Jeanette Winterson präsentiert eine Sammlung von Kurzgeschichten und führt uns in neu erschaffene Welten, die sowohl bekannt als auch schockierend fremd erscheinen. 'An awesome panorama...compelling and wild...an original and thrilling writer' Independent
In this, her first collection of short stories, Winterson reveals all the facets of her extraordinary imagination. In prose that is full of imagery and word-play, she creates physical and psychological worlds that are at once familiar and yet shockingly strange.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
In this, her first collection of short stories, Winterson reveals all the facets of her extraordinary imagination. In prose that is full of imagery and word-play, she creates physical and psychological worlds that are at once familiar and yet shockingly strange.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2000Ungemein feinsinnige Schildkröten
Jeanette Winterson wärmt nur der Mantel des Schweigens
"In ihm waren die Regenwälder ursprünglich und das Meer noch nicht abgestumpft. Er war eine Landkarte mit klaren Konturen und unbestimmter Hoffnung. Er war die Zeit davor oder die Zeit danach. Die Jetztzeit hatte ihn nicht verdorben. Im Raum zwischen Chaos und Form gab es eine neue Chance." Die Rede ist nicht von einem Mann, sondern - Sie haben es erraten - von einem Hund. Muß man eine Geschichte, wo Katzen "Säcke unter den Augen" haben "wie eine Garnitur Louis-Vuitton-Gepäck", wo man nicht mehr von einer Häufung von Stilblüten, sondern von der Stilblüte als Stilprinzip sprechen muß, zu Ende lesen?
Geschmack und Stilsicherheit darf man bei Jeanette Winterson nicht suchen. Der internationale Erfolg ihres ersten Romans "Orangen sind nicht die einzige Frucht" lag am Stoff, nicht den formalen Qualitäten. Die Kritiker, zumal die angelsächsischen, waren von einer Feministin begeistert, die ihre lesbische Veranlagung keck zelebrierte und ebenso durch die Unkonventionalität der Sprache zu bestechen suchte. Das ging drei Romane lang gut, doch dann, als der autobiographische Stoff erschöpft war, Jeanette Winterson die alten Themen nur noch variierte und sich zu einer immer schrilleren Ausdrucksweise verstieg, hörte die Gemütlichkeit auf.
Die ehemals enthusiastischen Interpreten wiesen nun auf die Mängel der Autorin hin, die Gesuchtheiten und Übertreibungen, die unappetitlichen Bilder und, wie sie nun schrieben, überflüssigen Schockeffekte. Sogar von "sinnlosen" Texten war plötzlich die Rede. Die Autorin wurde als Blenderin hingestellt. Winterson, die sich als einzig legitime Nachfahrin der Virginia Woolf versteht, schlug zurück, im wörtlichen Sinn. Es wird berichtet, wie sie an einem Abend ins Haus einer Londoner Kritikerin einfiel, die gerade ein Essen für Gäste gab, und die verdutzte Gastgeberin rüde zur Rede stellte. Der frühe Jubel und die rasche Vernichtung junger Autoren scheint ein Kennzeichen des heutigen literarischen Lebens zu sein. Dabei lassen sich die Defizite und Gefährdungen eines Talents so gut wie immer schon in den frühen Arbeiten finden.
Jeanette Winterson ist dafür ein Paradebeispiel. Der vorliegende, siebzehn Erzählungen enthaltende Band spiegelt keine literarische Entwicklung, er führt Schreibweisen vor. Die Texte entstanden parallel zu den sechs Romanen zwischen 1985 und 1997. Da steht die verschwiemelte Allegorie, der mißglückte mythologische Aufschwung, der surrealistische Versuch neben realistischen Schilderungen des Alltags. Diese klassischen Kurzgeschichten nahestehenden Texte - "O'Briens erstes Weihnachtsfest", "Der Grüne Mann", "Newton" -, in denen kleine traurige, indessen nicht denunzierte männliche Versager kühnen, unkonventionellen Frauen begegnen, sind vielleicht die besten Geschichten des Bandes, auch weil hier der Sprachschwulst seltener zu finden ist. Einen einheitlichen Sprachton halten auch die Märchen, die indessen, auch wegen ihrer Kürze, eher als Fingerübungen zu betrachten sind. Dagegen sollte man über "Die Poesie des Sex", ein Geschichte, in der die Geliebte namens Picasso, aus dem Roman "Kunst und Lüge" bekannt, auftaucht, eher den Mantel barmherzigen Schweigens breiten. Wendungen wie "Sie stürmt mich mit dem Feingespür des Stiers" ist noch eine der harmlosesten Sprachattacken, denen man in diesem Text, wohl einem übriggebliebenen Romankapitel, ausgesetzt ist.
