Theology and Philosophy; Their Relationship in the Light of Their Mutual History 384 p. (Text in German) The book gives a historical introduction into the relationship between theology and philosophy and into their mutual key problems from Plato to Heidegger. Aspects regarding this relationship from a contemporary point of view are dicussed as well.Das Buch ist eine Einführung in das Verhältnis von Philosophie und Theologie unter historischen und systematischen Gesichtspunkten vom Platonismus bis zu Heidegger.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996Nur Platon und Hegel bekommen den Seminarschein
Wolfhart Pannenbergs Versuche zum Zusammenhang von Theologie, Philosophie und Ethik / Von Ingolf U. Dalferth
Ohne philosophische Bildung keine theologische Urteilsfähigkeit - der "traurige Zustand der durchschnittlichen christlichen Verkündigung in unserer Zeit" belegt das nach Wolfhart Pannenberg überdeutlich. "Ohne eine gründliche Kenntnis der Philosophie kann man weder die christliche Lehre verstehen, wie sie geschichtlich Gestalt gewonnen hat, noch auch zu einem eigenen, begründeten Urteil über den Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre in der Gegenwart gelangen."
Zwei Jahre nach seiner Emeritierung liegt jetzt Pannenbergs letzte Münchner Vorlesung "Theologie und Philosophie" als gut lesbares Lehrbuch vor. Jahrzehntelang hat Pannenberg sie in immer wieder überarbeiteter Form vorgetragen, doch auch diese letzte, dem Andenken seiner philosophischen Lehrer Nicolai Hartmann, Karl Jaspers und Karl Löwith gewidmete Fassung hat den etwas verstaubten Charme der frühen sechziger Jahre nicht verloren: Gelehrte Gipfelgespräche auf hohem Niveau mit den Klassikern der europäischen Philosophiegeschichte von Platon bis Hegel, danach nur noch anthropologischer Abgesang und in unserem Jahrhundert nichts Neues mehr im Verhältnis von Philosophie und Theologie. Der Philosophie der Gegenwart kann Pannenberg theologisch nichts abgewinnen. Als kritisches Gegenüber der Theologie falle sie weitgehend aus, weil sie seit Hegel ihre Aufgabe umfassender Orientierung über die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehme.
Nach einer einleitenden Typologie des Verhältnisses von Philosophie und Theologie werden in zehn Kapiteln drei Phasen der Beziehung von Philosophie und Theologie besprochen. Von den antiken Traditionen konnte christliches Denken nur den Platonismus rezipieren, der Aristotelismus hatte Einfluß, zur Stoa gab es allenfalls ein Verhältnis in einigen Motiven. Das sind für Pannenberg keineswegs nur historische Urteile, sondern theologische Optionen von bleibender Bedeutung: Stoa und Christentum sind sich grundsätzlich fremd, und nicht von ungefähr trug stoisches Gedankengut (Naturgesetz, natürliche Vernunft, Selbsterhaltung, Selbstentfaltung) maßgeblich zur Ablösung der Neuzeit vom Christentum bei. Der Aristotelismus prägte zwar die mittelalterliche Scholastik, doch die Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften hat ihn auch theologisch obsolet werden lassen.
Einzig der Platonismus verdient als Gesprächspartner der Theologie weiterhin Beachtung, und die kritische Aneignung und Umgestaltung platonischen Denkens in der alten Kirche stellt für Pannenberg das goldene Zeitalter im Verhältnis von Philosophie und christlicher Theologie dar: Alle von ihm angeführten "Beiträge des Christentums zum Themenbestand der Philosophie" sind Auseinandersetzungen mit platonischen Themen: die Kontingenz der Welt, die Konzentration auf die Individualität, das Verständnis der Welt als Geschichte, die positive Wertung des Unendlichen und die dem Inkarnationsglauben verdankte Einsicht, daß es keine wahre Freiheit gibt ohne die Fähigkeit, auf der Basis "der Versöhnung mit dem Absoluten . . . die eigene Endlichkeit anzunehmen".
