Produktdetails
- Verlag: Schirmer/Mosel
- Seitenzahl: 127
- Deutsch, Englisch
- Abmessung: 378mm x 317mm x 20mm
- Gewicht: 1915g
- ISBN-13: 9783829601719
- ISBN-10: 3829601719
- Artikelnr.: 13038228
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2004Papier ist unschuldig
Alles ist ordentlich mit der Nagelschere ausgeschnitten, sorgfältig Kante auf Kante geklebt, montiert, harmlos umgebogen und dem Original getreu nachempfunden.
Auf mehr als hundert Seiten des Bildbandes "Phototrophy" von Thomas Demand entdeckt man Bastelarbeiten, die einem den Prittstift erschrocken in den Schoß sinken lassen.
Normalerweise reagiert man verärgert, wenn man sich getäuscht sieht. Wenn, wie Kant sagt, das Schlagen der Nachtigall nur ein Bauernjunge mit einem Schilfrohr ist. "Es muß Natur sein, oder von uns dafür gehalten werden, damit wir an dem Schönen als einem solchen ein unmittelbares Interesse nehmen können." Wenn der Betrug auffliegt, ist sofort Schluß mit dem ästhetischen Glück. Bei Thomas Demand beginnt hier die Attraktion. Nach kurzer Zeit hat man verstanden, daß das nicht echt sein kann, was auf den Fotos zu sehen ist.
Es geht nicht vorrangig um die mutwillige Täuschung des Betrachters. Es geht um die Wirklichkeit und darum, daß sie nicht zu handhaben ist. Demand baut deshalb Modelle der sogenannten Realität aus Papier. Sie sind leichter zu handhaben, klar und übersichtlich: Tunnel, Fenster, Copyshops, Umkleidekabinen, Rasen, eine Terrasse, Balkone, Parkgaragen, Scheunen und Fabriken. Oft sind Pressefotos die Vorlagen für seine Modelle. Beispielsweise die Hotelbadewanne des Hotels "Beau Rivage" aus Pappe und Papier.
Dann macht Thomas Demand ein Foto von diesem Modell. Ist das nun Verkleinerungstechnik, um Herrschaft über die Welt zu gewinnen? Alles liegt demnach in der Hand des bastelnden Fotografen. Oder ist es heilsame Entfremdung von der Welt? Das Foto wäre dann eine eigene Welt. Bedeutet es Aneignung oder Verlust der Aura? Mit Sicherheit sind es informierte Gegenstände.
Thomas Demand ist vierzig Jahre alt. Er kennt die Machbarkeitsphantasien der 70er und 80er Jahre. Er kennt die verschwenderische Energiewirtschaft. Nachtspeicherheizungen zum Beispiel: Mit Wärme wird Strom produziert, damit wird die Heizung beliefert, die aus der Elektrizität wieder Wärme macht. Daß bei diesen Umwandlungen und Rückverwandlungen ständig Energie verlorengeht, ist ein Ärgernis. Glücklicherweise gibt es Thomas Demand, den hervorragenden Fotografen solcher Verluste.
Thomas Demand ist die Nachtspeicherheizung der Fotokünstler. Bei den Fotos kann man nämlich ähnliche Umwandlungen vom Gleichen ins Gleiche beobachten. Das Foto eines öffentlichen Ortes wird Vorlage für das Pappmodell, von dem wieder ein Foto gemacht wird. Bei Thomas Demand meint man es mit Wirklichkeit zu tun zu haben, nur ist im Verlauf der Umwandlungen die menschlich angeschmutzte, lauwarme Tatsächlichkeit verlorengegangen.
Die Fotos zeigen keimfreie, menschenleere Tatorte. Die Titel sind schlicht. "Badezimmer", "Parkgarage", "Wand" heißen die Bilder. Keinerlei Abnutzungsspuren kann man in den fotografierten Räumen finden. Kein Drama. Das wird beim Betrachten immer unheimlicher, denn ist da nicht mal ein Unglück passiert? Man erinnert sich dunkel und weiß nicht, was genau fehlt, außer Dreck. Ein großes Ärgernis.
"Phototrophy" ist großformatig und hervorragend gedruckt. Es ist die Beute, die in penibel ausgeleuchteten Papiermodellen zu schießen ist. Im Gegensatz zu Photoshop-Manipulationen, mit denen man die schönste Realität suggeriert, ist hier gar nichts manipuliert. Es ist nichts, nur Papier, es ist alles nur gebastelt.
