Thomas Hobbes (1588 - 1679) ist ein Pionier der Moderne, dabei der Schöpfer einer der größten Staatsphilosophien der abendländischen Geistesgeschichte. Seine Vertragstheorie ist bis heute als wichtiger Gesprächspartner im politischen Diskurs präsent. Darüber hinaus hat Hobbes ein umfassendes philosophisches System entwickelt. Otfried Höffe arbeitet in diesem Buch die vielfältigen Aspekte dieses Werkes heraus und stellt sie in den Zusammenhang der politischen Ideengeschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2010Schämen soll sich, wer die Geburt Kants nicht vorhersah!
Thomas Hobbes, mit dem Korrekturstift gelesen: Otfried Höffe modernisiert den Gründervater der neueren politischen Philosophie. Er leistet sich dabei manche Anachronismen.
Eine politische Philosophie von Gewicht, auf der nicht, so oder so, die langen Schatten von Thomas Hobbes lägen, gibt es bis heute nicht. Schatten, die zumeist als bedrohlich empfunden werden. Denn Hobbes, dessen ganzes Denken um den alternativlosen Ausgang des Menschen aus dem Naturzustand kreist, scheint für seine Person doch auch in Letzterem steckengeblieben zu sein. Hobbes, der Heros am Eingang der gesitteten Welt, passt, eben weil er ein Heros ist, selbst in sie nicht hinein. Auch hier gilt die Weisheit Vicos: Wir heutigen Nicht-Heroen leben von Leuten, die uns notwendig unheimlich sind.
In der Hobbes-Literatur hat man immer wieder versucht, den unheimlichen Heros fürs Heute zu domestizieren. Leo Strauss etwa, der Hobbes als fast einen zweiten Erasmus aufgefasst hat, aber auch andere - Liberale, Etatisten, Marxisten - haben hier mitgewirkt. Auch Otfried Höffe geht es in einer neuen, kompakten Einführung um einen Hobbes nach dem Maß unserer Zeit. Höffe gibt zunächst einen Grundriss des Hobbes'schen Systems; der Leser erfährt hier im Referat das Wichtigste über Physik und Mathematik, Sprach- und Rhetorikauffassung des Philosophen in ihrem enzyklopädischen Zusammenhang. Spätestens aber, wenn es zur praktischen Philosophie und zur Politik kommt, wird rigoros der Korrekturstift gezückt. Hobbes, so lesen wir etwa, habe den "Fehler" begangen, nicht nur den Staat überhaupt, sondern gleich eine "absolute und ungeteilte Staatssouveränität" abzuleiten. Er hat also, anders als wir doch alle, nicht auf Gewaltenteilung und Souveränitäts-Splitting gesetzt - und in der Tat wäre nach Hobbes eine geteilte Souveränität eigentlich gar keine oder nur die Verschleierung der jeweils realen, diejenige, die je ausschlaggebende Macht in Händen hält. Hobbes habe weiter, so Höffe, keine "globale Komponente" gekannt, also dem internationalen Recht, einer "Weltfriedensordnung" zumal oder dem Völkerbund, leider nicht vorgearbeitet. Schlimmer noch: Hobbes besitze keine "echte Moralphilosophie", fehle es ihm doch an einer verbindlichen "Deontologie" - so, als habe Hobbes schon zu Kant Stellung zu nehmen gehabt, und als ob nicht in humanistischen Bahnen andere als Kantische Konzepte einer "philosophia moralis" denkbar wären.
Gerade der Anachronismus, dem Höffe hier huldigt, kann uns indes umgekehrt darauf verweisen, wem Hobbes auch in der Ethik zuletzt verpflichtet war: Francis Bacon nämlich, dessen Wissenschaftsbegriff, wie schon Kuno Fischer mit Nachdruck betont hat, für Hobbes theoretisch wie praktisch normsetzend war. Moralische (Natur-)Gesetze sind bei Hobbes wie physikalische nichts anderes als Induktionen einer beobachtenden Vernunft - Induktionen, die ihre Güte darin beweisen, dass ihnen nicht zu folgen in praktischer Hinsicht zerstörerisch ist. Bei Hobbes ist darum, ganz ohne kategorischen Imperativ, mehr als jeder andere gerade der Souverän an die Beachtung der natürlichen Gesetze des Handelns gebunden - bei Strafe nämlich des sonst zwangsläufigen Verlustes der Souveränität.
