Das vorliegende Lesebuch versteht sich als Vorschlag und Einladung zu einer Erkundung des Bernhardschen Schreibens, dessen begriffs- und geschichtenzerstörende Irritationskraft den Leser in seinen Sog zieht und ihn jene Haltung einnehmen läßt, die Thomas Bernhard als die seinem Werk angemessene beschrieben hat: »Man soll sich vorstellen, man ist im Theater, man macht mit der ersten Seite einen Vorhang auf, der Titel erscheint, totale Finsternis - langsam kommen aus dem Hintergrund, aus der Finsternis heraus, Wörter, die langsam zu Vorgängen äußerer und innerer Natur, gerade wegen ihrer Künstlichkeit besonders deutlich zu einer solchen werden.«
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2008Thomas Bernhard, Bauer zu Nathal
Eine prächtige Bildbiographie nähert sich dem Dichter über die Orte, an denen er lebte
Über der Auseinandersetzung mit seinem Werk – und im atemlosen Malstrom seiner Sätze – vergisst man manchmal, dass Thomas Bernhard nicht nur ein herausragender Schriftsteller, sondern einfach auch ein schöner Mann war. Schön nicht im klassischen Sinne – da ist zum Beispiel diese Kartoffelnase –, aber wohl doch in der Art, wie sein Gesicht zu faszinieren und der ganze Kerl einen Eindruck zu machen wusste. So sind es denn zuallererst die Porträtaufnahmen im Mittelteil des Buches, auf denen beim Blättern in der neuen Bildbiographie von Erika und Wieland Schmied das Auge lange und oft auch suchend, röntgend verweilt: als könne man, wenn man diese schönen, intimen Schwarzweiß-Fotografien von Erika Schmied nur intensiv genug anschaut, etwas erahnen, vielleicht sogar sehen und verstehen von den Verstörungen, Sehnsüchten und Todesfurien, die Bernhard, diesen Meister der Manien, umgetrieben haben.
Umso erstaunlicher, wie gut aufgelegt und entspannt man den scheinbar so umdüsterten Dichter auf diesen Bildern antrifft: selig schlummernd in der Hängematte; verschmitzt grinsend bei seinem Lieblingskartenspiel „17 + 4”; lässig-elegant in der Haustür der „Krucka” lehnend, seinem alten Bauernhaus auf dem Grasberg, einmal auch dortselbst wie ein halbnackter Storch in der Wiese stehend oder mit den Dachdeckern eine Pause auf der Hausbank einlegend. Wir sehen Bernhard gesellig, mit Lederhosen und Filzhut, beim „Kirtag” in Laakirchen, sehen ihn hemdsärmelig Eis schlecken oder barfuß, im sommerlichen Kurzhosen-Outfit, beim munteren Mosttrinken im Wohnzimmer seines Vierkanthofes in Obernathal. Wie leutselig der schreibende Grantler auf diesen Bildern wirkt, wie heiter und gelöst! Manchmal schaut er wie ein Bauer aus, mit Sepplhut und Janker – und dieser sagenhaft schönen Landschaft um sich herum. Auf den Traktor, den er besaß, ließ er ein Schild anbringen: „Thomas Bernhard vulgo Bauer zu Nathal, 4694 Ohlsdorf, Obernathal 2”.
Das Ehepaar Erika und Wieland Schmied – sie Fotografin, er Kunsthistoriker – war mit Thomas Bernhard 23 Jahre lang, bis zu seinem Tod am 12. Februar 1989, befreundet. Ihr prächtiger Band „Thomas Bernhard. Leben und Werk in Bildern und Texten” (Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2008, 314 Seiten, 49,90 Euro) schlägt aus dieser Nähe aufs schönste Kapital. Es ist eine Annäherung an den Schriftsteller und Menschen Bernhard, die über die – von Erika Schmied noch im ursprünglichen Zustand festgehaltenen – Orte und Schauplätze seines Lebens erfolgt. Wieland Schmied arbeitet dazu in den Textpassagen kenntnisreich die Rolle heraus, die diese Orte in Bernhards Werk spielen.
