'Tiere essen' ist ein leidenschaftliches Buch über die Frage, was wir essen und warum. Als Jonathan Safran Foer Vater wurde, bekamen seine Fragen eine neue Dringlichkeit: Warum essen wir Tiere? Würden wir sie auch essen, wenn wir wüssten, wo sie herkommen?
Foer stürzt sich mit Leib und Seele in sein Thema. Er recherchiert auf eigene Faust, bricht nachts in Tierfarmen ein, konsultiert einschlägige Studien und spricht mit zahlreichen Akteuren und Experten. Vor allem aber geht er der Frage auf den Grund, was Essen für den Menschen bedeutet.
Foer stürzt sich mit Leib und Seele in sein Thema. Er recherchiert auf eigene Faust, bricht nachts in Tierfarmen ein, konsultiert einschlägige Studien und spricht mit zahlreichen Akteuren und Experten. Vor allem aber geht er der Frage auf den Grund, was Essen für den Menschen bedeutet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2010Etwas stimmt nicht mit der Welt
Ein Günter Wallraff der Mastbetriebe und ein Philosoph, der den Ton trifft: Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer beschreibt die Massentierhaltung. Viele Leser sind Vegetarier geworden. In der nächsten Woche erscheint das Buch auf Deutsch.
Wenn ein Buch die Kraft hat, die Welt zum Fleischverzicht zu bekehren, dann ist es Jonathan Safran Foers neues Werk "Tiere essen", das nächste Woche in den Buchhandel kommt. Gerade weil es keine Bekehrungsschrift ist, kein rigoristisches Pamphlet, sondern ein skrupulöser literarischer Bericht, der seine Argumente nur tastend und zögernd entfaltet - gerade deshalb ist "Eating animals" in Amerika ein vieldiskutierter Bestseller geworden. Viele Leser erklärten, nach der Foer-Lektüre zum Vegetarier geworden zu sein. Doch für wie lange? Für eine Woche? Einen Monat? Ein Jahr? Foer setzt weniger auf den Schock-Effekt, die die Berichte aus den Ställen der Massentierhaltung auslösen, sondern auf die allmähliche Verfertigung einer anderen Perspektive, eines anderen Vokabulars, in dem es nicht länger "Fleisch essen", sondern "Tiere essen" heißt. Eine Perspektive und ein Vokabular, in dem die Verbindung zwischen der Kreatur im Mastbetrieb und dem Stück Steak auf dem Teller sinnfällig wird, statt sich in der Abstraktion einer globalen Verwertungskette zu verlieren.
"Ich bin der Typ, der mitten in der Nacht in eine Farm einsteigt": Vielleicht sollte man diesen Bericht eines anonymen Tierrechtlers, den Foer in seinem Buch dokumentiert, als Einführung lesen. In diesem Bericht eines ehemaligen "Nachschneiders" - "das heißt, ich musste den Tieren, die den Halsschnittautomaten überlebt hatten, die Kehle durchschneiden" - wird das Geschäftsmodell der Massentierhaltung auf zwei lapidare Sätze gebracht: "Massentierbetriebe berechnen genau, wie dicht am Tode sie die Tiere halten können, ohne sie umzubringen. Wie rasant man ihr Wachstum beschleunigen, wie eng man sie packen kann, wie viel oder wenig sie fressen, wie krank sie sein können, ohne zu sterben."
Am schwierigsten an seinem neuen Buch sei nicht die Recherche gewesen, sagt der Romancier Foer, sondern den richtigen Ton zu treffen. Tatsächlich ist es dem Autor gelungen, das Thema Vegetarismus aus der rigoristischen Ecke zu holen und ihm die manichäische Spitze zu nehmen, den sektiererischen Ungeist. Foer hat so viel Vertrauen zu seinem Gegenstand, dem Skandal der Massentierhaltung, dass er bei aller Drastik der Darstellung sich einen entgegenkommenden, ja versöhnlichen Ton erlaubt. Er enthält sich rigoristischer Forderungen - ein bisschen Fleischverzicht, donnerstags zum Beispiel, sei fürs Erste schon genug - und, was noch mehr einnimmt: Foer verzichtet auf jede ethische Selbstgewissheit, die bei diesem Thema doch so leicht zu haben wäre. Die Plausibilität ist demnach zunächst auf Seiten der Fleischesser, die es sich schmecken lassen wollen, egal, woher die Truthahnbrüstchen kommen. Das ist die strategische Grundannahme des Buches, von der Foer ausgeht, um sie mit seinen Reportagen aus der klinischen Mastwelt zu erschüttern.
