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»Tieflandsbucht« sammelt erstmals die Gedichte von Guntram Vesper seit den Fünfzigerjahren, ein einzigartiges, beeindruckendes lyrisches Werk, das souverän neben dem großen Roman Frohburg und der gesammelten Prosa »Nördlich der Liebe und südlich des Hasses« steht.»Es ist ein Opus von geradezu verblüffender Homogenität, das einem bedeutenden Abschnitt unserer Geschichte, der Geschichte der Trennung des Landes in der Nachkriegszeit, in schönen klaren Bildern Ausdruck verleiht. Es ist eine Geschichte der 'Niedertracht, Gewalt, Entwürdigung'. Dass Guntram Vesper nicht aufgehört hat, an diese…mehr

Produktbeschreibung
»Tieflandsbucht« sammelt erstmals die Gedichte von Guntram Vesper seit den Fünfzigerjahren, ein einzigartiges, beeindruckendes lyrisches Werk, das souverän neben dem großen Roman Frohburg und der gesammelten Prosa »Nördlich der Liebe und südlich des Hasses« steht.»Es ist ein Opus von geradezu verblüffender Homogenität, das einem bedeutenden Abschnitt unserer Geschichte, der Geschichte der Trennung des Landes in der Nachkriegszeit, in schönen klaren Bildern Ausdruck verleiht. Es ist eine Geschichte der 'Niedertracht, Gewalt, Entwürdigung'. Dass Guntram Vesper nicht aufgehört hat, an diese Geschichte zu erinnern, die zur Basis unser aller Geschichte geworden ist, ist ihm nach der Veröffentlichung des Romans »Frohburg« endlich gedankt worden.« Michael Krüger, Guntram Vespers Verleger über Jahrzehnte, hat ein einlässliches, persönliches, weitgreifendes Nachwort zu dem Band geschrieben.
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Autorenporträt
1941 in der sächsischen Kleinstadt Frohburg geboren, kam Guntram Vesper 1957 über Berlin in die Bundesrepublik. 1967 las er auf der letzten Tagung der Gruppe 47.Sein umfangreiches Werk umfasst Prosa, Gedichte, Essays und Hörspiele. Für sein opus magnum »Frohburg« erhielt Guntram Vesper den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik und den Erich-Loest-Preis. Guntram Vesper ist am 22. Oktober 2020 in Göttingen verstorben.

Michael Krüger, 1943 in Wittgendorf/Sachsen geboren, ist vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker. Von 1986 bis 2013 war er Verleger des Carl Hanser Verlags, außerdem über 30 Jahre lang Herausgeber der Literaturzeitschrift »Akzente«. Michael Krüger ist Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Zuletzt erschien sein Gedichtband »Einmal einfach« (2018).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2019

Eure eigene Völkerschlacht kommt schon noch

Eiszeit am Horizont: "Tieflandsbucht" trägt Guntram Vespers Lyrik zusammen und findet im Autor auch hier den geborenen Erzähler.

Spätestens seit 2016, als sein vielbewunderter und mehrfach ausgezeichneter Roman "Frohburg" erschien, verknüpft man den Namen des Schriftstellers Guntram Vesper mit dem kleinen Ort Frohburg am Rande der Leipziger Tieflandsbucht. Schon 1985 wählte Vesper für einen seiner Gedichtbände den Titel "Frohburg". Der Ort (wo Vesper als Sohn eines Landarztes 1941 geboren wurde) ist für ihn das Exempel, der Ausgangs- und permanente Bezugspunkt auch seines lyrischen Werkes: ein Ort beängstigender Normalität, ein Ort der Hassliebe, der Unangepasstheit und Anpassung und der Sehnsucht nach Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit in Zeiten, die von Zwängen, Gewalt und wechselnden politischen Indoktrinationen geprägt sind.

Die eigenen Empfindungen angesichts der vorgefundenen Verhältnisse und Zustände sind die Antriebskräfte und Gegenstände seiner Gedichte, so auch in "Landmeer": "Wir dürfen unser / Leben / nicht beschreiben, wie wir es / gelebt haben / sondern müssen es / so leben / wie wir es erzählen werden: / Mitleid / Trauer und Empörung".

Diese leserorientierte Selbstverpflichtung kennzeichnet den Lyriker Vesper aufs Genaueste: Das rigide Postulat ("wir dürfen ... nicht" beziehungsweise "wir ... müssen") gilt dem Verhältnis von Erlebnis und Dichtung; es enthält eine lebensgeschichtlich-poetologische, eine aporetisch-erkenntnistheoretische und zugleich eine politisch-moralische Dimension. Mit unterschiedlicher Gewichtung lassen sich diese drei Dimensionen an Vespers Sammlung seines lyrischen Gesamtwerks ablesen; sie betreffen die Anlage und Gliederung dieser umfangreichen Sammlung, die poetische Verfahrensweise und die Botschaft der Gedichte.

