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Tiere in Alltag und Ideologie der Diktatur: Jan Mohnhaupt erzählt ein bisher vernachlässigtes Kapitel der NS-Geschichte.
Kartoffelkäfer als Kriegswaffe, Schweine zur "Volkserziehung" - Tiere wurden von den Nazis vereinnahmt. Die Hundezucht diente ihnen als Vorbild für ihren Rassenwahn. Insekten waren Teil der Kriegsvorbereitung. Und der Hirsch sollte den Mythos vom "deutschen Wald" stützen. In Tagebüchern, Fachzeitschriften, Schulfibeln und Propagandamaterial stößt Jan Mohnhaupt auf Tiere und ihre besondere Rolle im Nationalsozialismus. Im Stil einer historischen Reportage begibt er sich…mehr

Produktbeschreibung
Tiere in Alltag und Ideologie der Diktatur: Jan Mohnhaupt erzählt ein bisher vernachlässigtes Kapitel der NS-Geschichte.

Kartoffelkäfer als Kriegswaffe, Schweine zur "Volkserziehung" - Tiere wurden von den Nazis vereinnahmt. Die Hundezucht diente ihnen als Vorbild für ihren Rassenwahn. Insekten waren Teil der Kriegsvorbereitung. Und der Hirsch sollte den Mythos vom "deutschen Wald" stützen. In Tagebüchern, Fachzeitschriften, Schulfibeln und Propagandamaterial stößt Jan Mohnhaupt auf Tiere und ihre besondere Rolle im Nationalsozialismus. Im Stil einer historischen Reportage begibt er sich auf ihre Spuren, von den Pferden an der Ostfront bis zu den Katzen in deutschen Wohnzimmern. Er macht deutlich: Auch in diesem Ausschnitt der NS-Geschichte zeigt sich das nationalsozialistische Weltbild überraschend klar.
Autorenporträt
Jan Mohnhaupt, 1983 im Ruhrgebiet geboren, studierte Geographie und Geschichte in Berlin und Wien. Er ist als freier Journalist und Autor für verschiedene Magazine und Zeitungen wie Spiegel Online, Der Freitag und P.M. History tätig. 2017 erschien im Hanser Verlag sein Buch Der Zoo der Anderen sowie 2020 Tiere im Nationalsozialismus, beide wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Er lebt und arbeitet in Magdeburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2020

Unter Allesfressern
Seidenraupen gegen Kartoffelkäfer: Jan Mohnhaupt über die Rolle von Tieren im Nationalsozialismus

Bis heute wird die Erzählung von der Tierliebe der Nationalsozialisten verbreitet. Zu den ersten Gesetzen des Regimes gehörte das deutsche Tierschutzgesetz, das am 24. November 1933 erlassen wurde und in dessen erstem Satz es hieß, die "Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf" gebiete, "dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen". Bekannt sind die Geschichten vom Hundeliebhaber und Vegetarier Hitler, der eine Fleischbrühe als "Leichentee" zu bezeichnen pflegte; bekannt sind die Fotos von Göring, wie er einen jungen Löwen mit der Flasche füttert. In seinem neuen Buch hat Jan Mohnhaupt, nach seiner Studie über den "Zoo der Anderen" in Zeiten deutscher Teilung, auch solche Geschichten versammelt; doch konzentriert er sich dabei auf ideologische Hintergründe und Widersprüche. So wird zwar der Tierschutz von den Nationalsozialisten propagiert, zugleich aber werden die meisten Tierrechts-Vereine aufgelöst und verboten. Rassistische Stereotypen werden auf die Tierwelt bezogen; die Unterscheidung zwischen nützlichen und schädlichen Tieren kulminiert dann rasch in der Gegenüberstellung von "Herrentieren" - Hunde, Bären, Wölfe, Raubtiere - und beispielsweise den Katzen als "Juden" im Reich der Tiere.

Mohnhaupt beginnt seine Darstellung mit der Erinnerung an einen kleinen Zoo beim KZ Buchenwald; Lagerkommandant Karl Koch hat diesen Zoo errichtet, gerade einmal fünfzehn Schritte vom Krematorium entfernt. Ein drei Meter hoher und drei Kilometer langer Elektrozaun trennt das Areal des Konzentrationslagers von den Bereichen der Aufseher und Wachmänner, in denen sich der Zoo befindet. Für die Betreuung des Bärenzwingers werden Sinti und Roma rekrutiert, denen nachgesagt wird, sie hätten als fahrende "Gaukler" den Umgang mit Tanzbären erlernt. Gelegentlich lässt Koch Häftlinge in den Bärenzwinger werfen, um sich an deren Zerfleischung zu amüsieren. Zu diesen grauenhaften Details passt die Erzählung vom angeblich gutmütigen Bernhardiner-Mischling Barry in Treblinka, trainiert auf das Kommando: "Mensch, fass diesen Hund!" Den Hunden widmet Mohnhaupt sein erstes Kapitel; darin geht es um die Zuchtgeschichte des deutschen Schäferhundes, aber auch um die widersprüchliche Wahrnehmung der Wölfe, die einerseits geradezu als "Totemtiere" verehrt, andererseits als Erzfeinde der Landwirtschaft bekämpft und gejagt werden.

Nicht weniger ambivalent ist das Verhältnis zu den Schweinen. Das Schwein gilt zwar als das deutsche Nutztier schlechthin, wozu in der NS-Propaganda auch beitrug, dass Juden und Moslems der Genuss von Schweinefleisch untersagt ist. Zugleich sind Schweine aber Allesfresser, also direkte Nahrungskonkurrenten der Menschen. Schon während des Ersten Weltkriegs, so erzählt Mohnhaupt, habe diese Konkurrenz zu Massenschlachtungen geführt, weil befürchtet wurde, dass die verfügbaren Kartoffelvorräte nicht für Bevölkerung und Schweine ausreichen würden. Also wurde eine Art von Frischfleischreserve drastisch reduziert, was nach Missernten eine Hungersnot eher beförderte als verhinderte.

