Thomas Gottschalk ist der beliebteste Deutsche. Sein Freund, der Schriftsteller Gert Heidenreich, schreibt die erste Biographie über ihn. Das Buch enthält exklusiv unbekannte Kinder- und Jugendbilder und zeigt Gottschalk, wie ihn keiner kennt.
Thomas Gottschalk ist Star, Clown und der Liebling der Zuschauer. Bislang hat er sein Privatleben, seine Gedanken und Gefühle vor der Öffentlichkeit abgeschirmt. Für Gert Heidenreich öffnet er erstmals sein Archiv. Die beiden sind seit über dreißig Jahren befreundet. Gert Heidenreich hat zahlreiche Interviews mit der Mutter, anderen Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen geführt. Erzählt wird eine märchenhafte Karriere.
Thomas Gottschalk ist Star, Clown und der Liebling der Zuschauer. Bislang hat er sein Privatleben, seine Gedanken und Gefühle vor der Öffentlichkeit abgeschirmt. Für Gert Heidenreich öffnet er erstmals sein Archiv. Die beiden sind seit über dreißig Jahren befreundet. Gert Heidenreich hat zahlreiche Interviews mit der Mutter, anderen Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen geführt. Erzählt wird eine märchenhafte Karriere.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2004Der Unterhalter
Gert Heidenreich schreibt die Biographie von Thomas Gottschalk
Gewollt, sagen sie, haben sie das Buch beide nicht. "Ich glaube immer noch nicht, daß mein Leben für eine Biographie interessant genug ist", läßt Thomas Gottschalk sich im Nachwort zitieren. Und sein Biograph bekundet gleich mehrmals, daß er zunächst abgelehnt habe, als man ihm anbot, die Vita des bekanntesten deutschsprachigen Fernsehmoderators zu schreiben. Denn schließlich ist Gert Heidenreich Romancier, der auch Theaterstücke und Gedichte verfaßt hat, aber "noch nie eine Biographie".
Doch aller Vorbehalte zum Trotz: Schreibt sich das Leben von Thomas Gottschalk, der es ebensogut im Schottenrock wie im Leopardenanzug wie kein anderer vermag, Millionen von Menschen zum medialen Lagerfeuer zu vereinen, nicht von selbst? Ist es nicht zwingend spaßig, mehr über diesen unvergänglich lächelnden Direktor deutschen Fernsehhumors mit Wohnsitz Malibu zu erfahren? Daß dem nicht so ist, liegt gewiß nicht daran, daß Heidenreich, der zeitweise auch dem PEN-Club vorgestanden hat, nicht eben im Ruf steht, ein Spezialist für Unterhaltung zu sein. Das Geschäft mit dem Humor aber ist denkbar hart. Und den Ursprung der Gottschalkschen Komödie freizulegen, den Witz sprichwörtlich zu umzingeln, scheint schier unmöglich. Er kommt nicht raus.
Gert Heidenreich hat sich deshalb darauf verlegt, eine Art Schelmenroman zu schreiben. Sein Protagonist, den es als katholisch sozialisierten Klassenclown aus der bayerischen Provinz trotz des Umwegs über etliche Rundfunk- und Fernsehshows gleichsam im Traum auf die Weltbühne von "Wetten, daß . . .?" verschlug, erscheint darin als ein "Mischwesen aus Papageno, Eulenspiegel und Taugenichts". Der Fernsehstar warnte den Freund, bloß nicht zu tiefgründig zu werden. "Denk an mein Publikum." Dem Biographen war es indes darum zu tun, sich nicht gemein zu machen mit jenen Boulevardjournalistinnen, die das Genre durch ihre Krawallberichte über Stefan Effenberg oder Dieter Bohlen in letzter Zeit gehörig aufmischten.
Vor allem der Taugenichts geht Heidenreich beim Nachdenken über Gottschalk nicht aus dem Sinn. Er findet für den Vergleich nicht nur Stationen im Leben des Showmasters, der als Bub in Kulmbach, wohin es seine schlesischen Eltern nach dem Krieg verschlagen hat, dessen Gedichte vorträgt. Noch als Schüler wirkt er in einer Eichendorff-Verfilmung mit. Und Jahre später weiht er im polnischen Lubowitz, der schlesischen Heimat des Dichters, ein Eichendorff-Denkmal ein. Vor allem ist es dem Seelendeuter Heidenreich aber um die tiefere Wesensverwandtschaft der beiden getan. Wie Eichendorffs literarischer Held die väterliche Mühle verläßt, um als Unterhalter hinauszuziehen und sein Glück zu machen, wird Gottschalk, als er aus der kleinstädtischen Enge Kulmbachs aufbricht, getragen von jener Zuversicht, die den Taugenichts durchs Leben begleitet: "Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt."