Der Band "Tieflandsbucht" ist chronologisch nach den Entstehungsdaten der Gedichte angelegt. Sie orientieren sich an Vespers Lebensgeschichte, in der Frohburg allgegenwärtig ist. Als Sechzehnjähriger verließ er mit seiner Familie die DDR: "Beim Abendbrot hieß es, morgen / gehen wir weg". Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Ulrich wurde Guntram in das Internat des Aufbaugymnasiums im hessischen Friedberg "eingeliefert". Noch als Schüler knüpfte er erste Kontakte zu Schriftstellern und literarischen Zeitschriften, so zu Günter Eich und zu V.O. Stomps, dem Verleger der Eremiten-Presse, der 1964 "Fahrplan" herausbrachte, Vespers ersten Gedichtband. Nach dem Abitur studierte Vesper Medizin und Literatur in Gießen und Göttingen, wo er als freier Schriftsteller noch heute lebt.

Der jetzt vorliegende und mit einem freundschaftlichen Nachwort von Michael Krüger versehene Sammelband setzt mit dem fünfzehn Gedichte umfassenden Zyklus "Am Horizont die Eiszeit" aus dem Jahre 1964 ein. Es geht um die missbräuchliche Instrumentalisierung der Freiheit im geteilten Deutschland: "Freiheit. Weitverbreitet / ist sie, hüben und / drüben, oben und / unten nutzbar gemacht für / Verschiedenes, aber eben / nutzbar gemacht". Vesper idealisiert die "göttliche" Freiheit: "Höheres darf / niemals sein / noch etwa werden".

Das geschieht freilich um den Preis der Gleichsetzung der Freiheit, derer sich die kommerziellen "Händler" hierzulande bedienen, mit derjenigen Freiheit, die sich die ideologischen "Einpeitscher" und "Vollstrecker" nehmen. Beide sind "Fänger"; sie machen sich die Freiheit zu ihren Zwecken zunutze und entwürdigen sie damit. Um ihrer selbst willen, nicht zweckgebunden soll die Freiheit verstanden und praktiziert werden. Deshalb wird sie am Ende "in eine Schublade / gesperrt und / vergessen". Sie lässt sich offenbar vorläufig in beiden deutschen Staaten nicht realisieren, soll aber für alle Fälle aufbewahrt werden. Doch: "Der Mensch / stirbt aus / allmählich" ohne die Freiheit. Und "Dann steht / am Horizont" / die Eiszeit".

Es spricht für die Gewissenhaftigkeit des Autors, der sein lyrisches Gesamtwerk unzensiert dokumentieren möchte, dass er seine Anfängerarbeiten, Gedichte der Jahre 1960 bis 1965, trotz künstlerischer Vorbehalte nicht verschweigen wollte. Für die "Verstreuten Gedichte", die den Abschluss des Bandes bilden, gilt Vergleichbares. Hier finden sich auch explizit politische Gedichte aus linken Publikationen, und in einigen Fällen trifft man Gedichte mit fast gleichem Wortlaut, aber unter verschiedenen Titeln sogar zweimal an, etwa "Zwei Hälften des Lebens" und "Korruption" - ein Fall für Philologen, die den Fassungen der Gedichte nachgehen mögen. Für sie und für andere Bewunderer werden auf sechzehn eingebundenen Seiten Fotos von korrigierten Manuskriptseiten bereitgehalten. Sie vermitteln einen belehrenden Eindruck von der unentwegten Sorgfalt und Bemühung um die Zauberworte, die das genau treffen, was Vesper als Lyriker erzählen will.

Denn er ist auch als Lyriker ein Erzähler. Viele seiner Gedichte besitzen einen erzählerischen Kern, der sich aus Erinnerungen speist und in eine bündige Pointe einmündet. Er betreibt mit seinen Gedichten geradezu einen Erinnerungskult und eine Gedächtniskultur. "Was / wird aus einem Land, wenn / sein Gedächtnis krank ist / und was bedeutet ein Mensch, der / keine Erinnerung / hat". Das Gedächtnis bewahrt die Erinnerungen auf, ordnet und deutet sie. Ohne das Gedächtnis bleiben die Erinnerungen wirkungslos. So, vielleicht, ist der rätselhafte Schluss-Satz des Gedichtes "Die längste Nacht und der kürzeste Tag" zu verstehen: "Vergessen heißt / sich immer / erinnern". Vesper überführt in den besten seiner Gedichte die privaten Erinnerungen ins öffentliche Gedächtnis - das ist seine größte Leistung als Lyriker.

