Erst stand er im Ruf des düsteren Nihilisten, dann des kompromisslosen Skandalschriftstellers, schließlich des grandiosen Übertreibungskünstlers: Thomas Bernhard hat mit seinem Werk, in dem sich persönliche Erfahrungen ebenso wie die jüngste Geschichte seiner Heimat Österreich spiegeln, internationalen Ruhm erlangt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.12.2015Bis das Herz sich vollkommen erschöpft
In der dichten und diskreten Biografie von Manfred Mittermayer erlebt man den Wortwüterich und Weltautor Thomas Bernhard noch einmal in Aktion
Was für eine grandiose, so rasante wie rücksichtslose Schriftsteller-Erfolgsgeschichte – und wie todtraurig, trostlos im Wortsinn, dabei von Anfang bis zum Schluss. Da ist zuerst ein Kind, Ergebnis einer Vergewaltigung, das seit seiner Geburt am 9. Februar 1931 im niederländischen Heerlen nur herumgeschoben und herumgestoßen wird (später wird es vonseiten eines österreichischen Ministers heißen, der aufgrund einer Arbeitsstelle seiner Mutter in Holland Geborene sei ja überhaupt ein Ausländer, er habe mit Österreich gar nichts zu schaffen und verdiene folglich auch dessen Stipendien und Preise nicht).
Den Vater, einen Bauernsohn, Tischler und Taugenichts, der früh stirbt, lernt der Junge nicht kennen. Der Großvater, der, aus einfachsten Verhältnissen stammend, in der Vorstellung lebt, ein Schriftsteller zu sein und wegen der wütig betriebenen Arbeit an seinem Werk seine Ehefrau und dann auch die Tochter zwingt, ihn ökonomisch zu unterhalten, ja, ihm ihr gesamtes Leben unterzuordnen (und der 1937 für seinen Roman „Philomena Ellenhub“ nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit und Armut, auf Vermittlung seiner zeitweiligen Nachbarn Carl und Alice Zuckmayer, den Großen Österreichischen Staatspreis erhält) – dieser Tyrann und Alles-besser-Wisser wird zur männlichen Identifikationsfigur des Jungen; es ist auch schlicht niemand anders da.
Die Mutter heiratet in Österreich einen Friseurgesellen, bekommt zwei weitere Kinder. Thomas Bernhard bleibt in der neuen Familie das fünfte Rad am Wagen: ein Bettnässer, in der Schule verhaltensauffällig, von der Mutter gehasst. Man zieht mitsamt den Großeltern ins bayerische Traunstein, der Zwölfjährige wird in ein NS-Erziehungsheim für Schwererziehbare verschickt, von 1944 an zum Schulbesuch nach Salzburg. 1947 bricht er das Gymnasium ab, beginnt eine Kaufmannslehre, die er aber wegen einer verschleppten Grippe und daraus folgenden nassen Rippenfellentzündung – die Ärzte haben ihn schon ins Sterbezimmer des Krankenhauses schieben lassen – nicht beenden kann. Es folgt die Phase der lebensbedrohenden Krankheiten: Lungentuberkulose, Aufenthalte in Sanatorien und Heilstätten, dann Morbus Boeck; an der sich daraus entwickelnden Herzerweiterung wird Thomas Bernhard am 12. Februar 1989, gerade
58 Jahre alt geworden, sterben.
Wie aber kann aus jemandem mit dieser Frühgeschichte der Abweisung und Ausgrenzung, nach zwei missglückten Selbstmordversuchen sowie Karriereanläufen als Sänger, Journalist, diplomierter Schauspieler und Regisseur, in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller, schließlich ein Weltautor werden – in Lyrik, Prosa und Drama? Einer, um dessentwillen sich Ingeborg Bachmann überlegt, nach Österreich zurückzukehren und dort in seine Nähe zu ziehen (im Roman „Auslöschung“ setzt Bernhard ihr ein Denkmal). Einer, von dem so unterschiedliche amerikanische Kollegen wie William Gaddis, Paul Auster, Louis Begley oder Don DeLillo schwärmen.
Und einer „naturgemäß“, der mit den meisten Zeitgenossen in glühender Feindschaft lebt, immer wieder Skandale verursacht, dessen Roman „Holzfällen“ nach einem Gerichtsurteil eingezogen wird, dessen Preisverleihungen in Provokation und Aufruhr enden und dessen Uraufführungen zu Presseschlachten führen. Einer, der am Morbus austriacus, der nicht kurierbaren Hassliebe zu Österreich, krankt und die Welt lustvoll daran teilnehmen lässt.
