Leben und Wirken des Journalisten, Schriftstellers und Politikers Theodor Wolff (1888-1943) stehen bis heute in engem Zusammenhang mit der entschiedenen Abwehr antisemitischer Tendenzen und der weltbürgerlichen Verteidigung von Demokratie und liberaler Gesinnung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2000Die Unruhe eines politischen Moralisten
Ein Dokument über die Möglichkeiten einer modernen Publizistik: Bernd Sösemanns neue Theodor-Wolff-Biographie
Der Journalist Theodor Wolff (1868 bis 1943) gehört zu den Repräsentanten der Weimarer Republik, die aus unserem Bewußtsein weitgehend verschwunden sind, deren Ideen aber untergründig weiterwirken. Sie sind Stichwortgeber, an die man sich in prekären Fragen halten kann. Das gilt besonders für seine Auseinandersetzung mit der Aufgabe des modernen Journalisten und dem Verhältnis zum Judentum, das Theodor Wolff kritisch reflektierte. War er jüdischer Deutscher oder deutscher Jude? Brauchte er, der zeitlebens ein Mann des Ausgleichs, ein Journalist der scharfen Ironie, aber nie des Zynismus und der Verspottung war, überhaupt jene Positionierung?
Theodor Wolff machte schon als junger Mann Karierre im Zeitungsimperium seines Cousins Rudolf Mosse. Als Chefredakteur des "Berliner Tageblatts" gehörte er mit seinen Leitartikeln zu den einflußreichsten Kritikern von religiösem Fanatismus, militärischem Größenwahn und antidemokratischen Hetzreden. Wolff glaubte bis in die Zeit seines südfranzösischen Exils, daß sich noch einmal auf den Trümmern der "Symbiose des Judentums und Deutschtums" aufbauen ließe. Dieser zähe, quälende Glaube an die Kraft einer Kultur, die Wolff vor seinen Augen untergehen sah, einer Kultur, deren Zerstörer ihn am Ende als todkranken Mann nach Deutschland zurückbrachten und dort sterben ließen. Die eigenen Augen mochten dies buchstäblich nicht mehr mitansehen: Die Netzhaut begann sich in den letzten Lebenstagen langsam abzulösen.
Die Lebensgeschichte Theodor Wolffs ist nun in einer Biographie des Berliner Publizistik-Professors Bernd Sösemann dargestellt (Theodor Wolff - Ein Leben mit der Zeitung, Econ-Verlag), ein ausführliches, stellenweise leider etwas trocken geratenes Buch, das einen großen Vorzug besitzt: es erzählt weniger eine Historie der Lebensdaten Wolffs denn eine Ideengeschichte. Sösemann hat erkannt, daß biographisch gesehen das Leben des Schriftstellers nicht viel hergibt. Er wendet seinen Blick statt dessen auf die symbiotische Beziehung zwischen Profession und Person. Diese Geschichte ist eine Geschichte der publizistischen Vorhersehungen: So, wenn Wolff 1914 in Leitartikeln vor dem "Sprung ins Dunkle", also vor dem Ersten Weltkrieg warnt, wenn er später vom "absurden Schwindel" der wilhelminischen Propaganda sprach, das ganze Volk wäre kriegsbegeistert, und noch später, als die bejubelte Schlacht verloren war, sich nun "antiparlamentarische Äußerungen" von rechter Seite verbat.
Doch ist dies auch eine Geschichte des eigenen Engagements: Nach dem Krieg gründete Wolff als einer der Hauptinitiatoren die "Deutsche Demokratische Partei" (DDP), die bei den Wahlen zur Nationalversammlung drittstärkste Kraft wurde. Mochte auch kurz darauf der rechtskonservative Flügel der Partei die Oberhand gewinnen, Wolff blieb seiner Politik und dem "Berliner Tageblatt" treu. Seine Aufzeichnunge, mit denen Wolff über sein Selbstverständnis als Chefredakteur niederschrieb, belegen dies: "Ich glaube, daß eine Zeitung nicht gut ist, wenn die in ihr wirkenden Geister in einem Nivellierungsverfahren gleichmäßig abgeplattet und einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Auch jene Pädagogik, die alles auf einen Stil bringen möchte, erscheint mir falsch, jedes Sprachtalent kann seinen Platz finden, und meine Abneigung beginnt erst, wenn qualvolle Sprachmanier nur Gedankendürre überrankt." Bernd Sösemann läßt, bei aller wissenschaftlich gebotenen Vorsicht, keine Gelegenheit aus, dem Leser Wolff anzuempfehlen als "einen politisch unabhängigen und europäisch denkenden Kopf".