Eine allgemein gehaltene Beschreibung der "Emanzipation der neuzeitlichen Kultur vom Christentum" leitet zur zweiten Phase über. Erörtert werden die für die frühe Neuzeit bestimmenden Neuansätze von Descartes und Locke, Kants Einfluß auf die Theologie, der Frühidealismus Fichtes, Schellings und Schleiermachers sowie - vor allem und als Höhepunkt - "Hegels Systemgedanke". Neben den Andeutungen des späten Fichte stellt Hegel für Pannenberg den unbestrittenen Höhepunkt metaphysischen Denkens dar. Was Platon für die Theologie der alten Kirche war, ist Hegel für die der Neuzeit. Ihm verdankt sie den Gedanken Gottes als des wahrhaft Unendlichen, die Erneuerung der Trinitätslehre und des Inkarnationsglaubens, das Verständnis der Offenbarung als Selbstoffenbarung Gottes und nicht zuletzt die Einsicht, daß Philosophie und Theologie auf geschichtlich vorausgehende Religion angewiesen sind, deren Wahrheitsgehalt sie reflektieren.
Die Folgezeit wird zur "Verfallsgeschichte", weil sie Gott auf einen Gedanken des Menschen reduziert und damit nicht mehr das Absolute, sondern den Menschen zur Grundlage des Wirklichkeitsverständnisses macht. "Die Wendung zur Anthropologie" ist für Pannenberg Signatur der gesamten nachhegelschen Philosophie "bis auf den heutigen Tag". Sie charakterisiert für ihn nicht nur das Denken von Feuerbach, Marx, Stirner und Kierkegaard, sondern auch die Hermeneutik Diltheys, den Nihilismus Nietzsches, die Existenzphilosophien Heideggers und Jaspers, die philosophischen Anthropologien Schelers, Gehlens, Portmanns und Plessners sowie die Naturphilosophien Bergsons und Whiteheads. Für sie alle, so heißt es, sei Anthropologie das Fundamentalthema der Philosophie.
Im Grunde kennt Pannenberg nur zwei ernsthafte philosophische Gesprächspartner der Theologie: Platon und Hegel. Da Hegel der christlichen Vertiefung und Umgestaltung platonischer Themen philosophisch ihre "abschließende und klassisch vollendete Gestalt" gegeben habe, sieht er bei ihm auch die "Maßstäbe gesetzt für die Beurteilung alles späteren Denkens, . . . nicht nur der Philosophie, sondern auch der Theologie". Die gegen Hegel gerichtete Wendung zur Anthropologie wird so zwangsläufig als Verfallsgeschichte beurteilt: Wer nach Hegel anthropologisch und damit gegen Hegel denkt, partizipiert an der neuzeitlichen "Ersetzung Gottes durch den Menschen".
Die ist theologisch in der Tat zu kritisieren. Doch Pannenberg will das Übel genau am Ort der Anthropologie überwinden, und dabei verwirrt sich seine Argumentation. Anstatt seine Kritik der Neuzeit theologisch zu begründen und die monierte anthropologische Verkürzung von der Theologie her aufzuweisen, wird ausgerechnet dieser als Fehlentwicklung diagnostizierte Irrweg der Moderne der Theologie als das empfohlen, an dem sie sich orientieren und ausweisen müsse: Ohne den "Nachweis der humanen Allgemeingültigkeit des christlichen Glaubens" auf der Basis von Anthropologie und Humanwissenschaften sei nicht sicherzustellen, "daß Rede von Gott überhaupt rational sinnvoll bleibt", weil die "Kriterien für die Beurteilung der Plausibilität religiöser Wahrheitsansprüche" heute anthropologisch seien. Der Teufel, den Pannenbergs Neuzeitdiagnose an die Wand malt, soll hier offenbar mit Beelzebub ausgetrieben werden: Vernünftig sind Gründe des Glaubens nur, wenn sie auch dort gelten, wo nicht geglaubt wird. Sie müssen neutral, allgemein, und das heißt für Pannenberg: in der "Natur des Menschen" verankert sein.