Der Band wird eingerahmt von zwei Tiererzählungen. Da wird der Mensch am Tier gemessen und stellt sich als der heraus, der dem Tier nicht gewachsen ist. Ich muß bekennen, daß ich mir aus Texten, in denen das Tier der bessere Mensch ist, nicht viel mache, auch wenn sie, wie hier, völlig unsentimental erzählt werden. In "Psalmen", der letzten Erzählung des Buchs, reist ein Kind mit Mutter und Schildkröte an die See. Das Tier ertrinkt im Meer, was das Kind so kommentiert: "Sie war verloren. Tot. Ertrunken. Ich dachte an Shelley." Das ist ein Gag, dem ein paar Seiten weiter der emotionale Kommentar folgt: "Andrerseits habe ich sie auch nicht glücklich gemacht." Gemeint ist nicht die Mutter, sondern die Schildkröte. Die Erzählung, in der Zeit des "Orangen"-Romans entstanden, spielt im selben Milieu, in dem sich ein frühreifes Kind gegen eine bigotte Mutter wehrt. Die Geschichte ist originell, auch komisch, doch die Scherze gehen auf Kosten der einfältigen, religiös verstiegenen Mutter. Diese Art von Humor, der mit zum Erfolg des Romanerstlings von Jeanette Winterson beitrug, ist mir zu billig. Nein, froh bin ich mit dieser Erzählungen nicht geworden.
RENATE SCHOSTACK
Jeanette Winterson: "In dieser Welt und anderswo". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Monika Schmalz. Berlin Verlag, Berlin 2000. 230 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeanette Winterson wärmt nur der Mantel des Schweigens
"In ihm waren die Regenwälder ursprünglich und das Meer noch nicht abgestumpft. Er war eine Landkarte mit klaren Konturen und unbestimmter Hoffnung. Er war die Zeit davor oder die Zeit danach. Die Jetztzeit hatte ihn nicht verdorben. Im Raum zwischen Chaos und Form gab es eine neue Chance." Die Rede ist nicht von einem Mann, sondern - Sie haben es erraten - von einem Hund. Muß man eine Geschichte, wo Katzen "Säcke unter den Augen" haben "wie eine Garnitur Louis-Vuitton-Gepäck", wo man nicht mehr von einer Häufung von Stilblüten, sondern von der Stilblüte als Stilprinzip sprechen muß, zu Ende lesen?
Geschmack und Stilsicherheit darf man bei Jeanette Winterson nicht suchen. Der internationale Erfolg ihres ersten Romans "Orangen sind nicht die einzige Frucht" lag am Stoff, nicht den formalen Qualitäten. Die Kritiker, zumal die angelsächsischen, waren von einer Feministin begeistert, die ihre lesbische Veranlagung keck zelebrierte und ebenso durch die Unkonventionalität der Sprache zu bestechen suchte. Das ging drei Romane lang gut, doch dann, als der autobiographische Stoff erschöpft war, Jeanette Winterson die alten Themen nur noch variierte und sich zu einer immer schrilleren Ausdrucksweise verstieg, hörte die Gemütlichkeit auf.