In der Tat, man liest diese Biographie nicht als Portrait einer historischen Figur, sondern wie ein Dokument, das Auskunft gibt über die Möglichkeiten einer modernen Publizistik, über ihr politisches und kulturelles Potential, freilich auch über die Gefährdungen eines Schreibens, bei dem sich Literatur und Journalismus vermischen.
Die letzten Kapitel markieren dann jenen schmerzlichen Riß, den der Nationalsozialismus der deutschen Geschichte zugefügt hat. Wolff, der sich Anfang der dreißiger Jahre für die Politik Brünings starkgemacht hatte, mußte schließlich erkennen, was die Stunde geschlagen hatte. Bereits in einem Leitartikel vom 22. Januar 1931 ahnte er, daß sich mit den Nationalsozialisten in der Politik "der Mordgedanke festgesetzt" habe. Er hatte ins Antlitz seiner Mörder gesehen. 1933 emigrierte er in die Schweiz, später flüchtete er mit seiner Familie nach Nizza, in den unbesetzten Teil Frankreichs, immer noch jeden Morgen am Schreibtisch sitzend, auf einem Auge fast blind, arbeitend, "um das seelische Gleichgewicht" nicht zu verlieren. Er schrieb den Roman "Die Schwimmerin" und beschäftigte sich mit dem ersten Band einer geplanten Trilogie "Die Juden". Mit dem "Instinkt der Ameise, die noch unter dem Fuß des Schicksals zu ihrem gewohnten Weg zurückfinden will", ruft Theodor Wolff darin zum letzten Mal jene "Symbiose zwischen Judentum und Deutschtum" wach, für die er bis heute vor allem von jüdischer Seite viel Kritik erntet. Er wollte das Unwiderrufliche nicht wahrhaben: daß hier, vielleicht für immer, eine der fruchtbarsten Kulturbindungen entzweit worden war.
Verhaftet von zwei "eleganten, italienischen Zivilbeamten", wie sich Augenzeugen erinnern, wurde Theodor Wolff 1943 von Nizza nach Berlin deportiert, wo er am 23. September im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße an "Herz- und toxischer Kreislaufschwäche" starb, wie es im Arztbericht heißt.
Sösemanns Biographie ist eine längst fällige Erinnerung an die Unruhe dieses Journalisten, an seine Kategorien für Politik und Moral. "Das deutsche Problem", schreibt Wolff er in den "Juden", "das ich meine, ist das Moralproblem, und dieses läßt sich nicht umgehen. Und wenn man einen weiten Umweg, unzählige Meilen weit, darum herumkreisen wollte, man wäre doch sofort wieder mitten darin."
GERNOT WOLFRAM
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Ein Dokument über die Möglichkeiten einer modernen Publizistik: Bernd Sösemanns neue Theodor-Wolff-Biographie
Der Journalist Theodor Wolff (1868 bis 1943) gehört zu den Repräsentanten der Weimarer Republik, die aus unserem Bewußtsein weitgehend verschwunden sind, deren Ideen aber untergründig weiterwirken. Sie sind Stichwortgeber, an die man sich in prekären Fragen halten kann. Das gilt besonders für seine Auseinandersetzung mit der Aufgabe des modernen Journalisten und dem Verhältnis zum Judentum, das Theodor Wolff kritisch reflektierte. War er jüdischer Deutscher oder deutscher Jude? Brauchte er, der zeitlebens ein Mann des Ausgleichs, ein Journalist der scharfen Ironie, aber nie des Zynismus und der Verspottung war, überhaupt jene Positionierung?
Theodor Wolff machte schon als junger Mann Karierre im Zeitungsimperium seines Cousins Rudolf Mosse. Als Chefredakteur des "Berliner Tageblatts" gehörte er mit seinen Leitartikeln zu den einflußreichsten Kritikern von religiösem Fanatismus, militärischem Größenwahn und antidemokratischen Hetzreden. Wolff glaubte bis in die Zeit seines südfranzösischen Exils, daß sich noch einmal auf den Trümmern der "Symbiose des Judentums und Deutschtums" aufbauen ließe. Dieser zähe, quälende Glaube an die Kraft einer Kultur, die Wolff vor seinen Augen untergehen sah, einer Kultur, deren Zerstörer ihn am Ende als todkranken Mann nach Deutschland zurückbrachten und dort sterben ließen. Die eigenen Augen mochten dies buchstäblich nicht mehr mitansehen: Die Netzhaut begann sich in den letzten Lebenstagen langsam abzulösen.
