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Liberal, gebildet, charakterstark - Theodor Heuss, der Ausnahmepolitiker
Als Theodor Heuss am 12. September 1949 zum ersten Bundespräsidenten gewählt wurde, war das Amt nicht viel mehr als ein "Paragraphengespinst". Er füllte es mit seiner Person und seinen politischen Erfahrungen und setzte Maßstäbe, die bis heute gelten. Heuss wurde zu einem "Erzieher zur Demokratie" und verschaffte der jungen Bundesrepublik Ansehen im Ausland. Als "Papa Heuss" wurde er populär und genoss die Sympathie der Bevölkerung. Peter Merseburger, Verfasser mehrerer großer und viel gelobter Biographien, zeichnet…mehr

Produktbeschreibung
Liberal, gebildet, charakterstark - Theodor Heuss, der Ausnahmepolitiker

Als Theodor Heuss am 12. September 1949 zum ersten Bundespräsidenten gewählt wurde, war das Amt nicht viel mehr als ein "Paragraphengespinst". Er füllte es mit seiner Person und seinen politischen Erfahrungen und setzte Maßstäbe, die bis heute gelten. Heuss wurde zu einem "Erzieher zur Demokratie" und verschaffte der jungen Bundesrepublik Ansehen im Ausland. Als "Papa Heuss" wurde er populär und genoss die Sympathie der Bevölkerung.
Peter Merseburger, Verfasser mehrerer großer und viel gelobter Biographien, zeichnet das Leben dieses Politikers nach, der seine Wurzeln im Kaiserreich hatte und die Brücke zur Bundesrepublik schlug. Heuss war Journalist, Schriftsteller, Intellektueller, ein klassischer Bildungsbürger. Seine Lebensgeschichte ist zugleich eine Politik-, Kultur- und Zeitgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert.
Autorenporträt
Peter Merseburger, geboren 1928, war von 1960 bis 1965 Redakteur und Korrespondent beim SPIEGEL und ab 1969 TV-Chefredakteur des NDR. Als Korrespondent leitete er in den siebziger und achtziger Jahren die ARD-Studios in Washington, London und Ostberlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, seine Biographie Willy Brandts wurde 2003 mit dem Deutschen Bücherpreis ausgezeichnet. Heute lebt Merseburger in Berlin und arbeitet als freier Publizist.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Gegen Pomp
und Pathos
Peter Merseburger zeigt, warum Theodor
Heuss ein perfekter Bundespräsident war
VON ERHARD EPPLER
Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, hat in seinen 79 Lebensjahren unendlich viel geschrieben, als junger Redakteur von Friedrich Naumanns Hausorgan Die Hilfe, als Chefredakteur der Heilbronner Neckarzeitung, später in der Frankfurter Zeitung und schließlich – unter Pseudonym – sogar in der pompös aufgemachten Wochenzeitung Das Reich, mit der Goebbels im Krieg beweisen wollte, dass es im NS-Deutschland mehr gab als eintönige Propaganda. Geblieben sind Heussens Biografien über Justus Liebig, Hans Poelzig, Robert Bosch, vor allem aber die über seinen Lehrer und Mentor Friedrich Naumann.
  Nun hat Peter Merseburger, auch er ein erfahrener Biograf, das Leben des Theodor Heuss nachgezeichnet, auf 600 Seiten sorgsam recherchiert, schnörkellos erzählt, vorsichtig in der Wertung. Die Biografie über Heuss kann sich mit den Biografien von Heuss messen.
  Merseburger spielt nicht den Weltenrichter. Das ist auch angemessen beim Lebenslauf eines Mannes, der 1933 bis 1945 nicht in die äußere, sondern in die innere Emigration ging, der sich aber nicht wie Konrad Adenauer hinter Klostermauern zurückzog und nichts mehr von sich hören ließ, sondern publizistisch bis zum Ende tätig blieb, der also zwölf Jahre lang jeden Satz daraufhin zu prüfen hatte, was er sich erlauben konnte und was er an Zugeständnissen machen durfte, ohne sich selbst aufzugeben. Wer, wie der Rezensent, alt genug ist zu wissen, wie unangepasste Intellektuelle sich in solchen Konflikten gequält haben, wird hier – wie Merseburger – nicht kleinlich sein. Er wird allenfalls daran erinnern, dass man manchmal auch beredt und straflos schweigen konnte.
