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Helmut Dubiel ist Hochschullehrer. Seit dreizehn Jahren leidet er an Parkinson. In seinem Kopf sitzt eine Sonde, die er mit einer Fernbedienung steuert. Er kann wählen zwischen eher sprechen oder eher gehen. Er benutzt die Fernbedienung kaum. Das Leben ist anders. Schonungslos und ohne Anflug von Selbstmitleid nimmt Helmut Dubiel die Krankheit nicht nur zum Anlass einer philosophischen Reflexion über das Leben. Ebenso scharfsinnig denkt er über die Janusköpfigkeit moderner medizinischer Technologie nach, die er am eigenen Leib erlebt hat. »Tief im Hirn« beschreibt einen Kampf. Den Kampf…mehr

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Produktbeschreibung
Helmut Dubiel ist Hochschullehrer. Seit dreizehn Jahren leidet er an Parkinson. In seinem Kopf sitzt eine Sonde, die er mit einer Fernbedienung steuert. Er kann wählen zwischen eher sprechen oder eher gehen. Er benutzt die Fernbedienung kaum. Das Leben ist anders. Schonungslos und ohne Anflug von Selbstmitleid nimmt Helmut Dubiel die Krankheit nicht nur zum Anlass einer philosophischen Reflexion über das Leben. Ebenso scharfsinnig denkt er über die Janusköpfigkeit moderner medizinischer Technologie nach, die er am eigenen Leib erlebt hat. »Tief im Hirn« beschreibt einen Kampf. Den Kampf zwischen der Neigung, sich selbst aufzugeben und den Rest des Lebens nur noch »sub specie mortis« zu sehen, und der Kraft, sich trotz der Krankheit immer wieder neu zu erfinden.
Autorenporträt
Dubiel, Helmut§Helmut Dubiel, geboren 1946 in Essen, studierte Philosophie und Germanistik in Bielefeld und Bochum. Von 1981 bis 1983 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Jürgen Habermas am Max-Planck-Institut in Starnberg und von 1983 bis 1989 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS) tätig. Von 1989 bis 1997 war er Mitglied des dortigen Direktoriums und lehrte parallel dazu als Professor für Soziologie an der Universität Gießen sowie als Gastprofessor an der University of Berkeley, in Florenz und an der New York University. Am 3. November 2015 ist Helmut Dubiel in Frankfurt an den Folgen eines Unfalls gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2006

Der Hirnschrittmacher
Diagnose Parkinson: Der Soziologe Helmut Dubiel schreibt seine Krankengeschichte

Man muß sich im Grunde genommen täglich darüber freuen, daß man gesund ist. Das tut man aber nicht immer. Vor allem macht man das dann nicht, wenn man gut beieinander oder sogar noch jung ist. Man nimmt in diesem Zustand und Alter die Gesundheit als etwas Selbstverständliches hin. Man setzt sie für Arbeit, Lust und Spiel voraus. Die Gesundheit ist gleichsam ein gutes Mittel zum besseren Zweck. Wenn der Zweck ganz groß und wichtig ist (große und wichtige Geschäfte, große und wichtige Gedanken), merkt man nicht, sobald es mit der Gesundheit zu hapern beginnt. Man verdrängt die Symptome. Wer sehr achtsam auf sich und auf Symptome ist, der handelt sich den Vorwurf ein, er sei ein Hypochonder.

Schließlich kommt die Zeit, wo die Symptome sich nicht mehr verdrängen lassen, sondern alle Aufmerksamkeit fordern. Jetzt legt man sich ins Bett und ruht sich aus, oder man geht, wenn das nicht mehr hilft, zum Arzt. Der untersucht einen und sagt: Sie sind krank. Er verschreibt einem Tabletten, man hofft auf baldige Besserung. Nicht immer geht es glimpflich ab, rutscht man nach der ärztlichen Behandlung in die Gruppe der Gesunden zurück. Manche Menschen bleiben krank, und das bedeutet: Nicht sie haben eine Krankheit, sondern die Krankheit hat sie. Sie bleiben jetzt in der Riege der Kranken stecken, sind von den Gesunden und scheinbar Gesunden auf immer ausgeschlossen.

So ging es auch einem Menschen, der Helmut Dubiel heißt. Er hat darüber ein schmales Buch geschrieben, ein lesenswertes Büchlein, eine Mischung aus Krankengeschichte, Lebensreflexionen, Zeitanalyse. Die grundsätzlichen Voraussetzungen dafür hat er: Dubiel ist ein Mann des Wortes, der Argumente, des Nachdenkens. Er ist seit 1992 Professor für Soziologie an der Universität in Gießen. Im Sommersemester hat er dort ein Proseminar über "Krise in der Erziehung. Krise in der Autorität", ein Forschungskolloquium und ein Seminar über Krieg angeboten.

Helmut Dubiel, 1946 in Essen geboren, hat Parkinson. Die Krankheit wurde bei ihm diagnostiziert, als er 46 Jahre alt war. Das ist früh, normalerweise tritt Parkinson in einem höheren Alter auf. Dubiel schreibt, daß unter den wenigen Fotos, die es von ihm gebe, eines sei, daß er mag: Es zeige ihn in jungen Jahren bei der Renovierung eines Hauses, er stehe vor einer Wand, rauche eine Zigarette und schaue die Fotografin direkt an - ein viriler, kräftiger Typ. Den haut es Jahre später um, als der Arzt ihm sagt: Sie haben Parkinson.