Die Lebensgeschichte Theodor Wolffs ist nun in einer Biographie des Berliner Publizistik-Professors Bernd Sösemann dargestellt (Theodor Wolff - Ein Leben mit der Zeitung, Econ-Verlag), ein ausführliches, stellenweise leider etwas trocken geratenes Buch, das einen großen Vorzug besitzt: es erzählt weniger eine Historie der Lebensdaten Wolffs denn eine Ideengeschichte. Sösemann hat erkannt, daß biographisch gesehen das Leben des Schriftstellers nicht viel hergibt. Er wendet seinen Blick statt dessen auf die symbiotische Beziehung zwischen Profession und Person. Diese Geschichte ist eine Geschichte der publizistischen Vorhersehungen: So, wenn Wolff 1914 in Leitartikeln vor dem "Sprung ins Dunkle", also vor dem Ersten Weltkrieg warnt, wenn er später vom "absurden Schwindel" der wilhelminischen Propaganda sprach, das ganze Volk wäre kriegsbegeistert, und noch später, als die bejubelte Schlacht verloren war, sich nun "antiparlamentarische Äußerungen" von rechter Seite verbat.
Doch ist dies auch eine Geschichte des eigenen Engagements: Nach dem Krieg gründete Wolff als einer der Hauptinitiatoren die "Deutsche Demokratische Partei" (DDP), die bei den Wahlen zur Nationalversammlung drittstärkste Kraft wurde. Mochte auch kurz darauf der rechtskonservative Flügel der Partei die Oberhand gewinnen, Wolff blieb seiner Politik und dem "Berliner Tageblatt" treu. Seine Aufzeichnunge, mit denen Wolff über sein Selbstverständnis als Chefredakteur niederschrieb, belegen dies: "Ich glaube, daß eine Zeitung nicht gut ist, wenn die in ihr wirkenden Geister in einem Nivellierungsverfahren gleichmäßig abgeplattet und einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Auch jene Pädagogik, die alles auf einen Stil bringen möchte, erscheint mir falsch, jedes Sprachtalent kann seinen Platz finden, und meine Abneigung beginnt erst, wenn qualvolle Sprachmanier nur Gedankendürre überrankt." Bernd Sösemann läßt, bei aller wissenschaftlich gebotenen Vorsicht, keine Gelegenheit aus, dem Leser Wolff anzuempfehlen als "einen politisch unabhängigen und europäisch denkenden Kopf".
In der Tat, man liest diese Biographie nicht als Portrait einer historischen Figur, sondern wie ein Dokument, das Auskunft gibt über die Möglichkeiten einer modernen Publizistik, über ihr politisches und kulturelles Potential, freilich auch über die Gefährdungen eines Schreibens, bei dem sich Literatur und Journalismus vermischen.
Die letzten Kapitel markieren dann jenen schmerzlichen Riß, den der Nationalsozialismus der deutschen Geschichte zugefügt hat. Wolff, der sich Anfang der dreißiger Jahre für die Politik Brünings starkgemacht hatte, mußte schließlich erkennen, was die Stunde geschlagen hatte. Bereits in einem Leitartikel vom 22. Januar 1931 ahnte er, daß sich mit den Nationalsozialisten in der Politik "der Mordgedanke festgesetzt" habe. Er hatte ins Antlitz seiner Mörder gesehen. 1933 emigrierte er in die Schweiz, später flüchtete er mit seiner Familie nach Nizza, in den unbesetzten Teil Frankreichs, immer noch jeden Morgen am Schreibtisch sitzend, auf einem Auge fast blind, arbeitend, "um das seelische Gleichgewicht" nicht zu verlieren. Er schrieb den Roman "Die Schwimmerin" und beschäftigte sich mit dem ersten Band einer geplanten Trilogie "Die Juden". Mit dem "Instinkt der Ameise, die noch unter dem Fuß des Schicksals zu ihrem gewohnten Weg zurückfinden will", ruft Theodor Wolff darin zum letzten Mal jene "Symbiose zwischen Judentum und Deutschtum" wach, für die er bis heute vor allem von jüdischer Seite viel Kritik erntet. Er wollte das Unwiderrufliche nicht wahrhaben: daß hier, vielleicht für immer, eine der fruchtbarsten Kulturbindungen entzweit worden war.
Verhaftet von zwei "eleganten, italienischen Zivilbeamten", wie sich Augenzeugen erinnern, wurde Theodor Wolff 1943 von Nizza nach Berlin deportiert, wo er am 23. September im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße an "Herz- und toxischer Kreislaufschwäche" starb, wie es im Arztbericht heißt.
Sösemanns Biographie ist eine längst fällige Erinnerung an die Unruhe dieses Journalisten, an seine Kategorien für Politik und Moral. "Das deutsche Problem", schreibt Wolff er in den "Juden", "das ich meine, ist das Moralproblem, und dieses läßt sich nicht umgehen. Und wenn man einen weiten Umweg, unzählige Meilen weit, darum herumkreisen wollte, man wäre doch sofort wieder mitten darin."
GERNOT WOLFRAM
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