  Theodor Heuss, geboren 1884 in Brackenheim im Zabergäu, also in der schwäbischen Provinz, geriet früh in die Politik als der junge Mann Friedrich Naumanns. Schon 1905, mit 21 Jahren, hatte er Naumanns Monatsschrift Die Hilfe zu redigieren, erst die Kulturseiten, dann auch die Politik. Heuss kam zur Hilfe zwei Jahre nachdem Naumann seinen 1896 gegründeten „Nationalsozialen Verein“ aufgelöst und in die linksliberale „Freisinnige Vereinigung“ eingebracht hatte, die 1910 in der „Fortschrittlichen Volkspartei“ aufging.
  Heuss wurde, wie Merseburger schildert, schon als junger Mann, was er bis zu seinem Tod 1963 blieb: ein liberaler Demokrat, der – wie die meisten schwäbischen Liberalen, wie Konrad Haußmann oder Reinhold Maier – für soziale Forderungen deutlich mehr Verständnis hatte als die Liberalen weiter nördlich. Er wurde und blieb auch, wie Naumann, zwar kein Chauvinist, aber doch ein demokratischer Nationalist, sogar ein „großdeutscher“, also einer, der sich, wie viele in der Paulskirche 1848, Deutschland ohne Österreich nicht vorstellen konnte und daher den „Anschluss“ 1938 begrüßte. Im Übrigen hat Heuss, wie die meisten Deutschen, Hitlers Außenpolitik so lange gebilligt, wie es diesem gelang, das zu liquidieren, was auch Sozialdemokraten als „die Schande von Versailles“ empfanden.
  Manchmal wundert sich Peter Merseburger, zusammen mit Heuss, wie lange die Nazis diesen Demokraten gewähren ließen. Schließlich hatte Heuss schon 1931 eine Broschüre mit dem Titel „Hitlers Weg“ veröffentlicht, die zwar weit davon entfernt war, das Wahnhafte und die kriminelle Energie in diesem Mann zu beschreiben, die aber doch klarmachte, dass Hitlers Weg für Deutschland übel war. Und dann hatte der Abgeordnete Heuss am 11. 5. 1932 im Reichstag mit den Nazis abgerechnet. Warum ließ man ihn weiterschreiben?
  Ein Grund mag gewesen sein, dass die Liberalen von der Gestapo und der SS längst nicht so ernst genommen wurden wie die Sozialdemokraten oder das katholische Zentrum. Dazu kam offenbar, dass der gesellige Heuss immer umgeben war von einem Netz aus Freunden und Weggefährten, unter denen es viele Juden gab, aber eben auch ein oder zwei Leute, die inzwischen wichtige Posten im NS-Apparat innehatten und diskret die Hand über ihn hielten. Ein Glück für Heuss, keine Schande.
  Es sei ein „durchaus widerständiges Milieu“ gewesen, lesen wir, in dem Heuss sich bewegte. Er ist befreundet mit Klaus Bonhoeffer, er besucht Julius Leber in seiner Kohlenhandlung in Berlin-Schöneberg. Aber offenbar hat niemand ihn je aufgefordert, Widerständler zu werden. Die zu allem entschlossen waren, schätzten ihn, aber sie spürten wohl auch, dass dieser hochgebildete, klarsichtige liberale Ästhet zum aktiven Widerstand weit jenseits der geltenden Gesetze nicht geboren war.
  Schon im Vorwort kommt Merseburger auf die Zustimmung der fünf linksliberalen Reichstagsabgeordneten zu Hitlers Ermächtigungsgesetz 1933 zu sprechen. Hätte die heutige Generation zu entscheiden, so meint er, „Theodor Heuss wäre nie Staatsoberhaupt der jungen Republik geworden“. Aber Merseburger verurteilt den Abgeordneten nicht, der zwar innerhalb seiner Gruppe für die Ablehnung war, sich dann aber der Mehrheit beugte. Wo aber auch Merseburgers Verständnis für die „Jasager“ aufhört, ist deren Haltung nach dem Krieg. Vor einem Untersuchungsausschuss 1947 beharrten Reinhold Maier und Theodor Heuss auf der Meinung, ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz sei „völlig bedeutungs- und folgenlos“ gewesen. Was gekommen sei, wäre mit und ohne dieses Gesetz gekommen.
  Die Geschichtswissenschaft aber ist sich längst darüber einig, wie wichtig es für große Teile des Bürgertums war, dass Hitler seine Diktatur legal, also mit Zustimmung von zwei Dritteln eines frei gewählten Parlaments errichten konnte. Ein erstaunliches Maß an bornierter Dickfälligkeit, das heute jeden Politiker ins Abseits stoßen müsste, wurde damals noch von einer Mehrheit der Beobachter hingenommen. Wollte jemand genau herausbringen, wo bei Heuss die publizistische Tätigkeit aufhört und die aktiv politische anfängt, er täte sich schwer. Schon als er in Heilbronn die Neckarzeitung redigiert, denkt er über ein Mandat im Landtag oder Reichstag nach, auch darüber, was die Zeitung dazu beitragen könnte. Ehe er, 65-jährig, Bundespräsident wurde, hat er der publizistischen Arbeit deutlich mehr Zeit und Kraft gewidmet als der unmittelbar politischen.