Zum Maßstab der Rationalität des Glaubens wird damit genau das erklärt, was als neuzeitliche Ersetzung Gottes durch den Menschen kritisiert wurde: Weil sich die Wahrheit des Glaubens endgültig erst am Ende der Zeit erweise, könne heute mit Gründen nur geglaubt werden, wenn sich anthropologisch begründen ließe, daß "zur Natur des Menschen" der "Glaube an Gott gehört". Doch warum sollte die Rede von Gott nur dann rational sinnvoll sein, wenn sie unter Absehung von Gott begründet werden kann? Und wie sollte sich eine solche Begründung im Rekurs auf die "Natur des Menschen" geben lassen, ohne bei deren Bestimmung genau in den Streit zwischen Glaube und Nichtglaube zu geraten, der durch den Rückgang auf die Anthropologie vermieden werden sollte? Man kommt nicht daran herum: Trotz seiner massiven Neuzeitkritik hängt Pannenberg unkritisch der Neuzeitillusion an, Philosophie und Anthropologie böten eine neutrale Basis zur Entscheidung des Streits zwischen Glaube und Nichtglaube. Daß und warum das illusionär ist, haben die von ihm ignorierten Philosophen der Gegenwart gezeigt.
Diese Probleme zeigen sich auch in Pannenbergs "Grundlagen der Ethik". Ausgangspunkt der Argumentation sind auffällige Ähnlichkeiten zwischen der Entstehungssituation der Ethik in der Antike und unserer Zeit. Ethik sei bei Sokrates mit "dem Niedergang der Autorität des gesetzten Rechtes" entstanden und setze eine Infragestellung der Geltungsansprüche von Sitte und Gesetz voraus. Auch bei uns werde heute allenfalls noch die geltende Rechtsordnung als Grenze anerkannt für das, was jeder einzelne für die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hält. Doch bloße Legalität ohne fundierende Moralität sei aporetisch. Wo nur noch die Rechtsordnung als Schranke individuellen Beliebens fungierte, werde auf Dauer das Recht selbst ausgehöhlt, weil es nur noch als äußerer und deshalb möglichst zu umgehender Zwang für die freie Entfaltung der Persönlichkeit angesehen wird. Sanktionen können das nur verstärken, nicht ändern.
In diesem Sinn werden "Moral und Ethik in der säkularen Kultur der Gegenwart", "Die Ursprungssituation der Ethik und die wichtigsten Wege ihrer Begründung", "Das Fundament der Ethik", "Reich Gottes und Ethik", "Christliche Ethik und die menschliche Allgemeinheit des Ethischen" sowie die "Prinzipien christlicher Ethik im Kontext einer säkularisierten Gesellschaft" behandelt. Geht es in den ersten drei Kapiteln um die wichtigsten Typen philosophischer Moralbegründung und deren theologische Würdigung, so konzentrieren sich die folgenden drei Kapitel auf den Ansatz einer spezifisch theologischen Ethik beim Reich-Gottes-Gedanken und deren inhaltliche Konkretion an Phänomenen wie Selbstverwirklichung, Dienst, Selbstbeherrschung, Ehe, Familie und Staat.
Materiale Moralbegründung ist für Pannenberg die zentrale Aufgabe der Ethik. Als argumentative Alternative zum äußeren Zwang geht es ihr um die "Neubegründung des Geltungsanspruchs von Gesetz und Sitte" auf der Basis des "für den Menschen . . . von Natur aus Guten". Der Formalismus der kantischen Ethik und die bloße Form der Verallgemeinerbarkeit als Kriterium der Moralität können das nicht leisten. Dagegen plädiert Pannenberg für den sokratisch-platonischen Weg, "der das den Menschen eigene Streben nach etwas, was noch nicht realisiert ist, aber zur Wesensverwirklichung des Menschen unerläßlich ist, zum Anlaß ethischer Argumentation nimmt". Doch was ist dieses zu verwirklichende Wesen des Menschen? Nicht, wie Pannenberg in Kritik der Moderne betont, die "allen Menschen gemeinsame Vernunft", sondern die Bestimmung des Menschen zur Teilhabe am künftigen Reich Gottes. Weil das christliche Ethos davon ausdrücklich ausgehe, erfülle es am besten, was alle Ethik intendiert.