In diesem Vertrauen, dem Glauben an die Gunst der Stunde, macht Heidenreich das eigentliche Erfolgsgeheimnis Thomas Gottschalks aus: Daß dieser es vermag, instinktiv die Möglichkeiten eines Augenblicks zu begreifen und ihn deshalb auf sich zukommen läßt, ohne Berechnung, ohne Kalkül. Wie chaotisch sich diese Unberechenbarkeit mitunter für Kollegen erweist, erfährt man von Günter Jauch, der in einem eigenen Kapitel seinen Freund aus BR-Tagen, als der Rundfunk noch so harmonisch und wohlgeordnet war wie die Eurovisionsfanfare, gar zum Revolutionär stilisiert.
Daß Gottschalk seine Moderationen niemals im vorhinein schreibt, weil er lieber seiner Lebenserfahrung vertraut als sich in das Korsett der Vorbereitung zu zwingen, erklärt auch, warum er nur der Meister über fünfzehn Minuten ist. Für die lange Form fehlt ihm der Atem. Sowohl als Schauspieler in so haarsträubenden Filmen wie der "Supernasen"-Serie oder "Zärtliche Chaoten" als auch in seinen journalistisch angelegten Features, etwa "Gottschalk in Amerika", hat er bislang jedesmal versagt. In diese Kategorie fällt auch sein mißglücktes Intermezzo als täglicher Late-night-Moderator bei RTL. Verhängnisvoll wurde es, als Gottschalk 1992 meinte, es angesichts brennender Asylantenheime mit Franz Schönhuber aufnehmen zu können. Mit dem Republikaner ein kritisches Interview zu führen geriet zum Fiasko, was Heidenreich keinesfalls verhehlt; indes auch hier für Gottschalk um Verständnis wirbt, "dem unter all seinen Talenten das eine fehlt, Konflikte aufzunehmen".
Auf den mehr als dreihundert Seiten bleibt er dem Freund vorwiegend wohlgesonnen: "Man kann ihn gewiß kritischer sehen, als ich das hier getan habe, auch freundlicher." Lieber sucht er, neben ausführlichen Extempores zur sozialpolitischen Gegenwart - Gottschalk ist fast so alt wie die Bundesrepublik -, stets aufs neue, das tiefere Sein von Gottschalks Wesens zu ergründen. Der nennt sich selbst, betont antiintellektuell, einmal "ein Stück Glotze", einmal "Kulmbacher Kleinbürger"; vom "Wetten, daß . . .?"-Regisseur Sascha Arnz stammt die Überlieferung, er sei "ein glücklich frei laufendes Huhn". Das freilich ist Heidenreich dann doch zuwenig. "Ein dummer Mensch ist nicht klug genug, um mit seiner Dummheit zu kokettieren", argumentiert er und versucht sich ein ums andere Mal an der trefflichen Wortschöpfung für den großen Mann in der Arena, der dampft "wie ein Zirkusroß vor dem Auftritt", der, "ohne schwer zu sein, auf dem Boden bleibt", der ein "Kolosseumstypus" sei, ja ein "Faszinator".
Heidenreich holt weit aus, gut ein Drittel des Buchs widmet sich den Eltern Gottschalks sowie dessen Jugend in Kulmbach, um das Wesen, diese schlesisch-barocke Art des Katholizismus besser zu fassen. Gottschalk, dessen Kindheit durch den frühen Tod des Vaters jäh endete, wurde als der Älteste dreier Kinder zur großen Hilfe für Mutter Ruthila. Wenn er nicht im "Old Castle" Platten auflegte, verbrachte er, um Geld zu verdienen, die Abende als Babysitter bei anderen Familien. Das Behüten, das er einst an der kleinen Schwester Raphaela erprobt hatte, wird ihm viele Jahre später zum Handwerk. Denn nichts anderes tut er am Samstagabend, als sein Publikum in Kinder zu verwandeln, die kichernd und staunend die abstrusesten Wetten verfolgen.
"Wetten, daß . . .?" ist Kindergeburtstag, nur mehrmals im Jahr - ebenso von dem Wunsch nach einer heilen Welt beseelt wie die frühen Märchenstunden. Daß bei Gottschalk die Welt noch in Ordnung ist, während sich der Alltag überschlägt, dafür wird er bedingungslos geliebt. "Willst Du Menschen fischen, hänge dein Herz an die Angel. Dann werden sie anbeißen!" schrieb der Schüler einst seiner kleinen Schwester ins Poesiealbum.
