Allem Dasein auf Erden soll Liebe und Mitgefühl entgegengebracht werden. Dieser Glaubensgrundsatz ist in der tibetischen Kultur allgegenwärtig. Wie tief der Glaube mit dem Leben in Tibet verwoben ist, zeigt kaum ein anderer so eindringlich und überzeugend wie Matthieu Ricard. Seit mehr als 30 Jahren lebt der Franzose als Mönch klösterlich zurückgezogen im Himalaja. Hier findet er die Motive für sein künstlerisches Talent. Matthieu Ricard fotografiert mit Vorliebe spirituelle Meister, das Leben im Kloster, die Kunst und die Landschaften Tibets. Seine in diesem Band versammelten Bilder spiegeln die Spiritualität der Tibeter in berührender Form wider: Offen und warmherzig lachen betagte Einsiedlermönche nach Jahren der Weltabgeschiedenheit in die Kamera, in demütiger Erwartung harren Gläubige der Ankunft ihres spirituellen Meisters in den Bergen, friedlich und ausgelassen feiern tausende Nomaden ein großes Fest zu Ehren ihres Helden Gesar von Ling, mit Hingabe werden in der Druckerei von Derge in alter kunsthandwerklicher Tradition die Schriftzeichen heiliger Texte in Holzblöcke geschnitzt, die Tinte und das Papier zum Druck hergestellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2007Für den Tisch Im Fernsehen heißt es Text-Bild-Schere, wenn beide Elemente nicht zueinanderpassen, also ungewollt eigene Geschichten erzählen. Dass es das Phänomen auch in gedruckter Form gibt, zeigt Matthieu Ricard, Mönch und offizieller Übersetzer des Dalai Lama. Tibet schwanke zwischen Tradition und Moderne, schreibt er, seine Kultur sei bedroht. Die Fotos zeigen jedoch nur das Tibet der Tradition: Mönche, Nomaden und Eremiten, ihre Sitten, Gewänder und Feste. Zahnlose Eremiten (siehe oben) sind zwar eindrucksvoll, noch eindrucksvoller wären aber Reiternomaden, die Handys aus ihren Schaffellmänteln ziehen. Von ihnen berichtet Ricard, zeigt sie aber nicht. Er schaut "mit den Augen der Liebe" und bastelt am Mythos eines archaischen Landes mit spirituellen Geheimnissen - an der Marke Tibet. Wer wissen will, wie es zum Beispiel in Lhasa aussieht, einer Stadt mit einer halben Million Einwohner, Bars und Diskotheken, sucht besser anderswo danach.
tobb
Matthieu Ricard: "Tibet. Mit den Augen der Liebe". Frederking & Thaler, 224 Seiten, 190 Farbfotos, 39,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Matthieu Ricard: "Tibet. Mit den Augen der Liebe". Frederking & Thaler, 224 Seiten, 190 Farbfotos, 39,90 Euro.
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