Das Buch geht den Vegetarismus nicht als Prinzipienfrage an, das ist seine Pointe. Es gibt in dieser Hinsicht einen Schlüsselsatz: "Dass die Geflügelindustrie so riesig ist, bedeutet: Wenn mit dem System etwas nicht stimmt, dann stimmt mit der Welt etwas nicht." Eine schuldlose Schuld, so liest man diesen Satz, steht hinter der Degradierung des Tieres zur Sache. Foer ist moralphilosophisch ein Konsequentialist. Sein Buch liest sich auch als Test auf dieses Verfahren, das Verbotene von den Folgen des Erlaubten her zu bestimmen.
Der Autor verfasst "Tiere essen" als ein Günter Wallraff der Mastbetriebe, leistet harten investigativen Journalismus, er schreibt hier aber auch als Philosoph über die beste aller Welten. Er bildet sich nicht ein, das System der Massentierhaltung aus den Angeln heben zu können, nur weil es nach seinem Buch mehr Vegetarier geben wird als zuvor. Denn aus diesem System spricht eine Schlechtigkeit, die sich kulturell mildern, aber nicht ausrotten lässt. Mit anderen, mit Foers Worten: Etwas stimmt nicht mit der Welt, wird immer nicht mit ihr stimmen. Mit den Worten des deutschen Vegetarierbundes, der das Buch mit den hiesigen Daten ergänzt hat: Allein in Deutschland werden jährlich etwa 40 Millionen für die Eierproduktion unbrauchbare Hahnenküken vergast oder bei lebendigem Leib geschreddert.
Die beklemmendste Vignette des Buches trägt den Titel "Die Erlösung" und berichtet vom Besuch einer mit Futterautomaten, Ventilatoren und Wärmelampen ausgestatteten Truthahnmast, deren Personal ein zitterndes, verkrustetes, starr die Beine streckendes Küken mit einem Schnitt durch die Kehle "erlöst". Es ist das durch und durch klinische Setting dieser mit Sägemehl ausgelegten Intensivstation, das den Autor in seinen Bann zieht: "Außer den Tieren selbst gibt es nichts, was auch nur ansatzweise natürlich wäre - kein Fleckchen Erde, kein Fenster, durch das Mondlicht hereinfiele. Ich bin überrascht, wie einfach es ist, das anonyme Leben rundherum auszublenden und die Harmonie der Technik zu bewundern, die diese kleine, in sich geschlossene Welt so präzise reguliert, die Effizienz und Perfektion der Maschine zu sehen und die Vögel als Erweiterung oder Zahnrad dieser Maschine zu begreifen - nicht als Lebewesen, sondern als Teile. Sie anders zu sehen fällt schwer." Sie anders zu sehen ist indessen das Ziel des Buches.
Tierschutz und Vegetarismus sind nicht zum kleinsten Teil ästhetische Themen. Wenn es gelingt, die perverse Ästhetik der Massenställe und ihrer gentechnisch manipulierten Insassen greifbar zu machen, dann hat jene Verhaltensänderung eine Chance, die der moralische Appell nicht zuwege bringt. Foer verteidigt nicht Konsequenz und Heiligkeit, denn Scheinheiligkeit und Inkonsequenz "gehören zum Menschlichen". Stattdessen beschreibt er die aseptischen Bilder des Mastgrauens, deckt die Steigerungslogik der Branche auf, indem er aus den Erfolgsstatistiken zitiert: "Zwischen 1935 und 1995 stieg das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 65 Prozent, während seine Lebensdauer bis zur Schlachtung um 60 Prozent verkürzt und der Futterbedarf um 57 Prozent gesenkt wurde." Was hinter den beständig optimierten Zahlenkaskaden steht, ist Qual und Verenden des einzelnen Tieres. Foer lässt nicht zu, dass wir die Augen vom Gehäuse der Truthahnmast abwenden: "Weil es so viele Tiere sind, brauche ich mehrere Minuten, bis ich merke, wie viele von ihnen tot sind. Manche sind blutverkrustet, manche voller entzündeter Stellen. Nach manchen wurde offenbar gehackt, andere sind ganz ausgetrocknet und liegen wie kleine Laubhäufchen beieinander. Manche sind deformiert. Die Toten sind die Ausnahmen, aber wohin man auch schaut, man sieht fast immer eins."
Papa, woher kommt das Fleisch auf meinem Teller? Von den Tieren, mein Kind, von den Tieren. Foer wusste, als er Vater wurde, dass diese Antwort seinem Sohn später einmal nicht genügen würde. Deshalb recherchierte und schrieb er "Tiere essen".