Das soll der theologische Ethiker nach Pannenberg nun aber nicht theologisch begründen dürfen. Die Dogmatik verweise zur Begründung des christlichen Menschenbildes auf Jesus Christus als den neuen und endgültigen Menschen, für die Ethik dagegen sei eine solche christologische Begründung unbrauchbar, weil ohne "humane Evidenz". Pannenbergs obstinate Forderung lautet deshalb, die Allgemeingültigkeit ethischer Argumentation könne nur auf der Basis einer allgemeinen "vortheologischen Anthropologie" erwiesen werden. Doch vortheologisch ist diese ja gerade darin, daß sie das Wesen des Menschen nicht als seine Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott kennt. Gilt daher diese Bestimmung des Menschen, dann ist eine vortheologische "allgemeine Anthropologie" als Begründungsbasis ethischer Argumentation unzureichend, oder das für den Menschen von Natur aus Gute muß ohne Berücksichtigung seiner Bestimmung angegeben werden können.
Pannenbergs Begründungsprogramm ist aporetisch: Daß christlicher Glaube "humane Allgemeingültigkeit" beansprucht, weil er für niemanden gilt, ohne für alle gelten zu wollen, heißt nicht, daß er in einer Anthropologie des "allgemein Menschlichen" begründet werden könnte oder müßte. Was Pannenberg als solche ausgibt, ist eine christliche Deutung des Menschenbildes der europäischen Tradition, und wann immer er ethisch konkret argumentiert, spricht er christlich und gerade nicht "allgemein" vom Menschen.
Pannenbergs vortheologische Anthropologie ist selbst Konstrukt seiner theologischen Perspektive. Er sieht das nicht, weil er die europäische Geschichte philosophischer Anthropologie mit der Erfassung des Wesens des Menschen verwechselt und ihre theologische Aneignung und Umbildung mit der christlichen Vertiefung und Erfüllung des wahren Humanum. Doch es ist immer ein sehr europäischer Mensch, der dabei in den Blick kommt. Die Flucht in die Anthropologie verschafft der Theologie keineswegs die neutrale und allgemeingültige Basis, die sich Pannenberg erhofft: Auch eine anthropologische Begründung bleibt an das geschichtliche Menschenbild gebunden, von dem sie ausgeht, und ist damit dem Streit um das rechte Verständnis des Menschseins nicht entnommen.
Die Begründung ethischer Ansprüche im Aufweis ihrer humanen Allgemeingültigkeit zu suchen ist vergebliche Mühe. Begründungen müssen unter wechselnden geschichtlichen Bedingungen ihre jeweiligen Adressaten überzeugen. Das kann, muß aber nicht auf dem Weg anthropologischer Argumentation geschehen, wie Pannenberg aufgrund seiner einseitigen Sicht der Neuzeit meint. Und auch dann stellt sich "humane Evidenz" nicht dort ein, wo sich Glaube und Nichtglaube auf dem Boden des theoretischen Konstrukts eines allgemeinen Humanum treffen, sondern wo die zur Debatte stehenden Phänomene in der eigenen Lebenswirklichkeit so plausibel werden, daß das vom Glauben angesagte Neue im eigenen Leben Kontur gewinnt.
Aufgabe theologischer Ethik ist es nicht, auf der Grundlage einer angeblich allgemeinen Anthropologie den Geltungsanspruch christlicher Glaubensaussagen zu begründen. Sie hat diese konkret plausibel zu machen, indem sie aufzeigt, was die vorfindlichen Wirklichkeiten menschlichen Lebens gewinnen, wenn sie im Licht des christlichen Glaubens kritisch daran gemessen und danach verändert werden, daß Menschen zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt sind. Von der Wahrheit dieser Bestimmung geht christliche Lebenspraxis aus, und diese Wahrheit ist auch nach Pannenberg christologisch und nicht anthropologisch zu begründen.
Wolfhart Pannenberg: "Grundlagen der Ethik". Philosophisch-theologische Perspektiven. 159 S., br., 24,80 DM.
