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Dies ist eine Einführung in die wichtigsten Aspekte theoretischer Debatten in den archäologischen Fächern. Die Einführung erörtert zunächst die Prinzipien der prozessualen Archäologie. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den Problemen der theoretischen Grundlagen praktischer Arbeiten. Hier werden Diskussionen zu ökologischen Analysen, regionalen und siedlungsinternen Untersuchungsverfahren, Typologie, Stil- und Gräberanalyse vorgestellt. Zuletzt wird auf neuere postprozessuale, marxistische und feministische Ansätze eingegangen. Die Darstellung bezieht Kurzbeispiele aus prähistorischem…mehr

Produktbeschreibung
Dies ist eine Einführung in die wichtigsten Aspekte theoretischer Debatten in den archäologischen Fächern. Die Einführung erörtert zunächst die Prinzipien der prozessualen Archäologie. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den Problemen der theoretischen Grundlagen praktischer Arbeiten. Hier werden Diskussionen zu ökologischen Analysen, regionalen und siedlungsinternen Untersuchungsverfahren, Typologie, Stil- und Gräberanalyse vorgestellt. Zuletzt wird auf neuere postprozessuale, marxistische und feministische Ansätze eingegangen. Die Darstellung bezieht Kurzbeispiele aus prähistorischem sowie historischem Kontext ein. Graphiken erleichtern das Verständnis der Texte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.1998

Wer nicht fragt, gräbt dumm
Die Akten manches Prozesses stecken im Untergrund: Reinhard Bernbeck unterrichtet über den Einsatz von Theorien in der Archäologie

Die allgemeine und prähistorische Archäologie will Geschichte aus materiellen Zeugnissen schreiben; im Sog der Routine ist dann freilich oft mehr von Sachen als von Menschen die Rede, und was Kulturwissenschaft sein wollte, verkommt zur antiquarischen Scherbenzählerei: So lautete der Vorwurf gegen eine mit polemischer Absicht konstruierte "alte" Archäologie in den programmatischen Schriften Lewis Binfords und David Clarkes, die in den sechziger Jahren einen Umbruch des archäologischen Selbstverständnisses im anglophonen Raum einläuteten. Ihre Forderung war, Archäologie als Kulturanthropologie zu definieren und als Wissenschaft im Sinne der Naturwissenschaft zu konstituieren. An die Stelle subjektiver Deutung sollten auf einem Fundament expliziter Theorie fußende Interpretationsverfahren treten.

In Deutschland hat man diese Entwicklung ignoriert oder belächelt, sich um kritische Sichtung bemüht und vereinzelt das "Theoriedefizit" hierzulande beklagt. Keinesfalls läßt sich aber leugnen, daß im Umfeld der "New Archaeology" (der "prozessualen" Archäologie in neuerer Terminologie) ein vitaler Diskurs entstanden ist, der das Gesicht der Disziplin international verändert hat, und Reinhard Bernbecks Band "Theorien in der Archäologie" bietet sich als Schlüssel für denjenigen an, der sich mit diesen Strömungen vertraut machen möchte.

Der Titel ist exakt. Das Buch handelt von Theorien, nicht von Methoden: Es geht nicht um Fragen wie Grabungstechnik und archäologische Statistik; es geht um die Prinzipien der sozialwissenschaftlichen Interpretation. Das Buch handelt von Theorien im Plural. Weder entwirft der Autor einen eigenen Ansatz, noch zwingt er das vorhandene Spektrum in eine Linie: Möglichst alle Strömungen sollen zu Wort kommen. Schließlich handelt das Buch von Theorien in der Archäologie, nicht von Theorien der Archäologie. Damit ist die Lage charakterisiert. Viele der debattierten Konzepte haben mit Archäologie erst einmal wenig zu tun. Im Zentrum steht die Anwendung sozialwissenschaftlichen Gedankenguts unter den Bedingungen des defizienten archäologischen Quellenzugangs. Spezifisch archäologisch im positiven Sinne bleibt, daß langfristige kulturelle Prozesse in den Blick genommen werden.

Der Stil der akademischen Lehre prägt das Format des Bandes. Die Darstellung der unterschiedlichen Positionen steht im Vordergrund und setzt mit den sechziger Jahren ein. Die kritische Diskussion wird sichtbar, aber sie wird zurückhaltend geführt. Der Verfasser will seine Leser vom Wert theoretischer Reflexion in der Archäologie überzeugen, nicht von einzelnen Auffassungen. Unprätentiös geschrieben, kommt der Band völlig ohne den berüchtigten Jargon der archäologisch-theoretischen Literatur aus. Ein ausgezeichnetes Lehrbuch also, in dem der Leser kompetent aufbereiteten Stoff, Anleitung zu Kritik und Raum für eigene Gedanken findet.

