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Produktdetails
  • Verlag: Claassen
  • ISBN-13: 9783546001304
  • Artikelnr.: 24391936
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.1998

Ohne Französisch im Konvent
Das Manko von Thomas Paine war die Gabe der Rede: John Keane erhebt die Stimme für einen überzeugten Republikaner

Thomas Paine war ein Emporkömmling in einer Welt der Gentlemen: ein Handwerker, ein Korsettmacher, der in der Mitte seines Lebens von England nach Amerika ging, zum Pamphletisten und Intellektuellen wurde und die meistgelesenen politischen Traktate des achtzehnten Jahrhunderts verfaßte. Dennoch blieb er einsam, ein Einzelgänger par excellence - paradoxerweise, weil die radikalen Ideen nun die Chance hatten, von der Straße in die Staatspolitik getragen zu werden, doch das war seine Sache nicht. Paines Leben ist schon oft beschrieben worden; der britische Politologe John Keane hat es vor drei Jahren aufs neue versucht, und seine spannend geschriebene, gut lesbare Darstellung ist jetzt in ansprechender Übersetzung und schöner Ausstattung auch in deutscher Sprache erschienen.

Mit Empfehlungen Benjamin Franklins 1774 nach Philadelphia gekommen, beginnt Paine sich inmitten der revolutionären Zuspitzung in der Politik Pennsylvanias zu engagieren. Wenige Monate später ist Krieg zwischen Britannien und seinen amerikanischen Kolonien, der Gedanke der Unabhängigkeit wagt sich zaghaft hervor. In dieser Situation veröffentlicht Paine im Januar 1776 seine Schrift "Common Sense": eine fulminante Abrechnung mit der englischen Verfassung und Politik und ein entschiedenes Plädoyer für die Loslösung der Kolonien vom Mutterland. Sie wird in sechsstelliger Auflage verbreitet, macht ihren Autor schlagartig berühmt und treibt die Unabhängigkeitsbewegung mächtig voran.

Aber statt in den souveränen Republiken zu reüssieren, in denen er eigentlich alle Chancen haben müßte, manövriert Paine sich persönlich und politisch immer wieder ins Abseits. "Ich habe die Ehre, zu den Gründern eines Reichs zu gehören, das mir kein Heim geben will", schrieb er 1783 einem Freund. Daran trug sein komplizierter Charakter keine geringe Schuld. Er trank zuviel und blieb unfähig, sich zu binden, Loyalitäten herzustellen und durchzuhalten. Leider gelingt Keane nie ein prägnanter Zugriff auf diese problematischen Eigenschaften seines Helden: Er sucht ihn vor Vorwürfen der Zeitgenossen wie späterer kritischer Biographen in Schutz zu nehmen, so daß man sich den schlechten Charakter Paines aus Zitaten seiner Gegner zusammenreimen muß.

Enttäuscht geht Paine 1787, im Jahr der amerikanischen Bundesverfassung, nach Europa zurück. Hier sind nicht neue Staaten zu regieren, sondern noch Revolutionen zu machen, Könige zu stürzen, in Frankreich und, wie viele Zeitgenossen glauben, auch in England. Paine verfaßt, als unmittelbare Antwort auf die Revolutionskritik Edmund Burkes, seine "Rights of Man", mit denen er im Jahre 1791 den Erfolg von "Common Sense" wiederholen kann. Aber der englische Radikalismus kann die Amerikanische und Französische Revolution nicht im eigenen Land wiederholen, und als politisch Verfolgter kommt Paine nach Frankreich, wo er zwischen Konventsherrschaft und Terreur eine eher bizarre Rolle - eine Nebenrolle gewiß, auch wenn der Biograph es manchmal anders suggeriert - auf der Bühne der Weltgeschichte spielt.

Als einer von zwei Ausländern ist er Abgeordneter im Konvent und agiert dort unbeholfen, weil kaum des Französischen mächtig, er wird verhaftet und entgeht nur knapp dem Schafott. Seit 1793 erregt, ein drittes und letztes Mal, eine politische Schrift Paines großes Aufsehen in ganz Europa und in Amerika, aber diesmal ist der Erfolg ambivalent: Seine radikale Religionskritik in der deistischen Programmschrift "Age of Reason" findet auch im Lager der Republikaner keine ungeteilte Zustimmung.

In Frankreich isoliert, kann Thomas Paine schließlich 1802 mit Unterstützung des frischgewählten Präsidenten Jefferson in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Doch dort wird er angefeindet und zur Zielscheibe in den heftigen Parteikämpfen zwischen Jeffersons Republikanern und den Föderalisten. Weil Paine insofern unmodern war, als er nie eine theoretische oder praktische Einsicht in die Notwendigkeit von Parteibildung in Demokratien entwickelte, trifft ihn dies um so mehr. Statt als Held der Unabhängigkeit gefeiert zu werden, erlebt er sich im protestantischen Amerika als gottloser Autor angefeindet. Die letzten Jahre sind nur noch trauriger Verfall: körperlich durch Krankheiten und Alkohol, menschlich und sozial durch äußere Vernachlässigung und Verwahrlosung. Völlig verarmt, stirbt Paine im Juni 1809 in New York.

Wie geht John Keane mit diesem exemplarischen und doch untypischen Leben im europäisch-atlantischen Radikalismus des späten achtzehnten Jahrhunderts um? In seiner Biographie möchte der Politologe Historiker sein: Die Darstellung folgt einem oft unreflektierten narrativen Duktus. Das liest sich zweifellos gut, aber kaum einmal wird innegehalten, um über Charakter oder Werk Paines zusammenfassend zu räsonieren. Und gerade die politiktheoretischen und ideengeschichtlichen Passagen wünschte man sich manchmal etwas tiefer schürfend. Keane setzt eindeutig und rigoros darauf, seinen Helden für die Gegenwart zu reklamieren und Paines Gedanken eine unmittelbare Aktualität für das späte zwanzigste Jahrhundert zu geben, die sie nicht haben können. Erscheinen uns Paines Schriften wirklich "geradezu unheimlich . . . vertraut", wie der Autor behauptet? Und wäre das notwendig, um eine Biographie zu rechtfertigen und Leser für sie zu gewinnen?

So muß man ein wenig zwischen den Zeilen lesen, um das eigentlich Spannende an diesem Leben zu erkennen: das Dilemma des Handwerkers, der an die Zeit des "common man" glaubte, aber politisch in ihr immer wieder scheiterte, weil Republik, Egalitarismus und Menschenrechte am Ende doch nicht von seinesgleichen, sondern von einer quasi-aristokratischen Elite gemacht wurden, deren Lebensstil und politische Umgangsformen Paine fremd blieben. Paine konnte schreiben, begnadet politisch schreiben, aber er verstand es nicht, politisch zu handeln; noch nicht einmal, eine gute Rede zu halten. Und ob man es bedauert oder nicht: Der Einfluß des geschriebenen Wortes, des geschliffenen und doch aktuellen politischen Traktats, ist in der audiovisuellen Demokratie unserer Gegenwart denkbar gering geworden. Deshalb hätte Paine heute wahrscheinlich noch geringere Chancen als vor zweihundert Jahren. PAUL NOLTE

John Keane: "Thomas Paine". Ein Leben für die Menschenrechte. Claassen Verlag, Hildesheim 1998. 545 S., geb., 68,- DM.

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