Gottschalks Herz an der Angel, der Schlüssel seines Erfolges, ist selbst schon der Haken, der eine Biographie über ihn so schwer macht. Denn Thomas Gottschalk lebt eine Form öffentlicher Authentizität vor, die ihresgleichen sucht: "Ich bin, wie ich bin, zu Hause wie im Fernsehen." Mit seiner kindlichen Freude darüber, daß Cher oder Madonna neben ihm auf der Couch Platz nehmen, spielt Gottschalk sich auf Augenhöhe mit dem Publikum. Doch womöglich ist sein Schulterschluß mit den Massen, seine vermeintlich ehrliche Volkstümlichkeit, die subtilste Form der medialen Inszenierung. Gert Heidenreich versucht, das Wesen von Thomas Gottschalk zu ergründen. Doch wo in dessen Persönlichkeit der schmale Grat zwischen Mensch und Medienandroid verläuft, bleibt ungesagt.
Helmut Dietl besetzte mit Thomas Gottschalk einst in seinem Kinofilm "Late Show", seinem furiosen Abgesang auf die Welt des Fernsehens, die Rolle eines arglosen Moderators. Gottschalk zu sehen als diesen notorisch gutgelaunten und alterslosen Sonnyboy wirkte geradezu unheimlich. Ob dies die Rolle seines Lebens war? Man hätte es gern erfahren.
SANDRA KEGEL.
Gert Heidenreich: "Thomas Gottschalk". Die Biographie. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gert Heidenreich schreibt die Biographie von Thomas Gottschalk
Gewollt, sagen sie, haben sie das Buch beide nicht. "Ich glaube immer noch nicht, daß mein Leben für eine Biographie interessant genug ist", läßt Thomas Gottschalk sich im Nachwort zitieren. Und sein Biograph bekundet gleich mehrmals, daß er zunächst abgelehnt habe, als man ihm anbot, die Vita des bekanntesten deutschsprachigen Fernsehmoderators zu schreiben. Denn schließlich ist Gert Heidenreich Romancier, der auch Theaterstücke und Gedichte verfaßt hat, aber "noch nie eine Biographie".
Doch aller Vorbehalte zum Trotz: Schreibt sich das Leben von Thomas Gottschalk, der es ebensogut im Schottenrock wie im Leopardenanzug wie kein anderer vermag, Millionen von Menschen zum medialen Lagerfeuer zu vereinen, nicht von selbst? Ist es nicht zwingend spaßig, mehr über diesen unvergänglich lächelnden Direktor deutschen Fernsehhumors mit Wohnsitz Malibu zu erfahren? Daß dem nicht so ist, liegt gewiß nicht daran, daß Heidenreich, der zeitweise auch dem PEN-Club vorgestanden hat, nicht eben im Ruf steht, ein Spezialist für Unterhaltung zu sein. Das Geschäft mit dem Humor aber ist denkbar hart. Und den Ursprung der Gottschalkschen Komödie freizulegen, den Witz sprichwörtlich zu umzingeln, scheint schier unmöglich. Er kommt nicht raus.
Gert Heidenreich hat sich deshalb darauf verlegt, eine Art Schelmenroman zu schreiben. Sein Protagonist, den es als katholisch sozialisierten Klassenclown aus der bayerischen Provinz trotz des Umwegs über etliche Rundfunk- und Fernsehshows gleichsam im Traum auf die Weltbühne von "Wetten, daß . . .?" verschlug, erscheint darin als ein "Mischwesen aus Papageno, Eulenspiegel und Taugenichts". Der Fernsehstar warnte den Freund, bloß nicht zu tiefgründig zu werden. "Denk an mein Publikum." Dem Biographen war es indes darum zu tun, sich nicht gemein zu machen mit jenen Boulevardjournalistinnen, die das Genre durch ihre Krawallberichte über Stefan Effenberg oder Dieter Bohlen in letzter Zeit gehörig aufmischten.
