Produktdetails
- Verlag: Residenz
- Seitenzahl: 156
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 280g
- ISBN-13: 9783701711703
- ISBN-10: 3701711704
- Artikelnr.: 23999718
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Hier blitzt der Miezenwitz
Eine Vorstellung von Hungarozität: Péter Esterházy geht aufs Ganze / Von Friedmar Apel
Rechtzeitig zur Buchmesse versorgt uns Péter Esterházy mit einer Vorstellung von Hungarozität, das heißt, er befestigt unsere komplexitätsreduzierenden Ungarn-Klischees: "Wie man weiß, sind die Ungarn ein heißblütiges Volk und fesch. In unserem Land ist es üblich, von Zeit zu Zeit Revolutionen zu verlieren, oder, um es metaphorisch zu sagen, die böse österreichische Unterdrückung überrumpelt uns." Ein kleines Land wie Ungarn, so viel als Vorwarnung, bringt aber nur "schwach liederliche oder bestenfalls mittelmäßig liederliche Schriftsteller" hervor. Esterházys Ideal ist dagegen der "echte, tapfere, gute liederliche Schriftsteller". Die Bemühungen des Autors, diesem Ideal nachzukommen, sind in seinem Bändchen mit Geschichten, Glossen, Gesprächen und Tagebuchnotizen wohl dokumentiert. Da blitzen die Gedanken wie ein Unterrock. So erfahren wir Deutschen endlich, was wir bei der Vereinigung, auf die wir nur mit DM und Verstand vorbereitet waren, nicht aber mit Herz und Seele, unersetzlich eingebüßt haben. Nämlich die humanen, nach VEB-Parfüm riechenden "DDR-Miezen", die für Völkerverständigung in Mitteleuropa sorgten, indem sie "den ungarischen Mann sowohl als Ungarn wie auch als Mann in Ehren" hielten. Nach diesem Verlust muss sich der ungarische Autor an seine Sprache halten, die einem Bonmot zufolge alles tut, worum man sie bittet. Da ist es wohl unvermeidlich, dass der Autor vor allem an das eine denkt.
Jedoch lassen sich in der ungarischen Sprache auch Pläne für eine Zukunft von Ost und West schmieden. Wir könnten zum Beispiel gemeinsam verblöden. In dieser sublimen Verfassung würden wir "für den Gebrauch der Wendung Europäisches Haus" eine Strafe erheben und "die eingetriebenen Gelder gemeinsam verprassen (Champagner, Diskotheken, Saxophone, Frauen, Männer)". Auf dem Wege dahin müssten wir aber noch von den Früchten osteuropäischer Weisheit kosten: "Wer als Lübecker in Lübeck mit einem neuen Lada fährt, ist auch zu anderen Grausamkeiten fähig."
Erst später im Verlauf der Lektüre erschließt sich, dass die Perlen, die Esterházy scheinbar wahllos und närrisch in die Gegend wirft, aus der gerissenen Kette eines mitteleuropäischen Traums stammen, der sich nach dem Mauerfall in einem Albtraum zu verwandeln droht: "Jugoslawien als Metapher für Mitteleuropa." Mit seiner sich selbst ad absurdum führenden heiteren Geschwätzigkeit versucht sich der Autor von den Unerträglichkeiten zu befreien, die der Europa-Begriff freisetzt: "Wir schauen zur Seite. Schlagen die Augen nieder. Das bedeutet heute, ein Europäer zu sein. Wie viele Tausende von Menschen kann man mitten in Europa umbringen? - Das ist eine typische, dünkelhafte, europäische Frage. Als wäre es eine geringere und weniger skandalöse Angelegenheit, Menschen nicht mitten in Europa umzubringen." Esterházy ekelt sich vor den ganzheitlichen Begriffen und Visionen und lenkt deshalb den Blick immer wieder auf die tägliche Absurdheit der Welt. So gut er es mit seiner Einsicht in den universalen Sieg der Ohnmacht vermag, macht sich dieser ungarische Vitalist lustig. Über Literatur und Literalien, über Orte großer Erwartungen, Berlin vor allem, und Zeiten tierischen Ernstes. Und auch über die eigene Wichtigtuerei und Eitelkeit, wie sie sich in häufigen Selbstzitaten ausprägt, und am Ende soll mit kleiner Hilfe der Literatur auch das Leben so lustig sein, wie es nur geht. Das alles ist schrecklich sympathisch, und die liederlich hingeworfenen Gedanken wirken für sich genommen charmant und erfrischend. Als Text und in der Buchform aber nehmen manche Stückchen eine vermutlich unbeabsichtigte Penetranz an und erweisen sich bei allem Respekt vor der treffenden Ganzheitskritik als Faselei des Augenblicks. Vieles in dem Bändchen hätte man lieber bei einem Glaserl Wein vom Autor selbst gehört - in diesem wunderbaren ungarischen Akzent, auf den wir typisch deutschen Buchmessenbesucher uns schon freuen.