Manfred Mittermayer hat dem bekennend geldgierigen, die längste Zeit durch Haus- und Wohnungskäufe hoch verschuldeten und seine Verleger mit Drohungen, dreisten Forderungen und gebrochenen Versprechen zur Verzweiflung treibenden Wortwüterich jetzt eine umfangreiche Biografie gewidmet, mit schier unermüdlichem Fleiß im Auffinden von Quellen, Dokumenten sowie Äußerungen verschiedenster Zeitzeugen. Durch Akribie und einen so klug wie behutsam ordnenden Zugriff auf die enormen Datenmengen besticht diese Arbeit allemal.
Vor allem aber hat sich Mittermayer zu Diskretion sowie, in der Darstellung, zu programmatischer Ruhe und Ausgeglichenheit entschlossen. So kommen etwa die eigentümlichen Frauen-Beziehungen Bernhards zwar vor, seine bisexuelle Orientierung wird erwähnt, doch bildet dergleichen nur die Hintergrund-Schattierung einer Lebens- und Werkgeschichte, die in ihrem Kern tumultuarisch genug ist: Der große „Bezichtiger“ Bernhard eilt von Suada zu Suada, verfällt vom Angriff in Zerknirschung und dann wieder in neuerliche Attacken – der Biograf sammelt und ordnet, in allem Bedacht. Am Ende habe ein „vollkommenes Sich-Erschöpfen des Herzens“ gestanden, „ein vollkommenes Sich-Verbrauchen und Auslöschen“, sagt der Halbbruder Peter Fabjan, der über ein Jahrzehnt lang auch Thomas Bernhards Arzt war.
So wie Manfred Mittermayer sie vor uns hingestellt hat, lesen wir dies als die kürzestmögliche Zusammenfassung der Lebensgeschichte selbst.
FRAUKE MEYER-GOSAU
Einer, der an Hassliebe zu
Österreich krankt und die Welt
lustvoll daran teilnehmen lässt
Manfred Mittermayer:
Thomas Bernhard.
Eine Biografie. Residenz Verlag, Salzburg 2015.
454 Seiten, 28 Euro.
E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In der dichten und diskreten Biografie von Manfred Mittermayer erlebt man den Wortwüterich und Weltautor Thomas Bernhard noch einmal in Aktion
Was für eine grandiose, so rasante wie rücksichtslose Schriftsteller-Erfolgsgeschichte – und wie todtraurig, trostlos im Wortsinn, dabei von Anfang bis zum Schluss. Da ist zuerst ein Kind, Ergebnis einer Vergewaltigung, das seit seiner Geburt am 9. Februar 1931 im niederländischen Heerlen nur herumgeschoben und herumgestoßen wird (später wird es vonseiten eines österreichischen Ministers heißen, der aufgrund einer Arbeitsstelle seiner Mutter in Holland Geborene sei ja überhaupt ein Ausländer, er habe mit Österreich gar nichts zu schaffen und verdiene folglich auch dessen Stipendien und Preise nicht).
Den Vater, einen Bauernsohn, Tischler und Taugenichts, der früh stirbt, lernt der Junge nicht kennen. Der Großvater, der, aus einfachsten Verhältnissen stammend, in der Vorstellung lebt, ein Schriftsteller zu sein und wegen der wütig betriebenen Arbeit an seinem Werk seine Ehefrau und dann auch die Tochter zwingt, ihn ökonomisch zu unterhalten, ja, ihm ihr gesamtes Leben unterzuordnen (und der 1937 für seinen Roman „Philomena Ellenhub“ nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit und Armut, auf Vermittlung seiner zeitweiligen Nachbarn Carl und Alice Zuckmayer, den Großen Österreichischen Staatspreis erhält) – dieser Tyrann und Alles-besser-Wisser wird zur männlichen Identifikationsfigur des Jungen; es ist auch schlicht niemand anders da.