Vor allem der Taugenichts geht Heidenreich beim Nachdenken über Gottschalk nicht aus dem Sinn. Er findet für den Vergleich nicht nur Stationen im Leben des Showmasters, der als Bub in Kulmbach, wohin es seine schlesischen Eltern nach dem Krieg verschlagen hat, dessen Gedichte vorträgt. Noch als Schüler wirkt er in einer Eichendorff-Verfilmung mit. Und Jahre später weiht er im polnischen Lubowitz, der schlesischen Heimat des Dichters, ein Eichendorff-Denkmal ein. Vor allem ist es dem Seelendeuter Heidenreich aber um die tiefere Wesensverwandtschaft der beiden getan. Wie Eichendorffs literarischer Held die väterliche Mühle verläßt, um als Unterhalter hinauszuziehen und sein Glück zu machen, wird Gottschalk, als er aus der kleinstädtischen Enge Kulmbachs aufbricht, getragen von jener Zuversicht, die den Taugenichts durchs Leben begleitet: "Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt."
In diesem Vertrauen, dem Glauben an die Gunst der Stunde, macht Heidenreich das eigentliche Erfolgsgeheimnis Thomas Gottschalks aus: Daß dieser es vermag, instinktiv die Möglichkeiten eines Augenblicks zu begreifen und ihn deshalb auf sich zukommen läßt, ohne Berechnung, ohne Kalkül. Wie chaotisch sich diese Unberechenbarkeit mitunter für Kollegen erweist, erfährt man von Günter Jauch, der in einem eigenen Kapitel seinen Freund aus BR-Tagen, als der Rundfunk noch so harmonisch und wohlgeordnet war wie die Eurovisionsfanfare, gar zum Revolutionär stilisiert.
Daß Gottschalk seine Moderationen niemals im vorhinein schreibt, weil er lieber seiner Lebenserfahrung vertraut als sich in das Korsett der Vorbereitung zu zwingen, erklärt auch, warum er nur der Meister über fünfzehn Minuten ist. Für die lange Form fehlt ihm der Atem. Sowohl als Schauspieler in so haarsträubenden Filmen wie der "Supernasen"-Serie oder "Zärtliche Chaoten" als auch in seinen journalistisch angelegten Features, etwa "Gottschalk in Amerika", hat er bislang jedesmal versagt. In diese Kategorie fällt auch sein mißglücktes Intermezzo als täglicher Late-night-Moderator bei RTL. Verhängnisvoll wurde es, als Gottschalk 1992 meinte, es angesichts brennender Asylantenheime mit Franz Schönhuber aufnehmen zu können. Mit dem Republikaner ein kritisches Interview zu führen geriet zum Fiasko, was Heidenreich keinesfalls verhehlt; indes auch hier für Gottschalk um Verständnis wirbt, "dem unter all seinen Talenten das eine fehlt, Konflikte aufzunehmen".
Auf den mehr als dreihundert Seiten bleibt er dem Freund vorwiegend wohlgesonnen: "Man kann ihn gewiß kritischer sehen, als ich das hier getan habe, auch freundlicher." Lieber sucht er, neben ausführlichen Extempores zur sozialpolitischen Gegenwart - Gottschalk ist fast so alt wie die Bundesrepublik -, stets aufs neue, das tiefere Sein von Gottschalks Wesens zu ergründen. Der nennt sich selbst, betont antiintellektuell, einmal "ein Stück Glotze", einmal "Kulmbacher Kleinbürger"; vom "Wetten, daß . . .?"-Regisseur Sascha Arnz stammt die Überlieferung, er sei "ein glücklich frei laufendes Huhn". Das freilich ist Heidenreich dann doch zuwenig. "Ein dummer Mensch ist nicht klug genug, um mit seiner Dummheit zu kokettieren", argumentiert er und versucht sich ein ums andere Mal an der trefflichen Wortschöpfung für den großen Mann in der Arena, der dampft "wie ein Zirkusroß vor dem Auftritt", der, "ohne schwer zu sein, auf dem Boden bleibt", der ein "Kolosseumstypus" sei, ja ein "Faszinator".
Heidenreich holt weit aus, gut ein Drittel des Buchs widmet sich den Eltern Gottschalks sowie dessen Jugend in Kulmbach, um das Wesen, diese schlesisch-barocke Art des Katholizismus besser zu fassen. Gottschalk, dessen Kindheit durch den frühen Tod des Vaters jäh endete, wurde als der Älteste dreier Kinder zur großen Hilfe für Mutter Ruthila. Wenn er nicht im "Old Castle" Platten auflegte, verbrachte er, um Geld zu verdienen, die Abende als Babysitter bei anderen Familien. Das Behüten, das er einst an der kleinen Schwester Raphaela erprobt hatte, wird ihm viele Jahre später zum Handwerk. Denn nichts anderes tut er am Samstagabend, als sein Publikum in Kinder zu verwandeln, die kichernd und staunend die abstrusesten Wetten verfolgen.
