Interpunktionsregeln sind eine spezifische Form der Sprachanalyse; sie operieren mit sprachlichen Kategorien (z. B. 'Text', 'Satz'), und sie müssen auf Anwendungskontexte bezogen werden (z. B. auf grammatische oder semantische Konstellationen). In dieser Studie wird die Entwicklung dieser Sprachanalyse im deutschen Sprachraum verfolgt, wobei die antike Lehre als dominierender Ausgangspunkt gewürdigt wird. Besondere Aufmerksamkeit wird der Genese zentraler analytischer Konzepte gewidmet (etwa 'Rede', 'Periode' und 'Satz'). Diese Entwicklungen werden im Kontext der allgemeinen Linguistikgeschichte betrachtet. Zudem wird der Einfluss anderer Disziplinen reflektiert, also Impulse aus Gebieten wie Rhetorik, Stilistik, Poetik, Musiktheorie, Logik und Philosophie. Darüber hinaus werden diese Wandlungen kulturhistorisch verortet. So hat der 'Geist des Barock' in der deutschen Interpunktionslehre ebenso seine Spuren hinterlassen wie der Sturm und Drang oder der Deutsche Idealismus.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2017Punkt, Punkt, Komma, Strich
Ist der gefühlsgeladene Gedankenstrich, ähnlich wie das Ausrufezeichen, ein Vorläufer heutiger Emoticons? Karsten Rinas erforscht die Geschichte der Interpunktion und fördert Erstaunliches zutage.
Interpunktion ist blutiger Ernst. Das zeigt ein Duell, das im Winter 1837 in Paris stattfand. Zwei Professoren der Rechtswissenschaft, die das Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian neu herausgeben wollten, konnten sich nicht darüber einigen, ob an einer bestimmten Stelle ein Doppelpunkt oder ein Semikolon zu setzen sei. Als auch Justinians Justizminister Tribonianus - als Zitatlieferant - den Streit nicht beizulegen vermochte, kreuzten die Gelehrten die Klingen. Der Verfechter des Doppelpunkts siegte, der Streiter für das Semikolon erlitt eine Verletzung am Arm.
Der Vorfall, so grotesk er ist, wirft ein scharfes Licht auf die Bedeutung, die die Zeichensetzung für die Schriftsprache hat. Doch obwohl sie ein wichtiges Instrument der Sinngebung und Leseführung ist, spielt sie in den Orthographie-Debatten höchstens eine Nebenrolle. Auch in sprachhistorischen Darstellungen stehen Punkt, Komma und Co. im thematischen Schatten der Wortschreibungsregeln. Untersuchungen zur Geschichte der Interpunktion ruhten bislang auf einer eher schmalen Quellenbasis. Karsten Rinas, Germanist an der Universität Olmütz, hat nun eine Lücke geschlossen: Sein Buch liefert eine ebenso umfassende wie detaillierte Geschichte der deutschen Interpunktionsregeln und ihrer theoretischen Begründungen, eingebettet in kulturelle und sprachpolitische Zusammenhänge.
Dabei liegen der klar geschriebenen und transparent gegliederten Darstellung nicht nur orthographische Regelwerke, Grammatiken und Stil-Ratgeber zugrunde, sondern auch Quellen aus den Bereichen Rhetorik und Poetik, Logik, Recht, Theologie und Musik. Die griechisch-römische Antike, die die deutsche Schriftkultur des Mittelalters prägte, verwendete Interpunktionszeichen äußerst sparsam. Vielfach wurden nicht einmal Wortgrenzen markiert. Oft war es erst der Leser, der Satzzeichen setzte, um den Text für sich zu gliedern. Dabei ist "Satzzeichen" eigentlich ein moderner Anachronismus: Nicht der syntaktisch definierte Satz bildete die Grundeinheit der Gliederung, sondern die in der Rhetorik verwurzelte "Periode", eine Wortverbindung, die eher inhaltlich und rhythmisch als grammatisch bestimmt war.
Ihr untergeordnet waren das Colon und das Comma als kleinere Wortgruppen. Im Mittelalter gingen diese Namen auf die Zeichen über, die zu ihrer Abgrenzung dienten. Die "Periode" existiert als grammatischer Begriff zwar noch heute. Doch in den Interpunktionslehren wurde sie zum Punkt, der im Englischen immer noch "period" heißt, und das Colon zum Doppelpunkt. Das Comma konnte zunächst sowohl einen Schrägstrich - die Virgel - als auch das Häkchen bezeichnen, das wir noch heute verwenden.
