Die große »Biographie« des deutschsprachigen Theaters
Der lang erwartete zweite Band der großen Theatermonographie. Der angesehene Theaterexperte Günther Rühle erzählt die Geschichte der Wiederherstellung des deutschsprachigen Theaters: von den Anfängen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, während des Auseinanderdriftens der beiden deutschen Staaten und der vollständigen Spaltung hinaus bis ins Jahr 1966. Das Buch spricht von den prägenden Personen und führenden Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zeigt den Wandel der Themen und Stile und macht Zusammenhänge sichtbar zwischen Kunst, Politik, Zeitgeist und Gesellschaft. Ein gewaltiges Panorama und Epochenwerk.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der lang erwartete zweite Band der großen Theatermonographie. Der angesehene Theaterexperte Günther Rühle erzählt die Geschichte der Wiederherstellung des deutschsprachigen Theaters: von den Anfängen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, während des Auseinanderdriftens der beiden deutschen Staaten und der vollständigen Spaltung hinaus bis ins Jahr 1966. Das Buch spricht von den prägenden Personen und führenden Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zeigt den Wandel der Themen und Stile und macht Zusammenhänge sichtbar zwischen Kunst, Politik, Zeitgeist und Gesellschaft. Ein gewaltiges Panorama und Epochenwerk.
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alle bekommen ihren künstlerischen Platz und ihre kritische Würdigung in seinem mit Kompetenz, Akribie und Liebe gewobenen Ideengeschichtlichen System. Irene Bazinger Frankfurter Allgemeine Zeitung 20150103
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Schon Günther Rühles Band über "Theater in Deutschland" in den Jahren 1887 bis 1945 hat Peter Michalzik mit Genuss gelesen; der neu erschienene Band über die Jahre 1945 bis 1966 steht seinem Vorgänger dabei in nichts nach, berichtet der Rezensent, der während der faszinierenden, ganz auf Abbildungen verzichtenden Lektüre das Gefühl hat, selbst dabei gewesen zu sein. Und so folgt er aufmerksam den Schilderungen des Theaterkritikers und intendanten über seine Begegnung mit Gustav Gründgens, dem Rühle hier ein literarisches Denkmal setzt, seinen Ausführungen über Tilla Durieux oder Bertolt Brecht. Gebannt erlebt er die im Theater deutlich spürende Zerstörung nach 1945 oder die Entwicklung des Theaters in Ost- und Westdeutschland, die nicht nur die politische, sondern auch die moralische Trennung offenbart. Dieses Buch, von einem der bedeutendsten Theaterhistoriker mit Sorgfalt, Wortgewalt und preußischer Disziplin geschrieben, erscheint dem hingerissenen Kritiker als Meilenstein der Theatergeschichte, und so kann er das Erscheinen eines dritten Bandes kaum erwarten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2015Ein Zeitalter im Bühnenlicht
Aus den Trümmern zur Premiere: Günther Rühle hat seine Geschichte des Theaters in Deutschland mit einem exzellenten zweiten Band über die Jahre 1945 bis 1966 fortgesetzt.
Die Geschichte des Theaters findet auf vielen größeren und kleineren Bühnen statt. Sie ist deshalb naturgemäß zersplittert. Was aber nichts daran ändert, dass die unterschiedlichen Schauplätze miteinander oft in engem Zusammenhang stehen. Das kann, wie es die Regisseurin Andrea Breth einmal sagte, so weit gehen, dass man heutzutage mitunter den Eindruck gewinnen könnte, sie würden alle von einer einzigen Dramaturgie gesteuert - weswegen bisweilen ein paar ausgewählte Autoren oder Stücke quasi überall aufgeführt werden.
Da dies allerdings (noch) nicht der Fall ist, bleibt festzustellen, dass sich künstlerische Trends, ästhetische Moden und soziale Dringlichkeiten in einer schnell informierten Gesellschaft ebenso schnell verbreiten und programmatisch an nahezu jedem Ort relevant werden können. Welches solche zentralen Tendenzen in der Nachkriegszeit waren, schildert Günther Rühle in seinem großartigen neuen Werk "Theater in Deutschland 1945-1966", dem umfangreichen Fortsetzungsband von "Theater in Deutschland 1887-1945" (erschienen 2007).