Und man schaudert vor der simplen Abbildung. "Menschen machen Fotos von dem Sommer, um zu beweisen, daß er wirklich da war", sangen die Goldenen Zitronen; und daß man sich hüten soll vor solchen Suggestionen. Fotos sind der Bauernjunge mit dem Schilfrohr, echter als jede Nachtigall. Bei Demand wird das klar. Die Utopie der Wiedererkennung wird abgestoppt im Papphäuschen.
Es bleibt die generelle Frage, ob man hier von Bildern oder deren Interpretationen verfolgt wird. Demands Fotos irritieren die naheliegende Interpretation und Identifikation der Objekte, indem sie die Gemachtheit der Modelle preisgegeben. Die Simulation von Wirklichkeit ist unterbrochen. Die Erinnerung des Betrachters weiß mehr. Man ist ertappt als Mediensklave, als Wiedererkenner und schlägt unsanft in den eigenen Idiosynkrasien auf. Es sind Fahndungsfotos subjektiver Erinnerungen.
Diese Räume gibt es nicht. Die Modelle werden nicht gezeigt, nur die Fotos. Aber an ihren Vorbildern, den historischen Orten, hat etwas stattgefunden. Und man kann Thomas Demand keinen Vorwurf machen. Er gibt nicht vor, fremde Empfindungen zu verstehen, noch drängt er einem seine Wahrnehmung auf - es sind Fotos exakter Modelle, von Fotos, die man kennt, ohne private Zusätze. Die Beute, die Thomas Demand präsentiert, ist unschuldig, der psychische Effekt beim Betrachter ist Verzweiflung, weil man offensichtlich an die wirkliche Wirklichkeit nie herankommt. Aber basteln hilft; und man sollte sich besser vorsehen, wenn man über die Modelleisenbahn seines Nachbarn spottet.
NORA SDUN
Thomas Demand: "Phototrophy". Schirmer und Mosel, 2004. 128 Seiten. 58 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles ist ordentlich mit der Nagelschere ausgeschnitten, sorgfältig Kante auf Kante geklebt, montiert, harmlos umgebogen und dem Original getreu nachempfunden.
Auf mehr als hundert Seiten des Bildbandes "Phototrophy" von Thomas Demand entdeckt man Bastelarbeiten, die einem den Prittstift erschrocken in den Schoß sinken lassen.
Normalerweise reagiert man verärgert, wenn man sich getäuscht sieht. Wenn, wie Kant sagt, das Schlagen der Nachtigall nur ein Bauernjunge mit einem Schilfrohr ist. "Es muß Natur sein, oder von uns dafür gehalten werden, damit wir an dem Schönen als einem solchen ein unmittelbares Interesse nehmen können." Wenn der Betrug auffliegt, ist sofort Schluß mit dem ästhetischen Glück. Bei Thomas Demand beginnt hier die Attraktion. Nach kurzer Zeit hat man verstanden, daß das nicht echt sein kann, was auf den Fotos zu sehen ist.
Es geht nicht vorrangig um die mutwillige Täuschung des Betrachters. Es geht um die Wirklichkeit und darum, daß sie nicht zu handhaben ist. Demand baut deshalb Modelle der sogenannten Realität aus Papier. Sie sind leichter zu handhaben, klar und übersichtlich: Tunnel, Fenster, Copyshops, Umkleidekabinen, Rasen, eine Terrasse, Balkone, Parkgaragen, Scheunen und Fabriken. Oft sind Pressefotos die Vorlagen für seine Modelle. Beispielsweise die Hotelbadewanne des Hotels "Beau Rivage" aus Pappe und Papier.
Dann macht Thomas Demand ein Foto von diesem Modell. Ist das nun Verkleinerungstechnik, um Herrschaft über die Welt zu gewinnen? Alles liegt demnach in der Hand des bastelnden Fotografen. Oder ist es heilsame Entfremdung von der Welt? Das Foto wäre dann eine eigene Welt. Bedeutet es Aneignung oder Verlust der Aura? Mit Sicherheit sind es informierte Gegenstände.
