Ziel des Buches ist es, kurz und unter Vermeidung von Fachjargon zentrale Personen und theologische Positionen im mittelalterlichen Deutschland vorzustellen. Das Buch richtet sich nicht nur an die Theologen aus Profession, sondern an alle theologisch Interessierten aus Passion. Es wendet sich vor allem an diejenigen, die den christlichen Glauben auch in seinen geschichtlichen Bewegungen wahrzunehmen suchen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2001Sehr beruhigend, daß man eine bestimmte Absicht mit den Tieren hatte
Süßer die Bienen nie schmeckten als zu der Bettelbrotzeit: Manfred Gerwing ist auf der Spur mittelalterlicher Gottessucher
Daß Thomas von Aquin eine - für den an Sütterlin geschulten Blick - saumäßige Klaue hatte, war mir zwar vom Hörensagen bekannt, doch eine Originalseite kopiert zu sehen, auf der man keinen Buchstaben lesen kann, das ist nun entschieden besser. Zum Kontrast wird in dem Band von Manfred Gerwing zur "Theologie im Mittelalter" auch eine Seite Albertus Magnus präsentiert, sorgfältig und klar, doch temperamentvoll gemalt.
Überhaupt Albertus Magnus: Daß die Ordensoberen der Bettelorden bei ihren Visitationsreisen zu Fuß gehen mußten, war von Meister Eckhart her bekannt; daß aber der heilige Albert in nämlicher Eigenschaft zwischen Brügge und Riga, zwischen Stralsund und Chur unterwegs sein mußte, das so genau zu erfahren, ist hilfreich. Kein Wunder, daß er wußte, daß Bienen am Hinterleib ein durchsichtiges Säckchen mit feinem Honiggeschmack tragen. Man sieht Albert geradezu vor sich, wie er den Fußmarsch unterbricht und bei der Rast auf einer Waldlichtung eine Biene zur mönchischen Brotzeit auseinandernimmt. So sehr legte er Wert auf Beobachten und Experimente, daß man sagen kann: Wäre die Naturwissenschaft seinem Weg gefolgt, es wäre ihr ein Umweg von dreihundert Jahren erspart geblieben.
Wer so anschaulich und einprägsam Theologiegeschichte schreibt, der muß Bescheid wissen in den Biographien der Helden wie in ihren Werken, vor allem aber muß er ein exzellenter Didaktiker sein. Zumeist fehlt dem Fach "Kirchengeschichte" diese einprägsame Sinnlichkeit, woher die sprichwörtliche Öde herrührt. Bei Gerwing ist das anders. Besonders lehrreich sind die graphischen Übersichten zum Ablauf der Geschichte nach den großen Geschichtstheologen Anselm von Havelberg, Rupert von Deutz, Gerhoh von Reichersberg und Honorius Augustodunensis - auch wenn man die Herkunft aus Foliendarbietungen per Overhead ahnt. Wirklich erstaunlich ist der schmale Umfang des Werkes: Auf 238 Seiten wird konzentriert und lesbar mittelalterliche Theologiegeschichte von Alkuin bis zum Cusaner geliefert, jeweils mit Leben und Werk und Bibliographie.
Das besondere Merkmal dieser Darstellung: Sie konzentriert sich auf Deutschland. Also eine Regionalisierung der Theologiegeschichte. Dabei zeigt Gerwing eine deutliche Schwäche für die Rheingegend zwischen Siegburg und Köln. Doch wenn "Ausländer" in der Mitte Europas wirksam waren, wie besonders die begabten Schotten (Scotus Eriugena und Duns Scotus oder Thomas von Aquin), dann werden sie hinreichend dargestellt. Im übrigen zeitigt die Regionalisierung viele überraschende Effekte. So werden die schon erwähnten Geschichtstheologen - in ihrer Mitte Rupert von Deutz - wirklich einmal im Block dargestellt und gewürdigt. Sodann tritt die Rolle Kölns hervor mit den drei großen Theologen Albert, Thomas und Duns Scotus. Auch wenn man den Eindruck gewinnt, die Franziskaner seien in Deutschland weniger bedeutsam als die Dominikaner gewesen - die fruchtbare Rivalität wird greifbar, und der Schilderung Ockhams hat Gerwing viel Sorgfalt angedeihen lassen.