Die Mutter heiratet in Österreich einen Friseurgesellen, bekommt zwei weitere Kinder. Thomas Bernhard bleibt in der neuen Familie das fünfte Rad am Wagen: ein Bettnässer, in der Schule verhaltensauffällig, von der Mutter gehasst. Man zieht mitsamt den Großeltern ins bayerische Traunstein, der Zwölfjährige wird in ein NS-Erziehungsheim für Schwererziehbare verschickt, von 1944 an zum Schulbesuch nach Salzburg. 1947 bricht er das Gymnasium ab, beginnt eine Kaufmannslehre, die er aber wegen einer verschleppten Grippe und daraus folgenden nassen Rippenfellentzündung – die Ärzte haben ihn schon ins Sterbezimmer des Krankenhauses schieben lassen – nicht beenden kann. Es folgt die Phase der lebensbedrohenden Krankheiten: Lungentuberkulose, Aufenthalte in Sanatorien und Heilstätten, dann Morbus Boeck; an der sich daraus entwickelnden Herzerweiterung wird Thomas Bernhard am 12. Februar 1989, gerade
58 Jahre alt geworden, sterben.
Wie aber kann aus jemandem mit dieser Frühgeschichte der Abweisung und Ausgrenzung, nach zwei missglückten Selbstmordversuchen sowie Karriereanläufen als Sänger, Journalist, diplomierter Schauspieler und Regisseur, in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller, schließlich ein Weltautor werden – in Lyrik, Prosa und Drama? Einer, um dessentwillen sich Ingeborg Bachmann überlegt, nach Österreich zurückzukehren und dort in seine Nähe zu ziehen (im Roman „Auslöschung“ setzt Bernhard ihr ein Denkmal). Einer, von dem so unterschiedliche amerikanische Kollegen wie William Gaddis, Paul Auster, Louis Begley oder Don DeLillo schwärmen.
Und einer „naturgemäß“, der mit den meisten Zeitgenossen in glühender Feindschaft lebt, immer wieder Skandale verursacht, dessen Roman „Holzfällen“ nach einem Gerichtsurteil eingezogen wird, dessen Preisverleihungen in Provokation und Aufruhr enden und dessen Uraufführungen zu Presseschlachten führen. Einer, der am Morbus austriacus, der nicht kurierbaren Hassliebe zu Österreich, krankt und die Welt lustvoll daran teilnehmen lässt.
Manfred Mittermayer hat dem bekennend geldgierigen, die längste Zeit durch Haus- und Wohnungskäufe hoch verschuldeten und seine Verleger mit Drohungen, dreisten Forderungen und gebrochenen Versprechen zur Verzweiflung treibenden Wortwüterich jetzt eine umfangreiche Biografie gewidmet, mit schier unermüdlichem Fleiß im Auffinden von Quellen, Dokumenten sowie Äußerungen verschiedenster Zeitzeugen. Durch Akribie und einen so klug wie behutsam ordnenden Zugriff auf die enormen Datenmengen besticht diese Arbeit allemal.
Vor allem aber hat sich Mittermayer zu Diskretion sowie, in der Darstellung, zu programmatischer Ruhe und Ausgeglichenheit entschlossen. So kommen etwa die eigentümlichen Frauen-Beziehungen Bernhards zwar vor, seine bisexuelle Orientierung wird erwähnt, doch bildet dergleichen nur die Hintergrund-Schattierung einer Lebens- und Werkgeschichte, die in ihrem Kern tumultuarisch genug ist: Der große „Bezichtiger“ Bernhard eilt von Suada zu Suada, verfällt vom Angriff in Zerknirschung und dann wieder in neuerliche Attacken – der Biograf sammelt und ordnet, in allem Bedacht. Am Ende habe ein „vollkommenes Sich-Erschöpfen des Herzens“ gestanden, „ein vollkommenes Sich-Verbrauchen und Auslöschen“, sagt der Halbbruder Peter Fabjan, der über ein Jahrzehnt lang auch Thomas Bernhards Arzt war.
So wie Manfred Mittermayer sie vor uns hingestellt hat, lesen wir dies als die kürzestmögliche Zusammenfassung der Lebensgeschichte selbst.
FRAUKE MEYER-GOSAU
Einer, der an Hassliebe zu
Österreich krankt und die Welt
lustvoll daran teilnehmen lässt
Manfred Mittermayer:
Thomas Bernhard.
Eine Biografie. Residenz Verlag, Salzburg 2015.
454 Seiten, 28 Euro.
E-Book 19,99 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2015Immerzu hassen ist auch anstrengend
Lange hat man auf eine umfassende Biographie des Schriftstellers Thomas Bernhard gewartet. Manfred Mittermayer hat sich getraut. Aber ist er auch weit genug gesprungen?
