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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2020

Kann jeder reich werden?

Mit 13 Prinzipien zum Erfolg: Das verspricht der meistverkaufte Ratgeber der Welt. Sein Autor ist vielfach gescheitert.

Von Thomas Klemm

Die einfachsten Versprechungen kommen oft am besten an. Das zeigt sich seit jeher an den Bestsellerlisten, auf denen es immer wieder Ratgeber nach oben schaffen, die menschliche Sehnsüchte im Titel tragen. "Sorge dich nicht - lebe!" gehört zu den Dauerbrennern in der Sparte. In jüngeren Bestsellern geht es um die innere Kraft, die Gutes schafft ("So stärken Sie Ihr Selbstwertgefühl"), um eine lebensverlängernde Ernährungsweise ("How Not to Die") oder ums nackte Überleben in Corona-Zeiten ("How to Survive a Pandemic"). Manche Titel sind dem Zeitgeist geschuldet und bald wieder vergessen. Andere halten scheinbar ewig. Zu den Versprechen, die auch nach Jahrzehnten inspirierend auf ihre Leser wirken, gehört Napoleon Hills Werk "Think and Grow Rich".

Von der Anleitung zum Nachdenken und Reichwerden wurden mehr als 60 Millionen Exemplare verkauft. Lässt man die Bibel und den Koran außen vor, steht das Buch damit unter den Top Ten der meistverkauften Bücher der Welt - hinter "Der Kleine Prinz", "Der Herr der Ringe" und "Harry Potter" und gleichauf mit dem "Da Vinci Code" von Dan Brown. Bei Amazon haben allein die englischsprachigen Hill-Ausgaben weit mehr als 30 000 Leserbewertungen, der Schnitt liegt bei 4,6 von 5 Sternen.

Think and Grow Rich hat seit seinem Erscheinen 1937 Generationen von aufstrebenden Unternehmern, Angestellten, Uniabsolventen und Sportlern inspiriert. Hills Grundthese ist schließlich für jeden verlockend, der Großes erreichen will. Sie lautet: Alles, was sich ein Mensch im Geiste vorstellen kann, kann er in der Tat auch erreichen. Voraussetzung dafür ist, dass er gewisse Prinzipien beharrlich verfolgt und nie aufhört, positiv zu denken. Der amerikanische Traum, wie er im Buche steht.

"Viele wären gerne reich", schreibt Napoleon Hill: "Doch nur wenige wissen, dass ein konkreter Plan zusammen mit dem dringenden Anliegen, zu Geld zu kommen, die einzigen zuverlässigen Mittel sind, um sich ein großes Vermögen aufzubauen." Diese Überzeugung stammt weniger von Hill selbst als vielmehr von einigen Dutzend Millionären, denen er in Gesprächen Erfolgsrezepte entlockte.

13 Prinzipien präsentiert Hill in Think and Grow Rich: Von "Verlangen" und "Autosuggestion" über "Phantasie", "Ausdauer" bis zu "organisierte Planung". Viele Jahre später hat Hill seine Erfolgsgesetze um vier erweitert. Dazu gehört beispielsweise das Prinzip "Zeit und Geld budgetieren", das Ratschläge bereithält, die bis heute gelten. So sei eine Lebensversicherung ein Muss, ebenso wie Sparsamkeit. Für Kleidung, Essen und Wohnen sollte ein Budget festgelegt werden.

Zudem sei regelmäßiges Sparen wichtig, um Geld für sich arbeiten zu lassen: "Entwickeln Sie ein System, um einen kleinen Prozentsatz dessen, was durch Ihre Hände geht, zu sparen. Der Betrag ist nicht so wichtig wie die Tatsache, Spargewohnheiten zu etablieren." Wie die Finanzexperten von heute hat Napoleon Hill schon in den 1950er Jahren zu einem Sparplan geraten - vorzugsweise breit gestreut in Wertpapiere: "Ich bin ein großer Anhänger davon, Geld in einen Anlagefonds anzulegen, der eine große Bandbreite von bekannten Aktien umfasst. Denn falls sich eine davon schlecht entwickelt, ist nicht Ihre gesamte Investition betroffen." Ein trefflicher Rat. Kein Wunder, dass Hill bis heute viele Anhänger hat.

