Die älteste Quelle der griechischen Literatur - in der grandiosen Neuübersetzung von Raoul SchrottHesiod erzählt in seiner 'Theogonie', in der uns Prometheus ebenso begegnet wie Zeus bei seiner Machtergreifung am Olymp, von der Entstehung der Welt und den Kämpfen und Liebschaften der Götter. Raoul Schrotts Übertragung klingt überraschend modern und ist erfrischend zugänglich. Ein fundierter, umfangreicher Essay schließt den Band ab.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Burkhard Müller entdeckt zwei Ärgernisse in Raoul Schrotts Hesiod-Interpretation: Der Autor mag seinen antiken Kollegen nicht und verkennt dessen literarische Eigenart. Und seine Neuübertragung missachtet den Abstand in Zeit, Denken und Dichtung zwischen Jetzt und Hesiods Zeit, wenn er sich der eigenen Gegenwart anbiedert, meint Müller. Das mythische Denken auf seinem Höhepunkt, laut Müller in Hesiods Hexametern in all seiner Frische zu entdecken - bei Schrott gerät es zur Nebensache. Schrotts stattdessen im Vordergrund stehender Versuch, den orientalischen Ursprung von Hesiods göttlichem Personal nachzuweisen, scheint dem Rezensenten allerdings recht scharfsinnig, präzis und insgesamt überzeugend.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2014Krakeel unter Olympiern und Titanen
Raoul Schrotts Übersetzung der "Theogonie" des Hesiod liest sich frei und flüssig. Aber er hat auch eine starke These: Die Musen und Hekate stammten aus dem Nahen Osten.
Von Lorenz Jäger
Was wir über die Geschichte der griechischen Götterwelt wissen, stammt, soweit es in sich zusammenhängt, zu großen Teilen aus der "Theogonie" des Hesiod. Geboren wurde der Dichter wohl vor dem Jahr 700 vor Christus. Hesiod erzählt nicht wie Homer vom Trojanischen Krieg oder von märchenhaften Odysseus-Abenteuern, sondern davon, wie alles anfing: "Zuallererst war da nur Chaos der aufklaffende abgrund: / aus ihm erwuchs Gaia die breitbrüstige Erde als ewig fester grund", wie es in der Übersetzung von Raoul Schrott heißt. Auch den Tartaros unter der Erde gibt es nun - und, als eine der frühesten personifizierten Gestalten: Eros. Sonst würde es ja mit dem Kosmos nicht weitergehen. Göttern wie Menschen nimmt Eros "die hellsicht des verstandes".
Die Welt beginnt also mit einer Orgasmus-Theorie; Hesiod ist, wenn wir Schrotts Übersetzung folgen, der Erste, der den Höhepunkt als "kleinen Tod" bezeichnet. Aber gleich muss man ein wenig Wasser in diesen genialisch-sprachschöpferischen Wein gießen. Hesiod redet nämlich keineswegs schon in der französischen Metapher des "petit mort", sondern davon, dass Eros die Glieder löse oder erschlaffen mache (lysimelaes). Man ist also gewarnt: diese Übersetzung ist in hohem Maße frei, einem gelockerten Gegenwartsdeutsch angenähert, was an sich kein Schade ist. Nur wird man nicht jedem von Schrotts Übersetzungsvorschlägen, die immer auch interpretierende Thesen sind, unbesehen folgen können.
Aber nun kommt jedenfalls alles in Gang. Uranos (der Himmel) zeugt mit Gaia, der Erde (seiner eigenen Mutter), Kinder. Titanen und Kyklopen werden geboren, zudem schreckenerregende hundertarmige, fünfzigköpfige Riesen. Und man hört, wie dann Kronos, einer der Uranos-Söhne, den Vater entmannt. Daneben bilden sich Naturmächte, Winde, Meer, Nymphen. Zeus, der Kronos-Sohn, entledigt sich mit geschickter Diplomatie und Bündnispolitik des Vaters und entmannt ihn seinerseits. Er befriedet und verrechtlicht den Weltzustand, er herrscht nun auf dem Olymp. Künftig werden keine Kinder mehr gefressen wie unter der alten Kronos-Herrschaft; Eide - "beim Styx!" - werden auch unter Göttern heilig. Und diese haben es künftig nicht mehr nur mit sich selbst zu tun, sondern mit den Menschen, deren Angelegenheiten sie im Krieg (mit Ares) und in der Liebe (mit Aphrodite) zu ihren eigenen machen.