Billigesser und Auge Gottes
In den Kapiteln „Ein Kind”, „Die Ursache”, „Der Keller”, „Der Atem” und „Die Kälte” Bernhards fünfbändiger Autobiographie folgend, beschreibt und zeigt der erste Teil des Buches die Stationen seiner Kindheit und Jugend in Wien, Seekirchen, Traunstein und Salzburg: die Internatszeit im nationalsozialistischen „Johanneum”; die Lehre im Lebensmittelgeschäft des Kaufmanns Podlaha in einem feuchten Keller der Salzburger Scherzhauserfeldsiedlung; den Aufenthalt des Lungenkranken in diversen Sanatorien – auch die Faszination, die seit jeher Friedhöfe auf ihn ausübten. Als uneheliches Kind am 9. Februar 1931 im holländischen Heerlen geboren, wohin die Mutter „dem Ort ihrer Schande” entflohen war, wuchs Bernhard bei seinen Großeltern auf und entwickelte früh das Gefühl, alleingelassen zu sein. Der geliebte Großvater, der Schriftsteller Johannes Freumbichler, wird sein wichtigster Lehrer und Erzieher – und der Tod Bernhards ständiger Begleiter.
Der zweite, sehr private Einblicke gewährende Teil des Bandes widmet sich Bernhards Häusern im oberösterreichischen Alpenvorland: dem idyllischen Vierkanthof in Obernathal, dem Bauerngehöft „Krucka” auf dem Grasberg bei Gmunden, dem abseits am Rand eines dunklen Kiefernwaldes gelegenen „Quirchtenhaus” in Ottnang. Hier hat Bernhard geschrieben und schreibend seine „Auslöschung” betrieben.
Der dritte Teil schließlich folgt in Wortzitat und Bild den Schauplätzen von Bernhards Prosa. Zu sehen sind Kalköfen am Traunsee, wie sie für „Das Kalkwerk” Pate gestanden haben, das schöne Suldental, das die beiden Brüder in „Am Ortler” durchqueren oder Schloss Wolfsegg aus dem Roman „Auslöschung”. Selbst das Restaurant „Auge Gottes” aus der Erzählung „Die Billigesser” haben die Schmieds im neunten Wiener Bezirk ausfindig gemacht. Alle Bernhardianer wird diese fotografische Spurensuche entzücken und beglücken. CHRISTINE DÖSSEL
Thomas Bernhard, 1969 beim Mossttrinken im Wohnzimmer seines Vierkanthofes in Obernathal. Foto: Verlag
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Eine prächtige Bildbiographie nähert sich dem Dichter über die Orte, an denen er lebte
Über der Auseinandersetzung mit seinem Werk – und im atemlosen Malstrom seiner Sätze – vergisst man manchmal, dass Thomas Bernhard nicht nur ein herausragender Schriftsteller, sondern einfach auch ein schöner Mann war. Schön nicht im klassischen Sinne – da ist zum Beispiel diese Kartoffelnase –, aber wohl doch in der Art, wie sein Gesicht zu faszinieren und der ganze Kerl einen Eindruck zu machen wusste. So sind es denn zuallererst die Porträtaufnahmen im Mittelteil des Buches, auf denen beim Blättern in der neuen Bildbiographie von Erika und Wieland Schmied das Auge lange und oft auch suchend, röntgend verweilt: als könne man, wenn man diese schönen, intimen Schwarzweiß-Fotografien von Erika Schmied nur intensiv genug anschaut, etwas erahnen, vielleicht sogar sehen und verstehen von den Verstörungen, Sehnsüchten und Todesfurien, die Bernhard, diesen Meister der Manien, umgetrieben haben.