Rühle war von 1974 bis 1985 Feuilletonchef dieser Zeitung, danach Intendant des Frankfurter Schauspiels, Feuilletonchef des Berliner "Tagesspiegels" und Präsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt. Er hat als Chronist eine fürsorglich ordnende Hand, sortiert die Menschen und Ereignisse in seiner fein gegliederten, unendlich gründlichen Zusammenschau so, dass alles seine Individualität bewahrt und doch miteinander korrespondiert: "Dieses Buch berichtet von dem gewagten Bemühen, das deutsche Theater aus seiner geistigen und materiellen Zerstörung durch die Hitlersche Diktatur zum Leben und zu neuer Bedeutung zurückzuführen."
Rühle beginnt in der deutschen Stunde null, als der Zweite Weltkrieg verloren ist, das Land und mit ihm große Teile Europas in Trümmern liegen - und die Sehnsucht nach Theater trotzdem nicht erloschen ist: "Kaum waren die Truppen der Westalliierten über den Rhein, sammelten sich in Aachen Schauspieler, um wieder zu spielen. Als sich der Ring um Berlin schloss, rüstete sich in Frankfurt am Main schon eine Truppe zum neuen Auftritt. Und als die Schlacht um Berlin in ihre letzte Phase ging, Hitler sich am 30. April 1945 erschoss, spielte das Ensemble des Burgtheaters - 18 Tage nach Zerstörung des Hauses, acht Tage vor dem Waffenstillstand - schon die erste Vorstellung: Grillparzers ,Sappho' im Ersatzhaus in der Himmelpfortgasse."
Wichtige Themen in diesem bei aller Bildung und allem Fachwissen mitreißend zu lesenden Buch sind etwa die Rückkehr der vielen vertriebenen Künstler aus dem Exil, der Umgang mit den in Deutschland verbliebenen Kollegen, die Teilung des Landes mit ihren divergierenden politischen wie ästhetischen Entwicklungen, das Entdecken der lange verbotenen ausländischen Autoren, die Entstehung innovativer dramatischer wie inszenatorischer Kunstformen, schließlich der Gezeitenwechsel um 1968, verbunden mit der Aufarbeitung der bis dahin tabuisierten Vergangenheit der Elterngeneration im "Dritten Reich". Deutlich wird, dass sich das Theater im Nachkriegsboom mit seinem Wirtschaftswunder weitaus höherer öffentlicher Bedeutung erfreute als in späteren, sich offiziell wesentlich weniger materiell gebenden Jahren - obwohl auf den Bühnen beileibe nicht nur leichte Kost geboten wurde.
Neutral wie engagiert und fern akademischer Gespreiztheiten erzählt Günther Rühle mit objektivem, sachlichem Schwung stets, als wäre er dabei gewesen, und ohne sich besserwisserisch in den Vordergrund zu schieben. Er erklärt unaufdringlich dieses, verknüpft es wie selbstverständlich mit jenem, beschreibt Stücke, Menschen, Konstellationen, deckt den ganzen deutschsprachigen Raum ab. Ost und West, Brecht und Beckett, Gründgens und Kortner, Piscator und Barlog, Noelte und Dresen, Hochhuth und Dürrenmatt, Peter Hacks und Peter Weiss - alle bekommen ihren künstlerischen Platz und ihre kritische Würdigung in seinem mit Kompetenz, Akribie und Liebe gewobenen ideengeschichtlichen System.