"Wetten, daß . . .?" ist Kindergeburtstag, nur mehrmals im Jahr - ebenso von dem Wunsch nach einer heilen Welt beseelt wie die frühen Märchenstunden. Daß bei Gottschalk die Welt noch in Ordnung ist, während sich der Alltag überschlägt, dafür wird er bedingungslos geliebt. "Willst Du Menschen fischen, hänge dein Herz an die Angel. Dann werden sie anbeißen!" schrieb der Schüler einst seiner kleinen Schwester ins Poesiealbum.
Gottschalks Herz an der Angel, der Schlüssel seines Erfolges, ist selbst schon der Haken, der eine Biographie über ihn so schwer macht. Denn Thomas Gottschalk lebt eine Form öffentlicher Authentizität vor, die ihresgleichen sucht: "Ich bin, wie ich bin, zu Hause wie im Fernsehen." Mit seiner kindlichen Freude darüber, daß Cher oder Madonna neben ihm auf der Couch Platz nehmen, spielt Gottschalk sich auf Augenhöhe mit dem Publikum. Doch womöglich ist sein Schulterschluß mit den Massen, seine vermeintlich ehrliche Volkstümlichkeit, die subtilste Form der medialen Inszenierung. Gert Heidenreich versucht, das Wesen von Thomas Gottschalk zu ergründen. Doch wo in dessen Persönlichkeit der schmale Grat zwischen Mensch und Medienandroid verläuft, bleibt ungesagt.
Helmut Dietl besetzte mit Thomas Gottschalk einst in seinem Kinofilm "Late Show", seinem furiosen Abgesang auf die Welt des Fernsehens, die Rolle eines arglosen Moderators. Gottschalk zu sehen als diesen notorisch gutgelaunten und alterslosen Sonnyboy wirkte geradezu unheimlich. Ob dies die Rolle seines Lebens war? Man hätte es gern erfahren.
SANDRA KEGEL.
Gert Heidenreich: "Thomas Gottschalk". Die Biographie. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2004Der Letzte macht das Lagerfeuer aus
Autogrammjägerlatein: Gert Heidenreich bürstet Thomas Gottschalk den Smoking aus
Früher schrieben Leute aus dem Showgeschäft Autogramme - heute schreiben sie Autobiographien. Insofern ist es wohltuend, dass Thomas Gottschalk es einem Freund, dem Schriftsteller Gert Heidenreich, überlassen hat, sein Leben für ihn aufzuschreiben. Dabei kann Gottschalk schreiben - schnell, flüssig, pointiert -, das hat er oft genug bewiesen. Aber für ein ganzes Buch würde ihm, der noch nie eine seiner Sendemoderationen vorgeschrieben hat, wohl die Ausdauer fehlen, der lange Atem.
Gottschalk, der von sich sagt, er könne sich zu fast jedem Thema äußern, aber nie länger als fünfzehn Minuten, ist ein Kurztaktvirtuose und darum ideal fürs Radio, wo seine Karriere auch begann. Und vielleicht ist er gerade deshalb dann am besten, wenn er live improvisiert, weil er die Not braucht, die ihn erst erfinderisch macht, und sei es bloß die Zeitnot. Die Kürze dieser kreativen Intervalle ist neben Bienenfleiß aber auch der Schlüssel zu seinem Erfolg. Erst sie erlaubte ihm die optimale Selbstausbeutung, um vom Kulmbacher Glücksritter und Bruder Leichtfuß mit sonnigem Gemüt und losem Mundwerk, der in oberfränkischen Dorfdiskos Platten auflegt, zum populärsten Entertainer des Landes und beliebtesten Deutschen aufzusteigen. Er ist eben der Gott der Fernsehnation und zugleich ihr Schalk.