Thomas Demand ist vierzig Jahre alt. Er kennt die Machbarkeitsphantasien der 70er und 80er Jahre. Er kennt die verschwenderische Energiewirtschaft. Nachtspeicherheizungen zum Beispiel: Mit Wärme wird Strom produziert, damit wird die Heizung beliefert, die aus der Elektrizität wieder Wärme macht. Daß bei diesen Umwandlungen und Rückverwandlungen ständig Energie verlorengeht, ist ein Ärgernis. Glücklicherweise gibt es Thomas Demand, den hervorragenden Fotografen solcher Verluste.
Thomas Demand ist die Nachtspeicherheizung der Fotokünstler. Bei den Fotos kann man nämlich ähnliche Umwandlungen vom Gleichen ins Gleiche beobachten. Das Foto eines öffentlichen Ortes wird Vorlage für das Pappmodell, von dem wieder ein Foto gemacht wird. Bei Thomas Demand meint man es mit Wirklichkeit zu tun zu haben, nur ist im Verlauf der Umwandlungen die menschlich angeschmutzte, lauwarme Tatsächlichkeit verlorengegangen.
Die Fotos zeigen keimfreie, menschenleere Tatorte. Die Titel sind schlicht. "Badezimmer", "Parkgarage", "Wand" heißen die Bilder. Keinerlei Abnutzungsspuren kann man in den fotografierten Räumen finden. Kein Drama. Das wird beim Betrachten immer unheimlicher, denn ist da nicht mal ein Unglück passiert? Man erinnert sich dunkel und weiß nicht, was genau fehlt, außer Dreck. Ein großes Ärgernis.
"Phototrophy" ist großformatig und hervorragend gedruckt. Es ist die Beute, die in penibel ausgeleuchteten Papiermodellen zu schießen ist. Im Gegensatz zu Photoshop-Manipulationen, mit denen man die schönste Realität suggeriert, ist hier gar nichts manipuliert. Es ist nichts, nur Papier, es ist alles nur gebastelt.
Und man schaudert vor der simplen Abbildung. "Menschen machen Fotos von dem Sommer, um zu beweisen, daß er wirklich da war", sangen die Goldenen Zitronen; und daß man sich hüten soll vor solchen Suggestionen. Fotos sind der Bauernjunge mit dem Schilfrohr, echter als jede Nachtigall. Bei Demand wird das klar. Die Utopie der Wiedererkennung wird abgestoppt im Papphäuschen.
Es bleibt die generelle Frage, ob man hier von Bildern oder deren Interpretationen verfolgt wird. Demands Fotos irritieren die naheliegende Interpretation und Identifikation der Objekte, indem sie die Gemachtheit der Modelle preisgegeben. Die Simulation von Wirklichkeit ist unterbrochen. Die Erinnerung des Betrachters weiß mehr. Man ist ertappt als Mediensklave, als Wiedererkenner und schlägt unsanft in den eigenen Idiosynkrasien auf. Es sind Fahndungsfotos subjektiver Erinnerungen.
Diese Räume gibt es nicht. Die Modelle werden nicht gezeigt, nur die Fotos. Aber an ihren Vorbildern, den historischen Orten, hat etwas stattgefunden. Und man kann Thomas Demand keinen Vorwurf machen. Er gibt nicht vor, fremde Empfindungen zu verstehen, noch drängt er einem seine Wahrnehmung auf - es sind Fotos exakter Modelle, von Fotos, die man kennt, ohne private Zusätze. Die Beute, die Thomas Demand präsentiert, ist unschuldig, der psychische Effekt beim Betrachter ist Verzweiflung, weil man offensichtlich an die wirkliche Wirklichkeit nie herankommt. Aber basteln hilft; und man sollte sich besser vorsehen, wenn man über die Modelleisenbahn seines Nachbarn spottet.
NORA SDUN
Thomas Demand: "Phototrophy". Schirmer und Mosel, 2004. 128 Seiten. 58 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2004Die im Dunkeln: Thomas Demands geheimnisvolle Tatorte
„Lichtung”/„Clearing” (2003) heißt das Bild von Thomas Demand, das vor kurzem noch in einer Retrospektive seines Werks im Kunsthaus Bregenz zu sehen war und nun das neue Restaurant des Museum of Modern Art in New York schmückt - im nächsten Frühjahr will man auch im MoMA dem Künstler eine Ausstellung widmen. Es wird sein endgültiger Ritterschlag in der Kunstwelt.