So geht er zum Beispiel zu den Schwierigkeiten des Berliner Ensembles nach Brechts Tod und zu den Anfängen der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer zurück, zu den Debatten über den Bitterfelder Weg oder zu den westlichen Versuchen, das Publikum aus seiner Beobachterrolle zu lösen und zum Mitmachen zu bewegen. Und zeigt, wie sich um 1965 eine neue Generation anschickt, die Theater zu übernehmen und auf ihre Art auszurichten. Diese "Akteure der Zukunft" schaffen das "Theaterwunder der siebziger Jahre" - und knüpfen damit an jenes der zwanziger Jahre an, das die Nationalsozialisten vernichtet hatten. Günther Rühle blickt immer höchst interessiert über den Tellerrand seines Fachgebiets und lässt das Lesepublikum am Vergnügen dieser Grenzüberschreitungen mit animierender Eloquenz teilhaben. Man kann den imposanten Wälzer, der ohne Anmerkungen fast 1200 Seiten umfasst, wie den spannenden Roman eines Zeitalters einfach von vorne bis hinten durchschmökern. Man kann aber auch nach Lust und Laune einzelne Kapitel aus diesem epochalen Panorama herausgreifen und mit Gewinn durch die Jahre springen. Der ausgedehnte Anhang umfasst nicht nur Anmerkungen sowie Personen-, Literatur- und Werkverzeichnis, sondern auch eine ausgezeichnete Zeittafel, welche die geschilderten Ereignisse in eine übersichtliche, geschlossene Reihung bringt.
Was Tradition und Kontinuität in Theaterdingen bedeuten können, wird auf jeder Seite sinnlich erfahrbar - und schmerzlich, wenn man betrachtet, wie geistlos und arrogant sich Intendanten, Regisseure, Schauspieler heute in Bezug auf die längeren und kürzeren Traditionen ihrer Profession verhalten. Ab jetzt allerdings gibt es für derlei Ignoranz kein Pardon mehr, Günther Rühle sei Dank.
IRENE BAZINGER
Günther Rühle: "Theater in Deutschland 1945-1966". Seine Ereignisse - seine Menschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 1520 S., geb., 46,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aus den Trümmern zur Premiere: Günther Rühle hat seine Geschichte des Theaters in Deutschland mit einem exzellenten zweiten Band über die Jahre 1945 bis 1966 fortgesetzt.
Die Geschichte des Theaters findet auf vielen größeren und kleineren Bühnen statt. Sie ist deshalb naturgemäß zersplittert. Was aber nichts daran ändert, dass die unterschiedlichen Schauplätze miteinander oft in engem Zusammenhang stehen. Das kann, wie es die Regisseurin Andrea Breth einmal sagte, so weit gehen, dass man heutzutage mitunter den Eindruck gewinnen könnte, sie würden alle von einer einzigen Dramaturgie gesteuert - weswegen bisweilen ein paar ausgewählte Autoren oder Stücke quasi überall aufgeführt werden.
Da dies allerdings (noch) nicht der Fall ist, bleibt festzustellen, dass sich künstlerische Trends, ästhetische Moden und soziale Dringlichkeiten in einer schnell informierten Gesellschaft ebenso schnell verbreiten und programmatisch an nahezu jedem Ort relevant werden können. Welches solche zentralen Tendenzen in der Nachkriegszeit waren, schildert Günther Rühle in seinem großartigen neuen Werk "Theater in Deutschland 1945-1966", dem umfangreichen Fortsetzungsband von "Theater in Deutschland 1887-1945" (erschienen 2007).
Rühle war von 1974 bis 1985 Feuilletonchef dieser Zeitung, danach Intendant des Frankfurter Schauspiels, Feuilletonchef des Berliner "Tagesspiegels" und Präsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt. Er hat als Chronist eine fürsorglich ordnende Hand, sortiert die Menschen und Ereignisse in seiner fein gegliederten, unendlich gründlichen Zusammenschau so, dass alles seine Individualität bewahrt und doch miteinander korrespondiert: "Dieses Buch berichtet von dem gewagten Bemühen, das deutsche Theater aus seiner geistigen und materiellen Zerstörung durch die Hitlersche Diktatur zum Leben und zu neuer Bedeutung zurückzuführen."
Rühle beginnt in der deutschen Stunde null, als der Zweite Weltkrieg verloren ist, das Land und mit ihm große Teile Europas in Trümmern liegen - und die Sehnsucht nach Theater trotzdem nicht erloschen ist: "Kaum waren die Truppen der Westalliierten über den Rhein, sammelten sich in Aachen Schauspieler, um wieder zu spielen. Als sich der Ring um Berlin schloss, rüstete sich in Frankfurt am Main schon eine Truppe zum neuen Auftritt. Und als die Schlacht um Berlin in ihre letzte Phase ging, Hitler sich am 30. April 1945 erschoss, spielte das Ensemble des Burgtheaters - 18 Tage nach Zerstörung des Hauses, acht Tage vor dem Waffenstillstand - schon die erste Vorstellung: Grillparzers ,Sappho' im Ersatzhaus in der Himmelpfortgasse."