Wolfhart Pannenberg: "Theologie und Philosophie". Ihr Verhältnis im Lichte ihrer gemeinsamen Geschichte. 367 S., br., 49,80 DM.
Beide Bücher sind im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfhart Pannenbergs Versuche zum Zusammenhang von Theologie, Philosophie und Ethik / Von Ingolf U. Dalferth
Ohne philosophische Bildung keine theologische Urteilsfähigkeit - der "traurige Zustand der durchschnittlichen christlichen Verkündigung in unserer Zeit" belegt das nach Wolfhart Pannenberg überdeutlich. "Ohne eine gründliche Kenntnis der Philosophie kann man weder die christliche Lehre verstehen, wie sie geschichtlich Gestalt gewonnen hat, noch auch zu einem eigenen, begründeten Urteil über den Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre in der Gegenwart gelangen."
Zwei Jahre nach seiner Emeritierung liegt jetzt Pannenbergs letzte Münchner Vorlesung "Theologie und Philosophie" als gut lesbares Lehrbuch vor. Jahrzehntelang hat Pannenberg sie in immer wieder überarbeiteter Form vorgetragen, doch auch diese letzte, dem Andenken seiner philosophischen Lehrer Nicolai Hartmann, Karl Jaspers und Karl Löwith gewidmete Fassung hat den etwas verstaubten Charme der frühen sechziger Jahre nicht verloren: Gelehrte Gipfelgespräche auf hohem Niveau mit den Klassikern der europäischen Philosophiegeschichte von Platon bis Hegel, danach nur noch anthropologischer Abgesang und in unserem Jahrhundert nichts Neues mehr im Verhältnis von Philosophie und Theologie. Der Philosophie der Gegenwart kann Pannenberg theologisch nichts abgewinnen. Als kritisches Gegenüber der Theologie falle sie weitgehend aus, weil sie seit Hegel ihre Aufgabe umfassender Orientierung über die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehme.
Nach einer einleitenden Typologie des Verhältnisses von Philosophie und Theologie werden in zehn Kapiteln drei Phasen der Beziehung von Philosophie und Theologie besprochen. Von den antiken Traditionen konnte christliches Denken nur den Platonismus rezipieren, der Aristotelismus hatte Einfluß, zur Stoa gab es allenfalls ein Verhältnis in einigen Motiven. Das sind für Pannenberg keineswegs nur historische Urteile, sondern theologische Optionen von bleibender Bedeutung: Stoa und Christentum sind sich grundsätzlich fremd, und nicht von ungefähr trug stoisches Gedankengut (Naturgesetz, natürliche Vernunft, Selbsterhaltung, Selbstentfaltung) maßgeblich zur Ablösung der Neuzeit vom Christentum bei. Der Aristotelismus prägte zwar die mittelalterliche Scholastik, doch die Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften hat ihn auch theologisch obsolet werden lassen.
Einzig der Platonismus verdient als Gesprächspartner der Theologie weiterhin Beachtung, und die kritische Aneignung und Umgestaltung platonischen Denkens in der alten Kirche stellt für Pannenberg das goldene Zeitalter im Verhältnis von Philosophie und christlicher Theologie dar: Alle von ihm angeführten "Beiträge des Christentums zum Themenbestand der Philosophie" sind Auseinandersetzungen mit platonischen Themen: die Kontingenz der Welt, die Konzentration auf die Individualität, das Verständnis der Welt als Geschichte, die positive Wertung des Unendlichen und die dem Inkarnationsglauben verdankte Einsicht, daß es keine wahre Freiheit gibt ohne die Fähigkeit, auf der Basis "der Versöhnung mit dem Absoluten . . . die eigene Endlichkeit anzunehmen".
