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Der Ruhm des jungen Kriegers Okonkwo verbreitet sich wie ein Lauffeuer in West Afrika. Als er jedoch unbeabsichtigt ein wichtiges Stammesmitglied tötet, gerät seine Welt aus den Fugen.

Produktbeschreibung
Der Ruhm des jungen Kriegers Okonkwo verbreitet sich wie ein Lauffeuer in West Afrika. Als er jedoch unbeabsichtigt ein wichtiges Stammesmitglied tötet, gerät seine Welt aus den Fugen.
Autorenporträt
Chinua Achebe
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2012

Wenn ein Großmaul zwischen allen Stühlen sitzt
Ein Grundbuch der afrikanischen Literatur: Chinua Achebes Erstling „Alles zerfällt“ von 1958 gibt es jetzt in einer deutschen Neuübersetzung
Das wird schiefgehen. Mit Okonkwo, dem stolzen Krieger aus dem nigerianischen Stamm der Igbo, ist etwas faul. Auch wenn er selber glaubt, dass er der Größte und Schönste sei: er wird von ganz oben auf die Nase fallen. Geschickt lässt Chinua Achebe, dessen Welterfolg „Things fall apart“ jetzt in einer Neuübersetzung erscheint, uns eine gute Weile lang glauben, er halte die Selbstgerechtigkeit und den tölpelhaften Jähzorn dieses bedeutenden Mannes, der alles tut, um den Ruf seines Vaters vergessen zu machen, für „normal“.
Auch seine drei Frauen behandelt Okonkwo grob. Als die jüngste einen Tag lang wegbleibt, ohne sich abzumelden, verprügelt er sie im Zorn. Die beiden älteren Frauen versuchen, ihn davon abzuhalten, aber „halbe Sachen“ sind nicht Okonkwos Ding. Das heißt auch: er ist erfolgreich. Ganz anders als sein Vater, der gerne sang, trank und Schulden machte. Jede der Frauen Okonkwos hat ihre eigene Hütte, eigene Hühner. Die sollen bloß meckern, keine kann sagen, er sorge nicht für seine Familie.
Chinua Achebe, 1930 im Osten Nigerias geboren, hat 2002 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und 2007 den Booker-Prize erhalten. Wie aber kam es dazu, dass sein Erstling, der 1958 auf Englisch erschien, in fünfzig Sprachen übersetzt ist und eine Weltauflage von acht Millionen erreichte, auf Deutsch erst 1976 in einer Ausgabe im Aufbau-Verlag in der DDR erschien? Und dass es weitere zehn Jahre dauerte, bis Suhrkamp ihn in einem „editions“-Bändchen versteckte, ehe jetzt, wieder eine Generation später, eine neue Hardcover-Ausgabe erscheint?
Teils war es wohl schlicht zu früh: Ende der fünfziger Jahre war nicht die Zeit, in der eine provinzielle Postnazitrümmer- und Wirtschaftswunder-Gesellschaft, die eifrig versuchte, sich nach dem Vorbild USA zu recken, für diesen Roman aus Schwarzafrika reif gewesen wäre. Umso mehr, als es darin nicht einmal um die koloniale bis postkoloniale Gegenwart ging: „Alles zerfällt“ spielt um 1890 und markiert einen ganz anderen Übergang, der zu Beginn des Buchs noch gar nicht erkennbar ist.
Chinua Achebe erzählt beinahe ausschließlich aus afrikanisch-dörflicher Perspektive vom Ende der Stammesherrschaft und von den Anfängen des kolonialen Systems. Das bedeutet, dass auch manch heute irritierend volkstümliches Stammesleben eine Rolle spielt. Aber es wird ebenso nachvollziehbar, dass der Kolonialismus auch in der eigenen, afrikanischen Gesellschaft seine Stützen hatte. Das ist nicht unpikant. Achebe selbst verfügt über eine Herkunft, die ihn dazu prädestiniert, doppeldeutige Bücher zu schreiben: Sein Vater war Katechet, und man muss nur die Generationen hochrechnen und bemerken, dass der Buch-Okonkwo einen Sohn hat, der zu den Christen geht, um in Okonkwo die Großväter von Achebe zu vermuten.