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Günter Wallraff der Mastbetriebe und ein Philosoph, der den Ton trifft: Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer beschreibt die Massentierhaltung. Viele Leser sind Vegetarier geworden. In der nächsten Woche erscheint das Buch auf Deutsch.
Wenn ein Buch die Kraft hat, die Welt zum Fleischverzicht zu bekehren, dann ist es Jonathan Safran Foers neues Werk "Tiere essen", das nächste Woche in den Buchhandel kommt. Gerade weil es keine Bekehrungsschrift ist, kein rigoristisches Pamphlet, sondern ein skrupulöser literarischer Bericht, der seine Argumente nur tastend und zögernd entfaltet - gerade deshalb ist "Eating animals" in Amerika ein vieldiskutierter Bestseller geworden. Viele Leser erklärten, nach der Foer-Lektüre zum Vegetarier geworden zu sein. Doch für wie lange? Für eine Woche? Einen Monat? Ein Jahr? Foer setzt weniger auf den Schock-Effekt, die die Berichte aus den Ställen der Massentierhaltung auslösen, sondern auf die allmähliche Verfertigung einer anderen Perspektive, eines anderen Vokabulars, in dem es nicht länger "Fleisch essen", sondern "Tiere essen" heißt. Eine Perspektive und ein Vokabular, in dem die Verbindung zwischen der Kreatur im Mastbetrieb und dem Stück Steak auf dem Teller sinnfällig wird, statt sich in der Abstraktion einer globalen Verwertungskette zu verlieren.
"Ich bin der Typ, der mitten in der Nacht in eine Farm einsteigt": Vielleicht sollte man diesen Bericht eines anonymen Tierrechtlers, den Foer in seinem Buch dokumentiert, als Einführung lesen. In diesem Bericht eines ehemaligen "Nachschneiders" - "das heißt, ich musste den Tieren, die den Halsschnittautomaten überlebt hatten, die Kehle durchschneiden" - wird das Geschäftsmodell der Massentierhaltung auf zwei lapidare Sätze gebracht: "Massentierbetriebe berechnen genau, wie dicht am Tode sie die Tiere halten können, ohne sie umzubringen. Wie rasant man ihr Wachstum beschleunigen, wie eng man sie packen kann, wie viel oder wenig sie fressen, wie krank sie sein können, ohne zu sterben."
Am schwierigsten an seinem neuen Buch sei nicht die Recherche gewesen, sagt der Romancier Foer, sondern den richtigen Ton zu treffen. Tatsächlich ist es dem Autor gelungen, das Thema Vegetarismus aus der rigoristischen Ecke zu holen und ihm die manichäische Spitze zu nehmen, den sektiererischen Ungeist. Foer hat so viel Vertrauen zu seinem Gegenstand, dem Skandal der Massentierhaltung, dass er bei aller Drastik der Darstellung sich einen entgegenkommenden, ja versöhnlichen Ton erlaubt. Er enthält sich rigoristischer Forderungen - ein bisschen Fleischverzicht, donnerstags zum Beispiel, sei fürs Erste schon genug - und, was noch mehr einnimmt: Foer verzichtet auf jede ethische Selbstgewissheit, die bei diesem Thema doch so leicht zu haben wäre. Die Plausibilität ist demnach zunächst auf Seiten der Fleischesser, die es sich schmecken lassen wollen, egal, woher die Truthahnbrüstchen kommen. Das ist die strategische Grundannahme des Buches, von der Foer ausgeht, um sie mit seinen Reportagen aus der klinischen Mastwelt zu erschüttern.
Das Buch geht den Vegetarismus nicht als Prinzipienfrage an, das ist seine Pointe. Es gibt in dieser Hinsicht einen Schlüsselsatz: "Dass die Geflügelindustrie so riesig ist, bedeutet: Wenn mit dem System etwas nicht stimmt, dann stimmt mit der Welt etwas nicht." Eine schuldlose Schuld, so liest man diesen Satz, steht hinter der Degradierung des Tieres zur Sache. Foer ist moralphilosophisch ein Konsequentialist. Sein Buch liest sich auch als Test auf dieses Verfahren, das Verbotene von den Folgen des Erlaubten her zu bestimmen.