Dubiel hat auf seinem Feld Karriere gemacht. Er hat Soziologie und Philosophie in Bielefeld und Bochum studiert, war Assistent an der Universität in München, arbeitete am Max-Planck-Institut in Starnberg und war schließlich von 1989 bis 1997 Direktor am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main, der berühmten Heimstatt der Kritischen Theorie. Er muß auch mal eine Psychotherapie gemacht haben, wenigstens deutet er das an, auch beherrscht er psychoanalytische Ideen und Begriffe. Sicher ist er kein einfacher Mensch.

Das Buch über seine Krankheit verrät in Duktus und Stil einen in den siebziger Jahren sozialisierten Sozialwissenschaftler: Er ist ein kritischer Intellektueller in der technisch-wissenschaftlichen Welt, ein Mann von Erkenntnis und Interesse, ohne Scheu vor persönlichen Bekenntnissen. Man liest in diesem Buch deswegen nicht nur die Krankengeschichte eines einzelnen, sondern man sieht und hört eine theorieaufgeladene Generation beim Nachdenken über den Körper, mit dem sie so nicht gerechnet hat.

Dubiel nahm nach der Diagnose Parkinson täglich unzählige Tabletten ein, um damit die Symptome der Krankheit, die sich nicht heilen läßt, zu bändigen, das unheimliche Zittern und Zucken, die Muskelversteifungen, die anhaltenden Schwindelgefühle, die ihm, wenn er unter Menschen war, äußerst peinlichen Sprechhemmungen, die tiefe Müdigkeit und Erschöpfung (hinzu kamen Depressionen und Angstattacken). Nach seinem Ausscheiden aus dem Institut, in dem er, befangen in ihm letztlich unerklärlichen seelischen Zwängen, nichts von seiner Krankheit verlauten ließ, ging er für drei Jahre als Gastdozent an die New York University. Stolz schreibt er, daß ihm der Vertrag dort nach zwei Jahren verlängert wurde. Mit einer aus leidvollen Erfahrungen gewonnenen kühlen Gelassenheit berichtet er, daß er Freunde und Bekannte verlor, als er ihnen seine Krankheit - gestand.

Als er wieder nach Deutschland kam, ließ er sich operieren und einen Hirnschrittmacher einsetzen. Die zehnstündige Operation (der Kopf wird in einen Ring gespannt, der Patient ist bei Bewußtsein) führte zu einem postoperativen Trauma und zu großen Sprechschwierigkeiten, gleichzeitig aber konnte er seinen Tablettenkonsum einschränken. Als hilfreich erwies sich der Hirnschrittmacher, als Dubiel zusammen mit einer Ärztin herausfand, daß man den Apparat nur zeitweise ausstellen muß, um Krankheitssymptome gegeneinander auszuspielen: Ist der Apparat aus, ist Dubiel wieder Herr über alle Wörter, muß aber dafür mit Atemnot, Depressionsschüben und Angstzuständen rechnen. Dubiels Buch "Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages", Ergebnis zehnjähriger Forschung, erschien 1999. Er hat daran gearbeitet, als er schon krank war.

Am Ende fährt Dubiel dahin, wohin viele Intellektuelle seiner Generation gefahren sind, weil auch er dort besitzt, was viele Intellektuelle seiner Generation dort besitzen: Er fährt zu seinem Haus in Italien und trinkt eine Flasche Rotwein. Selbstredend kennt er sich mit Parkinson jetzt gut aus, denn er hat Tausende von Websites dazu studiert, mit dem theoretischen Autonomiebewußtsein seiner Generation, die auch den Auswüchsen der Expertenkulturen nicht traut. Intellektuelle seiner Generation haben gerne über Methoden und Ansätze von Theorien diskutiert, mit denen der Geist der Gesellschaft sich näherte. Jetzt, wo er gemerkt hat, daß der Geist am Faden des Körpers hängt, denkt Dubiel manchmal auch über Ansätze und Methoden der modernen Medizin nach, die ihm auf seinen Wunsch hin einen Hirnschrittmacher einsetzte, ihn aber damit alles andere als glücklicher gemacht hat. Warum hat er das gemacht? Mit welchem Vertrauen auf was?

Vielleicht ist es so: Der Mann mit der Sonde im Kopf weiß keinen Ausweg aus seiner Krankheit - und rebelliert dagegen mit allen modernen technischen Mitteln. Er bleibt damit tief im Hirn ein Kind jenes Jahrzehnts der Intellektuellen, an dessen Anfang in Frankfurt ein berühmtes Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der technisch-wissenschaftlichen Welt gegründet worden ist - gegründet gleichsam als ein Versprechen des theoretischen Geistes, es mit dem Leben aufnehmen zu können.

EBERHARD RATHGEB

Helmut Dubiel: "Tief im Hirn". Antje Kunstmann Verlag, München 2006. 143 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bemerkenswert scheint Eberhard Rathgeb dieses Buch, in dem der Soziologieprofessor Helmut Dubiel über seine Parkinson-Erkrankung berichtet. Er charakterisiert den Autor als einen von der kritischen Theorie geprägten Intellektuellen, geht auf seine wissenschaftliche Karriere ein und schildert den Moment der Parkinson-Diagnose sowie Dubiels Entscheidung, sich einen Hirnschrittmacher einsetzten zu lassen. Dabei bescheinigt er Dubiel eine durch "leidvolle Erfahrungen" gewonnene "kühle Gelassenheit". Rathgeb versteht das Buch aber nicht nur als Krankheitsgeschichte eines in den siebziger Jahren sozialisierten, erfolgreichen Wissenschaftlers, sondern auch als Lebensreflexion und Zeitanalyse. So biete das Buch seines Erachtens auch Gelegenheit, eine "theorieaufgeladene Generation beim Nachdenken über den Körper" zu beobachten.

© Perlentaucher Medien GmbH