Die Kategorien der antiken Rhetorik prägten die Interpunktionslehren bis in die frühe Neuzeit hinein. Bei der Übertragung auf das Deutsche gerieten sie allerdings ins Schwimmen, weil sich die Prosodie des Lateinischen, in der sie teilweise wurzelten, von der des Deutschen stark unterschied. Das Ergebnis waren Regelwerke, die sich durch Unklarheiten und eine verwirrende Terminologie auszeichneten. Oft verstießen ihre Texte und Beispielsätze sogar gegen die in ihnen propagierten Regeln, weil die Setzer nach eigenem Gutdünken interpungierten.
Eine Systematisierung begann im Zeitalter der Aufklärung. Zwar verschwanden lautliche und semantische Kriterien nicht aus den Regelwerken, aber das Fundament bildeten jetzt Satzbau und Logik. Gegen den Einbruch der Gefühle waren allerdings auch sie nicht gefeit: Mit dem Sturm und Drang eroberte der Gedankenstrich die Literatur, wo er für wortlos tobende Emotionen zwischen expressiven Satzfetzen stand. Seine Inflationierung rief bald schon Spötter auf den Plan: "Wo ihnen die Gedanken fehlen, da lassen sie den Raum mit Strichen erfüllen."
Ist der gefühlsgeladene Gedankenstrich, ähnlich wie das Ausrufezeichen, ein Vorläufer heutiger Emoticons? Rinas sieht hier gewisse Parallelen und hält es für möglich, dass die Smileys und Emoticons der Chatkommunikation sich zu einem eigenen Interpunktionssystem entwickeln, als Ergänzung oder auch Konkurrenz der traditionellen Satzzeichen.
Als in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Orthographie zunahmen, erfuhr die Interpunktion nur wenig Aufmerksamkeit. Während die Schreibung der Wörter offiziell standardisiert wurde, blieb die Zeichensetzung ausgespart. Amtlich geregelt wurde sie erst 1996, im Zuge der Rechtschreibreform. Es ist Konrad Duden und seinen Nachfolgern zu verdanken, dass die Interpunktionsregeln trotzdem schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts normative Wirkung entfalteten.
Zu Recht sieht Rinas die Rolle des "Duden" aber auch kritisch: Mit spitzfindigen Satzbeispielen kreierten seine Redakteure eine Fülle von "Zweifelsfällen", die dann immer genauere Regelungen erforderten. Die so erzeugte Sucht nach immer größeren Exaktheitsdosen zementierte - wie auch bei der Wortschreibung - die Unentbehrlichkeit der Regelwerke. Und dieses Erbe wirkt bis heute nach: Liberalisierungen, wie sie im Zuge der Rechtschreibreform versucht wurden, erhöhen deshalb bei sprachbewussten Schreibern nur die Unsicherheit. Andere wiederum missverstehen sie als "Befreiung" von jeder Art der Regelung.
WOLFGANG KRISCHKE.
Karsten Rinas: "Theorie der Punkte und Striche". Die Geschichte der deutschen Interpunktionslehre.
Germanistische Bibliothek Bd. 62. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2017. 492 S., geb., 45,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist der gefühlsgeladene Gedankenstrich, ähnlich wie das Ausrufezeichen, ein Vorläufer heutiger Emoticons? Karsten Rinas erforscht die Geschichte der Interpunktion und fördert Erstaunliches zutage.
Interpunktion ist blutiger Ernst. Das zeigt ein Duell, das im Winter 1837 in Paris stattfand. Zwei Professoren der Rechtswissenschaft, die das Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian neu herausgeben wollten, konnten sich nicht darüber einigen, ob an einer bestimmten Stelle ein Doppelpunkt oder ein Semikolon zu setzen sei. Als auch Justinians Justizminister Tribonianus - als Zitatlieferant - den Streit nicht beizulegen vermochte, kreuzten die Gelehrten die Klingen. Der Verfechter des Doppelpunkts siegte, der Streiter für das Semikolon erlitt eine Verletzung am Arm.
Der Vorfall, so grotesk er ist, wirft ein scharfes Licht auf die Bedeutung, die die Zeichensetzung für die Schriftsprache hat. Doch obwohl sie ein wichtiges Instrument der Sinngebung und Leseführung ist, spielt sie in den Orthographie-Debatten höchstens eine Nebenrolle. Auch in sprachhistorischen Darstellungen stehen Punkt, Komma und Co. im thematischen Schatten der Wortschreibungsregeln. Untersuchungen zur Geschichte der Interpunktion ruhten bislang auf einer eher schmalen Quellenbasis. Karsten Rinas, Germanist an der Universität Olmütz, hat nun eine Lücke geschlossen: Sein Buch liefert eine ebenso umfassende wie detaillierte Geschichte der deutschen Interpunktionsregeln und ihrer theoretischen Begründungen, eingebettet in kulturelle und sprachpolitische Zusammenhänge.