Am 21. Oktober 1976 wäre es beinahe um ihn geschehen gewesen. Da sitzt Thomas Bernhard in einer Maschine der Monarch-Airlines auf dem Flug von Wien nach London, um eine Probe seines Stücks "Die Macht der Gewohnheit" am English National Theatre zu besuchen. Kurz nach dem Start, die Reiseflughöhe von zehntausend Metern ist schon erreicht, explodiert das rechte Triebwerk. Der Pilot schafft es, das Flugzeug wohlbehalten nach Wien zurückzufliegen. Hilde Spiel hat Bernhards Gedanken während dieses Flugs später in einem Interview überliefert: Er habe einzig darüber nachgedacht, "wie ist denn das letzte Buch jetzt, das ich veröffentlicht hab? Ist das ein Buch, mit dem man aus dem Leben gehen kann?"
Die Nachwelt und den Ruhm, beides hatte Thomas Bernhard stets im Blick, nie wieder wollte er arm und unbedeutend sein. Den Künstlergestus verstand er zu kultivieren, bis er so überlebensgroß wurde, dass er sich verselbständigte. Den Widersprüchen dieser zerrissenen Existenz und gleichzeitig dem weltweit gelesenen literarischen Werk gerecht zu werden ist keine Kleinigkeit: Der österreichische Germanist Manfred Mittermayer, Jahrgang 1959, hat sich mit dem vorsichtigen Untertitel "Eine Biographie" auf das Wagnis eingelassen. Er forscht seit dreißig Jahren über Bernhard und hat mehrere Bände der unlängst bei Suhrkamp abgeschlossenen Werkausgabe als Herausgeber betreut. Seine Ausgangsthese lautet: "Bernhards Literatur ist ohne Bezugnahme auf die Biographie nicht zu verstehen - Bernhards Literatur jedoch ist aus seiner Biographie nicht zu erklären."
Bernhard, ein Meister der medialen Selbststilisierung, hat keine Tagebücher hinterlassen, aber immerhin eine fünfbändige Autobiographie (die er selbst als "Biographie" bezeichnete!), diverse autobiographisch grundierte Texte sowie die gesammelten Erinnerungen "Meine Preise", auf die sich Mittermayer sehr häufig bezieht - dies auch mangels Masse, weil ihm Bernhards Erbe, sein Halbbruder Peter Fabjan, untersagte, aus Briefen zu zitieren. Notgedrungen hat er sich auf Bekanntes beschränkt; mehr Material hätte einen anderen Zugriff befördert.
Der Weg des 1931 im holländischen Heerlen geborenen, unehelichen Sohns Herta Bernhards steht unter keinem komfortablen Stern. Schon die Zeugung war offenbar eher eine Vergewaltigung. Den Tätervater, einen Tischler namens Alois Zuckerstätter, sollte Thomas nie kennenlernen. Beim verehrten Großvater Johannes Freumbichler wächst er nach Stationen in Kinderheimen am Wallersee auf und gerät in einen chronisch unterfinanzierten Künstlerhaushalt. Freumbichler ist, anders als der Rest der Welt, von seinem Genius überzeugt. Das hindert ihn nicht, seine Familie im Stil eines Sektenführers zu kujonieren. Als Herta 1937 den Friseurgehilfen Emil Fabjan heiratet, kommen im bayerischen Traunstein zwei Halbgeschwister hinzu, Peter und Susanne, die Bernhard beide in seinem Testament bedenken wird.
1943 landet er vorübergehend in Thüringen, in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche, dann in einem NS-Heim in Salzburg, schließlich in einem katholischen Gymnasium, das er nicht abschließt. Bettnässer, Hitlerjugend, Bombardierung Salzburgs, zwei Selbstmordversuche: Er durchleidet ein trostloses Programm der Armut und Ausgrenzung, in dem ihm nichts gelingen will. Ansätze, sich im Gesang ausbilden zu lassen, durchkreuzt eine schwere Lungenentzündung, dann eine offene Tuberkulose, die ihn von 1949 an immer wieder in Heilanstalten zwingen wird - am Ende wird daraus eine Krankheit zum Tode, der er im Alter von achtundfünfzig Jahren nichts mehr entgegenzusetzen hat. Er stirbt in Gmunden, in der Wohnung seines Bruders, der ihn als Internist jahrelang betreut hatte.