Zuerst jedoch konnte man eine Variation dieses Motivs auf der letztjährigen Biennale in Venedig sehen, aufgestellt im Freien, in den Giardini, zwischen Bäumen, also nicht im reinen, eigenschaftslosen Schutzgehäuse eines Museums, wo keinerlei Wirklichkeit die Bilder anzufressen vermag. Zwischen den realen Bäumen machte das von Thomas Demand fotografierte Blattwerk durchaus bella figura - und das, obwohl es sich hier um nichts weniger als um Natur handelt: Alles, was man hier sieht, ist in mühsamer Bastelarbeit aus Pappe, Draht und Papier angefertigt worden. Es handelt sich also um ein trompe-lil, um eine Augentäuschung im klassischen Sinne - und doch um mehr als das. Denn Demand zeigt uns eine Welt dritter Ordnung: Meist verweisen seine Bilder auf schon bestehende Bilder, vielleicht auf anonyme, graue, grobkörnige Bilder einer Video-Überwachungskamera, vielleicht auf das Foto eines Paparazzo oder auf die Zeitlupen-Sequenzen eines Fernsehsenders bei den Olympischen Spielen. In seinen abfotografierten Papiernachbauten dieser Szenarien, dieser medial kollektiv vermittelten Tatorte, löscht Demand aber alle Spuren an die realen Ereignisse wieder aus. Er zeigt uns nur Bedeutungsruinen, Leerstellen, Chiffren - und schickt uns so auf die Schleife zwischen Geschichte, Bildern und Interpretationen. So dass uns eigentlich nur noch die Frage bleibt: Welches Geheimnis verbirgt eigentlich dieser Wald?
Unsere Abbildung entnehmen wir dem zur Retrospektive in Bregenz erschienenen Band „Phototrophy” (Schirmer/Mosel, München 2004. 128 Seiten, 66 Farbtafeln, 58 Euro).
holi
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
„Lichtung”/„Clearing” (2003) heißt das Bild von Thomas Demand, das vor kurzem noch in einer Retrospektive seines Werks im Kunsthaus Bregenz zu sehen war und nun das neue Restaurant des Museum of Modern Art in New York schmückt - im nächsten Frühjahr will man auch im MoMA dem Künstler eine Ausstellung widmen. Es wird sein endgültiger Ritterschlag in der Kunstwelt.
Zuerst jedoch konnte man eine Variation dieses Motivs auf der letztjährigen Biennale in Venedig sehen, aufgestellt im Freien, in den Giardini, zwischen Bäumen, also nicht im reinen, eigenschaftslosen Schutzgehäuse eines Museums, wo keinerlei Wirklichkeit die Bilder anzufressen vermag. Zwischen den realen Bäumen machte das von Thomas Demand fotografierte Blattwerk durchaus bella figura - und das, obwohl es sich hier um nichts weniger als um Natur handelt: Alles, was man hier sieht, ist in mühsamer Bastelarbeit aus Pappe, Draht und Papier angefertigt worden. Es handelt sich also um ein trompe-lil, um eine Augentäuschung im klassischen Sinne - und doch um mehr als das. Denn Demand zeigt uns eine Welt dritter Ordnung: Meist verweisen seine Bilder auf schon bestehende Bilder, vielleicht auf anonyme, graue, grobkörnige Bilder einer Video-Überwachungskamera, vielleicht auf das Foto eines Paparazzo oder auf die Zeitlupen-Sequenzen eines Fernsehsenders bei den Olympischen Spielen. In seinen abfotografierten Papiernachbauten dieser Szenarien, dieser medial kollektiv vermittelten Tatorte, löscht Demand aber alle Spuren an die realen Ereignisse wieder aus. Er zeigt uns nur Bedeutungsruinen, Leerstellen, Chiffren - und schickt uns so auf die Schleife zwischen Geschichte, Bildern und Interpretationen. So dass uns eigentlich nur noch die Frage bleibt: Welches Geheimnis verbirgt eigentlich dieser Wald?
Unsere Abbildung entnehmen wir dem zur Retrospektive in Bregenz erschienenen Band „Phototrophy” (Schirmer/Mosel, München 2004. 128 Seiten, 66 Farbtafeln, 58 Euro).
holi
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