Eine allgemein gehaltene Beschreibung der "Emanzipation der neuzeitlichen Kultur vom Christentum" leitet zur zweiten Phase über. Erörtert werden die für die frühe Neuzeit bestimmenden Neuansätze von Descartes und Locke, Kants Einfluß auf die Theologie, der Frühidealismus Fichtes, Schellings und Schleiermachers sowie - vor allem und als Höhepunkt - "Hegels Systemgedanke". Neben den Andeutungen des späten Fichte stellt Hegel für Pannenberg den unbestrittenen Höhepunkt metaphysischen Denkens dar. Was Platon für die Theologie der alten Kirche war, ist Hegel für die der Neuzeit. Ihm verdankt sie den Gedanken Gottes als des wahrhaft Unendlichen, die Erneuerung der Trinitätslehre und des Inkarnationsglaubens, das Verständnis der Offenbarung als Selbstoffenbarung Gottes und nicht zuletzt die Einsicht, daß Philosophie und Theologie auf geschichtlich vorausgehende Religion angewiesen sind, deren Wahrheitsgehalt sie reflektieren.
Die Folgezeit wird zur "Verfallsgeschichte", weil sie Gott auf einen Gedanken des Menschen reduziert und damit nicht mehr das Absolute, sondern den Menschen zur Grundlage des Wirklichkeitsverständnisses macht. "Die Wendung zur Anthropologie" ist für Pannenberg Signatur der gesamten nachhegelschen Philosophie "bis auf den heutigen Tag". Sie charakterisiert für ihn nicht nur das Denken von Feuerbach, Marx, Stirner und Kierkegaard, sondern auch die Hermeneutik Diltheys, den Nihilismus Nietzsches, die Existenzphilosophien Heideggers und Jaspers, die philosophischen Anthropologien Schelers, Gehlens, Portmanns und Plessners sowie die Naturphilosophien Bergsons und Whiteheads. Für sie alle, so heißt es, sei Anthropologie das Fundamentalthema der Philosophie.
Im Grunde kennt Pannenberg nur zwei ernsthafte philosophische Gesprächspartner der Theologie: Platon und Hegel. Da Hegel der christlichen Vertiefung und Umgestaltung platonischer Themen philosophisch ihre "abschließende und klassisch vollendete Gestalt" gegeben habe, sieht er bei ihm auch die "Maßstäbe gesetzt für die Beurteilung alles späteren Denkens, . . . nicht nur der Philosophie, sondern auch der Theologie". Die gegen Hegel gerichtete Wendung zur Anthropologie wird so zwangsläufig als Verfallsgeschichte beurteilt: Wer nach Hegel anthropologisch und damit gegen Hegel denkt, partizipiert an der neuzeitlichen "Ersetzung Gottes durch den Menschen".
Die ist theologisch in der Tat zu kritisieren. Doch Pannenberg will das Übel genau am Ort der Anthropologie überwinden, und dabei verwirrt sich seine Argumentation. Anstatt seine Kritik der Neuzeit theologisch zu begründen und die monierte anthropologische Verkürzung von der Theologie her aufzuweisen, wird ausgerechnet dieser als Fehlentwicklung diagnostizierte Irrweg der Moderne der Theologie als das empfohlen, an dem sie sich orientieren und ausweisen müsse: Ohne den "Nachweis der humanen Allgemeingültigkeit des christlichen Glaubens" auf der Basis von Anthropologie und Humanwissenschaften sei nicht sicherzustellen, "daß Rede von Gott überhaupt rational sinnvoll bleibt", weil die "Kriterien für die Beurteilung der Plausibilität religiöser Wahrheitsansprüche" heute anthropologisch seien. Der Teufel, den Pannenbergs Neuzeitdiagnose an die Wand malt, soll hier offenbar mit Beelzebub ausgetrieben werden: Vernünftig sind Gründe des Glaubens nur, wenn sie auch dort gelten, wo nicht geglaubt wird. Sie müssen neutral, allgemein, und das heißt für Pannenberg: in der "Natur des Menschen" verankert sein.