Es wird zwanzig Jahre dauern von der ersten literarischen Veröffentlichung und Gehversuchen als Lyriker bis zum endgültigen Durchbruch, den 1970 die Verleihung des Büchner-Preises markiert. Danach beschleunigt sich die Karriere als Bühnenautor und Prosaschriftsteller rasant. Und daran, das macht Mittermayer deutlich, haben viele Menschen mitgewirkt. Zum Beispiel Alice Herdan-Zuckmayer, die Bernhard wie ihr Mann Carl zugetan ist. Sie bescheinigt ihm große Begabung und unerträglichen Hochmut. Dabei ist der junge Autor auch schüchtern, hat Angst vor Zurückweisung. Doch sein wenig einnehmendes Wesen, sein Mangel an Selbstkritik sowie sein räudiges Äußeres in den Nachkriegsjahren hemmen sein Vorankommen. Seine Bilanz als Lokaljournalist ist durchwachsen; übermäßige Heimatliebe gepaart mit dem Hang als Gerichtsreporter auf Seiten der Justiz zu stehen; dazu kümmern ihn Fakten wenig, belehrbar ist er mitnichten. Kurz, er sucht geistigen Umgang höheren Orts, bei Montaigne, Schopenhauer, Pascal, Kant. Und schafft am Mozarteum die Prüfung für die "Eignung zur Regieführung".
Und hätte doch keinen Fuß auf den Boden des Theater- und Literaturbetriebs gebracht, wenn ihm nicht immer wieder Mentoren beigesprungen wären, für deren Einsatz er sich später meist mit Zurückweisung revanchierte. Berühmtestes Beispiel dürfte der Komponist Gerhard Lampersberg sein, dem er Mitte der Fünfziger zu Füßen liegt, um ihn dreißig Jahre später in dem Roman "Holzfällen" vorzuführen. Dankbarkeit war eine Regung, die Bernhard ungern aufkommen ließ. Er wollte viel lieber Geltung - und Geld. Beides ist ihm gelungen, zum Teil mit schamlosen Erpressertricks gegenüber seinem Verleger Siegfried Unseld, der ihn jahrelang alimentierte. Das hat sich für den Verlag ausgezahlt: Bernhard ist längst eine finanzielle Säule für Suhrkamp.
Mittermayer gebührt das Verdienst, dieses teilweise Jahrzehnte überstehende Beziehungsgeflecht herauszuarbeiten, Familie und wirkliche Freunde von Arbeitspartnern und Teilzeitbekannten zu scheiden, Letztere oft solche, die sich den Schneid abkaufen ließen von Bernhards Brüskierungen und Demütigungen. An herausgehobener Stelle rangiert die wohlhabende Wiener Witwe Hedwig Stavianicek, für die der sechsunddreißig Jahre jüngere Bernhard den Ehrentitel "Lebensmensch" erfand, dazu die Freunde Wieland Schmied und Nikolaus Reichsgraf von Üxküll-Gyllenband, die Pianistin Ingrid Bülau, die als einzige Frau neben der "Tante" Hede je in seinem Ohlsdorfer Bauernhof übernachten durfte. Dazu gehören Ingeborg Bachmann, der Regisseur Claus Peymann, die Verleger Wolfgang Schaffler von Residenz und der titanisch geduldige Siegfried Unseld.
Dazu gehört auch jene Gerda Maleta, die neben Bernhard im Flugzeug mit dem Triebwerksschaden saß. Sie ist Teil des Untersuchungskomplexes, der sich mit Bernhards sexueller Orientierung befasst. Mittermayer fährt eine Reihe von Belegen auf, dass Bernhard weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht gänzlich abgeneigt gewesen sei, handfeste Enthüllungen meidet er.
In dem Ausmaß, in dem sich Bernhard der eigenen Lebensgeschichte bediente, plünderte er auch die seiner Weggefährten und Zeitgenossen. Dies gilt vor allem für seine österreichische Heimat, ein Aspekt, den Mittermayer kaum beachtet. Die Wirtshäuser in Gaspoltshofen, Straßwalchen, Ried im Innkreis, St. Radegund und viele andere mehr dienten ihm ebenso wie die Kaffeehäuser und Restaurants Salzburgs und Wiens als Fundgrube: Bernhard war einer, der nicht nur genau hinschaute, sondern auch hinhörte - wie und vor allem, was die Leut so reden.