Genealogie ist der Super-Mythos der alten Welt. Man möchte wissen, wo jemand herkommt, nicht nur in Griechenland, nicht nur bei den Göttern. Gute Genealogie ist die erste Form von politischer Legitimität. Deshalb gibt es von Hesiod auch den "Katalog der Frauen", in dem den Hellenen der sagenhafte Urvater Hellen angedichtet wird, der seinerseits der Enkel des Prometheus war. Prometheus brachte nicht nur den Menschen das Feuer, er war auch an dem Kunstgriff beteiligt, vertraglich zwischen Göttern und Menschen die Verteilung des Opferfleisches zu regeln. Bei dem feierlichen Abkommen wurde geschummelt, weil die guten Stücke mit schlechten bedeckt wurden, der Knochenhaufen dagegen mit gutem Fett - und Zeus, obwohl er durchschaut, was man da vorhat, den Knochenhaufen für die Götter reklamiert, wissend, "dass die erdmenschen von nun an den unsterblichen / weiße knochen auf duftumwölkten rauchaltären verbrennen würden".
Wie erscheint Prometheus in Schrotts Übersetzung, wenn er Zeus gegenübersteht? "Und der bauernschlaue Prometheus erwiderte ihm / innerlich grinsend und abgebrüht vor lauter schliche (. . .)". "Bauernschlau" mag angehen, wenn auch "verschlagen" sich für "ankylometes" angeboten hätte, aber dann wäre Schrott eine gewisse aktualisierende Drastik entgangen, auf die er viel Wert legt. Auch "Grinsen" für höhnisches Lächeln ("epimeidesas") lässt man sich gefallen - aber von "innerlich" findet sich bei Hesiod kein Wort, es wäre auch eine ganz unantike Vorstellung. Die Griechen waren nun mal Leute, die Plastik, Gestalten und Gestaltung liebten, mit einem "innerlichen" Grinsen hätten sie nicht viel anzufangen gewusst.
Gehen wir zur berühmten Titanomachie, dem Kampf, den Zeus gegen die Kronos-Partei führt: "Und die schlacht- und die schmerzensrufe / überlagerten sich in der mitte der zwei fronten zu einem krakeelen" . Krakeelen ist aber die lautliche Äußerung eines Streits mit durchaus abschätzigem Beiklang, etwa wie "Keifen", das Wort schickt sich für Raufereien von Kindern und Studenten, aber nicht für Götter und Titanen. Bei Hesiod: Kriegsgeschrei und Getöse - nichts von Krakeel. Auch bei der Wendung "Aphrodite mit den gebogenen Wimpern" stutzt man: "helikoblepharon" gibt das Gemoll-Wörterbuch als "leicht bewegliche Augenlider" wieder. Die Ausgabe der Loeb Classical Library, die inzwischen auch ihre hundert Jahre auf dem Buckel hat, vermutet an dieser Stelle nicht einen verstetigten physiognomischen Zug, sondern eine Art Augenspiel, ein "Äugeln", eine Koketterie, wie sie Aphrodite, der Liebesgöttin, gut ansteht. Dies war auch Goethes Ansicht: "Spät kam Aphrodite herbei, die äugelnde Göttin".
Schrotts Kommentar leistet Erstaunliches. Die Titanomachie entpuppt sich als Etymologie, indem, so Schrott, "attasse (,Erbteil'), adatar (,Essen') und atessa (,Beil') auf das Grundwort atta (,Vater') bezogen werden". Man kennt ähnliche wortgeborene Logiken aus dem Alten Testament. Aus Sapphos Hymne an Aphrodite zitiert Schrott den Beginn: "POikiloTHrON" und das Ende: "POtnia THymON" und schließt: "Herausgearbeitet wird damit das tertium comparationis ,POTHON', ,Verlangen', als bestimmende Eigenschaft der Göttin." Schon für Homer hatte Schrott assyrische Vorbilder namhaft machen wollen. Folgt man ihm in seinen kühnen Ableitungen zu den ugaritischen (syrischen) Quellen Hesiods, dann ist die "Theogonie" so etwas wie ein griechisch-nahöstliches "Finnegans Wake", ein Buch, das Sprachen und Kulte übereinanderschreibt. Eine ungemein faszinierende Perspektive, die im Einzelnen von Althistorikern und Philologen zu prüfen sein wird.