  Zwischen beidem gibt es eine Spannung, die auch der Rezensent kennt. Die Zeitung von gestern mag niemanden mehr interessieren, die Entscheidung von gestern sehr wohl. Eine missglückte Formulierung hat die Öffentlichkeit rasch vergessen, eine missglückte politische Entscheidung nicht. So wie es einem Journalisten nicht guttut, wenn er sein Blatt zum parteipolitischen Instrument machen will – es kommt ihm die Unbefangenheit des Urteils abhanden –, so könnte dem in der Wolle gefärbten Publizisten, wenn er politische Entscheidungen zu treffen hat, manchmal der letzte Ernst fehlen.
  Wenn es ein Amt gibt, das diese Spannung kaum kennt, dann ist es das des Bundespräsidenten. Er hat wenig zu entscheiden, sein wichtigstes Werkzeug ist das Wort. Hätte der Untersuchungsausschuss 1947 so entschieden, wie heute jeder Ausschuss entscheiden würde, dann wäre das ebenso korrekt wie jammerschade gewesen. Denn Theodor Heuss wurde genau der Präsident, der in den Fünfzigerjahren gebraucht wurde. Allem Pomp und Pathos abhold, hat er die junge Republik repräsentiert, geistreich und doch volksnah, selbstironisch und doch seriös. Er hat den Humor in der deutschen Politik salonfähig gemacht. Und vor allem: Er hat den Westdeutschen, was ihre Vergangenheit angeht, mit dem Wort von der Kollektivscham nicht mehr, aber auch nicht weniger zugemutet, als sie damals verstehen und ertragen konnten.
  Seine Art zu reden, zu lachen, zu loben und zu tadeln, zu schmeicheln und zu spotten war das perfekte Kontrastprogramm zu dem, was die Deutschen zwölf Jahre lang gefeiert oder doch ertragen hatten. Sogar seine ästhetischen Neigungen, die zeitlebens mit den politischen konkurrierten, kamen dem Amt zugute. Theodor Heuss hat der zweiten deutschen Demokratie, die noch kein Gesicht hatte, ein sehr menschliches Gesicht gegeben. Nicht, weil er fehlerfrei, sondern weil er einfach Theodor Heuss war.
Peter Merseburger: Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident. Biografie. DVA, München 2012. 671 Seiten, 29,99 Euro.
Der Großvater des SPD-Politikers Erhard Eppler war Pfarrer am Ulmer Münster und wie Heuss ein Anhänger Naumanns, weshalb er mit Heuss auch privat oft zu tun hatte. Eppler erinnert sich: Seine Großmutter habe ihm gesagt, Heussens Frau Elly, die Mitbegründerin des Müttergenesungswerks, sei „viel bedeutender als der Theodor“.
Heuss stimmte 1933 für das
„Ermächtigungsgesetz“ – er
fand das 1947 bedeutungslos
Als Staatsoberhaupt hat Heuss
Humor in der deutschen Politik
salonfähig gemacht
Theodor Heuss war der beste Bundespräsident, den die junge Republik sich wünschen konnte: Er war geistreich und volksnah. Sein Wort von der „Kollektivscham“ war den Bundesdeutschen erträglich.
FOTO: ALAMY/MAURITIUS IMAGES
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nur Gutes lässt der hier rezensierende Erhard Eppler über Peter Merseburgers Biografie des Bundespräsidenten Theodor Heuss verlauten, die er sorgfältig recherchiert und behutsam in der Wertung findet. Dabei kann man Epplers Ausführung über Heuss' Leben und Wirken als Politiker und Journalist nicht immer entnehmen, ob sie sich aus Merseburgs Biografie speisen oder aus seinen eigenen Erinnerungen. Jedenfalls lässt der heutige SPD-Linke Eppler auf Heuss kaum etwas kommen, egal ob dieser Hitlers Außenpolitik billigte, gute Kontakte zu Nazis hielt oder für Goebbels' Wochenzeitung "Das Reich" schrieb. Innere Emigration nennt Eppler diese Anpassung voller Verständnis. Nur die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz nimmt er ihm übel. Aber offenbar wie auch Biograf Merseburger findet er dies wettgemacht durch Heuss' "geistreiches und volksnahes" Wirken als Bundespräsident, dem die deutsche Politik angeblich auch ihren Humor verdanke.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2013