Um diesen Spagat zu schaffen, musste er sich nie verbiegen; er war immer schon so gebaut, mit dehnbarem Ego und elastischen Nerven ausgestattet. Vor einiger Zeit kündigte er in seinem Samstagabendbiotop „Wetten, dass . . . ?”, dem, wie er sagt, „letzten Lagerfeuer der Nation”, die Sängerin Pink mit folgender Pointe an: „Ich kannte noch ihren Vater: Punk.” Das ist wahr und unwahr zugleich, denn bei Gottschalk war Punk immer schon pink, und eben diese bunten Seiten im Lebensgefühl seiner Generation zuerst in den Funk, später ins Fernsehen gebracht zu haben, ist Gottschalks Lebensleistung. In Personal- und Programmpolitik hat das Farbfernsehen in Deutschland erst angefangen, als Gottschalk zum ersten Mal auf Sendung ging, um die bieder-jovialen grauen Fernsehonkel abzulösen und den Trümmerstaub, der noch auf der Nachkriegsunterhaltung lag, wegzuwischen. Als Hörfunk-Redakteur wollte er das Medium nur „entkrampfen”, aber den jahrelangen Clinch mit dem BR adelt sein damaliger Kombattant Günther Jauch rückblickend zur „Kulturrevolution”. Später heißt Gottschalks berufliches Ziel, den Zuschauern „zur Gewohnheit” zu werden. Von der Revolution zur Institution.
Think pink!
Auch der Biograph Heidenreich entgeht nicht dem Strudel der Superlative, jenem Autogrammjägerlatein, das im vollgültigen Prädikat „Faszinator” gipfelt und eine „Wetten, dass . . .?”Sendung einmal gar als gesamteuropäische Fernseh-Kommunion beschreibt: „Das Publikum wird Gottschalk, Gottschalk wird das Publikum”. Die Latte für seinen Helden immer wieder derart hochzulegen, hat dabei auch erzählstrategische Gründe: Der lange Anlauf durch das Kulmbach der Jugendjahre muss gerechtfertigt erscheinen. Heidenreich belebt die relative Belanglosigkeit dieser Jahre durch Vorgriffe und Rückblenden, stellt hinter der engen Provinzwelt die Zeitgeschichte als kontrastreiches Panorama auf und muss doch immer wieder auf das plumpe Versatzstück: „Noch ahnt niemand . . .” zurückgreifen, um matte Kindheit und glanzvolle Zukunft dramaturgisch zu verschrauben.
„Der Biograph ist die Concierge der Literatur”, hat ein kluger Mann mal geschrieben. Eine Concierge sitzt unten am Eingang, bevor man zum Olymp der Literatur aufsteigt, aber sie sitzt auch noch dort, wenn man wieder herabsteigt. Da Heidenreich kein Erwerbsbiograph ist, sondern Autor von Romanen, Gedichten und Theaterstücken, gilt für ihn Letzteres, und das lässt die Betulichkeit, mit der er korrumpierte Kunstmittel bedient, fast schon wieder parodistisch wirken. Auch ist der Concierge die gebeugte Haltung eigen. Ihr eingeschränktes Sichtfeld muss sie durch Phantasie zum Gesamtbild vervollständigen. Bei Heidenreich ist diese Totale allerdings schamhaft abgedunkelt, sein Blick nie voyeuristisch, sondern prüfend, als wäre er ein Hausmeister, der darüber wacht, dass alle Gardinen ordnungsgemäß zugezogen sind, damit die Nachbarn nichts zu klatschen haben. Der Autor ist auch der Aufpasser seines Helden, aber eigentlich wollte er einen Schelmenroman schreiben. Und so ist dieses Buch für Gottschalk viel nützlicher, als wenn er es selbst geschrieben hätte, weil es glaubwürdiger wirkt, wenn ihm ein Außenstehender das bisschen Ruch - die falschen Frauen, falschen Millionen und falschen Gesinnungen, die ihm angedichtet wurden - wie Krümel vom Smoking bürstet. Zwar wird Gottschalks unselige Liebe zur Schauspielerei nicht unterschlagen, auch nicht, dass die „Supernasen”-Filme es ihm neben Werbeverträgen und Gelegenheitsmoderationen erst ermöglichten, seiner extravaganten Sammelleidenschaft - Uhren, Autos, Häuser - zu frönen, aber wer kann einem Gottschalk schon böse sein?
Böse sein kann man höchstens, weil dieses Leben so schlüssig wirkt wie seine eigene Blaupause: Dass er harmoniesüchtig ist und konfliktscheu und sich darum als Jugendlicher erst auf dem Schulweg hinter einem Baum als Bürgerschreck verkleidete. Und dass er mit einem Parka rumlief, auf den er nur deshalb das Wort „Protest” geschrieben hatte, weil sein Kumpel ihm das andere P-Wort „Peace” weggeschnappt hatte. Die Neigung zum verbotenen Outfit - oben Mozart, unten Marlboro-Mann - hat Gottschalk sich bis heute bewahrt. Sein eklektizistischer Geschmack wirkt wie ein Symbol seiner Fähigkeit, im segmentierten Fernsehen von heute die Flamme des letzten Lagerfeuers zu bewahren. Gottschalk, selbst schon ein Monument der Familienunterhaltung, bekommt durch diese dreihundert Druckseiten den passenden Sockel. Was immer er noch vorhat, er ist endgültig Fernsehgeschichte. Friede seinem Parka!