Hesiod: "Theogonie". Übersetzt und erläutert von Raoul Schrott.
Carl Hanser Verlag, München 2014. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Raoul Schrotts Übersetzung der "Theogonie" des Hesiod liest sich frei und flüssig. Aber er hat auch eine starke These: Die Musen und Hekate stammten aus dem Nahen Osten.
Von Lorenz Jäger
Was wir über die Geschichte der griechischen Götterwelt wissen, stammt, soweit es in sich zusammenhängt, zu großen Teilen aus der "Theogonie" des Hesiod. Geboren wurde der Dichter wohl vor dem Jahr 700 vor Christus. Hesiod erzählt nicht wie Homer vom Trojanischen Krieg oder von märchenhaften Odysseus-Abenteuern, sondern davon, wie alles anfing: "Zuallererst war da nur Chaos der aufklaffende abgrund: / aus ihm erwuchs Gaia die breitbrüstige Erde als ewig fester grund", wie es in der Übersetzung von Raoul Schrott heißt. Auch den Tartaros unter der Erde gibt es nun - und, als eine der frühesten personifizierten Gestalten: Eros. Sonst würde es ja mit dem Kosmos nicht weitergehen. Göttern wie Menschen nimmt Eros "die hellsicht des verstandes".
Die Welt beginnt also mit einer Orgasmus-Theorie; Hesiod ist, wenn wir Schrotts Übersetzung folgen, der Erste, der den Höhepunkt als "kleinen Tod" bezeichnet. Aber gleich muss man ein wenig Wasser in diesen genialisch-sprachschöpferischen Wein gießen. Hesiod redet nämlich keineswegs schon in der französischen Metapher des "petit mort", sondern davon, dass Eros die Glieder löse oder erschlaffen mache (lysimelaes). Man ist also gewarnt: diese Übersetzung ist in hohem Maße frei, einem gelockerten Gegenwartsdeutsch angenähert, was an sich kein Schade ist. Nur wird man nicht jedem von Schrotts Übersetzungsvorschlägen, die immer auch interpretierende Thesen sind, unbesehen folgen können.
Aber nun kommt jedenfalls alles in Gang. Uranos (der Himmel) zeugt mit Gaia, der Erde (seiner eigenen Mutter), Kinder. Titanen und Kyklopen werden geboren, zudem schreckenerregende hundertarmige, fünfzigköpfige Riesen. Und man hört, wie dann Kronos, einer der Uranos-Söhne, den Vater entmannt. Daneben bilden sich Naturmächte, Winde, Meer, Nymphen. Zeus, der Kronos-Sohn, entledigt sich mit geschickter Diplomatie und Bündnispolitik des Vaters und entmannt ihn seinerseits. Er befriedet und verrechtlicht den Weltzustand, er herrscht nun auf dem Olymp. Künftig werden keine Kinder mehr gefressen wie unter der alten Kronos-Herrschaft; Eide - "beim Styx!" - werden auch unter Göttern heilig. Und diese haben es künftig nicht mehr nur mit sich selbst zu tun, sondern mit den Menschen, deren Angelegenheiten sie im Krieg (mit Ares) und in der Liebe (mit Aphrodite) zu ihren eigenen machen.
Genealogie ist der Super-Mythos der alten Welt. Man möchte wissen, wo jemand herkommt, nicht nur in Griechenland, nicht nur bei den Göttern. Gute Genealogie ist die erste Form von politischer Legitimität. Deshalb gibt es von Hesiod auch den "Katalog der Frauen", in dem den Hellenen der sagenhafte Urvater Hellen angedichtet wird, der seinerseits der Enkel des Prometheus war. Prometheus brachte nicht nur den Menschen das Feuer, er war auch an dem Kunstgriff beteiligt, vertraglich zwischen Göttern und Menschen die Verteilung des Opferfleisches zu regeln. Bei dem feierlichen Abkommen wurde geschummelt, weil die guten Stücke mit schlechten bedeckt wurden, der Knochenhaufen dagegen mit gutem Fett - und Zeus, obwohl er durchschaut, was man da vorhat, den Knochenhaufen für die Götter reklamiert, wissend, "dass die erdmenschen von nun an den unsterblichen / weiße knochen auf duftumwölkten rauchaltären verbrennen würden".