Selbst wer Hills 320-Seiten-Ratgeber nicht von vorne bis hinten studiert hat, sondern nur auszugsweise kennt, hält sich an die populärsten Erfolgsgesetze. Vor allem das Prinzip, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man sich einem Unternehmen oder einer Arbeit mit Haut und Haar verschreibt und nicht unterkriegen lässt, haben viele prominente Geschäftsleute übernommen und ihrerseits weitergegeben. "Wer nicht mag, was er tut, verliert", hat der New Yorker Immobilienunternehmer Fred Trump einst seinem Sohn Donald in reinster Napoleon-Hill-Manier mit auf den Weg gegeben. Im gleichen Sinne appellierte Apple-Gründer Steve Jobs an Studenten der Stanford-Universität, dass nur derjenige Großtaten vollbringe, der seine Arbeit liebt.

Mitt Romney, Unternehmensberater, Finanzinvestor und 2012 amerikanischer Präsidentschaftskandidat der Republikaner, hatte Hills Selbsthilfebuch im Gepäck, als er als junger Missionar durch Frankreich reiste. Lars Hinrichs, Gründer des Businessnetzwerks Xing, überreichte jahrelang neuen Mitarbeitern ein Exemplar. Sogar die deutschen Fußball-Nationalspieler bekamen vor der Heim-WM 2006 Think and Grow Rich vom Teammanager Oliver Bierhoff zugesteckt. "Es war das erste Buch, das ich auf diesem Gebiet gelesen habe, was mir den Anstoß gab, andere Bücher zu lesen, um für mich einen Weg zu finden", wie Diplomkaufmann und DFB-Direktor Bierhoff einmal im Gespräch mit dieser Zeitung sagte.

Dass Hills Landsleute auf den praktischen Ratgeber schwören, leuchtet sofort ein, ist das Buch doch eine Art Wegweiser zur Erfüllung des amerikanischen Traums. Dass aber auch viele Menschen in anderen Ländern Hills Erfolgsgesetzen bis heute folgen, zeugt von einer offenbar universellen Kraft des Werkes. Dazu ist Think and Grow Rich mit seiner bunten Mischung aus Anekdoten, Fakten, Checklisten und Ratschlägen auch noch leicht lesbar.

Das Buch enthalte einige Erkenntnisse, die von der Kreativitätsforschung erst Jahre später bewiesen wurden, schreibt Hills zeitweiliger Begleiter Michael J. Ritt in einer lesenswerten Biographie, die soeben auf Deutsch erschienen ist ("Napoleon Hill", Finanzbuchverlag, 256 Seiten, 19,99 Euro). Ein darin zitierter Kritiker schreibt, Think and Grow Rich sei "von einer Spiritualität durchdrungen", die "uns zu außergewöhnlichen Menschen werden lässt". Für viele wurde Hill wegen seiner Bücher, Vorträge, Radiobeiträge und Filme zu Lebzeiten eine Art Guru.

Das Erstaunlichste ist aber, dass der Autor selbst in vielen Belangen scheiterte. Ob als Manager einer Zeche, als Autoverkäufer, Werbefachmann, Herausgeber oder als Ehemann und Vater: vieles, was Napoleon Hill anpackte, ging schief. Zum Teil war es äußeren Umständen wie dem Ersten Weltkrieg oder der Weltwirtschaftskrise geschuldet, zum Teil seiner eigenen Arglosigkeit. Mehr als einmal wurde Hill über den Tisch gezogen. Erst in seinen späten Fünfzigern war er wohlhabend, glücklich verheiratet und in ganz Amerika und darüber hinaus verehrt. Ein "kleines bisschen größenwahnsinnig" sei Hill gewesen, schreibt sein ansonsten äußerst wohlmeinender Biograph Ritt.