Die ehemals enthusiastischen Interpreten wiesen nun auf die Mängel der Autorin hin, die Gesuchtheiten und Übertreibungen, die unappetitlichen Bilder und, wie sie nun schrieben, überflüssigen Schockeffekte. Sogar von "sinnlosen" Texten war plötzlich die Rede. Die Autorin wurde als Blenderin hingestellt. Winterson, die sich als einzig legitime Nachfahrin der Virginia Woolf versteht, schlug zurück, im wörtlichen Sinn. Es wird berichtet, wie sie an einem Abend ins Haus einer Londoner Kritikerin einfiel, die gerade ein Essen für Gäste gab, und die verdutzte Gastgeberin rüde zur Rede stellte. Der frühe Jubel und die rasche Vernichtung junger Autoren scheint ein Kennzeichen des heutigen literarischen Lebens zu sein. Dabei lassen sich die Defizite und Gefährdungen eines Talents so gut wie immer schon in den frühen Arbeiten finden.
Jeanette Winterson ist dafür ein Paradebeispiel. Der vorliegende, siebzehn Erzählungen enthaltende Band spiegelt keine literarische Entwicklung, er führt Schreibweisen vor. Die Texte entstanden parallel zu den sechs Romanen zwischen 1985 und 1997. Da steht die verschwiemelte Allegorie, der mißglückte mythologische Aufschwung, der surrealistische Versuch neben realistischen Schilderungen des Alltags. Diese klassischen Kurzgeschichten nahestehenden Texte - "O'Briens erstes Weihnachtsfest", "Der Grüne Mann", "Newton" -, in denen kleine traurige, indessen nicht denunzierte männliche Versager kühnen, unkonventionellen Frauen begegnen, sind vielleicht die besten Geschichten des Bandes, auch weil hier der Sprachschwulst seltener zu finden ist. Einen einheitlichen Sprachton halten auch die Märchen, die indessen, auch wegen ihrer Kürze, eher als Fingerübungen zu betrachten sind. Dagegen sollte man über "Die Poesie des Sex", ein Geschichte, in der die Geliebte namens Picasso, aus dem Roman "Kunst und Lüge" bekannt, auftaucht, eher den Mantel barmherzigen Schweigens breiten. Wendungen wie "Sie stürmt mich mit dem Feingespür des Stiers" ist noch eine der harmlosesten Sprachattacken, denen man in diesem Text, wohl einem übriggebliebenen Romankapitel, ausgesetzt ist.
Der Band wird eingerahmt von zwei Tiererzählungen. Da wird der Mensch am Tier gemessen und stellt sich als der heraus, der dem Tier nicht gewachsen ist. Ich muß bekennen, daß ich mir aus Texten, in denen das Tier der bessere Mensch ist, nicht viel mache, auch wenn sie, wie hier, völlig unsentimental erzählt werden. In "Psalmen", der letzten Erzählung des Buchs, reist ein Kind mit Mutter und Schildkröte an die See. Das Tier ertrinkt im Meer, was das Kind so kommentiert: "Sie war verloren. Tot. Ertrunken. Ich dachte an Shelley." Das ist ein Gag, dem ein paar Seiten weiter der emotionale Kommentar folgt: "Andrerseits habe ich sie auch nicht glücklich gemacht." Gemeint ist nicht die Mutter, sondern die Schildkröte. Die Erzählung, in der Zeit des "Orangen"-Romans entstanden, spielt im selben Milieu, in dem sich ein frühreifes Kind gegen eine bigotte Mutter wehrt. Die Geschichte ist originell, auch komisch, doch die Scherze gehen auf Kosten der einfältigen, religiös verstiegenen Mutter. Diese Art von Humor, der mit zum Erfolg des Romanerstlings von Jeanette Winterson beitrug, ist mir zu billig. Nein, froh bin ich mit dieser Erzählungen nicht geworden.
RENATE SCHOSTACK
Jeanette Winterson: "In dieser Welt und anderswo". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Monika Schmalz. Berlin Verlag, Berlin 2000. 230 S., geb., 36,- DM.
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A greatly gifted and original writer...there is an exhilarating freshness and energy to this collection Observer