Der Autor verfasst "Tiere essen" als ein Günter Wallraff der Mastbetriebe, leistet harten investigativen Journalismus, er schreibt hier aber auch als Philosoph über die beste aller Welten. Er bildet sich nicht ein, das System der Massentierhaltung aus den Angeln heben zu können, nur weil es nach seinem Buch mehr Vegetarier geben wird als zuvor. Denn aus diesem System spricht eine Schlechtigkeit, die sich kulturell mildern, aber nicht ausrotten lässt. Mit anderen, mit Foers Worten: Etwas stimmt nicht mit der Welt, wird immer nicht mit ihr stimmen. Mit den Worten des deutschen Vegetarierbundes, der das Buch mit den hiesigen Daten ergänzt hat: Allein in Deutschland werden jährlich etwa 40 Millionen für die Eierproduktion unbrauchbare Hahnenküken vergast oder bei lebendigem Leib geschreddert.
Die beklemmendste Vignette des Buches trägt den Titel "Die Erlösung" und berichtet vom Besuch einer mit Futterautomaten, Ventilatoren und Wärmelampen ausgestatteten Truthahnmast, deren Personal ein zitterndes, verkrustetes, starr die Beine streckendes Küken mit einem Schnitt durch die Kehle "erlöst". Es ist das durch und durch klinische Setting dieser mit Sägemehl ausgelegten Intensivstation, das den Autor in seinen Bann zieht: "Außer den Tieren selbst gibt es nichts, was auch nur ansatzweise natürlich wäre - kein Fleckchen Erde, kein Fenster, durch das Mondlicht hereinfiele. Ich bin überrascht, wie einfach es ist, das anonyme Leben rundherum auszublenden und die Harmonie der Technik zu bewundern, die diese kleine, in sich geschlossene Welt so präzise reguliert, die Effizienz und Perfektion der Maschine zu sehen und die Vögel als Erweiterung oder Zahnrad dieser Maschine zu begreifen - nicht als Lebewesen, sondern als Teile. Sie anders zu sehen fällt schwer." Sie anders zu sehen ist indessen das Ziel des Buches.
Tierschutz und Vegetarismus sind nicht zum kleinsten Teil ästhetische Themen. Wenn es gelingt, die perverse Ästhetik der Massenställe und ihrer gentechnisch manipulierten Insassen greifbar zu machen, dann hat jene Verhaltensänderung eine Chance, die der moralische Appell nicht zuwege bringt. Foer verteidigt nicht Konsequenz und Heiligkeit, denn Scheinheiligkeit und Inkonsequenz "gehören zum Menschlichen". Stattdessen beschreibt er die aseptischen Bilder des Mastgrauens, deckt die Steigerungslogik der Branche auf, indem er aus den Erfolgsstatistiken zitiert: "Zwischen 1935 und 1995 stieg das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 65 Prozent, während seine Lebensdauer bis zur Schlachtung um 60 Prozent verkürzt und der Futterbedarf um 57 Prozent gesenkt wurde." Was hinter den beständig optimierten Zahlenkaskaden steht, ist Qual und Verenden des einzelnen Tieres. Foer lässt nicht zu, dass wir die Augen vom Gehäuse der Truthahnmast abwenden: "Weil es so viele Tiere sind, brauche ich mehrere Minuten, bis ich merke, wie viele von ihnen tot sind. Manche sind blutverkrustet, manche voller entzündeter Stellen. Nach manchen wurde offenbar gehackt, andere sind ganz ausgetrocknet und liegen wie kleine Laubhäufchen beieinander. Manche sind deformiert. Die Toten sind die Ausnahmen, aber wohin man auch schaut, man sieht fast immer eins."
Papa, woher kommt das Fleisch auf meinem Teller? Von den Tieren, mein Kind, von den Tieren. Foer wusste, als er Vater wurde, dass diese Antwort seinem Sohn später einmal nicht genügen würde. Deshalb recherchierte und schrieb er "Tiere essen".
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2010Über den Tellerrand
„Tiere essen“ und andere Grausamkeiten: Neue Bücher über unsere ekelhafte Lebensmittelindustrie
Was gäben wir nicht alles für ewiges Leben, für Gesundheit, für Schönheit. Die Wunderheiler, die einst durch die Dörfer zogen, um ihre Wässerchen und Mittelchen zu verkaufen, bedienten dieses tiefe Bedürfnis – und verdienten nicht schlecht daran. Was in ihren Wässerchen drin war, will und wollte man lieber nicht so genau wissen. Manchmal, wenn sich die komplette Nutzlosigkeit dieser Mittel herausstellte, wurden sie verprügelt und durch die Dorfstraßen getrieben. Dann kaufte man eben beim nächsten.