Wie erscheint Prometheus in Schrotts Übersetzung, wenn er Zeus gegenübersteht? "Und der bauernschlaue Prometheus erwiderte ihm / innerlich grinsend und abgebrüht vor lauter schliche (. . .)". "Bauernschlau" mag angehen, wenn auch "verschlagen" sich für "ankylometes" angeboten hätte, aber dann wäre Schrott eine gewisse aktualisierende Drastik entgangen, auf die er viel Wert legt. Auch "Grinsen" für höhnisches Lächeln ("epimeidesas") lässt man sich gefallen - aber von "innerlich" findet sich bei Hesiod kein Wort, es wäre auch eine ganz unantike Vorstellung. Die Griechen waren nun mal Leute, die Plastik, Gestalten und Gestaltung liebten, mit einem "innerlichen" Grinsen hätten sie nicht viel anzufangen gewusst.
Gehen wir zur berühmten Titanomachie, dem Kampf, den Zeus gegen die Kronos-Partei führt: "Und die schlacht- und die schmerzensrufe / überlagerten sich in der mitte der zwei fronten zu einem krakeelen" . Krakeelen ist aber die lautliche Äußerung eines Streits mit durchaus abschätzigem Beiklang, etwa wie "Keifen", das Wort schickt sich für Raufereien von Kindern und Studenten, aber nicht für Götter und Titanen. Bei Hesiod: Kriegsgeschrei und Getöse - nichts von Krakeel. Auch bei der Wendung "Aphrodite mit den gebogenen Wimpern" stutzt man: "helikoblepharon" gibt das Gemoll-Wörterbuch als "leicht bewegliche Augenlider" wieder. Die Ausgabe der Loeb Classical Library, die inzwischen auch ihre hundert Jahre auf dem Buckel hat, vermutet an dieser Stelle nicht einen verstetigten physiognomischen Zug, sondern eine Art Augenspiel, ein "Äugeln", eine Koketterie, wie sie Aphrodite, der Liebesgöttin, gut ansteht. Dies war auch Goethes Ansicht: "Spät kam Aphrodite herbei, die äugelnde Göttin".
Schrotts Kommentar leistet Erstaunliches. Die Titanomachie entpuppt sich als Etymologie, indem, so Schrott, "attasse (,Erbteil'), adatar (,Essen') und atessa (,Beil') auf das Grundwort atta (,Vater') bezogen werden". Man kennt ähnliche wortgeborene Logiken aus dem Alten Testament. Aus Sapphos Hymne an Aphrodite zitiert Schrott den Beginn: "POikiloTHrON" und das Ende: "POtnia THymON" und schließt: "Herausgearbeitet wird damit das tertium comparationis ,POTHON', ,Verlangen', als bestimmende Eigenschaft der Göttin." Schon für Homer hatte Schrott assyrische Vorbilder namhaft machen wollen. Folgt man ihm in seinen kühnen Ableitungen zu den ugaritischen (syrischen) Quellen Hesiods, dann ist die "Theogonie" so etwas wie ein griechisch-nahöstliches "Finnegans Wake", ein Buch, das Sprachen und Kulte übereinanderschreibt. Eine ungemein faszinierende Perspektive, die im Einzelnen von Althistorikern und Philologen zu prüfen sein wird.
Hesiod: "Theogonie". Übersetzt und erläutert von Raoul Schrott.
Carl Hanser Verlag, München 2014. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Raoul Schrotts Übersetzung liest sich frei und flüssig. Aber er hat auch eine starke These: Die Musen stammten aus dem Nahen Osten." Lorenz Jäger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.14
"Der Rezensent gesteht, dass er Schrotts Überlegungen, sosehr sie zuweilen zum Spitzfindigen tendieren, doch insgesamt überzeugend findet." Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 05.01.15
"Der Rezensent gesteht, dass er Schrotts Überlegungen, sosehr sie zuweilen zum Spitzfindigen tendieren, doch insgesamt überzeugend findet." Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 05.01.15