Wolf oder Schwein? Anders als in Tex Averys Zeichentrickfilmen, in denen der böse Wolf mit Hakenkreuz und Stechschritt gegen die drei kleinen Schweinchen in den Krieg zieht, spielt diese Opposition in Hitlers Reich keine Rolle, vor allem nicht bei der Jagd auf Hirsche, Wölfe oder Wildschweine. Die Jagd steht bei Mohnhaupt im Mittelpunkt des fünften Kapitels: Sie fungierte als Domäne des Reichsjägermeisters Göring, der seine Trophäen in Carinhall und auf Jagdausstellungen präsentierte. Nebenbei wird kommentiert, dass Görings Jagdleidenschaft das Missfallen von Hitler oder Goebbels erregte.

Aufschlussreich ist das dritte Kapitel über die Insekten: Geschichten von der - bis in die letzten Schulklassen - kollektivierten Zucht von Seidenraupen zur Produktion des dringend benötigten Stoffs für Fallschirme oder Berichte vom energischen, ebenfalls mit Unterstützung der Kinder betriebenen Krieg gegen die Kartoffelkäfer. Fast von selbst versteht sich, dass Seidenraupen und Kartoffelkäfer im Schulunterricht als rassehygienische Paradebeispiele für nützliche und schädliche Tiere dienen konnten. Das Buch endet schließlich, wenig überraschend, mit einem Kapitel zu den Pferden. Während die deutschen Panzer nach dem Tiger benannt wurden (und später einmal nach dem Leopard), blieben die Pferde etwa an der Ostfront unverzichtbar: Sie mussten den Nachschub an Proviant und Waffen schleppen. Insgesamt waren es wohl rund drei Millionen Pferde, Esel und Maultiere, die im Krieg in dieser Funktion eingesetzt wurden. Ideologisch wurde das Pferd - paradox genug: ausgerechnet ein Fluchttier, das sich von Pflanzen ernährt - heroisiert und verehrt; im Alltag des Winterkriegs endeten sie oft genug im Kochkessel ausgehungerter Soldaten. Die Heldenzeiten der Kavallerie waren eben längst vorbei. Nur ein Tier habe vom Krieg wirklich profitiert, resümiert Mohnhaupt in einem kurzen Epilog, nämlich die Kleiderlaus. Und später vielleicht der deutsche Schäferhund, der sein "braunes Image" allerdings nie mehr ganz verlor, ebenso wenig wie die Wölfe, die in der Nachkriegszeit auch zu Zwecken der "Reeducation" gejagt wurden.

Jan Mohnhaupt hat ein flüssig und anschaulich geschriebenes Buch vorgelegt, das in einigen Passagen vielleicht etwas zu nah am ubiquitären Nazi-Kitsch operiert. Doch immerhin leistet seine Untersuchung einen wichtigen Beitrag zur Kritik der eingangs erwähnten Erzählung der Tierliebe des NS-Regimes.

THOMAS MACHO

Jan Mohnhaupt: "Tiere im Nationalsozialismus".

Carl Hanser Verlag,

München 2020. 256 S., Abb., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Wolfgang Schneider dankt Jan Mohnhaupt für einen neuen originellen Zugang zum Thema Nationalsozialismus. Dass und wie die Nazis sogar Tiere ideologisch "ausschlachteten", legt der Autor dem Rezensenten anhand von Görings Löwenliebe und Hitlers Wolfsfetisch dar. Die so entstandenen Zwiespälte und ihre mitunter aberwitzigen Erklärungen (das Schwein wurde zur "Leitrasse") setzt Mohnhaupt Schneider auseinander und verbindet laut Schneider auf sachliche wie erzählende Weise NS-Geschichte mit Tiergeschichten aus Treblinka und weiterreichenden historischen Exkursen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Selten war ein Tierbuch politischer, selten der Rassenwahn im Winzigen spürbarer." Nora Voit, Die Zeit, 12.03.20

"Lesenswert ... Mohnhaupts Studie enthüllt viel über die Psyche des Völkermörders und seiner Entourage" Martin Doerry, Der Spiegel, 23.05.20

"Historisch höchst aufschlussreich" Jutta Person, Deutschlandfunk Büchermarkt, 22.05.20

"Jan Mohnhaupt aber zeigt: Der Blick auf scheinbar Nebensächliches erlaubt gerade, das Wesentliche in seiner alles durchdringenden Logik zu erfassen." Lea Haller, NZZ Geschichte, 09.07.20

"Überzeugt mit seiner geschickten Verflechtung von angenehm lesbaren Geschichten mit gut recherchierten historischen Fakten" Peter Iwaniewicz, Falter, 11.03.20

"Ein Buch der Stunde, denn es lehrt, auf die Sprache derer zu achten, die an die Macht kommen und das Bestehende vernichten wollen." Cosima Lutz, Berliner Morgenpost, 24.05.20

"Eine äußerst aufschlussreiche Studie" Knut Cordsen, Bayern 2 kulturWelt, 18.03.20

"Sachlich und mit großer Empathie für die Tiere ... fügt Jan Mohnhaupt der Geschichte des Nationalsozialismus eine aufschlussreiche Facette hinzu." Bettina Baltschev, MDR, 18.03.20

"Unbedingt lesenswert" Ilona Jerger, Spektrum der Wissenschaft, 21.03.20

"Ein Buch über Tiere, aber es ist vor allem ein Buch über Menschen." Anne Viola Siebert, August, Juli 2021