Péter Esterházy: "Thomas Mann mampft Kebab am Fuße des Holstentors". Geschichten und Aufsätze. Aus dem Ungarischen übersetzt von Zsuzsanna Gahse. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999. 156 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Vorstellung von Hungarozität: Péter Esterházy geht aufs Ganze / Von Friedmar Apel
Rechtzeitig zur Buchmesse versorgt uns Péter Esterházy mit einer Vorstellung von Hungarozität, das heißt, er befestigt unsere komplexitätsreduzierenden Ungarn-Klischees: "Wie man weiß, sind die Ungarn ein heißblütiges Volk und fesch. In unserem Land ist es üblich, von Zeit zu Zeit Revolutionen zu verlieren, oder, um es metaphorisch zu sagen, die böse österreichische Unterdrückung überrumpelt uns." Ein kleines Land wie Ungarn, so viel als Vorwarnung, bringt aber nur "schwach liederliche oder bestenfalls mittelmäßig liederliche Schriftsteller" hervor. Esterházys Ideal ist dagegen der "echte, tapfere, gute liederliche Schriftsteller". Die Bemühungen des Autors, diesem Ideal nachzukommen, sind in seinem Bändchen mit Geschichten, Glossen, Gesprächen und Tagebuchnotizen wohl dokumentiert. Da blitzen die Gedanken wie ein Unterrock. So erfahren wir Deutschen endlich, was wir bei der Vereinigung, auf die wir nur mit DM und Verstand vorbereitet waren, nicht aber mit Herz und Seele, unersetzlich eingebüßt haben. Nämlich die humanen, nach VEB-Parfüm riechenden "DDR-Miezen", die für Völkerverständigung in Mitteleuropa sorgten, indem sie "den ungarischen Mann sowohl als Ungarn wie auch als Mann in Ehren" hielten. Nach diesem Verlust muss sich der ungarische Autor an seine Sprache halten, die einem Bonmot zufolge alles tut, worum man sie bittet. Da ist es wohl unvermeidlich, dass der Autor vor allem an das eine denkt.
Jedoch lassen sich in der ungarischen Sprache auch Pläne für eine Zukunft von Ost und West schmieden. Wir könnten zum Beispiel gemeinsam verblöden. In dieser sublimen Verfassung würden wir "für den Gebrauch der Wendung Europäisches Haus" eine Strafe erheben und "die eingetriebenen Gelder gemeinsam verprassen (Champagner, Diskotheken, Saxophone, Frauen, Männer)". Auf dem Wege dahin müssten wir aber noch von den Früchten osteuropäischer Weisheit kosten: "Wer als Lübecker in Lübeck mit einem neuen Lada fährt, ist auch zu anderen Grausamkeiten fähig."
Erst später im Verlauf der Lektüre erschließt sich, dass die Perlen, die Esterházy scheinbar wahllos und närrisch in die Gegend wirft, aus der gerissenen Kette eines mitteleuropäischen Traums stammen, der sich nach dem Mauerfall in einem Albtraum zu verwandeln droht: "Jugoslawien als Metapher für Mitteleuropa." Mit seiner sich selbst ad absurdum führenden heiteren Geschwätzigkeit versucht sich der Autor von den Unerträglichkeiten zu befreien, die der Europa-Begriff freisetzt: "Wir schauen zur Seite. Schlagen die Augen nieder. Das bedeutet heute, ein Europäer zu sein. Wie viele Tausende von Menschen kann man mitten in Europa umbringen? - Das ist eine typische, dünkelhafte, europäische Frage. Als wäre es eine geringere und weniger skandalöse Angelegenheit, Menschen nicht mitten in Europa umzubringen." Esterházy ekelt sich vor den ganzheitlichen Begriffen und Visionen und lenkt deshalb den Blick immer wieder auf die tägliche Absurdheit der Welt. So gut er es mit seiner Einsicht in den universalen Sieg der Ohnmacht vermag, macht sich dieser ungarische Vitalist lustig. Über Literatur und Literalien, über Orte großer Erwartungen, Berlin vor allem, und Zeiten tierischen Ernstes. Und auch über die eigene Wichtigtuerei und Eitelkeit, wie sie sich in häufigen Selbstzitaten ausprägt, und am Ende soll mit kleiner Hilfe der Literatur auch das Leben so lustig sein, wie es nur geht. Das alles ist schrecklich sympathisch, und die liederlich hingeworfenen Gedanken wirken für sich genommen charmant und erfrischend. Als Text und in der Buchform aber nehmen manche Stückchen eine vermutlich unbeabsichtigte Penetranz an und erweisen sich bei allem Respekt vor der treffenden Ganzheitskritik als Faselei des Augenblicks. Vieles in dem Bändchen hätte man lieber bei einem Glaserl Wein vom Autor selbst gehört - in diesem wunderbaren ungarischen Akzent, auf den wir typisch deutschen Buchmessenbesucher uns schon freuen.
Péter Esterházy: "Thomas Mann mampft Kebab am Fuße des Holstentors". Geschichten und Aufsätze. Aus dem Ungarischen übersetzt von Zsuzsanna Gahse. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999. 156 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Friedmar Apel freut sich in seiner Rezension an der Absurdität der Schnurren und kleinen Geschichten Esterházys: "Da blitzen die Gedanken wie ein Unterrock". Allerdings glaubt er auch, dass sich Esterházy derart in "heiterer Geschwätzigkeit" ergehe, um die traurige Lage Osteuropas, zumal der Kriege im ehemaligen Jugoslawien, für sich in den Griff zu bekommen. So ganz kann Apel dem ungarischen Autor hier nicht folgen. Denn zuweilen, so der Rezensent, wirkten die hier zusammengestellten Stücke angesichts des Ernstes der Lage doch ein wenig wie "Faselei des Augenblicks".
© Perlentaucher Medien GmbH"
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