Bernhard-Epigonen gab es bald in rauhen Mengen, und auch jenseits des Atlantiks ist seine Saat bei den besten Autoren ihrer Generation aufgegangen. John Updike, Don DeLillo, William Gaddis und Paul Auster verfielen ihm jeder auf seine Weise. Bernhard ist neben W.G. Sebald und Günter Grass der wohl am besten in der angelsächsischen Welt verankerte deutschsprachige Autor der Nachkriegszeit. Umso kleinlicher wirken die fortdauernden Deutungsgefechte in Österreich (F.A.Z. vom 27. April).
Die Erwartungen an diese Biographie waren beträchtlich. Tatsächlich ist sie kein ganz großer Wurf geworden, aber doch einer, mit dem man bis zum Beweis des Gegenteils wird leben können. Manfred Mittermayer beschränkt sich auf 450 Seiten und 960 Fußnoten (die gewöhnungsbedürftig am Kapitelende stehen). Als Interpret ist er zurückhaltend, manchmal schematisch in der Abfolge von Werkvorstellung und Rezeptionsgeschichte, ingesamt zu defensiv. Positiv gewendet, versagt er sich jegliches Abgleiten in den Bernhard-Sound, versucht auch dort Distanz zu halten, wo Bernhard sich größte Mühe gibt, das Diktum Heimito von Doderers einzulösen: "Der Schriftsteller ist ein ekelhafter Kerl."
Das Nachleben Bernhards streift Mittermayer nur auf einer halben Seite. Das lässt dessen Präzeptoren nicht ruhen: Raimund Fellinger, bei Suhrkamp auch für die Werkausgabe zuständig, hat es sich nicht nehmen lassen, die Biographie in der Wiener Literaturzeitschrift "Volltext" als "bemerkenswert unbemerkenswert" abzuqualifizieren. Und so wirkt auch sechsundzwanzig Jahre nach seinem Tod das Gift des Spaltpilzes namens Thomas Bernhard weiter. Und sein Werk sowieso.
HANNES HINTERMEIER
Manfred Mittermayer: "Thomas Bernhard". Eine Biografie.
Residenz Verlag, Salzburg 2015. 456 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lange hat man auf eine umfassende Biographie des Schriftstellers Thomas Bernhard gewartet. Manfred Mittermayer hat sich getraut. Aber ist er auch weit genug gesprungen?
Am 21. Oktober 1976 wäre es beinahe um ihn geschehen gewesen. Da sitzt Thomas Bernhard in einer Maschine der Monarch-Airlines auf dem Flug von Wien nach London, um eine Probe seines Stücks "Die Macht der Gewohnheit" am English National Theatre zu besuchen. Kurz nach dem Start, die Reiseflughöhe von zehntausend Metern ist schon erreicht, explodiert das rechte Triebwerk. Der Pilot schafft es, das Flugzeug wohlbehalten nach Wien zurückzufliegen. Hilde Spiel hat Bernhards Gedanken während dieses Flugs später in einem Interview überliefert: Er habe einzig darüber nachgedacht, "wie ist denn das letzte Buch jetzt, das ich veröffentlicht hab? Ist das ein Buch, mit dem man aus dem Leben gehen kann?"
Die Nachwelt und den Ruhm, beides hatte Thomas Bernhard stets im Blick, nie wieder wollte er arm und unbedeutend sein. Den Künstlergestus verstand er zu kultivieren, bis er so überlebensgroß wurde, dass er sich verselbständigte. Den Widersprüchen dieser zerrissenen Existenz und gleichzeitig dem weltweit gelesenen literarischen Werk gerecht zu werden ist keine Kleinigkeit: Der österreichische Germanist Manfred Mittermayer, Jahrgang 1959, hat sich mit dem vorsichtigen Untertitel "Eine Biographie" auf das Wagnis eingelassen. Er forscht seit dreißig Jahren über Bernhard und hat mehrere Bände der unlängst bei Suhrkamp abgeschlossenen Werkausgabe als Herausgeber betreut. Seine Ausgangsthese lautet: "Bernhards Literatur ist ohne Bezugnahme auf die Biographie nicht zu verstehen - Bernhards Literatur jedoch ist aus seiner Biographie nicht zu erklären."
Bernhard, ein Meister der medialen Selbststilisierung, hat keine Tagebücher hinterlassen, aber immerhin eine fünfbändige Autobiographie (die er selbst als "Biographie" bezeichnete!), diverse autobiographisch grundierte Texte sowie die gesammelten Erinnerungen "Meine Preise", auf die sich Mittermayer sehr häufig bezieht - dies auch mangels Masse, weil ihm Bernhards Erbe, sein Halbbruder Peter Fabjan, untersagte, aus Briefen zu zitieren. Notgedrungen hat er sich auf Bekanntes beschränkt; mehr Material hätte einen anderen Zugriff befördert.
Der Weg des 1931 im holländischen Heerlen geborenen, unehelichen Sohns Herta Bernhards steht unter keinem komfortablen Stern. Schon die Zeugung war offenbar eher eine Vergewaltigung. Den Tätervater, einen Tischler namens Alois Zuckerstätter, sollte Thomas nie kennenlernen. Beim verehrten Großvater Johannes Freumbichler wächst er nach Stationen in Kinderheimen am Wallersee auf und gerät in einen chronisch unterfinanzierten Künstlerhaushalt. Freumbichler ist, anders als der Rest der Welt, von seinem Genius überzeugt. Das hindert ihn nicht, seine Familie im Stil eines Sektenführers zu kujonieren. Als Herta 1937 den Friseurgehilfen Emil Fabjan heiratet, kommen im bayerischen Traunstein zwei Halbgeschwister hinzu, Peter und Susanne, die Bernhard beide in seinem Testament bedenken wird.
1943 landet er vorübergehend in Thüringen, in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche, dann in einem NS-Heim in Salzburg, schließlich in einem katholischen Gymnasium, das er nicht abschließt. Bettnässer, Hitlerjugend, Bombardierung Salzburgs, zwei Selbstmordversuche: Er durchleidet ein trostloses Programm der Armut und Ausgrenzung, in dem ihm nichts gelingen will. Ansätze, sich im Gesang ausbilden zu lassen, durchkreuzt eine schwere Lungenentzündung, dann eine offene Tuberkulose, die ihn von 1949 an immer wieder in Heilanstalten zwingen wird - am Ende wird daraus eine Krankheit zum Tode, der er im Alter von achtundfünfzig Jahren nichts mehr entgegenzusetzen hat. Er stirbt in Gmunden, in der Wohnung seines Bruders, der ihn als Internist jahrelang betreut hatte.
Es wird zwanzig Jahre dauern von der ersten literarischen Veröffentlichung und Gehversuchen als Lyriker bis zum endgültigen Durchbruch, den 1970 die Verleihung des Büchner-Preises markiert. Danach beschleunigt sich die Karriere als Bühnenautor und Prosaschriftsteller rasant. Und daran, das macht Mittermayer deutlich, haben viele Menschen mitgewirkt. Zum Beispiel Alice Herdan-Zuckmayer, die Bernhard wie ihr Mann Carl zugetan ist. Sie bescheinigt ihm große Begabung und unerträglichen Hochmut. Dabei ist der junge Autor auch schüchtern, hat Angst vor Zurückweisung. Doch sein wenig einnehmendes Wesen, sein Mangel an Selbstkritik sowie sein räudiges Äußeres in den Nachkriegsjahren hemmen sein Vorankommen. Seine Bilanz als Lokaljournalist ist durchwachsen; übermäßige Heimatliebe gepaart mit dem Hang als Gerichtsreporter auf Seiten der Justiz zu stehen; dazu kümmern ihn Fakten wenig, belehrbar ist er mitnichten. Kurz, er sucht geistigen Umgang höheren Orts, bei Montaigne, Schopenhauer, Pascal, Kant. Und schafft am Mozarteum die Prüfung für die "Eignung zur Regieführung".
Und hätte doch keinen Fuß auf den Boden des Theater- und Literaturbetriebs gebracht, wenn ihm nicht immer wieder Mentoren beigesprungen wären, für deren Einsatz er sich später meist mit Zurückweisung revanchierte. Berühmtestes Beispiel dürfte der Komponist Gerhard Lampersberg sein, dem er Mitte der Fünfziger zu Füßen liegt, um ihn dreißig Jahre später in dem Roman "Holzfällen" vorzuführen. Dankbarkeit war eine Regung, die Bernhard ungern aufkommen ließ. Er wollte viel lieber Geltung - und Geld. Beides ist ihm gelungen, zum Teil mit schamlosen Erpressertricks gegenüber seinem Verleger Siegfried Unseld, der ihn jahrelang alimentierte. Das hat sich für den Verlag ausgezahlt: Bernhard ist längst eine finanzielle Säule für Suhrkamp.
Mittermayer gebührt das Verdienst, dieses teilweise Jahrzehnte überstehende Beziehungsgeflecht herauszuarbeiten, Familie und wirkliche Freunde von Arbeitspartnern und Teilzeitbekannten zu scheiden, Letztere oft solche, die sich den Schneid abkaufen ließen von Bernhards Brüskierungen und Demütigungen. An herausgehobener Stelle rangiert die wohlhabende Wiener Witwe Hedwig Stavianicek, für die der sechsunddreißig Jahre jüngere Bernhard den Ehrentitel "Lebensmensch" erfand, dazu die Freunde Wieland Schmied und Nikolaus Reichsgraf von Üxküll-Gyllenband, die Pianistin Ingrid Bülau, die als einzige Frau neben der "Tante" Hede je in seinem Ohlsdorfer Bauernhof übernachten durfte. Dazu gehören Ingeborg Bachmann, der Regisseur Claus Peymann, die Verleger Wolfgang Schaffler von Residenz und der titanisch geduldige Siegfried Unseld.
Dazu gehört auch jene Gerda Maleta, die neben Bernhard im Flugzeug mit dem Triebwerksschaden saß. Sie ist Teil des Untersuchungskomplexes, der sich mit Bernhards sexueller Orientierung befasst. Mittermayer fährt eine Reihe von Belegen auf, dass Bernhard weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht gänzlich abgeneigt gewesen sei, handfeste Enthüllungen meidet er.
In dem Ausmaß, in dem sich Bernhard der eigenen Lebensgeschichte bediente, plünderte er auch die seiner Weggefährten und Zeitgenossen. Dies gilt vor allem für seine österreichische Heimat, ein Aspekt, den Mittermayer kaum beachtet. Die Wirtshäuser in Gaspoltshofen, Straßwalchen, Ried im Innkreis, St. Radegund und viele andere mehr dienten ihm ebenso wie die Kaffeehäuser und Restaurants Salzburgs und Wiens als Fundgrube: Bernhard war einer, der nicht nur genau hinschaute, sondern auch hinhörte - wie und vor allem, was die Leut so reden.
Bernhard-Epigonen gab es bald in rauhen Mengen, und auch jenseits des Atlantiks ist seine Saat bei den besten Autoren ihrer Generation aufgegangen. John Updike, Don DeLillo, William Gaddis und Paul Auster verfielen ihm jeder auf seine Weise. Bernhard ist neben W.G. Sebald und Günter Grass der wohl am besten in der angelsächsischen Welt verankerte deutschsprachige Autor der Nachkriegszeit. Umso kleinlicher wirken die fortdauernden Deutungsgefechte in Österreich (F.A.Z. vom 27. April).
Die Erwartungen an diese Biographie waren beträchtlich. Tatsächlich ist sie kein ganz großer Wurf geworden, aber doch einer, mit dem man bis zum Beweis des Gegenteils wird leben können. Manfred Mittermayer beschränkt sich auf 450 Seiten und 960 Fußnoten (die gewöhnungsbedürftig am Kapitelende stehen). Als Interpret ist er zurückhaltend, manchmal schematisch in der Abfolge von Werkvorstellung und Rezeptionsgeschichte, ingesamt zu defensiv. Positiv gewendet, versagt er sich jegliches Abgleiten in den Bernhard-Sound, versucht auch dort Distanz zu halten, wo Bernhard sich größte Mühe gibt, das Diktum Heimito von Doderers einzulösen: "Der Schriftsteller ist ein ekelhafter Kerl."
Das Nachleben Bernhards streift Mittermayer nur auf einer halben Seite. Das lässt dessen Präzeptoren nicht ruhen: Raimund Fellinger, bei Suhrkamp auch für die Werkausgabe zuständig, hat es sich nicht nehmen lassen, die Biographie in der Wiener Literaturzeitschrift "Volltext" als "bemerkenswert unbemerkenswert" abzuqualifizieren. Und so wirkt auch sechsundzwanzig Jahre nach seinem Tod das Gift des Spaltpilzes namens Thomas Bernhard weiter. Und sein Werk sowieso.
HANNES HINTERMEIER
Manfred Mittermayer: "Thomas Bernhard". Eine Biografie.
Residenz Verlag, Salzburg 2015. 456 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
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