Feldzüge gegen das Vergessen
Peter Merseburger hat ein abgewogenes Lebensbild über den Bundespräsidenten Theodor Heuss verfasst

Die historische Forschung hat die Bundespräsidenten bisher stiefmütterlich behandelt, grundlegende Biographien bilden die Ausnahme. Der Journalist Peter Merseburger, aus dessen Feder eine bedeutende Biographie Willy Brandts stammt, hat nun ein umfangreiches Werk vorgelegt. Wird damit das Desiderat einer grundlegenden Heuss-Biographie beseitigt? Bietet das Buch ein neues Heuss-Bild, eine Auswertung des reichen OEuvre und des umfangreichen Nachlasses? Merseburger teilt sein Buch in zehn chronologische Kapitel ein und schildert Heuss' Lebensweg von seiner schwäbischen Kindheit bis zu seinem Tod 1963, wobei er jeweils thematische Akzente setzt, die das Persönliche mit dem Sachlichen geschickt verbinden. So werden für die frühen Bildungserlebnisse und politischen Prägungen der Einfluss des Vaters, eines Bauingenieurs und Stadtbaurats, sowie die "Legenden der 1848er Revolution" in den Mittelpunkt gestellt - zu Recht, liefern die Ziele von 1848/49 Heuss doch die Maßstäbe, dazu gehören nicht allein die verfassungspolitischen Maximen, sondern zeitweilig auch der großdeutsche Patriotismus.