Inwieweit Buch und Lebensverhältnisse letztlich abzugleichen sind, ist eher unwesentlich: aber die intime Kenntnis der Konflikte, in die man als Schwarzer in der damaligen Übergangszeit geraten konnte, hilft dem Roman mehr als vieles andere. Erst allmählich kommt er nämlich auf die Ebene von Weltliteratur, werden Okonkwos Schwierigkeiten mit dem Vater, dem Sohn, dem eigenen herrischen Temperament sowie seine Probleme mit den Dorfgrößen im Rahmen politischer Geschichte lesbar. Okonkwo, der vom Stamm für sieben Jahre in das Dorf der Familie seiner Mutter verbannt wird, weil er bei einer Totenfeier versehentlich ein Stammesmitglied tötet, gerät Achebe nach und nach zur ungebärdigen Repräsentativfigur eines Afrikas im Übergang. Roh und begabt, stolz und großmäulig, von vorneherein feindselig gegenüber den inzwischen eingetroffenen Missionaren, setzt er sich immer zwischen alle Stühle, passt weder in die alte noch in die neue Gesellschaft.
Achebe selbst schimpft noch heute kräftig über Joseph Conrad & Co, die ein düster-dramatisches, spannendes Bild vom Leben in den Kolonien entwerfen, zu dessen Exotik es gehört, dass die Einheimischen meist eine unheimliche, gesichts- und namenlose Leerstelle bleiben. Tatsächlich gelingt Achebe schon in seinem ersten, formal keineswegs perfekt austarierten Roman, ein nichtfolkloristisches Bild einer in sich zerrissenen schwarzen Gesellschaft aus Individuen.
Die Weißen und ihre Welt spielen darin nur eine kleine Rolle. Zuerst kommt ein Missionar, der aus Lehm eine kleine Kirche baut – unterstützt von Auswärtigen, bei denen das Kolonialregime und seine Folgen früher angekommen sind. Father Brown will seinen Glauben als überzeugendes Vorbild vertreten. In den Augen der Dorfgemeinschaft bleibt er so „dumm“ wie alle Weißen, weil auch er die Regeln nicht kennt, nach denen sich das Leben hier richtet, aber er wird als Fremder akzeptiert.
Ganz anders sein Nachfolger, der nach Browns krankheitsbedingtem Tod eintrifft. Smith hat es, sagt er, nicht auf die „Masse“ abgesehen, sondern auf eine strenggläubige Elite. Er verabscheut Browns Kompromisse mit dem „heidnischen“ Glauben, und fördert unter den einheimischen Jüngern fanatische Konvertiten, die gern gleich in irgendeinen heiligen Krieg zögen.
Aber auch die Weißen zeigen bei Achebe ein doppeltes Gesicht. Einerseits bittet der District Commissioner in die Stadt, um Streit zu schlichten. Doch eine Delegation, der auch Okonkwo angehört, wird, als sie ihre Sicht eines Konflikts schildert, festgenommen. Klassischer Verrat. Nach dem Verhör verschwindet der District Commissioner. Provokant lässt Achebe offen, ob der Commissioner oder die schwarzen Helfershelfer für die anschließende Demütigung, die Kahlscherung der Gefangenen, verantwortlich sind.
Mit der Beschränkung auf die Einheimischen-Perspektive erreicht Achebe die beklemmende Illusion einer nachvollzogenen Kolonialisierung. Weiße tauchen zuerst nur wie schemenhaft im Bewusstsein der Schwarzen auf. Erst in Achebes folgenden Büchern, wie „Arrow of God“, werden sie zu gleichberechtigten Akteuren, kompliziert sich das Bild des Zusammenlebens. In „A Man of the People“ zeigt Achebe schließlich einen korrupten schwarzen Minister. Auf diese Weise werden seine Bücher, bei teils wiederkehrendem Personal, über die Jahre zu einer Art afrikanischer Chronik.
Doch was passiert mit Okonkwo? Seine Figur wird immer tragischer, problematischer. Allmählich beginnt man sich ausgerechnet in ihn, der anfangs wie ein brutaler Tölpel wirkte, einzufühlen. Was ihm auch nicht hilft. Als Abgesandte der Kolonialregierung auftauchen, kann er sich wieder nicht beherrschen.
HANS-PETER KUNISCH
CHINUA ACHEBE: Alles zerfällt. Roman. Aus dem Englischen von Uda Strätling. Mit einem Vorwort von Chinamanda Ngozi Adichi. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 237 Seiten, 19,99 Euro.
In diesem Roman entsteht das
Bild einer in sich zerrissenen
schwarzen Gesellschaft
Im Südosten Nigerias, im frühen 20. Jahrhundert: Männer aus dem Stamme der Igbo decken ein Hausdach mit Matten aus Palmblättern Foto: Bettmann/CORBIS
Chinua Achebe 2008 in New York
Foto: AP
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