Wichtige Themen in diesem bei aller Bildung und allem Fachwissen mitreißend zu lesenden Buch sind etwa die Rückkehr der vielen vertriebenen Künstler aus dem Exil, der Umgang mit den in Deutschland verbliebenen Kollegen, die Teilung des Landes mit ihren divergierenden politischen wie ästhetischen Entwicklungen, das Entdecken der lange verbotenen ausländischen Autoren, die Entstehung innovativer dramatischer wie inszenatorischer Kunstformen, schließlich der Gezeitenwechsel um 1968, verbunden mit der Aufarbeitung der bis dahin tabuisierten Vergangenheit der Elterngeneration im "Dritten Reich". Deutlich wird, dass sich das Theater im Nachkriegsboom mit seinem Wirtschaftswunder weitaus höherer öffentlicher Bedeutung erfreute als in späteren, sich offiziell wesentlich weniger materiell gebenden Jahren - obwohl auf den Bühnen beileibe nicht nur leichte Kost geboten wurde.
Neutral wie engagiert und fern akademischer Gespreiztheiten erzählt Günther Rühle mit objektivem, sachlichem Schwung stets, als wäre er dabei gewesen, und ohne sich besserwisserisch in den Vordergrund zu schieben. Er erklärt unaufdringlich dieses, verknüpft es wie selbstverständlich mit jenem, beschreibt Stücke, Menschen, Konstellationen, deckt den ganzen deutschsprachigen Raum ab. Ost und West, Brecht und Beckett, Gründgens und Kortner, Piscator und Barlog, Noelte und Dresen, Hochhuth und Dürrenmatt, Peter Hacks und Peter Weiss - alle bekommen ihren künstlerischen Platz und ihre kritische Würdigung in seinem mit Kompetenz, Akribie und Liebe gewobenen ideengeschichtlichen System.
So geht er zum Beispiel zu den Schwierigkeiten des Berliner Ensembles nach Brechts Tod und zu den Anfängen der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer zurück, zu den Debatten über den Bitterfelder Weg oder zu den westlichen Versuchen, das Publikum aus seiner Beobachterrolle zu lösen und zum Mitmachen zu bewegen. Und zeigt, wie sich um 1965 eine neue Generation anschickt, die Theater zu übernehmen und auf ihre Art auszurichten. Diese "Akteure der Zukunft" schaffen das "Theaterwunder der siebziger Jahre" - und knüpfen damit an jenes der zwanziger Jahre an, das die Nationalsozialisten vernichtet hatten. Günther Rühle blickt immer höchst interessiert über den Tellerrand seines Fachgebiets und lässt das Lesepublikum am Vergnügen dieser Grenzüberschreitungen mit animierender Eloquenz teilhaben. Man kann den imposanten Wälzer, der ohne Anmerkungen fast 1200 Seiten umfasst, wie den spannenden Roman eines Zeitalters einfach von vorne bis hinten durchschmökern. Man kann aber auch nach Lust und Laune einzelne Kapitel aus diesem epochalen Panorama herausgreifen und mit Gewinn durch die Jahre springen. Der ausgedehnte Anhang umfasst nicht nur Anmerkungen sowie Personen-, Literatur- und Werkverzeichnis, sondern auch eine ausgezeichnete Zeittafel, welche die geschilderten Ereignisse in eine übersichtliche, geschlossene Reihung bringt.
Was Tradition und Kontinuität in Theaterdingen bedeuten können, wird auf jeder Seite sinnlich erfahrbar - und schmerzlich, wenn man betrachtet, wie geistlos und arrogant sich Intendanten, Regisseure, Schauspieler heute in Bezug auf die längeren und kürzeren Traditionen ihrer Profession verhalten. Ab jetzt allerdings gibt es für derlei Ignoranz kein Pardon mehr, Günther Rühle sei Dank.
IRENE BAZINGER
Günther Rühle: "Theater in Deutschland 1945-1966". Seine Ereignisse - seine Menschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 1520 S., geb., 46,- [Euro].
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