Zunächst reizvoll sind Höffes Überlegungen zu der Frage, inwieweit wir es bei Hobbes, so entschieden er sich als Feind der Scholastik gibt, dennoch mit einem "Aristoteliker wider Willen" zu tun haben. Allerdings entstehen auch Zweifel - und zwar umso mehr, als Höffe vor allem das gerüttelt Maß an frühneuzeitlichem Stoizismus übersieht, ohne das Hobbes kaum zu verstehen ist. Ganz (neu-)stoisch ist schon das Hobbes'sche Prinzip der Selbsterhaltung und diese als letztes Ziel. Gut stoisch sind aber ebenso seine ganz unaristotelische "Vorstellungsphilosophie", seine nominalistische Sprachphilosophie und Semiotik, ist zudem die "materialistische Theologie", der Hobbes, zur Verwunderung vieler, anhängt.
A propos Theologie: Höffe darf man es als Verdienst anrechnen, dass er die oft ganz überlesene andere Hälfte des Leviathan, die durchaus komplexe Auseinandersetzung mit der Religion, angemessen zur Sprache bringt. Denn auch, wenn man nicht, wie Höffe, einen veritablen "Bruch" im "Kontinuum" des Ansatzes durch die Aufnahme "jüdisch-christlicher Theologumena" unterstellt: dass ein Autor, der in seinem Hauptwerk das Wort "Gott" über eintausend Mal im Munde führt, auch als Denker der Religion ernst genommen werden will, liegt auf der Hand. Was Hobbes jedenfalls vertritt, ist die These von der inneren Affinität zwischen einer mechanistisch gedachten natürlichen und politischen Welt auf der einen Seite und einer "erastianisch", also im Sinne des anglikanischen Staatskirchentums, regulierten religiösen Vorstellungswelt auf der anderen.
Darin liegt zum einen ein Fingerzeig darauf, dass nach Hobbes in der Religion Motivationspotentiale liegen, die der Souverän im eigenen Interesse politisch zu binden hat. Und darin liegt zum anderen der Hinweis, dass umgekehrt sich womöglich die Sprache der Politik aus Ressourcen speist, die nicht einfach nur dem Alltagsverstand verdankt sind. Der (politischen) Vernunft, wenn sie über sich aufgeklärt ist, geschieht nach Hobbes dabei nicht zwingend ein Abbruch; eher im Gegenteil. Der Korrekturstift kann bisweilen auch ruhen.
THOMAS SÖREN HOFFMANN
Otfried Höffe: "Thomas Hobbes". Verlag C.H. Beck, München 2010. 251 S., Abb., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Hobbes, mit dem Korrekturstift gelesen: Otfried Höffe modernisiert den Gründervater der neueren politischen Philosophie. Er leistet sich dabei manche Anachronismen.
Eine politische Philosophie von Gewicht, auf der nicht, so oder so, die langen Schatten von Thomas Hobbes lägen, gibt es bis heute nicht. Schatten, die zumeist als bedrohlich empfunden werden. Denn Hobbes, dessen ganzes Denken um den alternativlosen Ausgang des Menschen aus dem Naturzustand kreist, scheint für seine Person doch auch in Letzterem steckengeblieben zu sein. Hobbes, der Heros am Eingang der gesitteten Welt, passt, eben weil er ein Heros ist, selbst in sie nicht hinein. Auch hier gilt die Weisheit Vicos: Wir heutigen Nicht-Heroen leben von Leuten, die uns notwendig unheimlich sind.
In der Hobbes-Literatur hat man immer wieder versucht, den unheimlichen Heros fürs Heute zu domestizieren. Leo Strauss etwa, der Hobbes als fast einen zweiten Erasmus aufgefasst hat, aber auch andere - Liberale, Etatisten, Marxisten - haben hier mitgewirkt. Auch Otfried Höffe geht es in einer neuen, kompakten Einführung um einen Hobbes nach dem Maß unserer Zeit. Höffe gibt zunächst einen Grundriss des Hobbes'schen Systems; der Leser erfährt hier im Referat das Wichtigste über Physik und Mathematik, Sprach- und Rhetorikauffassung des Philosophen in ihrem enzyklopädischen Zusammenhang. Spätestens aber, wenn es zur praktischen Philosophie und zur Politik kommt, wird rigoros der Korrekturstift gezückt. Hobbes, so lesen wir etwa, habe den "Fehler" begangen, nicht nur den Staat überhaupt, sondern gleich eine "absolute und ungeteilte Staatssouveränität" abzuleiten. Er hat also, anders als wir doch alle, nicht auf Gewaltenteilung und Souveränitäts-Splitting gesetzt - und in der Tat wäre nach Hobbes eine geteilte Souveränität eigentlich gar keine oder nur die Verschleierung der jeweils realen, diejenige, die je ausschlaggebende Macht in Händen hält. Hobbes habe weiter, so Höffe, keine "globale Komponente" gekannt, also dem internationalen Recht, einer "Weltfriedensordnung" zumal oder dem Völkerbund, leider nicht vorgearbeitet. Schlimmer noch: Hobbes besitze keine "echte Moralphilosophie", fehle es ihm doch an einer verbindlichen "Deontologie" - so, als habe Hobbes schon zu Kant Stellung zu nehmen gehabt, und als ob nicht in humanistischen Bahnen andere als Kantische Konzepte einer "philosophia moralis" denkbar wären.