So auch in dem Zyklus "Tieflandsbucht", dem der Gedichtband seinen Namen verdankt. Geschildert wird der Ausflug einer Schulklasse aus Frohburg unter Leitung des Geschichtslehrers Rentzsch bei Nieselregen in das Braunkohlegebiet bei Magdeborn im Jahr 1953, nach dem 17. Juni. Der Lehrer, "zwei / Monate später Bautzeninsasse", macht seine Schüler auf die geschichtsträchtige Vergangenheit der Gegend im Zusammenhang mit der Schlacht bei Leipzig ironisch aufmerksam ("da drüben rückten / Bennigsens Russen nach vorn, in / waffenbrüderlicher Verbundenheit, genauso / wie heute"), und der Gastwirt von Magdeborn, bei dem die Gruppe eine Rast einlegt, weist sie zynisch auf ihre sozialistische Zukunft hin ("Eure / Völkerschlacht kommt erst noch"). Dann hört man den Lärm des Riesenbaggers, der "den letzten Mutterboden / alle Bäume, alle Häuser / abfraß, in seinem unendlichen / Heißhunger nach Kohle". Später heißt es: "es erbebte / der ganze Gasthof / von der wütenden Schlacht, die / da draußen / losbrach".

Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart treten hier auf hochpolitische Weise zusammen. Was ist aus der Waffenbrüderschaft von einst geworden, und was ist von ihr zu halten? Einer der Schüler, ein grobschlächtiger "Flüchtlingsjunge aus Schlesien", der gern kopulierenden Hunden zuschaut, bringt die Frage auf den wunden Punkt: "KZ-Greuel, bedingungslose / Kapitulation und Umsiedlung millionenfach / dazu noch die Niederwalzung letzten Juni / und nun plötzlich das, Waffenbrüderschaft / da hört man doch / weiß Gott / gerne mal zu". Die Ereignisse von damals bleiben als "Sickerspur / die sich einätzt in die / Erinnerung", lebendig: "du kommst / ewig / nicht los davon".

Insofern ist Vesper nach wie vor ein politischer Dichter, der als solcher auch Mißverständnisse erfuhr. Als er 1967 auf der letzten Tagung der Gruppe 47 in der fränkischen Pulvermühle einige seiner Gedichte vortrug, kam es zu seiner "Hinrichtung", wie er selbst das genannt hat. Für seinen Auftritt hatte er "in zwei Tagen fünfzehn gruppenfeste" Gedichte angefertigt, von denen er fünf vorlas. Eines davon, erzählt Vesper, schloss mit den Worten: "hier lebte Marx für Historiker und Biografen". Daraufhin fühlte sich Marcel Reich-Ranicki an Gedichte des Parteidichters Erich Weinert erinnert: "entsetzlich, ganz schrecklich". Ähnliches habe er "schon hundert Mal in der DDR-Lyrik gelesen".

Welch ein Irrtum! Reich-Ranicki hätte eher an den späten Brecht der "Buckower Elegien" oder an Peter Huchel erinnern sollen. Dessen Gedichte beschreibt Vesper als "Vorbilder einer Poesie, die das Hochartifizielle und das Einfache verbindet und so Texte hervorbringt, die von größter sprachlicher, gedanklicher Eigenart und Besonderheit sind und die gleichzeitig allgemeine Dokumente unseres Jahrhunderts und unser aller Geschichte darstellen".

Vesper spricht hier unverkennbar und völlig zutreffend auch von seiner eigenen Poesie.

WULF SEGEBRECHT

Guntram Vesper "Tieflandsbucht". Die Gedichte.

Mit einem Nachwort von Michael Krüger.

Schöffling Verlag, Frankfurt 2018. 525 S., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die unentwegte Sorgfalt und Bemühung um die Zauberworte, die das genau treffen, was Vesper als Lyriker erzählen will.« Wulf Segebrecht, FAZ »Die Kleinstadt wird zur Chiffre einer exemplarischen Kindheit, aber auch aller Katastrophen und Grausamkeiten der privaten und Staatsaktionen.« Thomas Schaefer, taz »Vespers lyrisches Werk [...] war seit den 60ern immer wieder publiziert worden, fand aber kaum die ihm gebührende Aufmerksamkeit.« Thomas Mayer, Dresdner Neueste Nachrichten »Lakonisch, prosanah und (...) transparent in ihrer Metaphorik.« Ronald Schneider, ekz Bibliotheksservice »Guntram Vespers lyrisches Werk (...) ist ein Werk der Erinnerung und, neben vielen kleineren Motiven, ein Werk über Stille und Gewalt.« Timo Brandt, Signaturen