Und heute? Heute gehen wir in den Supermarkt und kaufen „functional food“. Nahrungsmittel also, die über ihren Nährwert hinaus noch gegen alles Mögliche helfen sollen. Gegen Akne und Alzheimer. Gegen Schweißgeruch und Hautalterung. „Actimel stärkt die Abwehrkräfte“ – das ist vermutlich der liebste Hass-Satz von Thilo Bode, dem Ex-Greenpeace-Chef und Gründer der Verbraucherorganisation Foodwatch. In seinem aktuellen Buch „Die Essensfälscher“ enttarnt Bode solche Versprechungen der Lebensmittelkonzerne als das, was sie zumeist sind: Tricks, um auf dem gesättigten Lebensmittelmärkten des Westens noch ein paar zusätzliche Marktanteile zu ergattern. Und dabei werden industrielle Lebensmittel die Wunderwässerchen von heute.
Aber dieses „functional food“ ist bei Thilo Bode nur eine Möglichkeit, wie die großen Konzerne den Verbraucher hintergehen. Nach traditioneller Methode, in Handarbeit, nach Omas Rezeptur hergestellte, heimische, regionaltypische Lebensmittel sind meist weder „echt“ noch „original“, sondern Resultat industrieller Massenfertigung. „Unser Essen“, schimpft Bode, „unterscheidet sich insofern nicht von Autos oder Gartenmöbeln.“ Kaum ein Metzger schlachtet noch selbst, Bäcker backen Teiglinge auf, die in Asien vorgefertigt wurden. Nestlé stilisiert sich zum Retter des gesunden Schulfrühstücks – und verdient Millionen an Frühstücksflocken wie „Cini Minis“, die zu einem Drittel aus Zucker bestehen. Und wo Bio draufsteht, ist noch längst kein Bio drin. Geschmacksverstärker und Aromen werden als „natürliche Zutaten“ getarnt, Hinterschinken, auch genannt Formfleisch, besteht aus zusammengepressten Resten, und selbst dieser Fleischanteil sinkt seit Jahren; ach, es ist tatsächlich ein Graus, was da so auf unsere Teller kommt. Lebensmittelkontrolleure sind überfordert, überlastet und haben oft längst kapituliert.
Natürlich hat man von solchen Lebensmitteltricksereien schon viel gehört, immer wieder tauchen „Imitat“ und „Analogkäse“ in den Talkshows auf, wo man sich dann ereifert. Und am nächsten Tag rennt man wieder zum Discounter, weil die Milch da noch ein paar Cent billiger ist. Aber es ist ernüchternd und aufrüttelnd, dass man durch Thilo Bodes Buch eine übersichtliche Gesamtschau solcher kulinarischen Gruselkreationen bekommt. Nur: Bewirken Bücher wie dieses darüber hinaus etwas? Bode fordert die Ampelkennzeichnung für Lebensmittel; er fordert die Offenlegung der Inhaltsstoffe, mehr Informationsrechte für Verbraucher, das Ende einer vor allem Kinder irreführenden Werbung, die Emanzipation der Politik aus dem Griff der Konzerne. Und er verlangt das Engagement des Verbrauchers. Passiert das?
Tatsächlich scheint sich etwas zu verändern. In den letzten Jahren wächst das Interesse der Verbraucher an der Qualität ihrer Lebensmittel – was an sich vordergründig widersprechenden Entwicklungen liegen mag. Während ein Teil der Menschheit zunehmend verfettet, leidet ein anderer, immer größerer, an Hunger. Wieder einmal bemerken wir den fatalen Zustand unserer Umwelt; unser Bewusstsein für Klimakatastrophe, sterbende Ozeane und Urwaldrodungen wächst. Und langsam erfassen wir unsere eigene Verantwortung dafür. Die Veränderungen geschehen aber größtenteils so langsam, dass sie zugleich übermächtig und weit weg erscheinen. Wir fühlen uns angesichts der gewaltigen Größe des Problem eher machtlos. Also lenken wir unseren Umweltaktivismus auf Bereiche, die wir – hoffentlich – noch individuell beeinflussen können. Beispielsweise auf unsere Ernährungskultur. Das hat außerdem den Vorteil, dass zwischen den Guten, uns, und den verantwortlichen Bösen, der Industrie, noch einigermaßen sauber getrennt werden kann.