Gerade der Anachronismus, dem Höffe hier huldigt, kann uns indes umgekehrt darauf verweisen, wem Hobbes auch in der Ethik zuletzt verpflichtet war: Francis Bacon nämlich, dessen Wissenschaftsbegriff, wie schon Kuno Fischer mit Nachdruck betont hat, für Hobbes theoretisch wie praktisch normsetzend war. Moralische (Natur-)Gesetze sind bei Hobbes wie physikalische nichts anderes als Induktionen einer beobachtenden Vernunft - Induktionen, die ihre Güte darin beweisen, dass ihnen nicht zu folgen in praktischer Hinsicht zerstörerisch ist. Bei Hobbes ist darum, ganz ohne kategorischen Imperativ, mehr als jeder andere gerade der Souverän an die Beachtung der natürlichen Gesetze des Handelns gebunden - bei Strafe nämlich des sonst zwangsläufigen Verlustes der Souveränität.
Zunächst reizvoll sind Höffes Überlegungen zu der Frage, inwieweit wir es bei Hobbes, so entschieden er sich als Feind der Scholastik gibt, dennoch mit einem "Aristoteliker wider Willen" zu tun haben. Allerdings entstehen auch Zweifel - und zwar umso mehr, als Höffe vor allem das gerüttelt Maß an frühneuzeitlichem Stoizismus übersieht, ohne das Hobbes kaum zu verstehen ist. Ganz (neu-)stoisch ist schon das Hobbes'sche Prinzip der Selbsterhaltung und diese als letztes Ziel. Gut stoisch sind aber ebenso seine ganz unaristotelische "Vorstellungsphilosophie", seine nominalistische Sprachphilosophie und Semiotik, ist zudem die "materialistische Theologie", der Hobbes, zur Verwunderung vieler, anhängt.
A propos Theologie: Höffe darf man es als Verdienst anrechnen, dass er die oft ganz überlesene andere Hälfte des Leviathan, die durchaus komplexe Auseinandersetzung mit der Religion, angemessen zur Sprache bringt. Denn auch, wenn man nicht, wie Höffe, einen veritablen "Bruch" im "Kontinuum" des Ansatzes durch die Aufnahme "jüdisch-christlicher Theologumena" unterstellt: dass ein Autor, der in seinem Hauptwerk das Wort "Gott" über eintausend Mal im Munde führt, auch als Denker der Religion ernst genommen werden will, liegt auf der Hand. Was Hobbes jedenfalls vertritt, ist die These von der inneren Affinität zwischen einer mechanistisch gedachten natürlichen und politischen Welt auf der einen Seite und einer "erastianisch", also im Sinne des anglikanischen Staatskirchentums, regulierten religiösen Vorstellungswelt auf der anderen.
Darin liegt zum einen ein Fingerzeig darauf, dass nach Hobbes in der Religion Motivationspotentiale liegen, die der Souverän im eigenen Interesse politisch zu binden hat. Und darin liegt zum anderen der Hinweis, dass umgekehrt sich womöglich die Sprache der Politik aus Ressourcen speist, die nicht einfach nur dem Alltagsverstand verdankt sind. Der (politischen) Vernunft, wenn sie über sich aufgeklärt ist, geschieht nach Hobbes dabei nicht zwingend ein Abbruch; eher im Gegenteil. Der Korrekturstift kann bisweilen auch ruhen.
THOMAS SÖREN HOFFMANN
Otfried Höffe: "Thomas Hobbes". Verlag C.H. Beck, München 2010. 251 S., Abb., br., 14,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Michael Schefczyk stellt diese Einführung zu Thomas Hobbes von Otfried Höffe denjenigen von Wolfgang Kersting und Herfried Münkler an die Seite und stellt fest: Der Autor bestätigt die heute gültige Meinung, Hobbes sei einerseits ein Pionier auf dem Gebiet der liberalen politischen Philosophie, sei mit seiner Vorstellung von unumstößlicher staatlicher Gewalt andererseits aber auch überholt. Schefczyk findet Höffe gelehrter und nüchterner als seine Kollegen, seine Darstellung tiefergehend. Dies obgleich ihm nicht entgeht, mit welchem Sicherheitsabstand der Autor (als Kantianer) seinem Objekt begegnet. Insgesamt hält der Rezensent das Buch für empfehlenswert, wenn ihm auch hier und dort (etwa betreffend die Frage nach Hobbes eigener Revision seiner Lehren) eine ausführlichere Betrachtung gut gefallen hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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