Zum Maßstab der Rationalität des Glaubens wird damit genau das erklärt, was als neuzeitliche Ersetzung Gottes durch den Menschen kritisiert wurde: Weil sich die Wahrheit des Glaubens endgültig erst am Ende der Zeit erweise, könne heute mit Gründen nur geglaubt werden, wenn sich anthropologisch begründen ließe, daß "zur Natur des Menschen" der "Glaube an Gott gehört". Doch warum sollte die Rede von Gott nur dann rational sinnvoll sein, wenn sie unter Absehung von Gott begründet werden kann? Und wie sollte sich eine solche Begründung im Rekurs auf die "Natur des Menschen" geben lassen, ohne bei deren Bestimmung genau in den Streit zwischen Glaube und Nichtglaube zu geraten, der durch den Rückgang auf die Anthropologie vermieden werden sollte? Man kommt nicht daran herum: Trotz seiner massiven Neuzeitkritik hängt Pannenberg unkritisch der Neuzeitillusion an, Philosophie und Anthropologie böten eine neutrale Basis zur Entscheidung des Streits zwischen Glaube und Nichtglaube. Daß und warum das illusionär ist, haben die von ihm ignorierten Philosophen der Gegenwart gezeigt.
Diese Probleme zeigen sich auch in Pannenbergs "Grundlagen der Ethik". Ausgangspunkt der Argumentation sind auffällige Ähnlichkeiten zwischen der Entstehungssituation der Ethik in der Antike und unserer Zeit. Ethik sei bei Sokrates mit "dem Niedergang der Autorität des gesetzten Rechtes" entstanden und setze eine Infragestellung der Geltungsansprüche von Sitte und Gesetz voraus. Auch bei uns werde heute allenfalls noch die geltende Rechtsordnung als Grenze anerkannt für das, was jeder einzelne für die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hält. Doch bloße Legalität ohne fundierende Moralität sei aporetisch. Wo nur noch die Rechtsordnung als Schranke individuellen Beliebens fungierte, werde auf Dauer das Recht selbst ausgehöhlt, weil es nur noch als äußerer und deshalb möglichst zu umgehender Zwang für die freie Entfaltung der Persönlichkeit angesehen wird. Sanktionen können das nur verstärken, nicht ändern.
In diesem Sinn werden "Moral und Ethik in der säkularen Kultur der Gegenwart", "Die Ursprungssituation der Ethik und die wichtigsten Wege ihrer Begründung", "Das Fundament der Ethik", "Reich Gottes und Ethik", "Christliche Ethik und die menschliche Allgemeinheit des Ethischen" sowie die "Prinzipien christlicher Ethik im Kontext einer säkularisierten Gesellschaft" behandelt. Geht es in den ersten drei Kapiteln um die wichtigsten Typen philosophischer Moralbegründung und deren theologische Würdigung, so konzentrieren sich die folgenden drei Kapitel auf den Ansatz einer spezifisch theologischen Ethik beim Reich-Gottes-Gedanken und deren inhaltliche Konkretion an Phänomenen wie Selbstverwirklichung, Dienst, Selbstbeherrschung, Ehe, Familie und Staat.
Materiale Moralbegründung ist für Pannenberg die zentrale Aufgabe der Ethik. Als argumentative Alternative zum äußeren Zwang geht es ihr um die "Neubegründung des Geltungsanspruchs von Gesetz und Sitte" auf der Basis des "für den Menschen . . . von Natur aus Guten". Der Formalismus der kantischen Ethik und die bloße Form der Verallgemeinerbarkeit als Kriterium der Moralität können das nicht leisten. Dagegen plädiert Pannenberg für den sokratisch-platonischen Weg, "der das den Menschen eigene Streben nach etwas, was noch nicht realisiert ist, aber zur Wesensverwirklichung des Menschen unerläßlich ist, zum Anlaß ethischer Argumentation nimmt". Doch was ist dieses zu verwirklichende Wesen des Menschen? Nicht, wie Pannenberg in Kritik der Moderne betont, die "allen Menschen gemeinsame Vernunft", sondern die Bestimmung des Menschen zur Teilhabe am künftigen Reich Gottes. Weil das christliche Ethos davon ausdrücklich ausgehe, erfülle es am besten, was alle Ethik intendiert.
Das soll der theologische Ethiker nach Pannenberg nun aber nicht theologisch begründen dürfen. Die Dogmatik verweise zur Begründung des christlichen Menschenbildes auf Jesus Christus als den neuen und endgültigen Menschen, für die Ethik dagegen sei eine solche christologische Begründung unbrauchbar, weil ohne "humane Evidenz". Pannenbergs obstinate Forderung lautet deshalb, die Allgemeingültigkeit ethischer Argumentation könne nur auf der Basis einer allgemeinen "vortheologischen Anthropologie" erwiesen werden. Doch vortheologisch ist diese ja gerade darin, daß sie das Wesen des Menschen nicht als seine Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott kennt. Gilt daher diese Bestimmung des Menschen, dann ist eine vortheologische "allgemeine Anthropologie" als Begründungsbasis ethischer Argumentation unzureichend, oder das für den Menschen von Natur aus Gute muß ohne Berücksichtigung seiner Bestimmung angegeben werden können.
Pannenbergs Begründungsprogramm ist aporetisch: Daß christlicher Glaube "humane Allgemeingültigkeit" beansprucht, weil er für niemanden gilt, ohne für alle gelten zu wollen, heißt nicht, daß er in einer Anthropologie des "allgemein Menschlichen" begründet werden könnte oder müßte. Was Pannenberg als solche ausgibt, ist eine christliche Deutung des Menschenbildes der europäischen Tradition, und wann immer er ethisch konkret argumentiert, spricht er christlich und gerade nicht "allgemein" vom Menschen.
Pannenbergs vortheologische Anthropologie ist selbst Konstrukt seiner theologischen Perspektive. Er sieht das nicht, weil er die europäische Geschichte philosophischer Anthropologie mit der Erfassung des Wesens des Menschen verwechselt und ihre theologische Aneignung und Umbildung mit der christlichen Vertiefung und Erfüllung des wahren Humanum. Doch es ist immer ein sehr europäischer Mensch, der dabei in den Blick kommt. Die Flucht in die Anthropologie verschafft der Theologie keineswegs die neutrale und allgemeingültige Basis, die sich Pannenberg erhofft: Auch eine anthropologische Begründung bleibt an das geschichtliche Menschenbild gebunden, von dem sie ausgeht, und ist damit dem Streit um das rechte Verständnis des Menschseins nicht entnommen.
Die Begründung ethischer Ansprüche im Aufweis ihrer humanen Allgemeingültigkeit zu suchen ist vergebliche Mühe. Begründungen müssen unter wechselnden geschichtlichen Bedingungen ihre jeweiligen Adressaten überzeugen. Das kann, muß aber nicht auf dem Weg anthropologischer Argumentation geschehen, wie Pannenberg aufgrund seiner einseitigen Sicht der Neuzeit meint. Und auch dann stellt sich "humane Evidenz" nicht dort ein, wo sich Glaube und Nichtglaube auf dem Boden des theoretischen Konstrukts eines allgemeinen Humanum treffen, sondern wo die zur Debatte stehenden Phänomene in der eigenen Lebenswirklichkeit so plausibel werden, daß das vom Glauben angesagte Neue im eigenen Leben Kontur gewinnt.
Aufgabe theologischer Ethik ist es nicht, auf der Grundlage einer angeblich allgemeinen Anthropologie den Geltungsanspruch christlicher Glaubensaussagen zu begründen. Sie hat diese konkret plausibel zu machen, indem sie aufzeigt, was die vorfindlichen Wirklichkeiten menschlichen Lebens gewinnen, wenn sie im Licht des christlichen Glaubens kritisch daran gemessen und danach verändert werden, daß Menschen zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt sind. Von der Wahrheit dieser Bestimmung geht christliche Lebenspraxis aus, und diese Wahrheit ist auch nach Pannenberg christologisch und nicht anthropologisch zu begründen.
Wolfhart Pannenberg: "Grundlagen der Ethik". Philosophisch-theologische Perspektiven. 159 S., br., 24,80 DM.
Wolfhart Pannenberg: "Theologie und Philosophie". Ihr Verhältnis im Lichte ihrer gemeinsamen Geschichte. 367 S., br., 49,80 DM.
Beide Bücher sind im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main