Wir gegen ein ungerechtes System: Das ist auch der Grundton in Tanja Busses Buch „Ernährungsdiktatur“. Wie Bode prangert sie die Machenschaften und Tricks der Ernährungsindustrie an – und geht darüber hinaus. Denn Hunger und Fettleibigkeit sind die Folgen einer Fehlentwicklung des weltweiten Ernährungssystems. „In unserem Essen“, schreibt sie, „steckt eine unerträglich große Menge an struktureller Verantwortungslosigkeit, die sich auch in unseren Seelen absetzt.“ Wie wir uns ernähren, hat nicht nur gesundheitliche, sondern auch moralische Konsequenzen. Tanja Busse spannt da einen gewaltigen Bogen von genmanipuliertem Mais über den globalen Wettlauf um Ackerboden, die Öl- und Chemieabhängigkeit der Agrarindustrie bis zur Überbevölkerung. Das gerät auf 336 Seiten zwangsläufig manchmal etwas oberflächlich – aber vielleicht kann man nur so die moralischen und realen Abgründe dieser globalen Industrialisierung der Ernährung nachzeichnen.
„Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer (SZ vom 13. März 2010), inzwischen auch bei uns auf den Bestsellerlisten, beschränkt sich zumindest auf den ersten Blick auf ein Detail unserer Ernährung: den Verzehr von Fleisch. Doch gerade durch seine akribische Untersuchung der Wege, die Fleisch nimmt, durch seine Darstellung des Lebens und Sterbens der Tiere, die wir in so großen Mengen und so bedenkenlos verzehren, hat es der amerikanische Schriftsteller zumindest in den USA, Großbritannien und auch hier geschafft, eine allgemeine Diskussion über Vegetarismus auszulösen, über eine Idee also, die lange Zeit nur einige gern belächelte Ökologen und alte Tanten praktizierten.
Auf jeweils eigene Weise tragen alle drei Bücher (und sie sind nicht die einzigen, die in letzter Zeit zu diesem Thema erschienen sind) dazu bei, dass die Konsequenzen der heutigen industrialisierten Nahrungsmittelherstellung deutlich werden, die wir so gerne vergessen würden – und das betrifft die wirtschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Folgen einerseits, die tiefgehenden moralischen Fragen andererseits. Die reichen Industriestaaten und ihre Konzerne, die dieses System geschaffen haben und kontrollieren, haben für uns ein Schlaraffenland entworfen, mit dem wir selbst nicht mehr zurechtkommen. Wir sterben an zu viel Fett und verstecktem Zucker und Proteinen. Die anderen aber, der größere Teil der Menschheit, und, ja, auch die Tiere, hab von dieser gewaltigen Nahrungsmittelindustrie recht wenig Vorteile. Und es wird schlimmer. PETRA STEINBERGER
THILO BODE: Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 222 Seiten, 14,95 Euro.
TANJA BUSSE: Die Ernährungsdiktatur. Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt. Karl Blessing Verlag, München 2010, 336 Seiten, 16,95 Euro.
JONATHAN SAFRAN FOER: Tiere essen. Aus dem Englischen von I. Bogdan, I. Herzke, B. Jakobeit. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 399 S., 19,95 Euro.
Es ist ein Graus, was
wir da manchmal
zu uns nehmen.
Die einen verfetten, die
anderen leiden Hunger.
Und es wird schlimmer.
Rund 10 Millionen Truthähne werden in Deutschland gemästet. In konventionellen Putenfarmen werden die Tiere oft zu Tausenden in fensterlosen Hallen gehalten. Und trotz EU-Verbotes werden immer wieder Fälle bekannt, in denen die Truthähne mit Antibiotika gedopt werden, weil sie dadurch schneller fett werden. Die Medikamente bleiben im Fleisch – und landen damit auf unseren Tellern.
Foto: Ingo Wandmacher
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
„Tiere essen“ und andere Grausamkeiten: Neue Bücher über unsere ekelhafte Lebensmittelindustrie
Was gäben wir nicht alles für ewiges Leben, für Gesundheit, für Schönheit. Die Wunderheiler, die einst durch die Dörfer zogen, um ihre Wässerchen und Mittelchen zu verkaufen, bedienten dieses tiefe Bedürfnis – und verdienten nicht schlecht daran. Was in ihren Wässerchen drin war, will und wollte man lieber nicht so genau wissen. Manchmal, wenn sich die komplette Nutzlosigkeit dieser Mittel herausstellte, wurden sie verprügelt und durch die Dorfstraßen getrieben. Dann kaufte man eben beim nächsten.