Dabei liegen der klar geschriebenen und transparent gegliederten Darstellung nicht nur orthographische Regelwerke, Grammatiken und Stil-Ratgeber zugrunde, sondern auch Quellen aus den Bereichen Rhetorik und Poetik, Logik, Recht, Theologie und Musik. Die griechisch-römische Antike, die die deutsche Schriftkultur des Mittelalters prägte, verwendete Interpunktionszeichen äußerst sparsam. Vielfach wurden nicht einmal Wortgrenzen markiert. Oft war es erst der Leser, der Satzzeichen setzte, um den Text für sich zu gliedern. Dabei ist "Satzzeichen" eigentlich ein moderner Anachronismus: Nicht der syntaktisch definierte Satz bildete die Grundeinheit der Gliederung, sondern die in der Rhetorik verwurzelte "Periode", eine Wortverbindung, die eher inhaltlich und rhythmisch als grammatisch bestimmt war.
Ihr untergeordnet waren das Colon und das Comma als kleinere Wortgruppen. Im Mittelalter gingen diese Namen auf die Zeichen über, die zu ihrer Abgrenzung dienten. Die "Periode" existiert als grammatischer Begriff zwar noch heute. Doch in den Interpunktionslehren wurde sie zum Punkt, der im Englischen immer noch "period" heißt, und das Colon zum Doppelpunkt. Das Comma konnte zunächst sowohl einen Schrägstrich - die Virgel - als auch das Häkchen bezeichnen, das wir noch heute verwenden.
Die Kategorien der antiken Rhetorik prägten die Interpunktionslehren bis in die frühe Neuzeit hinein. Bei der Übertragung auf das Deutsche gerieten sie allerdings ins Schwimmen, weil sich die Prosodie des Lateinischen, in der sie teilweise wurzelten, von der des Deutschen stark unterschied. Das Ergebnis waren Regelwerke, die sich durch Unklarheiten und eine verwirrende Terminologie auszeichneten. Oft verstießen ihre Texte und Beispielsätze sogar gegen die in ihnen propagierten Regeln, weil die Setzer nach eigenem Gutdünken interpungierten.
Eine Systematisierung begann im Zeitalter der Aufklärung. Zwar verschwanden lautliche und semantische Kriterien nicht aus den Regelwerken, aber das Fundament bildeten jetzt Satzbau und Logik. Gegen den Einbruch der Gefühle waren allerdings auch sie nicht gefeit: Mit dem Sturm und Drang eroberte der Gedankenstrich die Literatur, wo er für wortlos tobende Emotionen zwischen expressiven Satzfetzen stand. Seine Inflationierung rief bald schon Spötter auf den Plan: "Wo ihnen die Gedanken fehlen, da lassen sie den Raum mit Strichen erfüllen."
Ist der gefühlsgeladene Gedankenstrich, ähnlich wie das Ausrufezeichen, ein Vorläufer heutiger Emoticons? Rinas sieht hier gewisse Parallelen und hält es für möglich, dass die Smileys und Emoticons der Chatkommunikation sich zu einem eigenen Interpunktionssystem entwickeln, als Ergänzung oder auch Konkurrenz der traditionellen Satzzeichen.
Als in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Orthographie zunahmen, erfuhr die Interpunktion nur wenig Aufmerksamkeit. Während die Schreibung der Wörter offiziell standardisiert wurde, blieb die Zeichensetzung ausgespart. Amtlich geregelt wurde sie erst 1996, im Zuge der Rechtschreibreform. Es ist Konrad Duden und seinen Nachfolgern zu verdanken, dass die Interpunktionsregeln trotzdem schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts normative Wirkung entfalteten.
Zu Recht sieht Rinas die Rolle des "Duden" aber auch kritisch: Mit spitzfindigen Satzbeispielen kreierten seine Redakteure eine Fülle von "Zweifelsfällen", die dann immer genauere Regelungen erforderten. Die so erzeugte Sucht nach immer größeren Exaktheitsdosen zementierte - wie auch bei der Wortschreibung - die Unentbehrlichkeit der Regelwerke. Und dieses Erbe wirkt bis heute nach: Liberalisierungen, wie sie im Zuge der Rechtschreibreform versucht wurden, erhöhen deshalb bei sprachbewussten Schreibern nur die Unsicherheit. Andere wiederum missverstehen sie als "Befreiung" von jeder Art der Regelung.
WOLFGANG KRISCHKE.
Karsten Rinas: "Theorie der Punkte und Striche". Die Geschichte der deutschen Interpunktionslehre.
Germanistische Bibliothek Bd. 62. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2017. 492 S., geb., 45,- [Euro].
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