Schließlich und vor allem werden die deutschen Mystiker als Theologen dargestellt. Besonderer Nachholbedarf bestand dabei bislang für drei Frauen: Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn und Gertrud die Große. Durch sie wurde im dreizehnten Jahrhundert das dem Orden der Zisterzienser angegliederte Kloster Helfta bei Eisleben zur Krone deutscher Frauenklöster. Und jetzt, da vor rund einem Jahr Kloster Helfta unter einer tatkräftigen Äbtissin neu erstanden ist, freut es den Rezensenten besonders, daß die drei großen Frauen von Helfta auch im Rahmen deutscher Theologie gewürdigt werden. Noch spielte das Leiden Christi in der Mystik hier eine nur marginale Rolle, Christus der König war wichtiger, die Seele des einzelnen war die Geliebte des Königs. Wie anders als die Liebesmystik der Frauen von Helfta wird dann die Spiritualität der späteren devotio moderna sein.
Von der "Wiener Schule" habe ich im Studium noch nichts gehört, hier werden die Verbindungslinien zwischen Heinrich von Langenstein, Heinrich Totting von Oyta und Nikolaus von Dinkelsbühl gezogen. Eine ganze Landschaft tut sich auf. Und wo immer sich Anschlußstellen zu Martin Luther ergeben, zeigt Gerwing sie. Das gilt nicht zuletzt für den mystischen Traktat der "Theologia deutsch", den Luther 1518 herausgibt.
Wer klassisch thomistisch denkt, wird das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert als einen Niedergang in den Sumpf der Mystik ansehen können. Dabei ist sicher richtig, daß uns die Maßstäbe fehlen, zum Beispiel die - fast gänzlich nur in Abschriften erhaltenen - Werke von Johannes Tauler wirklich als Theologie bewerten und gedanklich auswerten zu können. Dasselbe gilt auch schon für die Frauen von Helfta. Ihre Schriften stehen in eigenartiger Mittelposition zwischen der Klarheit albertinischer oder thomistischer Theologie und der Volksfrömmigkeit, von der wir in diesem Buch - dem Thema entsprechend - fast nichts erfahren. Es handelt sich bei der Frage nach der theologisch-wissenschaftlichen Bedeutung der deutschen Mystik auch unter anderem um den offenbar längst nicht ausgestandenen Streit zwischen monastischer und scholastischer Theologie.
Krönender Abschluß des Buches ist eine knappe, eindrückliche Darstellung des Nikolaus von Cues. Dessen Traktat "De visione dei" ("Über das Schauen Gottes") halte auch ich für die schönste Schrift des Cusaners; der Didaktiker Gerwing stellt besonders heraus, daß Nikolaus den Mönchen vom Tegernsee diese Schrift zusammen mit einem Bild und den Anweisungen zu einer Bildmeditation übersandte. Wichtig ist die Beobachtung, die Lehre von der Koinzidenz der Gegensätze sei vor allem wissenschaftskritisch. Im Vergleich mit Meister Eckhart kommt heraus: Während es diesem darum geht, von allen Dingen leer zu werden, ist der Grundansatz des Cusaners, alle Dinge in ihrer Fülle aufzunehmen.
Nicht zuletzt an derartigen Beobachtungen wird deutlich: Die mittelalterliche Theologie in Deutschland ist weder finster noch irrational, sie besteht nicht aus nordischen Nebeln und entstammt keinem einheitlichen stalinistischen System - aber sie ist leider noch immer viel zuwenig erforscht.
KLAUS BERGER
Manfred Gerwing: "Theologie im Mittelalter". Personen und Stationen theologisch-spiritueller Suchbewegungen im mittelalterlichen Deutschland. Schöningh Verlag, Paderborn 2000. 279 S., Abb., br., 78,- DM.
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Süßer die Bienen nie schmeckten als zu der Bettelbrotzeit: Manfred Gerwing ist auf der Spur mittelalterlicher Gottessucher
Daß Thomas von Aquin eine - für den an Sütterlin geschulten Blick - saumäßige Klaue hatte, war mir zwar vom Hörensagen bekannt, doch eine Originalseite kopiert zu sehen, auf der man keinen Buchstaben lesen kann, das ist nun entschieden besser. Zum Kontrast wird in dem Band von Manfred Gerwing zur "Theologie im Mittelalter" auch eine Seite Albertus Magnus präsentiert, sorgfältig und klar, doch temperamentvoll gemalt.