Und heute? Heute gehen wir in den Supermarkt und kaufen „functional food“. Nahrungsmittel also, die über ihren Nährwert hinaus noch gegen alles Mögliche helfen sollen. Gegen Akne und Alzheimer. Gegen Schweißgeruch und Hautalterung. „Actimel stärkt die Abwehrkräfte“ – das ist vermutlich der liebste Hass-Satz von Thilo Bode, dem Ex-Greenpeace-Chef und Gründer der Verbraucherorganisation Foodwatch. In seinem aktuellen Buch „Die Essensfälscher“ enttarnt Bode solche Versprechungen der Lebensmittelkonzerne als das, was sie zumeist sind: Tricks, um auf dem gesättigten Lebensmittelmärkten des Westens noch ein paar zusätzliche Marktanteile zu ergattern. Und dabei werden industrielle Lebensmittel die Wunderwässerchen von heute.
Aber dieses „functional food“ ist bei Thilo Bode nur eine Möglichkeit, wie die großen Konzerne den Verbraucher hintergehen. Nach traditioneller Methode, in Handarbeit, nach Omas Rezeptur hergestellte, heimische, regionaltypische Lebensmittel sind meist weder „echt“ noch „original“, sondern Resultat industrieller Massenfertigung. „Unser Essen“, schimpft Bode, „unterscheidet sich insofern nicht von Autos oder Gartenmöbeln.“ Kaum ein Metzger schlachtet noch selbst, Bäcker backen Teiglinge auf, die in Asien vorgefertigt wurden. Nestlé stilisiert sich zum Retter des gesunden Schulfrühstücks – und verdient Millionen an Frühstücksflocken wie „Cini Minis“, die zu einem Drittel aus Zucker bestehen. Und wo Bio draufsteht, ist noch längst kein Bio drin. Geschmacksverstärker und Aromen werden als „natürliche Zutaten“ getarnt, Hinterschinken, auch genannt Formfleisch, besteht aus zusammengepressten Resten, und selbst dieser Fleischanteil sinkt seit Jahren; ach, es ist tatsächlich ein Graus, was da so auf unsere Teller kommt. Lebensmittelkontrolleure sind überfordert, überlastet und haben oft längst kapituliert.
Natürlich hat man von solchen Lebensmitteltricksereien schon viel gehört, immer wieder tauchen „Imitat“ und „Analogkäse“ in den Talkshows auf, wo man sich dann ereifert. Und am nächsten Tag rennt man wieder zum Discounter, weil die Milch da noch ein paar Cent billiger ist. Aber es ist ernüchternd und aufrüttelnd, dass man durch Thilo Bodes Buch eine übersichtliche Gesamtschau solcher kulinarischen Gruselkreationen bekommt. Nur: Bewirken Bücher wie dieses darüber hinaus etwas? Bode fordert die Ampelkennzeichnung für Lebensmittel; er fordert die Offenlegung der Inhaltsstoffe, mehr Informationsrechte für Verbraucher, das Ende einer vor allem Kinder irreführenden Werbung, die Emanzipation der Politik aus dem Griff der Konzerne. Und er verlangt das Engagement des Verbrauchers. Passiert das?
Tatsächlich scheint sich etwas zu verändern. In den letzten Jahren wächst das Interesse der Verbraucher an der Qualität ihrer Lebensmittel – was an sich vordergründig widersprechenden Entwicklungen liegen mag. Während ein Teil der Menschheit zunehmend verfettet, leidet ein anderer, immer größerer, an Hunger. Wieder einmal bemerken wir den fatalen Zustand unserer Umwelt; unser Bewusstsein für Klimakatastrophe, sterbende Ozeane und Urwaldrodungen wächst. Und langsam erfassen wir unsere eigene Verantwortung dafür. Die Veränderungen geschehen aber größtenteils so langsam, dass sie zugleich übermächtig und weit weg erscheinen. Wir fühlen uns angesichts der gewaltigen Größe des Problem eher machtlos. Also lenken wir unseren Umweltaktivismus auf Bereiche, die wir – hoffentlich – noch individuell beeinflussen können. Beispielsweise auf unsere Ernährungskultur. Das hat außerdem den Vorteil, dass zwischen den Guten, uns, und den verantwortlichen Bösen, der Industrie, noch einigermaßen sauber getrennt werden kann.
