Wie schwer wiegt die Bindung einer Theorie an das Gebäude, das sie auf ihrem Grundriss errichtet hat? Wie bindend sind überhaupt Grundrisse, oder anders gefragt: Wie müsste ein Theoriegrundriss aussehen, der es erlauben würde, eine Theoriearchitektur sowohl zu errichten als auch umzubauen? Kann, ja muss ein Grundriss nicht neben einem Aufbau- immer auch ein Abrisskonzept sein? Sind die Begriffe einer Theorie vielleicht nichts anderes als Oszillationen von Aufbau und Abriss, und sind also Theorien nichts anderes als Architekturen von Einsturzchancen? Ein Labyrinth unsicherer Brücken über eingestürzten Arrangements? War Luhmanns Bezeichnung "System-Umwelt-Theorie" so gemeint? Die hier versammelten Texte gehen solchen Fragen nach, ausgehend von der Beobachtung, dass Theorien die Grenzen (oder, mit Georg Simmel: die Niemandsländer) der wissenschaftlichen Disziplinen besiedeln und damit auf einem Grund bauen, in dem man sich zwar aufhalten, in dem man sich aber nicht einrichten kann. Wenn dem so ist, dann sind Theorien nicht mehr, aber auch nicht weniger als Skizzen labyrinthischer, brüchiger, unbewohnbarer Architekturen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2011Bastelanleitung
Die Gesellschaftstheorie Niklas Luhmanns und das Thema Liebe liegen nicht allzu weit voneinander entfernt. Maren Lehmann verkürzt diese Distanz noch einmal. Sie widmet ihr Buch "Theorie in Skizzen" Luhmann und beginnt es mit einer Liebeserklärung - an die Theorie. Während viele Autoren bei Luhmann nach theoretischen Lücken suchen und ihre Kritik daran festmachen, nutzt die Autorin solche Theoriebrüche, um von dort aus - mit Hilfe unterschiedlichster Soziologen, Philosophen und Literaten - weiterzudenken. Sie legt sich die Theorie dafür zurecht, entwickelt eigene Lesarten, wiederholt und zeigt Bekanntes aus neuer Perspektive - der Leser wird voll und ganz beansprucht. Es gelingt der Autorin - um nur ein Beispiel zu nennen -, die in der Seminarsoziologie häufig behandelte, aber doch unentschiedene Frage, ob und welchen Begriff von Körper die Systemtheorie erlaubt, einfach zu überspringen und den Unterschied zwischen ideellen und substantiellen Rauschzuständen zu diskutieren. Und sie geht noch weiter. Sie skizziert und entfaltet Luhmanns Theorie nicht nur auf dem Papier, sondern auch mit ihm - in Form einer Bastelanleitung. In zehn Aufsätzen und Vorträgen vollzieht sie soziologische Grundlagenforschung, die sich ganz in die Theorie zurückzieht und sozialwissenschaftliche Forschungsansprüche explizit zurückweist. Natürlich wehrt sich die Systemtheorie dagegen, als Werkzeug für Prognosen und Beratungen zu dienen. Doch genau dieser Widerstand hätte gut in ein Verhältnis zur "ironischen Vernunft" gesetzt werden können, der sich der letzte Aufsatz widmet. (Maren Lehmann: "Theorie in Skizzen". Merve Verlag, Berlin 2011. 272 S., br., 20,- [Euro].)
stsch
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Gesellschaftstheorie Niklas Luhmanns und das Thema Liebe liegen nicht allzu weit voneinander entfernt. Maren Lehmann verkürzt diese Distanz noch einmal. Sie widmet ihr Buch "Theorie in Skizzen" Luhmann und beginnt es mit einer Liebeserklärung - an die Theorie. Während viele Autoren bei Luhmann nach theoretischen Lücken suchen und ihre Kritik daran festmachen, nutzt die Autorin solche Theoriebrüche, um von dort aus - mit Hilfe unterschiedlichster Soziologen, Philosophen und Literaten - weiterzudenken. Sie legt sich die Theorie dafür zurecht, entwickelt eigene Lesarten, wiederholt und zeigt Bekanntes aus neuer Perspektive - der Leser wird voll und ganz beansprucht. Es gelingt der Autorin - um nur ein Beispiel zu nennen -, die in der Seminarsoziologie häufig behandelte, aber doch unentschiedene Frage, ob und welchen Begriff von Körper die Systemtheorie erlaubt, einfach zu überspringen und den Unterschied zwischen ideellen und substantiellen Rauschzuständen zu diskutieren. Und sie geht noch weiter. Sie skizziert und entfaltet Luhmanns Theorie nicht nur auf dem Papier, sondern auch mit ihm - in Form einer Bastelanleitung. In zehn Aufsätzen und Vorträgen vollzieht sie soziologische Grundlagenforschung, die sich ganz in die Theorie zurückzieht und sozialwissenschaftliche Forschungsansprüche explizit zurückweist. Natürlich wehrt sich die Systemtheorie dagegen, als Werkzeug für Prognosen und Beratungen zu dienen. Doch genau dieser Widerstand hätte gut in ein Verhältnis zur "ironischen Vernunft" gesetzt werden können, der sich der letzte Aufsatz widmet. (Maren Lehmann: "Theorie in Skizzen". Merve Verlag, Berlin 2011. 272 S., br., 20,- [Euro].)
stsch
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main