Zunächst werden Grundkonzepte der prozessualen Archäologie dargestellt. Gemäß einem neoevolutionistischen und systemtheoretischen Modell standen Fragen der ökologischen Adaptation im Vordergrund. Erkenntnistheoretisch wurde der Suche nach übergreifenden "Gesetzen" die höchste Priorität eingeräumt. Die Brücke zum archäologischen Material schlugen die "Theorien mittlerer Reichweite", der Versuch, feste Beziehungen zwischen soziokulturellen Sachverhalten und materiellen Befunden herzustellen, und das Verfahren des Analogieschlusses, durch den Beobachtungen an neueren Kulturen für die Deutung der archäologischen Zeugnisse nutzbar gemacht werden sollten. Das Ziel, strenge Gesetzmäßigkeiten aufzudecken, wurde letztlich verfehlt; dennoch war das Programm der New Archaeology heuristisch fruchtbar. Insbesondere der intensive Bezug auf ethnologische Daten, der freilich seit dem Evolutionismus des neunzehnten Jahrhunderts gegeben war, prägt ohne Frage das archäologische Denken der Gegenwart weit über die prozessuale Archäologie hinaus. Diese Rolle der Ethnologie hätte wohl sogar ein eigenes Kapitel verdient.

Ein zweiter Abschnitt wendet sich typischen archäologischen Problemkomplexen zu. Neben drei Kapiteln über Raumnutzung und Besiedelung stehen ein Kapitel über die Analyse von Grabfunden und zwei zu archäologischen Grundsatzfragen: Typologie und Stil. Die Themen dieses zweiten Abschnitts stehen der konkreten archäologischen Arbeit am nächsten und greifen bereits über den Ansatz der New Archaeology hinaus. Im Bereich der Siedlungsanalysen kann der Autor auf eigene Forschungen zurückgreifen, und daher wird seine Darstellung hier besonders anregend. Die Kapitel über Typologie und Stil bieten Einleitungen in überreiche Problemfelder, die im Rahmen eines solchen Bandes naturgemäß nicht ausgeschöpft werden können.

Der dritte Abschnitt vereint unter der Überschrift "neuere theoretische Entwicklungen" Kapitel über postprozessuale, marxistische und feministische Ansätze. Die hier referierten Positionen eint die Abkehr vom schematischen Szientismus der New Archaeology. In der Assimilation eines breiten Spektrums sozialanthropologischer und geschichtswissenschaftlicher Positionen geht es um ein reicheres Bild von Gesellschaft und von menschlichem Leben darin. Zentral dabei ist, Kulturen als Systeme von Bedeutungen und Wahrnehmungen zu begreifen und die archäologischen Daten auf die Artikulation symbolischer Systeme zu beziehen; damit tritt das Spezifische und Historische, das die prozessuale Archäologie tendenziell ausblendet, in den Blick; Spannungen und Brüche in Gesellschaften werden als eine Quelle offener historischer Dynamik sichtbar. Im postprozessualen Kontext wird auch die gesellschaftliche Bedingtheit archäologischer Rekonstruktion zum Thema, ein berechtigtes Anliegen, das aber oft unproduktiv bleibt.

Archäologie wird so als entschieden intellektuelle Tätigkeit gezeigt. Erfrischend ist, daß mehr von ihren Möglichkeiten und vom Vorstoß in neue Gebiete als von ihren Grenzen die Rede ist. Vor allem sollte dieses Buch Ausgangspunkt zu intensiver Lektüre der originalen Arbeiten sein. Die umfassende und hervorragend erschlossene Bibliographie bietet dazu die ideale Grundlage.

Die New Archaeology ist ausgezogen, allgemeine Gesetze der sozialen Welt und ihrer Manifestation in materiellen Zeugnissen zu finden - gefunden hat sie eine kaum umgrenzte Vielfalt des Möglichen. Auf Schritt und Tritt wird deutlich, wie wenig sich die Existenz des Menschen auf Formeln reduzieren läßt. Eine andere Einsicht tritt hinzu: Kulturen sind nicht nur "Fälle" in methodologischen Studien, und die Völker der ethnographischen Gegenwart sind mehr als ein Steinbruch für "Analogien". Vor dem Vergleich müssen Gesellschaften in ihrer Integrität in den Blick treten. Die "Geschlossenheit der Argumentation", die Bernbeck zum Schluß fordert, muß Geschlossenheit in der Erfassung der Befunde einschließen. Rückkehr zu (oder Beharren auf) einer explizit historischen Orientierung prägt denn auch, wie Ian Hodder aufgewiesen hat, das aktuelle archäologische Denken in Europa. In dieser Perspektive bemißt sich der Wert aller theoretischen Ansätze, die dieser Band ausbreitet, fallweise an ihrer Fähigkeit, zu einem konkret und umfassend angelegten historischen Bild beizutragen. STEPHAN SEIDLMAYER

Reinhard Bernbeck: "Theorien in der Archäologie". Francke Verlag, Tübingen 1997. 404 S., br., 39,80 DM.

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