Wir gegen ein ungerechtes System: Das ist auch der Grundton in Tanja Busses Buch „Ernährungsdiktatur“. Wie Bode prangert sie die Machenschaften und Tricks der Ernährungsindustrie an – und geht darüber hinaus. Denn Hunger und Fettleibigkeit sind die Folgen einer Fehlentwicklung des weltweiten Ernährungssystems. „In unserem Essen“, schreibt sie, „steckt eine unerträglich große Menge an struktureller Verantwortungslosigkeit, die sich auch in unseren Seelen absetzt.“ Wie wir uns ernähren, hat nicht nur gesundheitliche, sondern auch moralische Konsequenzen. Tanja Busse spannt da einen gewaltigen Bogen von genmanipuliertem Mais über den globalen Wettlauf um Ackerboden, die Öl- und Chemieabhängigkeit der Agrarindustrie bis zur Überbevölkerung. Das gerät auf 336 Seiten zwangsläufig manchmal etwas oberflächlich – aber vielleicht kann man nur so die moralischen und realen Abgründe dieser globalen Industrialisierung der Ernährung nachzeichnen.
„Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer (SZ vom 13. März 2010), inzwischen auch bei uns auf den Bestsellerlisten, beschränkt sich zumindest auf den ersten Blick auf ein Detail unserer Ernährung: den Verzehr von Fleisch. Doch gerade durch seine akribische Untersuchung der Wege, die Fleisch nimmt, durch seine Darstellung des Lebens und Sterbens der Tiere, die wir in so großen Mengen und so bedenkenlos verzehren, hat es der amerikanische Schriftsteller zumindest in den USA, Großbritannien und auch hier geschafft, eine allgemeine Diskussion über Vegetarismus auszulösen, über eine Idee also, die lange Zeit nur einige gern belächelte Ökologen und alte Tanten praktizierten.
Auf jeweils eigene Weise tragen alle drei Bücher (und sie sind nicht die einzigen, die in letzter Zeit zu diesem Thema erschienen sind) dazu bei, dass die Konsequenzen der heutigen industrialisierten Nahrungsmittelherstellung deutlich werden, die wir so gerne vergessen würden – und das betrifft die wirtschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Folgen einerseits, die tiefgehenden moralischen Fragen andererseits. Die reichen Industriestaaten und ihre Konzerne, die dieses System geschaffen haben und kontrollieren, haben für uns ein Schlaraffenland entworfen, mit dem wir selbst nicht mehr zurechtkommen. Wir sterben an zu viel Fett und verstecktem Zucker und Proteinen. Die anderen aber, der größere Teil der Menschheit, und, ja, auch die Tiere, hab von dieser gewaltigen Nahrungsmittelindustrie recht wenig Vorteile. Und es wird schlimmer. PETRA STEINBERGER
THILO BODE: Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 222 Seiten, 14,95 Euro.
TANJA BUSSE: Die Ernährungsdiktatur. Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt. Karl Blessing Verlag, München 2010, 336 Seiten, 16,95 Euro.
JONATHAN SAFRAN FOER: Tiere essen. Aus dem Englischen von I. Bogdan, I. Herzke, B. Jakobeit. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 399 S., 19,95 Euro.
Es ist ein Graus, was
wir da manchmal
zu uns nehmen.
Die einen verfetten, die
anderen leiden Hunger.
Und es wird schlimmer.
Rund 10 Millionen Truthähne werden in Deutschland gemästet. In konventionellen Putenfarmen werden die Tiere oft zu Tausenden in fensterlosen Hallen gehalten. Und trotz EU-Verbotes werden immer wieder Fälle bekannt, in denen die Truthähne mit Antibiotika gedopt werden, weil sie dadurch schneller fett werden. Die Medikamente bleiben im Fleisch – und landen damit auf unseren Tellern.
Foto: Ingo Wandmacher
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Sehr bewegt ist Rezensentin Kathrin Hartmann von Jonathan Safran Foers Buch "Tiere essen", das in ihren Augen den Nerv der Zeit viel stärker trifft als Vorgängerbücher zum selben Thema von J.M. Coetzee, Jeremy Rifkin oder Charles Patterson ("Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka"). Was das Buch aber für Hartmann so überzeugend macht, ist, dass es nicht aus der Warte eines Vegetariers argumentiert, sondern aus der eines Fleischessers, der aber nicht mehr verdrängen will, dass die Tiere, die er isst, qualvoll sterben, nachdem sie schon qualvoll gelebt haben. Leider ist nicht recht auszumachen, was Foer nun konkret fordert, Hartmann berichtet vor allem von Fragen, die er stellt. Aber selbst den Ausweg, den Foer laut Rezensentin anbietet, nämlich "ethisches Fleisch", sei ein problematisches Unterfangen. Denn selbst von Vegetariern geführte Farmen arbeiten "zweifelhaft", lernt sie bei Foer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine brillante Mischung aus Recherchejournalismus und Autobiografie.« taz