Überhaupt Albertus Magnus: Daß die Ordensoberen der Bettelorden bei ihren Visitationsreisen zu Fuß gehen mußten, war von Meister Eckhart her bekannt; daß aber der heilige Albert in nämlicher Eigenschaft zwischen Brügge und Riga, zwischen Stralsund und Chur unterwegs sein mußte, das so genau zu erfahren, ist hilfreich. Kein Wunder, daß er wußte, daß Bienen am Hinterleib ein durchsichtiges Säckchen mit feinem Honiggeschmack tragen. Man sieht Albert geradezu vor sich, wie er den Fußmarsch unterbricht und bei der Rast auf einer Waldlichtung eine Biene zur mönchischen Brotzeit auseinandernimmt. So sehr legte er Wert auf Beobachten und Experimente, daß man sagen kann: Wäre die Naturwissenschaft seinem Weg gefolgt, es wäre ihr ein Umweg von dreihundert Jahren erspart geblieben.
Wer so anschaulich und einprägsam Theologiegeschichte schreibt, der muß Bescheid wissen in den Biographien der Helden wie in ihren Werken, vor allem aber muß er ein exzellenter Didaktiker sein. Zumeist fehlt dem Fach "Kirchengeschichte" diese einprägsame Sinnlichkeit, woher die sprichwörtliche Öde herrührt. Bei Gerwing ist das anders. Besonders lehrreich sind die graphischen Übersichten zum Ablauf der Geschichte nach den großen Geschichtstheologen Anselm von Havelberg, Rupert von Deutz, Gerhoh von Reichersberg und Honorius Augustodunensis - auch wenn man die Herkunft aus Foliendarbietungen per Overhead ahnt. Wirklich erstaunlich ist der schmale Umfang des Werkes: Auf 238 Seiten wird konzentriert und lesbar mittelalterliche Theologiegeschichte von Alkuin bis zum Cusaner geliefert, jeweils mit Leben und Werk und Bibliographie.
Das besondere Merkmal dieser Darstellung: Sie konzentriert sich auf Deutschland. Also eine Regionalisierung der Theologiegeschichte. Dabei zeigt Gerwing eine deutliche Schwäche für die Rheingegend zwischen Siegburg und Köln. Doch wenn "Ausländer" in der Mitte Europas wirksam waren, wie besonders die begabten Schotten (Scotus Eriugena und Duns Scotus oder Thomas von Aquin), dann werden sie hinreichend dargestellt. Im übrigen zeitigt die Regionalisierung viele überraschende Effekte. So werden die schon erwähnten Geschichtstheologen - in ihrer Mitte Rupert von Deutz - wirklich einmal im Block dargestellt und gewürdigt. Sodann tritt die Rolle Kölns hervor mit den drei großen Theologen Albert, Thomas und Duns Scotus. Auch wenn man den Eindruck gewinnt, die Franziskaner seien in Deutschland weniger bedeutsam als die Dominikaner gewesen - die fruchtbare Rivalität wird greifbar, und der Schilderung Ockhams hat Gerwing viel Sorgfalt angedeihen lassen.
Schließlich und vor allem werden die deutschen Mystiker als Theologen dargestellt. Besonderer Nachholbedarf bestand dabei bislang für drei Frauen: Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn und Gertrud die Große. Durch sie wurde im dreizehnten Jahrhundert das dem Orden der Zisterzienser angegliederte Kloster Helfta bei Eisleben zur Krone deutscher Frauenklöster. Und jetzt, da vor rund einem Jahr Kloster Helfta unter einer tatkräftigen Äbtissin neu erstanden ist, freut es den Rezensenten besonders, daß die drei großen Frauen von Helfta auch im Rahmen deutscher Theologie gewürdigt werden. Noch spielte das Leiden Christi in der Mystik hier eine nur marginale Rolle, Christus der König war wichtiger, die Seele des einzelnen war die Geliebte des Königs. Wie anders als die Liebesmystik der Frauen von Helfta wird dann die Spiritualität der späteren devotio moderna sein.
