»Dieser Roman eines deutsch-katholischen Bürgerhauses vor dem Hintergrund der Kriegszeit ist ein vorzügliches Buch, mit leichter und sicherer Hand gemeistert, klug, klar und fesselnd.« Thomas MannIm gutbürgerlichen Haushalt der Chindlers spielt man Klavier und geht sonntags in die Kirche. Es ist das Jahr 1914. Theodor Chindler, Abgeordneter der katholischen Zentrumspartei und Familienoberhaupt, macht Politik im Berliner Reichstag, während seine Söhne Ernst und Karl fürs Vaterland an die Front ziehen.Zu Hause diskutieren die anderen Familienmitglieder hitzig über den Kaiser, das Elend in den Lazaretten und den Seekrieg - und so brechen die politischen Überzeugungen auseinander. Als sich Tochter Maggie gegen den Willen des Vaters der Arbeiterbewegung zuwendet und sich der jüngste Sohn Leopold in einen Mitschüler verliebt, ist auch in der Heimat nichts mehr so, wie es war. Bernard von Brentano erzählt aus den Hinterzimmern der Politik während des Ersten Weltkrieges, vom elenden Sterben in den Schützengräben - aber vor allem von einer Familie in Zeiten sozialer wie lebensweltlicher Umwälzungen. Der Roman »Theodor Chindler«, der 1936 im Schweizer Exil entstand, wurde oft mit Heinrich Manns »Der Untertan« oder »Professor Unrat« verglichen. Ein Zeit- und Sittengemälde, das bis heute nicht an Eindringlichkeit verloren hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2014Eine Familie im Krieg
Dieses Buch gefiel Brecht, Mann und dem Erfinder der "Lindenstraße": Einen Monat lang liest Wiesbaden den Roman "Theodor Chindler" von Bernard von Brentano.
Von Florian Balke
Der Streit beginnt auf den ersten Seiten. Deutschland hat Russland den Krieg erklärt, im Haus des katholischen Reichstagsabgeordneten Theodor Chindler verabschieden die beiden ältesten Söhne sich ins Feld, da brechen zwischen den Familienmitgliedern alte Zwistigkeiten und frische Meinungsverschiedenheiten auf. Die kleinen Nickeligkeiten des Alltags an dem Tag, an dem eine Welt zerbricht, nehmen die weltanschaulichen Streitigkeiten vorweg, die auf den folgenden knapp fünfhundert Seiten von der Familie ausgefochten werden. Was von der Obersten Heeresleitung zu halten ist und wie man mit der revolutionär gesinnten Tochter umgeht - vier Kriegsjahre lang begleiten die privaten Meinungsverschiedenheiten den Streit der Völker. Beides zusammen, ja im einen das andere, beschreibt Bernard von Brentano in seinem 1936 erschienenen Debütroman "Theodor Chindler".
Veröffentlicht hat der in Offenbach geborene Autor ihn mit 35 Jahren. Da hatte der Nachkomme von Clemens Brentano und Bettina von Arnim seine Stelle als Feuilletonkorrespondent der "Frankfurter Zeitung" in Berlin gerade aufgeben müssen und war seiner politischen Überzeugungen wegen ins Schweizer Exil gegangen. Nun schrieb er sich nicht nur die Erinnerung an den Absturz der wilhelminischen Gesellschaft in den Krieg von der Seele, sondern auch die an das erst kurz zurückliegende Taumeln der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus. Mehr als siebzig erfundene und nicht erfundene Personen lässt Brentano durch die Kapitel seines Buchs geistern, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch in Deutschland erschien. 1951 kam es im Limes-Verlag in Wiesbaden heraus, in der Stadt, in der Brentano sich zwei Jahre zuvor angesiedelt hatte und in der er bis zu seinem Tod im Jahr 1964 lebte. Manche der von ihm beschriebenen Personen hatte seine Familie gekannt: Brentanos Bruder Heinrich war nicht nur Konrad Adenauers Außenminister, sein Onkel Georg von Hertling war während des Kaiserreichs auch dessen vorletzter Kanzler gewesen.
