Mearsheimer vertritt die Theorie des „offensive realism“. Danach sind die Beziehungen der Großmächte in der internationalen Politik davon geprägt, dass jede Macht um der eigenen Sicherheit willen gezwungen ist, stets danach zu streben, die eigene Macht auf Kosten der anderen Mächte zu steigern und
nach Möglichkeit eine regionale Hegemonie zu erreichen. Außer einem solchen Hegemon gibt es in diesem…mehrMearsheimer vertritt die Theorie des „offensive realism“. Danach sind die Beziehungen der Großmächte in der internationalen Politik davon geprägt, dass jede Macht um der eigenen Sicherheit willen gezwungen ist, stets danach zu streben, die eigene Macht auf Kosten der anderen Mächte zu steigern und nach Möglichkeit eine regionale Hegemonie zu erreichen. Außer einem solchen Hegemon gibt es in diesem System keine „Status-Quo-Mächte“, sondern alle Mächte streben ununterbrochen danach, die „balance of power“ zu ihren Gunsten zu verschieben. Diese Diktate der „Realpolitik“ gelten nach M. für alle Mächte, unabhängig von innerer Staatsverfassung und Ideologie.
M. findet daher in der Geschichte nicht „böse“ (herkömmlich: Deutsches Kaiserreich, NS-Deutschland, Japanisches Kaiserreich, Sowjetunion, sonstige Diktaturen) und „gute“ Mächte (herkömmlich: USA, Großbritannien, Demokratien im Allgemeinen), sondern nur solche, die sich entsprechend den Diktaten der Realpolitik verhalten. Diese bewusst moralfreie Sicht auf die Dinge führt etwa dazu, dass M. zwar davon ausgeht, dass das Hegemoniestreben des Deutsche Kaiserreichs den Ersten Weltkrieg ausgelöst hat, dann aber daraus den Vorwurf ableitet, dass das Kaiserreich den Krieg bereits 1905 hätte auslösen sollen, um die Schwäche Rußlands nach den Niederlagen gegen Japan auszunutzen.
„Liberale“ oder „idealistische“ Theorien der internationalen Beziehungen werden von M. glatt verworfen, er sieht keinen Anhaltspunkt dafür, dass Demokratien sich nicht nach den Diktaten der Realpolitik verhalten oder dass etwa die Außenpolitik der USA besonders tugendhaft und moralisch und nicht an Machtpolitik, sondern an „das Gute“ verfolgenden Prinzipien orientiert wäre („It should be ovious to intelligent observers that the United States speaks one way and acts another.“)
M. exemplifiziert seine Theorien an der Weltgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und findet seine Thesen wenig überraschend in der Geschichte vollauf bestätigt. Die historischen Exkurse sind dabei in der politikwissenschaftlich üblichen Weise etwas oberflächlich und redundant, was aber in der Natur der Sache liegt, da der Politikwissenschaftler eben nicht dem singulären historischen Ereignis gerecht werden will, sondern in der Geschichte nach Mustern sucht, die seinem Modell entsprechen. Dass die Großmacht-Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert dem „Primat der Realpolitik“ unterlagen, hätte man M. allerdings auch ohne weitschweifige Ausführungen geglaubt, interessanter wäre es gewesen, wenn M. sich stattdessen etwas mehr mit den politikwissenschaftlichen Modellen auseinandergesetzt hätte, die seinem „offensive realism“ widersprechen, was aber nur auf relativ wenigen Seiten in der Einleitung und in den Endnoten ausdrücklich geschieht.
In einem abschließenden Kapitel untersucht M. die Frage, ob der Aufstieg Chinas friedlich vonstatten gehen kann und kommt zu der Einschätzung, dass China unweigerlich nach regionaler Hegemonie in Ostasien streben werde und die USA und ihre Verbündeten in der Region dies nicht einfach so geschehen lassen würden, weshalb die Wahrscheinlichkeit, dass der Aufstieg Chinas mit kriegerischen Auseinandersetzungen einhergehen wird, relativ hoch sei.
Das Buch wurde vor der Krim-Annexion durch Rußland und der Ostukraine-Krise geschrieben, kann aber auch mit Bezug hierauf mit einigem Gewinn gelesen werden. Zum einen vertritt M. in einer Nebenbemerkung die Auffassung, dass nur ein verblendeter Liberaler wie Bill Clinton übersehen konnte, dass die NATO-Osterweiterung 1997 zu einer gefährlichen Isolierung Rußlands führen würde (S. 23), zum anderen darf man wohl davon ausgehen, dass die von M. vertretene Theorie der Staatenwelt in etwa dem Weltbild der führenden Männer im Kreml entspricht. Wer sich also den Kopf zerbricht, „was Putin denkt“ und warum er handelt, wie er handelt, sollte vielleicht eher Mearsheimer lesen als die Spekulationen psychologisierender Kreml-Astrologen.