Heuss' Leben bis zum Ersten Weltkrieg beschreibt Merseburger weitgehend anhand der Jugenderinnerungen "Vorspiele des Lebens" sowie schon früher veröffentlichter Briefwechsel. So werden die Bildungswelt des Studenten in München (und Berlin) unter dem Einfluss seines Doktorvaters, des Kathedersozialisten Lujo Brentano, aber auch die Münchner Boheme und die ersten Schritte als Redakteur des politisch engagierten jungen Liberalen anschaulich. Bald gerät Heuss in den Bann des zeitlebens verehrten sozialen Nationalliberalen Friedrich Naumann und seiner Mitteleuropa-Ideen, aus denen sich zum Teil die ambivalenten, zwischen nationalem Bekenntnis und Nüchternheit schwankenden Urteile im Weltkrieg erklären. In den Weimarer Jahren verbindet Heuss die journalistische mit der politischen Aktivität für die linksliberale DDP, bei der Heuss gleichwohl stets einen patriotisch-nationalen Kurs beibehält. Er erwirbt sich schnell Meriten als ebenso fleißiger wie umsichtiger Wahlkampforganisator. Interessant wäre es gewesen, für die Kriegs- und Nachkriegszeit die Auffassungen von Heuss und Gustav Stresemann zu vergleichen, zumal sie zumindest ab 1917 kaum so unterschiedlich waren wie oft behauptet. Zurecht konstatiert Merseburger, dass die persönliche Abneigung das sonst so nüchterne Urteil von Heuss trübte, aber eine genauere Analyse fehlt.

Merseburger konzentriert sich auf die stets vierfache Dimension der öffentlichen Existenz von Heuss als Journalist, Politiker, Lehrer der Demokratie an der Deutschen Hochschule für Politik und sein kulturpolitisches Engagement für den Werkbund. Eindrucksvoll ist die Hartnäckigkeit, mit der Heuss trotz einiger Misserfolge ein Reichstagsmandat anstrebte. Merseburger beschreibt klar die patriotischen, sozialen und liberalen Komponenten des überzeugten Anhängers der repräsentativen parlamentarischen Demokratie, der mit guten Gründen plebiszitäre Elemente als "Prämie für jeden Demagogen" ablehnte. Eingehender behandelt wird Heuss' berühmte Abrechnung mit Hitler in mutigen Reden (so vom 11. Mai 1932) und seinem politischen Essay "Hitlers Weg" (1932), aber auch die Grenzen dieser Kritik. Heuss selbst hat sie später benannt: "Unsere an sich so wohlbürgerliche Erziehung hat uns nicht befähigt, mit der Phantasie soviel sinnlose und dumme Brutalität geschichtlich für möglich zu halten."

Natürlich fehlt Heuss' Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 nicht, die mit vielerlei Skrupeln erfolgte, und von der er selbst sagte, er würde diese falsche Entscheidung aus seiner Lebensgeschichte nie wieder auslöschen können. In diesem Kontext stellt der Autor differenziert und abgewogen Heuss' Existenz in der "inneren Emigration" während der NS-Diktatur dar. Er war und blieb ein grundsätzlicher Gegner des Regimes, hielt weiterhin Kontakt zu zahlreichen jüdischen Freunden sowie zu Angehörigen des Widerstands, ohne selbst ein aktiver Widerständler zu sein. Kleinere Konzessionen an das Regime waren unvermeidlich, um überleben zu können, womit er jedoch das gegen ihn verhängte Schreibverbot nicht verhindern konnte.