Von der "Wiener Schule" habe ich im Studium noch nichts gehört, hier werden die Verbindungslinien zwischen Heinrich von Langenstein, Heinrich Totting von Oyta und Nikolaus von Dinkelsbühl gezogen. Eine ganze Landschaft tut sich auf. Und wo immer sich Anschlußstellen zu Martin Luther ergeben, zeigt Gerwing sie. Das gilt nicht zuletzt für den mystischen Traktat der "Theologia deutsch", den Luther 1518 herausgibt.
Wer klassisch thomistisch denkt, wird das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert als einen Niedergang in den Sumpf der Mystik ansehen können. Dabei ist sicher richtig, daß uns die Maßstäbe fehlen, zum Beispiel die - fast gänzlich nur in Abschriften erhaltenen - Werke von Johannes Tauler wirklich als Theologie bewerten und gedanklich auswerten zu können. Dasselbe gilt auch schon für die Frauen von Helfta. Ihre Schriften stehen in eigenartiger Mittelposition zwischen der Klarheit albertinischer oder thomistischer Theologie und der Volksfrömmigkeit, von der wir in diesem Buch - dem Thema entsprechend - fast nichts erfahren. Es handelt sich bei der Frage nach der theologisch-wissenschaftlichen Bedeutung der deutschen Mystik auch unter anderem um den offenbar längst nicht ausgestandenen Streit zwischen monastischer und scholastischer Theologie.
Krönender Abschluß des Buches ist eine knappe, eindrückliche Darstellung des Nikolaus von Cues. Dessen Traktat "De visione dei" ("Über das Schauen Gottes") halte auch ich für die schönste Schrift des Cusaners; der Didaktiker Gerwing stellt besonders heraus, daß Nikolaus den Mönchen vom Tegernsee diese Schrift zusammen mit einem Bild und den Anweisungen zu einer Bildmeditation übersandte. Wichtig ist die Beobachtung, die Lehre von der Koinzidenz der Gegensätze sei vor allem wissenschaftskritisch. Im Vergleich mit Meister Eckhart kommt heraus: Während es diesem darum geht, von allen Dingen leer zu werden, ist der Grundansatz des Cusaners, alle Dinge in ihrer Fülle aufzunehmen.
Nicht zuletzt an derartigen Beobachtungen wird deutlich: Die mittelalterliche Theologie in Deutschland ist weder finster noch irrational, sie besteht nicht aus nordischen Nebeln und entstammt keinem einheitlichen stalinistischen System - aber sie ist leider noch immer viel zuwenig erforscht.
KLAUS BERGER
Manfred Gerwing: "Theologie im Mittelalter". Personen und Stationen theologisch-spiritueller Suchbewegungen im mittelalterlichen Deutschland. Schöningh Verlag, Paderborn 2000. 279 S., Abb., br., 78,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach Klaus Berger wird mit diesem Buch endlich einmal der Beweis erbracht, dass eine theologische Darstellung nicht zwangsläufig von "sprichwörtlicher Öde" geprägt sein muss. Begeistert zeigt sich der Rezensent nicht nur von dem Unterhaltungswert, sondern auch von der Anschaulichkeit, der gelungenen Konzentration auf Wesentliches und der Tatsache, dass auch einige bisher selten porträtierte Persönlichkeiten Einzug in diesen Band gefunden haben - etwa die drei bedeutenden Frauen des Klosters Helfta aus dem 13. Jahrhundert. Um die Anschaulichkeit des Buchs zu unterstreichen, wählt Berger mehrere Beispiele: So sei etwa eine handschriftliche Seite Thomas von Aquins kopiert worden, die zeigt, dass dieser tatsächlich eine "saumäßige Klaue" hatte. An anderer Stelle werde von den weiten Fußwanderungen von Ordensoberen berichtet, die nebenbei bisweilen zu Naturforschungen wurden. Insgesamt wird nach Berger in diesem Band deutlich, dass die "mittelalterliche Theologie in Deutschland (...) weder finster noch irrational" war. Sie sei halt lediglich "noch immer viel zu wenig erforscht".
© Perlentaucher Medien GmbH
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