Ein Familienroman, in dem die Menschen von dem gezeichnet werden, was die von Menschen gemachte Wirklichkeit ihnen antut, ein Weltanschauungsroman. Gefallen hatte er nach seinem Erscheinen nicht nur Bertolt Brecht, der Walter Benjamin fragte, ob er ihn schon gelesen habe, sondern auch Thomas Mann, der 1936 im Tagebuch notierte: "Las in Brentanos Roman, der mir gut gefällt." Das lockte Jahrzehnte später einen Künstler der überaus wirkungsvollen Inszenierung des Privaten als Ort des Politischen auf den Plan.
Mehr als 4000 Komparsen standen Hans Wilhelm Geißendörfer zur Verfügung, als er "Theodor Chindler" 1979 für das Fernsehen verfilmte, ein paar Jahre bevor er mit der von ihm erfundenen "Lindenstraße" erfolgreich wurde. Auch ihm hatte gefallen, wie Brentano anhand einer Familiengeschichte zeigte, was die politische und soziale Realität mit dem Einzelnen anstellte. Eine Zeitlang war das Buch nach der Ausstrahlung der achtteiligen Serie bei Insel und Suhrkamp zu haben, seit Mitte der achtziger Jahre aber ist es vergriffen. Fünfzig Jahre nach dem Tod des Autors und hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs bringt der Frankfurter Verlag Schöffling & Co. es nun abermals heraus, denn das Wiesbadener Literaturhaus widmet dem Roman in Brentanos langjährigem Wohnort von Mitte September an einen ganzen Monat lang zahlreiche Veranstaltungen.
Eröffnet wird das Festival am 19. September von 19 Uhr an in der Caligari-Filmbühne mit der ersten Folge von Geißendörfers Verfilmung und einem Gespräch mit dem Regisseur (der Rest der Serie folgt an weiteren Terminen). In den folgenden Wochen gibt es Lesungen, Diskussionen, Vorträge, Führungen und den Roman als Live-Hörspiel in der Wartburg (30. September). Zwischendurch widmet sich ein Kritikerquartett mit Ruth Fühner, Wilhelm von Sternburg, Julia Encke und Andreas Platthaus empfehlenswerten Romanen über den Ersten Weltkrieg (23. September). Auf dass nur noch über seine beste Darstellung gestritten werde.
Das Festival findet vom 19. September bis zum 21. Oktober in Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt statt. Das Programm gibt es im Internet unter www.wiesbaden.de/literaturhaus.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieses Buch gefiel Brecht, Mann und dem Erfinder der "Lindenstraße": Einen Monat lang liest Wiesbaden den Roman "Theodor Chindler" von Bernard von Brentano.
Von Florian Balke
Der Streit beginnt auf den ersten Seiten. Deutschland hat Russland den Krieg erklärt, im Haus des katholischen Reichstagsabgeordneten Theodor Chindler verabschieden die beiden ältesten Söhne sich ins Feld, da brechen zwischen den Familienmitgliedern alte Zwistigkeiten und frische Meinungsverschiedenheiten auf. Die kleinen Nickeligkeiten des Alltags an dem Tag, an dem eine Welt zerbricht, nehmen die weltanschaulichen Streitigkeiten vorweg, die auf den folgenden knapp fünfhundert Seiten von der Familie ausgefochten werden. Was von der Obersten Heeresleitung zu halten ist und wie man mit der revolutionär gesinnten Tochter umgeht - vier Kriegsjahre lang begleiten die privaten Meinungsverschiedenheiten den Streit der Völker. Beides zusammen, ja im einen das andere, beschreibt Bernard von Brentano in seinem 1936 erschienenen Debütroman "Theodor Chindler".
Veröffentlicht hat der in Offenbach geborene Autor ihn mit 35 Jahren. Da hatte der Nachkomme von Clemens Brentano und Bettina von Arnim seine Stelle als Feuilletonkorrespondent der "Frankfurter Zeitung" in Berlin gerade aufgeben müssen und war seiner politischen Überzeugungen wegen ins Schweizer Exil gegangen. Nun schrieb er sich nicht nur die Erinnerung an den Absturz der wilhelminischen Gesellschaft in den Krieg von der Seele, sondern auch die an das erst kurz zurückliegende Taumeln der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus. Mehr als siebzig erfundene und nicht erfundene Personen lässt Brentano durch die Kapitel seines Buchs geistern, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch in Deutschland erschien. 1951 kam es im Limes-Verlag in Wiesbaden heraus, in der Stadt, in der Brentano sich zwei Jahre zuvor angesiedelt hatte und in der er bis zu seinem Tod im Jahr 1964 lebte. Manche der von ihm beschriebenen Personen hatte seine Familie gekannt: Brentanos Bruder Heinrich war nicht nur Konrad Adenauers Außenminister, sein Onkel Georg von Hertling war während des Kaiserreichs auch dessen vorletzter Kanzler gewesen.