In jungen Jahren war Napoleon Hill, unter ärmlichen Verhältnissen 1883 in einer Blockhütte geboren, vor allem ein Hallodri. Als Kind ein Unruhestifter, arbeitete er mit 13 in einer Kohlemine - für einen Dollar am Tag, abzüglich Kost und Logis. Mit 15 verdingte er sich als Journalist einer Provinzzeitung in seiner Heimat Virginia. Wenn es nichts zu berichten gab, produzierte er Fake News, indem er ausgedachte Geschichten zu Papier brachte. Nach Abschluss der Handelsschule scheiterte er in seinen ersten Jobs, ehe er bei einem bekannten Magazin anheuerte. Sein Verdienst war mickrig, sein Auftrag aber attraktiv: Er sollte die reichsten Amerikaner interviewen und ihr Erfolgsgeheimnis ergründen. Gleich das erste Gespräch veränderte Napoleon Hills Leben.

Andrew Carnegie, der schwerreiche Stahlproduzent und Wohltäter, empfing den knapp 25-Jährigen im Herbst 1908 in seinem New Yorker Herrenhaus. Als Carnegie merkte, dass Hill seine Ideen und Theorien für ein erfolgreiches Leben geradezu aufsaugte, wurde aus dem vereinbarten dreistündigen Interview ein ganzes Wochenende. Am Ende bot Carnegie dem jungen Besucher ein Projekt an: Er solle alle herausragenden Amerikaner seiner Zeit nach ihren Überzeugungen fragen und die Erkenntnisse an viele Menschen weitergeben. Er werde ihm mit Empfehlungsschreiben Zugang zu schwerreichen Geschäftmännern verschaffen, aber nichts bezahlen außer den Reisekosten, sagte Carnegie. Napoleon Hill, obwohl zu dem Zeitpunkt mittellos wie oft in seinem Leben, sagte zu.

So erhielt Hill die seltene Möglichkeit, mit den erfolgreichsten Männern seiner Zeit zu sprechen: unter anderem mit Thomas Edison, dem Erfinder der Glühlampe, mit Kodak-Gründer George Eastman, dem Kaugummi-Magnaten William Wrigley, Kaufhausgründer Winfield Woolworth, Privatbanker J. P. Morgan und dem Automobilhersteller Henry Ford, aus dem Hill aber nicht viel herausbekam, weshalb er mit dessen Angestellten und Geschäftspartnern sprach. Insgesamt hat er über 25 Jahre hinweg angeblich die Biographien von mehr als 500 Selfmade-Multimillionären studiert.

Diese Gespräche hatte Hill schon in früheren Büchern wie Law of Success oder Magazinen wie Golden Rule verarbeitet, allerdings ausschweifend und schwülstig geschrieben. Dass erst Think and Grow Rich durchschlagenden Erfolg brachte, lag vor allem an zweierlei. Zum einen ließen die Amerikaner die Große Depression allmählich hinter sich und konnten sich wieder ums berufliche Fortkommen kümmern. Zum anderen lag es an der weiblichen Hand, die ihn führte. Seine zweite Frau, mit der er drei Jahre lang eine ebenso produktive wie stürmische Ehe führte, sorgte für eine klare Sprache und anschauliche Tipps. Dabei herausgekommen sind Leitsätze wie übers Geld: "Es will auf eine Weise umworben und gewonnen werden, die der eines Mannes, der wild entschlossen ist, die Dame seiner Wahl zu erobern, nicht unähnlich ist." Oder: "Macht ist die Voraussetzung für finanziellen Erfolg. Pläne sind müßig und nutzlos, wenn man nicht die Macht hat, sie auch in die Tat umzusetzen."

Indem er die Einsichten der damaligen Erfolgsmänner massentauglich zu Ratschlägen aufbereitete, sei er "Millionen von Menschen in der ganzen freien Welt" eine Hilfe gewesen, sagte Napoleon Hill wenige Jahre vor seinem Tod 1970. Manchmal klingt Hill so großspurig wie jener Mann, der früh mit seinen Lehren in Berührung kam und heute Amerikas Präsident ist. Auch in anderer Hinsicht ähneln sich die beiden: Hills Ego habe stets nach Bestätigung gesucht, schreibt sein Biograph. Wie überzeugt er von sich war, hat Napoleon Hill in der Quintessenz seines Lebens offenbart: "Ich habe mehr Menschen zu Millionären gemacht, als es Mister Carnegie je gelungen ist."

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