CHRISTOPHER SCHMIDT
GERT HEIDENREICH: Thomas Gottschalk. Die Biographie. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Der nachmalige Faszinator als junger Plattenleger: Thomas Gottschalk in den siebziger Jahren
Foto: Christine Strub
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Autogrammjägerlatein: Gert Heidenreich bürstet Thomas Gottschalk den Smoking aus
Früher schrieben Leute aus dem Showgeschäft Autogramme - heute schreiben sie Autobiographien. Insofern ist es wohltuend, dass Thomas Gottschalk es einem Freund, dem Schriftsteller Gert Heidenreich, überlassen hat, sein Leben für ihn aufzuschreiben. Dabei kann Gottschalk schreiben - schnell, flüssig, pointiert -, das hat er oft genug bewiesen. Aber für ein ganzes Buch würde ihm, der noch nie eine seiner Sendemoderationen vorgeschrieben hat, wohl die Ausdauer fehlen, der lange Atem.
Gottschalk, der von sich sagt, er könne sich zu fast jedem Thema äußern, aber nie länger als fünfzehn Minuten, ist ein Kurztaktvirtuose und darum ideal fürs Radio, wo seine Karriere auch begann. Und vielleicht ist er gerade deshalb dann am besten, wenn er live improvisiert, weil er die Not braucht, die ihn erst erfinderisch macht, und sei es bloß die Zeitnot. Die Kürze dieser kreativen Intervalle ist neben Bienenfleiß aber auch der Schlüssel zu seinem Erfolg. Erst sie erlaubte ihm die optimale Selbstausbeutung, um vom Kulmbacher Glücksritter und Bruder Leichtfuß mit sonnigem Gemüt und losem Mundwerk, der in oberfränkischen Dorfdiskos Platten auflegt, zum populärsten Entertainer des Landes und beliebtesten Deutschen aufzusteigen. Er ist eben der Gott der Fernsehnation und zugleich ihr Schalk.
Um diesen Spagat zu schaffen, musste er sich nie verbiegen; er war immer schon so gebaut, mit dehnbarem Ego und elastischen Nerven ausgestattet. Vor einiger Zeit kündigte er in seinem Samstagabendbiotop „Wetten, dass . . . ?”, dem, wie er sagt, „letzten Lagerfeuer der Nation”, die Sängerin Pink mit folgender Pointe an: „Ich kannte noch ihren Vater: Punk.” Das ist wahr und unwahr zugleich, denn bei Gottschalk war Punk immer schon pink, und eben diese bunten Seiten im Lebensgefühl seiner Generation zuerst in den Funk, später ins Fernsehen gebracht zu haben, ist Gottschalks Lebensleistung. In Personal- und Programmpolitik hat das Farbfernsehen in Deutschland erst angefangen, als Gottschalk zum ersten Mal auf Sendung ging, um die bieder-jovialen grauen Fernsehonkel abzulösen und den Trümmerstaub, der noch auf der Nachkriegsunterhaltung lag, wegzuwischen. Als Hörfunk-Redakteur wollte er das Medium nur „entkrampfen”, aber den jahrelangen Clinch mit dem BR adelt sein damaliger Kombattant Günther Jauch rückblickend zur „Kulturrevolution”. Später heißt Gottschalks berufliches Ziel, den Zuschauern „zur Gewohnheit” zu werden. Von der Revolution zur Institution.
Think pink!
Auch der Biograph Heidenreich entgeht nicht dem Strudel der Superlative, jenem Autogrammjägerlatein, das im vollgültigen Prädikat „Faszinator” gipfelt und eine „Wetten, dass . . .?”Sendung einmal gar als gesamteuropäische Fernseh-Kommunion beschreibt: „Das Publikum wird Gottschalk, Gottschalk wird das Publikum”. Die Latte für seinen Helden immer wieder derart hochzulegen, hat dabei auch erzählstrategische Gründe: Der lange Anlauf durch das Kulmbach der Jugendjahre muss gerechtfertigt erscheinen. Heidenreich belebt die relative Belanglosigkeit dieser Jahre durch Vorgriffe und Rückblenden, stellt hinter der engen Provinzwelt die Zeitgeschichte als kontrastreiches Panorama auf und muss doch immer wieder auf das plumpe Versatzstück: „Noch ahnt niemand . . .” zurückgreifen, um matte Kindheit und glanzvolle Zukunft dramaturgisch zu verschrauben.