Ein Familienroman, in dem die Menschen von dem gezeichnet werden, was die von Menschen gemachte Wirklichkeit ihnen antut, ein Weltanschauungsroman. Gefallen hatte er nach seinem Erscheinen nicht nur Bertolt Brecht, der Walter Benjamin fragte, ob er ihn schon gelesen habe, sondern auch Thomas Mann, der 1936 im Tagebuch notierte: "Las in Brentanos Roman, der mir gut gefällt." Das lockte Jahrzehnte später einen Künstler der überaus wirkungsvollen Inszenierung des Privaten als Ort des Politischen auf den Plan.
Mehr als 4000 Komparsen standen Hans Wilhelm Geißendörfer zur Verfügung, als er "Theodor Chindler" 1979 für das Fernsehen verfilmte, ein paar Jahre bevor er mit der von ihm erfundenen "Lindenstraße" erfolgreich wurde. Auch ihm hatte gefallen, wie Brentano anhand einer Familiengeschichte zeigte, was die politische und soziale Realität mit dem Einzelnen anstellte. Eine Zeitlang war das Buch nach der Ausstrahlung der achtteiligen Serie bei Insel und Suhrkamp zu haben, seit Mitte der achtziger Jahre aber ist es vergriffen. Fünfzig Jahre nach dem Tod des Autors und hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs bringt der Frankfurter Verlag Schöffling & Co. es nun abermals heraus, denn das Wiesbadener Literaturhaus widmet dem Roman in Brentanos langjährigem Wohnort von Mitte September an einen ganzen Monat lang zahlreiche Veranstaltungen.
Eröffnet wird das Festival am 19. September von 19 Uhr an in der Caligari-Filmbühne mit der ersten Folge von Geißendörfers Verfilmung und einem Gespräch mit dem Regisseur (der Rest der Serie folgt an weiteren Terminen). In den folgenden Wochen gibt es Lesungen, Diskussionen, Vorträge, Führungen und den Roman als Live-Hörspiel in der Wartburg (30. September). Zwischendurch widmet sich ein Kritikerquartett mit Ruth Fühner, Wilhelm von Sternburg, Julia Encke und Andreas Platthaus empfehlenswerten Romanen über den Ersten Weltkrieg (23. September). Auf dass nur noch über seine beste Darstellung gestritten werde.
Das Festival findet vom 19. September bis zum 21. Oktober in Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt statt. Das Programm gibt es im Internet unter www.wiesbaden.de/literaturhaus.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Tilman Krause freut sich riesig über die Wiederauflage von Bernard Brentanos Roman, für ihn die einzige aus dem 20. Jahrhundert stammende herausragende Position zum Ersten Weltkrieg. Neben der Nähe zu Kästners "Fabian", seiner lakonischen Eleganz, besticht der Text laut Krause durch seine weder der Gewalt huldigende noch erklärungsselige Machart. Stattdessen zeigt ihm der Autor, eingebettet in eine Familiengeschichte, sachlich das Versagen der Eliten, den Untertanengeist und die Kälte der Militärs. Woher nimmt der Autor die Kenntnis? Laut Krause verfügt er über zeitgeschichtliches Herrschaftswissen und findet Vorbilder für seine Figuren in der eigenen Familie. Damit überflügelt er die Geschichtsschreibung seiner Zeit, meint Krause respektvoll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Dieser Roman ist eines der großen Bücher über den großen Krieg und das Ende des Kaiserreichs.«Süddeutsche Zeitung»Ein Familienroman, in dem die Menschen von dem gezeichnet werden, was die von Menschen gemachte Wirklichkeit ihnen antut, ein Weltanschauungsroman.«Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung