Dieses Buch dokumentiert Thomas Bernhards große Passion - seine Häuser. Mit dem Geld eines Literaturpreises kaufte der Autor 1964 das erste Haus, einen verfallenen Hof bei Gmunden, es folgte der Erwerb von noch zwei weiteren Anwesen. In 100 Fotos zeigt dieser Band, wie Bernhard mit seinen Häusern umging, ihren Umbau, ihre Einrichtung, und wie sich seine Einstellung ihnen gegenüber im Lauf der Jahre veränderte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1995Im Selbstgesprächskerker - Thomas Bernhard und seine Häuser
"Obernathal Nummer zwei, dreißigmaldreißig Meter, aus Stein gedeckt, mit größeren und mit kleineren Stallungen für das Rindsvieh, die Schweine und das Geflügel, mit Stadel und Scheune, Selchkammer unter dem Dach und drei Mostkellern unter der Erde." So hat Thomas Bernhard den für die Landschaft typischen Vierkanthof in Ohlsdorf beschrieben, den er im Jahr 1965 vom Realitätenvermittler Karl Hennetmaier kaufte. Allein die Berufsbezeichnung des Maklers muß den Hauskauf für Bernhard zu einem Vergnügen gemacht haben, das seinen Widerspruchsgeist herausforderte, waren doch seine Häuser für den Schriftsteller nicht nur Realitäten, also Immobilien, sondern immer auch "Möglichkeitsgrundstücke". Ihre Inbesitznahme dauerte Jahre und nahm den Schriftsteller in den ersten Monaten aufs äußerste in Anspruch. Die bäuerlichen "Selbstgesprächskerker", in die Bernhard sich zurückzog, um der Stadt zu entkommen, die er liebte, aber nicht ertrug, waren Fluchtburgen und Gefängnisse zugleich, Refugien eines "Verrammelungsfanatikers", der das Landleben ebenso fürchtete, wie er es als Voraussetzung seiner Existenz brauchte.
Thomas Bernhard betrieb den Hauskauf nicht zuletzt als Disziplinierungsmaßnahme und vorsorgliches Mittel gegen die Schreibhemmung. Denn die Schulden, in die der Schriftsteller sich stürzte, um innerhalb eines Jahrzehnts Kauf und Umbau von drei alten Bauernhöfen und einer Stadtwohnung finanzieren zu können, zwangen ihn zur Arbeit. Wie vielfältig die Beziehung zwischen den Häusern und ihrem Besitzer war, zeigt Wieland Schmieds Essay, der den Fotografien vorangestellt ist, die Erika Schmied im Laufe der Jahre von Bernhards Wohnsitzen gemacht hat: Zum Ohlsdorfer Hof kamen 1971 die "Krucka" am Grasberg und ein Jahr später das ehemalige "Quirchtenhaus" in Ottnang hinzu; 1976 kaufte Bernhard eine Stadtwohnung in Gmunden, die er überwiegend mit selbstentworfenen Möbeln ausstattete. Neben Fotografien der Möbel und einer vom Halbbruder Peter Fabjan stammenden Dokumentation der aufwendigen Umbauarbeiten zeigt der Band vor allem Innen- und Außenansichten der Häuser, aber auch Bilder ihres Besitzers. Erika Wieland hat Thomas Bernhard beim Kartenspielen (Siebzehnundvier) fotografiert, mosttrinkend im Wohnzimmer, verschlafen in der Hängematte oder in kurzen Hosen auf der Wiese, die "Thomas Bernhard, vulgo Bauer zu Nathal", wie es auf einem kleinen Schild an seinem Traktor heißt, zuweilen selber mähte.
Bernhard hatte das Landleben aus "Hunderten von Nebengründen" gewählt und aus zwei Hauptgründen: Die Ärzte hatten dem Lungenkranken gesagt, er könne nur auf dem Land überleben, und er selbst hatte sich entschlossen, seiner Arbeit zuliebe "die Stadt zu opfern". Die Einsamkeit war Bedingung eines Werks, das mit den Häusern seines Autors auf vielfältige Weise verknüpft war und sich sogar darin zu spiegeln scheint: "Die Bücher, oder was ich schreib', sind wie das, worin ich hause. Manchmal kommt mir vor, daß die einzelnen Kapitel in einem Buch so wie einzelne Räume in diesem Haus sind. Die Wände leben, die Seiten sind wie Wände, und das genügt. Man muß sie nur intensiv anschauen." Die Wechselwirkungen zwischen Haus und Werk, das Motiv des Bauwerks etwa in "Amras", "Korrektur", "Auslöschung" oder "Das Kalkwerk", deutet Wieland Schmied in seinem ausgezeichneten Essay nur an. Aber schon diese Hinweise lassen ahnen, daß das Thema eine ausgreifende Studie lohnen würde. Solange sie nicht erschienen ist, müssen sich die Freunde Thomas Bernhards mit dem Buch begnügen, das Wieland und Erika Schmied jetzt herausgebracht haben: Ein schönerer Trost läßt sich kaum denken. ("Thomas Bernhards Häuser". Herausgegeben von der Nachlaßverwaltung Thomas Bernhard Gmunden, Österreich. Mit Fotografien von Erika Schmied und einem Essay von Wieland Schmied. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1995. 159 S., zahlr. Abb., geb., 98,- DM.) HUBERT SPIEGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Obernathal Nummer zwei, dreißigmaldreißig Meter, aus Stein gedeckt, mit größeren und mit kleineren Stallungen für das Rindsvieh, die Schweine und das Geflügel, mit Stadel und Scheune, Selchkammer unter dem Dach und drei Mostkellern unter der Erde." So hat Thomas Bernhard den für die Landschaft typischen Vierkanthof in Ohlsdorf beschrieben, den er im Jahr 1965 vom Realitätenvermittler Karl Hennetmaier kaufte. Allein die Berufsbezeichnung des Maklers muß den Hauskauf für Bernhard zu einem Vergnügen gemacht haben, das seinen Widerspruchsgeist herausforderte, waren doch seine Häuser für den Schriftsteller nicht nur Realitäten, also Immobilien, sondern immer auch "Möglichkeitsgrundstücke". Ihre Inbesitznahme dauerte Jahre und nahm den Schriftsteller in den ersten Monaten aufs äußerste in Anspruch. Die bäuerlichen "Selbstgesprächskerker", in die Bernhard sich zurückzog, um der Stadt zu entkommen, die er liebte, aber nicht ertrug, waren Fluchtburgen und Gefängnisse zugleich, Refugien eines "Verrammelungsfanatikers", der das Landleben ebenso fürchtete, wie er es als Voraussetzung seiner Existenz brauchte.
Thomas Bernhard betrieb den Hauskauf nicht zuletzt als Disziplinierungsmaßnahme und vorsorgliches Mittel gegen die Schreibhemmung. Denn die Schulden, in die der Schriftsteller sich stürzte, um innerhalb eines Jahrzehnts Kauf und Umbau von drei alten Bauernhöfen und einer Stadtwohnung finanzieren zu können, zwangen ihn zur Arbeit. Wie vielfältig die Beziehung zwischen den Häusern und ihrem Besitzer war, zeigt Wieland Schmieds Essay, der den Fotografien vorangestellt ist, die Erika Schmied im Laufe der Jahre von Bernhards Wohnsitzen gemacht hat: Zum Ohlsdorfer Hof kamen 1971 die "Krucka" am Grasberg und ein Jahr später das ehemalige "Quirchtenhaus" in Ottnang hinzu; 1976 kaufte Bernhard eine Stadtwohnung in Gmunden, die er überwiegend mit selbstentworfenen Möbeln ausstattete. Neben Fotografien der Möbel und einer vom Halbbruder Peter Fabjan stammenden Dokumentation der aufwendigen Umbauarbeiten zeigt der Band vor allem Innen- und Außenansichten der Häuser, aber auch Bilder ihres Besitzers. Erika Wieland hat Thomas Bernhard beim Kartenspielen (Siebzehnundvier) fotografiert, mosttrinkend im Wohnzimmer, verschlafen in der Hängematte oder in kurzen Hosen auf der Wiese, die "Thomas Bernhard, vulgo Bauer zu Nathal", wie es auf einem kleinen Schild an seinem Traktor heißt, zuweilen selber mähte.
Bernhard hatte das Landleben aus "Hunderten von Nebengründen" gewählt und aus zwei Hauptgründen: Die Ärzte hatten dem Lungenkranken gesagt, er könne nur auf dem Land überleben, und er selbst hatte sich entschlossen, seiner Arbeit zuliebe "die Stadt zu opfern". Die Einsamkeit war Bedingung eines Werks, das mit den Häusern seines Autors auf vielfältige Weise verknüpft war und sich sogar darin zu spiegeln scheint: "Die Bücher, oder was ich schreib', sind wie das, worin ich hause. Manchmal kommt mir vor, daß die einzelnen Kapitel in einem Buch so wie einzelne Räume in diesem Haus sind. Die Wände leben, die Seiten sind wie Wände, und das genügt. Man muß sie nur intensiv anschauen." Die Wechselwirkungen zwischen Haus und Werk, das Motiv des Bauwerks etwa in "Amras", "Korrektur", "Auslöschung" oder "Das Kalkwerk", deutet Wieland Schmied in seinem ausgezeichneten Essay nur an. Aber schon diese Hinweise lassen ahnen, daß das Thema eine ausgreifende Studie lohnen würde. Solange sie nicht erschienen ist, müssen sich die Freunde Thomas Bernhards mit dem Buch begnügen, das Wieland und Erika Schmied jetzt herausgebracht haben: Ein schönerer Trost läßt sich kaum denken. ("Thomas Bernhards Häuser". Herausgegeben von der Nachlaßverwaltung Thomas Bernhard Gmunden, Österreich. Mit Fotografien von Erika Schmied und einem Essay von Wieland Schmied. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1995. 159 S., zahlr. Abb., geb., 98,- DM.) HUBERT SPIEGEL
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