„Der Biograph ist die Concierge der Literatur”, hat ein kluger Mann mal geschrieben. Eine Concierge sitzt unten am Eingang, bevor man zum Olymp der Literatur aufsteigt, aber sie sitzt auch noch dort, wenn man wieder herabsteigt. Da Heidenreich kein Erwerbsbiograph ist, sondern Autor von Romanen, Gedichten und Theaterstücken, gilt für ihn Letzteres, und das lässt die Betulichkeit, mit der er korrumpierte Kunstmittel bedient, fast schon wieder parodistisch wirken. Auch ist der Concierge die gebeugte Haltung eigen. Ihr eingeschränktes Sichtfeld muss sie durch Phantasie zum Gesamtbild vervollständigen. Bei Heidenreich ist diese Totale allerdings schamhaft abgedunkelt, sein Blick nie voyeuristisch, sondern prüfend, als wäre er ein Hausmeister, der darüber wacht, dass alle Gardinen ordnungsgemäß zugezogen sind, damit die Nachbarn nichts zu klatschen haben. Der Autor ist auch der Aufpasser seines Helden, aber eigentlich wollte er einen Schelmenroman schreiben. Und so ist dieses Buch für Gottschalk viel nützlicher, als wenn er es selbst geschrieben hätte, weil es glaubwürdiger wirkt, wenn ihm ein Außenstehender das bisschen Ruch - die falschen Frauen, falschen Millionen und falschen Gesinnungen, die ihm angedichtet wurden - wie Krümel vom Smoking bürstet. Zwar wird Gottschalks unselige Liebe zur Schauspielerei nicht unterschlagen, auch nicht, dass die „Supernasen”-Filme es ihm neben Werbeverträgen und Gelegenheitsmoderationen erst ermöglichten, seiner extravaganten Sammelleidenschaft - Uhren, Autos, Häuser - zu frönen, aber wer kann einem Gottschalk schon böse sein?
Böse sein kann man höchstens, weil dieses Leben so schlüssig wirkt wie seine eigene Blaupause: Dass er harmoniesüchtig ist und konfliktscheu und sich darum als Jugendlicher erst auf dem Schulweg hinter einem Baum als Bürgerschreck verkleidete. Und dass er mit einem Parka rumlief, auf den er nur deshalb das Wort „Protest” geschrieben hatte, weil sein Kumpel ihm das andere P-Wort „Peace” weggeschnappt hatte. Die Neigung zum verbotenen Outfit - oben Mozart, unten Marlboro-Mann - hat Gottschalk sich bis heute bewahrt. Sein eklektizistischer Geschmack wirkt wie ein Symbol seiner Fähigkeit, im segmentierten Fernsehen von heute die Flamme des letzten Lagerfeuers zu bewahren. Gottschalk, selbst schon ein Monument der Familienunterhaltung, bekommt durch diese dreihundert Druckseiten den passenden Sockel. Was immer er noch vorhat, er ist endgültig Fernsehgeschichte. Friede seinem Parka!
CHRISTOPHER SCHMIDT
GERT HEIDENREICH: Thomas Gottschalk. Die Biographie. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Der nachmalige Faszinator als junger Plattenleger: Thomas Gottschalk in den siebziger Jahren
Foto: Christine Strub
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Es geht in Christopher Schmidts Kritik von Gert Heidenreichs Gottschalk-Biografie im strengen Sinne nicht um Gert Heidenreichs Gottschalk-Biografie. Diese hält der Rezensent offenbar eher für betulich, für wohlgemeint, für harmlos. Ein Freundschaftsdienst. Allerdings findet Schmidt, dass das Kuschelige und Harmlose dem Porträtierten durchaus zu Gesicht steht. Denn dieser verkörpert in seinen Augen als letzte große Konsensfigur der Mediengesellschaft Bundesrepublik seinerseits den Spagat zwischen Kulmbacher Enge (in Kulmbach verlebte Gottschalk seine Jugend) und zum Internationalen strebendem Glamour. Versuche, Gottschalk zum Kulturrevolutionär zu adeln, fängt Schmidt denn zwar auch mit leiser Ironie auf; er will aber doch auch nicht unterschlagen, dass der Moderator, der aus dem Bayrischen Rundfunk kam, seinerzeit Farbe in den betonscheitelgrauen deutschen Fernsehalltag brachte.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH