Die Zusammenfassung von Hölderlins theoretischen Schriften in einem Band will Hölderlin nicht zu einem Philosophen im Schulsinn machen. Dazu sind seine theoretischen Reflexionen zu fragmentarisch - und sie erfolgen stets im Kontext seiner dichterischen Arbeit wie im Zuge poetologischer Selbstverständigungen. Doch Hölderlin versichert sich in diesen Texten mit den Mitteln theoretischer Begrifflichkeit des Anspruchs poetischer Sprache. Er begründet und erläutert darin, dass (und inwiefern) das der begrifflichen Bestimmbarkeit sich Entziehende zum Anspruch dessen wird, was in der Sprache der Dichtung sich fasst. Genau darin besteht die singuläre philosophische Bedeutung dieser theoretischen Schriften. Es waren Einsichten und Denkmotive Hölderlins, die G.W.F. Hegel philosophisch transformiert und systematisch entfaltet hat. Spätestens ab 1799/1800 weisen aber sowohl Hölderlins poetische Arbeiten als auch seine theoretischen Überlegungen über die Grenzen idealistischer Systembildungenhinaus. Sie formulieren eine Dichtungstheorie in dem emphatischen Sinne, dass die Notwendigkeit einer Sprachfindung begründet wird, die »freie Kunstnachahmung« bedeutet. Die beiden wichtigsten theoretischen Fragmente im Band sind »Das untergehende Vaterland ...« und »Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist ...«. Um sie gruppieren sich diverse enger poetologische Aufzeichnungen und Schematisierungen, die insbesondere dem gelten, was Hölderlin 'Wechsel der Töne' genannt hat. Die Sophokles-Anmerkungen formulieren dann, nicht nur wegen der in ihnen entwickelten Tragödientheorie, Perspektiven, die 'jenseits des Idealismus' reichen. Zunächst aber führt Hölderlins theoretische Arbeit in die Ursprünge dessen hinein, was später als spekulativer Idealismus bezeichnet wurde.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020NEUE TASCHENBÜCHER
Milde Rache – Hölderlins Betrachtungen
zu Sprache und Identität
Als Dichter steht er wie kein anderer für das verkannte Genie, als Theoretiker wird er gar nicht erst wahrgenommen. Dabei hätte Friedrich Hölderlin nicht nur in der Auseinandersetzung mit Kant und Fichte allerhand beizutragen, was seine Rolle als Wegbereiter des Deutschen Idealismus durchaus plausibel erscheinen lässt. Dazu kommt der Dialog mit der Antike, Platon insbesondere, aber auch eines umfassenderen ästhetischen Diskurses. Seine Reflexion der Antikenverehrung klingt hochmodern: „Wir träumen von Originalität und Selbständigkeit, wir glauben lauter Neues zu sagen, und alles diß ist doch Reaction, eine milde Rache gegen die Knechtschaft, womit wir uns verhalten haben gegen das Altertum; es scheint wirklich fast keine andere Wahl offen zu seyn, erdrükt zu werden von Angenommenen, und Positivem, oder, mit gewaltsamer Anmaßung, sich gegen alles erlernte, gegebene positive, als lebendige Kraft entgegenzusetzen.“
Hölderlin will Neues, will selber schaffen statt Vorgegebenes zu adaptieren: „Und was allgemeiner Grund vom Untergang aller Völker war, nemlich, daß ihre Originalität, ihre eigene lebendige Natur erlag unter den positiven Formen und unter dem Luxus, den ihre Väter hervorgebracht hatten.“ Doch Hölderlin denkt weiter, sich selber kritisch referierend, argumentiert auch für die klassische Bildung: „Es ist nemlich ein Unterschied ob jener Bildungstrieb blind wirkt, oder mit Bewußtseyn, ob er weiß woraus er hervorgieng und wohin er strebt.“ Aber, das zeigen die theoretischen Schriften, ein konkretes Ziel ist gar nicht so wichtig, vielmehr ein Bewusstsein des „Unerschöpften und Unerschöpflichen“. Spricht da religiöse Mystik?
Dichten und Reflektieren sind bei Hölderlin eins. Oft scheint es, als zwinge er sich zu einer Art moralisch gebotenem Optimismus, „daß in eben dem Momente und Grade, worinn sich das Bestehende auflöst, auch das Neueintretende, Jugendliche, Mögliche sich fühlt.“ Im Gedicht klingt das dramatischer: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ HELMUT MAURÓ
Friedrich Hölderlin: Theoretische
Schriften. Hrsg. von Johann Kreuzer.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2020.
135 Seiten, 22,90 Euro.
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Milde Rache – Hölderlins Betrachtungen
zu Sprache und Identität
Als Dichter steht er wie kein anderer für das verkannte Genie, als Theoretiker wird er gar nicht erst wahrgenommen. Dabei hätte Friedrich Hölderlin nicht nur in der Auseinandersetzung mit Kant und Fichte allerhand beizutragen, was seine Rolle als Wegbereiter des Deutschen Idealismus durchaus plausibel erscheinen lässt. Dazu kommt der Dialog mit der Antike, Platon insbesondere, aber auch eines umfassenderen ästhetischen Diskurses. Seine Reflexion der Antikenverehrung klingt hochmodern: „Wir träumen von Originalität und Selbständigkeit, wir glauben lauter Neues zu sagen, und alles diß ist doch Reaction, eine milde Rache gegen die Knechtschaft, womit wir uns verhalten haben gegen das Altertum; es scheint wirklich fast keine andere Wahl offen zu seyn, erdrükt zu werden von Angenommenen, und Positivem, oder, mit gewaltsamer Anmaßung, sich gegen alles erlernte, gegebene positive, als lebendige Kraft entgegenzusetzen.“
Hölderlin will Neues, will selber schaffen statt Vorgegebenes zu adaptieren: „Und was allgemeiner Grund vom Untergang aller Völker war, nemlich, daß ihre Originalität, ihre eigene lebendige Natur erlag unter den positiven Formen und unter dem Luxus, den ihre Väter hervorgebracht hatten.“ Doch Hölderlin denkt weiter, sich selber kritisch referierend, argumentiert auch für die klassische Bildung: „Es ist nemlich ein Unterschied ob jener Bildungstrieb blind wirkt, oder mit Bewußtseyn, ob er weiß woraus er hervorgieng und wohin er strebt.“ Aber, das zeigen die theoretischen Schriften, ein konkretes Ziel ist gar nicht so wichtig, vielmehr ein Bewusstsein des „Unerschöpften und Unerschöpflichen“. Spricht da religiöse Mystik?
Dichten und Reflektieren sind bei Hölderlin eins. Oft scheint es, als zwinge er sich zu einer Art moralisch gebotenem Optimismus, „daß in eben dem Momente und Grade, worinn sich das Bestehende auflöst, auch das Neueintretende, Jugendliche, Mögliche sich fühlt.“ Im Gedicht klingt das dramatischer: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ HELMUT MAURÓ
Friedrich Hölderlin: Theoretische
Schriften. Hrsg. von Johann Kreuzer.
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»Hölderlin war wohl der dichterischste Dichter deutscher Sprache, aber war gewiss der Philosoph, der Hegel den entscheidenden Anstoß gab, selbst einer zu werden.« Jürgen Kaube, FAZ