Autor Hubert Selby gelang 1964 ein großer Wurf: "Letzte Ausfahrt Brooklyn" wurde zum Klassiker. Die grausam-düsteren Episoden aus dem ausweglosen Überlebenskampf der Straße zwischen Kaserne und Soldatenkneipe bewegten die Gemüter und beschäftigten die Gerichte (der Autor wurde in England wegen Obszönität verklagt, sein Roman in Italien verboten). Zwar konnte Selby nie an den überragenden Erfolg des Erstlings anknüpfen, doch wies dieser schon in vielem auf sein späteres Werk voraus: Die naturalistische Milieustudie war in einen moralischen Wertungsrahmen, markiert durch Bibelzitate, eingebunden.

In Willow Tree, im Original 1998 erschienen, als Selby siebzig Jahre alt war, läuft alles Leid auf eine weltverbessernde Moral hinaus. Bobby, ein dreizehnjähriger Schwarzer, und seine puertoricanische Freundin werden Opfer einer sinnlosen Gewalttat, die er nur knapp überlebt. Alles setzt er nun daran, ihren Tod an der verhassten Gang der "Spics" zu rächen. Doch in der Begegnung mit der weißen Vaterfigur und ihrer Lebensgeschichte lernt er die Botschaft christlicher Vergebung und kann zuletzt der Mordlogik entsagen.

Die Geschichte, die bis dahin erzählt wird, ist eine Rhapsodie in Black, eine Straßenballade aus den Kellern der Bronx. Leitmotivisch dicht verknüpft, kreist die Erzählung ihre großen Themen unerbittlich ein. Den eng umgrenzten Schauplätzen und wenigen Figuren wird reichlich Raum gewährt, sich zu entfalten. Dabei gerät jedoch der Leser in Bedrängnis, weil er den wortreichen Selbstentblößungen fortwährend ausgeliefert ist. Doch jeder Ausbruch aus lesendem Miterleben ist fatal, denn in der Distanz erscheint die ganze Sache reichlich schlicht und schematisch. Da ist der gute Deutsche mit den zwei Seelen in der Brust ("Ich bin der mit dem Schmerz . . . Ich bin der, der zwischen Werner und Moishe gefangen ist . . .") und dem guten Herzen, da ist der junge Wilde ebenfalls mit gutem Herzen, aber mit Drang zur gerechten Rache, da ist die Freundin mit schmerzendem Herzen, die Jungfrau ist und obendrein Maria heißt. Die Handlungsführung ist ähnlich formelhaft: Bei emotionaler Kälte hilft eine heiße Suppe, zur Tröstung gibt es immer Eis mit Schokoladensauce und, wenn es richtig innig wird, ein Hot Dog.

Am problematischsten ist allerdings die Konstruktion der sozialen Opferrollen und ihrer Überwindung, wie der Roman sie vorführt. Zu einer Zeit, da die junge Generation afroamerikanischer Autoren ebenso kritisch wie ironisch mit den Ghetto-Klischees aufräumt - Paul Beattys fulminantes Romandebüt "Der Sklavenmessias" erschien letztes Jahr auf Deutsch -, nimmt Selby sich ihrer Sache an und setzt dabei ungebrochen, wenngleich nicht unverkrampft, auf die alten Muster. Gegen Ende des Romans fragt sich der alte Moishe: "Aber wie soll ich denn mit Wörtern ausdrücken, was in meinem Herzen vorgeht? Alle meine Wörter sind so schwach . . . so unzureichend . . ." Wovon man nicht reden kann, davon soll man schweigen, lautet eine bekannte Einsicht. Vielleicht wäre Willow Tree nicht nur pathetisch, sondern wirklich sehr ergreifend, wenn der Roman auch hätte schweigen könnte.

TOBIAS DÖRING.

Hubert Selby: "Willow Tree". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Günter Ohnemus. Achilla Presse, Bremen 2000. 394 S., geb., 48,- DM.

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