Die ersten Nachkriegsjahre als Journalist, württembergischer Kultusminister, Honorarprofessor an der TH Stuttgart, Vorsitzender der (später so genannten) FDP in den Westzonen und Mitglied des Parlamentarischen Rates mit seinen verfassungstheoretischen Reflexionen und seiner persönlichen Nähe zu Carlo Schmid (SPD) bilden einen weiteren Schwerpunkt, bevor die Zeit als Bundespräsident dargestellt wird. Dieses neue Amt, für dessen vergleichsweise machtlose Konstruktion Heuss aufgrund der Weimarer Erfahrung selbst mit gesorgt hatte, sah er als "Paragraphengespinst", das mit einem "Menschentum" erfüllt werden musste. Merseburger legt zu Recht den Akzent auf den Stil des Bundespräsidenten Heuss, der in gewisser Weise auch seine Nachfolger band, er zeigt den Redner Heuss als politischen Erzieher, die vertrauensvolle Übereinstimmung mit der Politik Adenauers und kurzzeitige kleinere Differenzen. Vor allem legt er Heuss' "Feldzüge gegen das Vergessen" dar: Immer wieder hat er die Deutschen an ihre "Pflicht des Erinnerns" gemahnt und sich intensiv mit der NS-Diktatur, ihren grauenhaften Verbrechen und dem Antisemitismus auseinandergesetzt. Er forderte eine "Reinigung des deutschen Geschichtsbildes" als Voraussetzung moralischer Erneuerung. Trotz einiger Widersprüchlichkeiten liefert Merseburger einmal mehr Belege dafür, wie in der frühen Bundesrepublik die NS-Vergangenheit thematisiert wurde.

All dies wird flüssig erzählt. Zur Anschaulichkeit trägt bei, dass private Lebensbereiche nicht ausgespart werden, darunter die "moderne" Ehe mit Elly Heuss-Knapp, in der eigenständige Persönlichkeiten mit eigenem beruflichen Engagement harmonierten. Eine große Rolle spielen die zahlreichen Bildungsreisen (später die Staatsbesuche) sowie langjährige Freundschaften und Netzwerke. Insgesamt handelt es sich um ein gelungenes Lebensbild von Heuss. Wie stark der moralische und politische Wiederaufbau des demokratischen Rechtsstaats in Deutschland auf die alten und altmodischen, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Persönlichkeiten wie Adenauer und Heuss und ihre Wertorientierung angewiesen war, wird einleuchtend begründet.

Wo liegen die Grenzen des Buches? Jede Heuss-Biographie stellt ein Quellenproblem dar: Das schriftstellerische Werk ist außerordentlich vielgestaltig. Die Bibliographie von Heuss zählt über 1800 Titel zu unterschiedlichsten Themen. Der Biograph (über Friedrich Naumann, den Unternehmer Robert Bosch, den Naturforscher Anton Dohrn und den Architekten Hans Poelzig) und politische Schriftsteller Heuss bleibt blass, deutlicher wird statt dessen der Politiker und der eigenwillig formulierende "Mann des lebendigen Gedankens" (Martin Buber). Merseburger zitiert viele Briefe aus der stark auswählenden Stuttgarter Briefausgabe, doch fast nicht aus dem immensen Briefwechsel im Nachlass. Die Literatur über Heuss wird zum größeren Teil angeführt, doch gibt es Lücken. Diese sind problematischer in Bezug auf die Geschichte der Weimarer Republik. Hier vermisst man Wichtiges, so dass es zu Fehlurteilen kommt: So wird etwa die Legende wiederholt, Stresemann habe eine zwielichtige Rolle beim Kapp-Putsch 1920 gespielt, was zwar aus den publizierten Quellen längst widerlegt ist, doch für Heuss' Abneigung eine Rolle spielte.

Merseburger hat ein abgewogenes und gut lesbares Lebensbild über Heuss geliefert, das viele Lebensphasen eingehender - wenn auch nicht grundsätzlich anders - darstellt als die bisherige Literatur. Ein verdienstvoller Schritt zur Schließung der Lücke in der Heuss-Biographik ist damit getan.

HORST MÖLLER

Peter Merseburger: Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident. Biographie. DVA, München 2012. 672 S., 29,99 [Euro].

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"Dem Liberalen [Theodor Heuss] hat die Biografie Peter Merseburgers [...] ein angemessenes Denkmal gesetzt." Augsburger Allgemeine, 14.07.2014