Umso erstaunlicher, wie gut aufgelegt und entspannt man den scheinbar so umdüsterten Dichter auf diesen Bildern antrifft: selig schlummernd in der Hängematte; verschmitzt grinsend bei seinem Lieblingskartenspiel „17 + 4”; lässig-elegant in der Haustür der „Krucka” lehnend, seinem alten Bauernhaus auf dem Grasberg, einmal auch dortselbst wie ein halbnackter Storch in der Wiese stehend oder mit den Dachdeckern eine Pause auf der Hausbank einlegend. Wir sehen Bernhard gesellig, mit Lederhosen und Filzhut, beim „Kirtag” in Laakirchen, sehen ihn hemdsärmelig Eis schlecken oder barfuß, im sommerlichen Kurzhosen-Outfit, beim munteren Mosttrinken im Wohnzimmer seines Vierkanthofes in Obernathal. Wie leutselig der schreibende Grantler auf diesen Bildern wirkt, wie heiter und gelöst! Manchmal schaut er wie ein Bauer aus, mit Sepplhut und Janker – und dieser sagenhaft schönen Landschaft um sich herum. Auf den Traktor, den er besaß, ließ er ein Schild anbringen: „Thomas Bernhard vulgo Bauer zu Nathal, 4694 Ohlsdorf, Obernathal 2”.
Das Ehepaar Erika und Wieland Schmied – sie Fotografin, er Kunsthistoriker – war mit Thomas Bernhard 23 Jahre lang, bis zu seinem Tod am 12. Februar 1989, befreundet. Ihr prächtiger Band „Thomas Bernhard. Leben und Werk in Bildern und Texten” (Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2008, 314 Seiten, 49,90 Euro) schlägt aus dieser Nähe aufs schönste Kapital. Es ist eine Annäherung an den Schriftsteller und Menschen Bernhard, die über die – von Erika Schmied noch im ursprünglichen Zustand festgehaltenen – Orte und Schauplätze seines Lebens erfolgt. Wieland Schmied arbeitet dazu in den Textpassagen kenntnisreich die Rolle heraus, die diese Orte in Bernhards Werk spielen.
Billigesser und Auge Gottes
In den Kapiteln „Ein Kind”, „Die Ursache”, „Der Keller”, „Der Atem” und „Die Kälte” Bernhards fünfbändiger Autobiographie folgend, beschreibt und zeigt der erste Teil des Buches die Stationen seiner Kindheit und Jugend in Wien, Seekirchen, Traunstein und Salzburg: die Internatszeit im nationalsozialistischen „Johanneum”; die Lehre im Lebensmittelgeschäft des Kaufmanns Podlaha in einem feuchten Keller der Salzburger Scherzhauserfeldsiedlung; den Aufenthalt des Lungenkranken in diversen Sanatorien – auch die Faszination, die seit jeher Friedhöfe auf ihn ausübten. Als uneheliches Kind am 9. Februar 1931 im holländischen Heerlen geboren, wohin die Mutter „dem Ort ihrer Schande” entflohen war, wuchs Bernhard bei seinen Großeltern auf und entwickelte früh das Gefühl, alleingelassen zu sein. Der geliebte Großvater, der Schriftsteller Johannes Freumbichler, wird sein wichtigster Lehrer und Erzieher – und der Tod Bernhards ständiger Begleiter.
Der zweite, sehr private Einblicke gewährende Teil des Bandes widmet sich Bernhards Häusern im oberösterreichischen Alpenvorland: dem idyllischen Vierkanthof in Obernathal, dem Bauerngehöft „Krucka” auf dem Grasberg bei Gmunden, dem abseits am Rand eines dunklen Kiefernwaldes gelegenen „Quirchtenhaus” in Ottnang. Hier hat Bernhard geschrieben und schreibend seine „Auslöschung” betrieben.
Der dritte Teil schließlich folgt in Wortzitat und Bild den Schauplätzen von Bernhards Prosa. Zu sehen sind Kalköfen am Traunsee, wie sie für „Das Kalkwerk” Pate gestanden haben, das schöne Suldental, das die beiden Brüder in „Am Ortler” durchqueren oder Schloss Wolfsegg aus dem Roman „Auslöschung”. Selbst das Restaurant „Auge Gottes” aus der Erzählung „Die Billigesser” haben die Schmieds im neunten Wiener Bezirk ausfindig gemacht. Alle Bernhardianer wird diese fotografische Spurensuche entzücken und beglücken. CHRISTINE DÖSSEL
Thomas Bernhard, 1969 beim Mossttrinken im Wohnzimmer seines Vierkanthofes in Obernathal. Foto: Verlag
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