Die Forschungsergebnisse, die Alexander von Humboldt von seiner großen Amerikareise in den Jahren von 1799 bis 1804 mitbrachte, revolutionierten das damalige Wissen und den Blick der Alten auf die Neue Welt. Seine Texte über die exotischen Tiere, die zuvor kein Europäer gesehen, geschweige denn beschrieben hatte, waren ein Meilenstein für die Zoologie und wurden auch in Zeitungen für ein großes Publikum nachgedruckt. Systematisch erschlossen und zugänglich sind sie heute seltsamerweise nicht mehr.Der vorliegende Band bietet mit einer Auswahl von fünfzehn Tiertexten- und zeichnungen einen Einblick in Alexander von Humboldts Tierleben und illustriert das Wissenschaftsideal des großen Naturforschers.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2019Symphonie
der Nachtaffen
Jenseits der Zoologie: Alexander
von Humboldt und die Tiere
Als Alexander von Humboldt und sein Reisegefährte Aimé Bonpland nach einem nächtlichen Bad im Meerbusen von Cariaco aus dem Wasser kommen, leuchten sie von selbst. Das Meeresleuchten, „eine der schönsten Natur-Erscheinungen“, geht an der Küste des heutigen Venezuela auf die Forscher über: Molluskenfasern seien auf der Haut hängen geblieben, vermutet Humboldt in einem Artikel über „Medusen“, also Quallen, die er in einer seiner zahllosen Versuchsanordnungen auf einem Brett zerreibt, um dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Es sind zwar keine Mollusken, sondern Mikroalgen, die für die Biolumineszenz der Ozeane verantwortlich sind, aber als die Naturforscher 1799 als menschliche Leuchtkörper aus dem Wasser stiegen, war das sicher ein sehr überzeugender Auftritt.
„Augenfälliger könnte der Gedanke der Aufklärung mit seiner Lichtmetaphorik des Siècle des Lumières nicht hervortreten“, schreibt Sarah Bärtschi über die Mollusken-Episode, die am Beginn der von ihr herausgegebenen „Tierleben“-Texte steht. Ob Zitteraale, Krokodile, Moskitos, Löwenaffen, Jaguare oder Kondore – Humboldt experimentiert mit allem, was ihm über den Weg läuft, schwimmt, fliegt oder kriecht. Damit ist auch grob umrissen, was sein zoologisches Interesse von „Brehms Tierleben“ unterscheidet, auch wenn der Vergleich natürlich hinkt: Anders als der Tiervater, der im späteren 19. Jahrhundert ein systematisch-volkstümliches Standardwerk voller possierlicher bis drolliger Gesellen (Brehm über Papagei und Igel) schuf, ist Humboldt ein Pionier naturwissenschaftlicher Forschung, der um weitgehend unpossierliche Größenverhältnisse und Lebensbedingungen bemüht ist.
Humboldts Blick auf die Fauna erweist sich als eher „zufällige Zoologie“, betont Bärtschi, auch wenn der Forscher viele Artikel und ganze Bände über Tiere veröffentlicht. Seine Wissenschaft steht in „Wechselwirkung mit anderen Disziplinen, sowohl naturwissenschaftlichen als auch kulturanthropologischen“. Diese können klimatologischer, geologischer oder auch vulkanologischer Art sein, zum Beispiel, wenn es um Kraterfische geht, die bei Vulkanausbrüchen aus ihrem Habitat herausgeschleudert werden, oder um Nachtvögel, die in der riesigen Guácharo-Höhle nisten und einmal jährlich wegen ihres Bauchfetts massengeschlachtet werden.
Den schönsten Text dieser Sammlung hatte Humboldt 1849 in der dritten Auflage seiner „Ansichten von der Natur“ unter dem Titel „Das nächtliche Thierleben im Urwald“ veröffentlicht. Er beschreibt, wie sich der Dschungel von einer tiefen Ruhe – „man hörte nur bisweilen das Schnarchen der Süßwasser-Delphine“ – zum dröhnenden Konzert hoch steigert. „Das einförmig jammernde Geheul“ der Brüllaffen, der „winselnde, fein flötende Ton der kleinen Sapajous“, der Kapuzineräffchen, „das schnarrende Murren des gestreiften Nachtaffen“, das Geschrei des großen Tigers, des Pecari, des Faultiers und „einer Schar von Papageien“: hier wird Humboldt als eleganter und ausdrucksstarker Stilist kenntlich, für den die lebendige Schilderung aller Organismen notwendigerweise zur „Lehre vom Kosmos“ dazugehört.
Auch die Abbildungen sind bestechend: Humboldt hatte seine Skizzen, zum Zitteraal, der Seekuh oder verschiedenen Affen, von Künstlern ausarbeiten lassen; wobei die expressiven Affen mit ihren dunkelbraunen, schwarzen oder ockerfarbenen Pelzen manchmal auch ein trauriges Ende nehmen. Ein nächtliches Camp am Fluss Orinoko zeigt eine gut gelaunte Reisegruppe, die Feuer gegen Jaguare entfacht und die Hängematten so aufspannt, dass Schlangen keine Chance haben, „die abgerechnet, welche sich von oben von den Bäumen herablassen“. Auf dem Grill: Affenbraten, „ein Leckerbissen in dieser Welt“. Leider kamen weder die Zeichner noch der Forscher auf die Idee, einen Starschnitt der aus dem Wasser steigenden, biolumineszenten Schwimmer anzufertigen. Aber eine derart überirdische Aura wäre Humboldt, dieser Lichtgestalt des genauen Blicks, wohl auch fremd gewesen.
JUTTA PERSON
Alexander von Humboldt: Tierleben. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Sarah Bärtschi. Friedenauer Presse, Berlin 2019. 124 Seiten, 24 Euro.
Nachtaffen hat Humboldt am Orinoco beobachtet.
Foto: Universitätsbibliothek Bern
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Nachtaffen
Jenseits der Zoologie: Alexander
von Humboldt und die Tiere
Als Alexander von Humboldt und sein Reisegefährte Aimé Bonpland nach einem nächtlichen Bad im Meerbusen von Cariaco aus dem Wasser kommen, leuchten sie von selbst. Das Meeresleuchten, „eine der schönsten Natur-Erscheinungen“, geht an der Küste des heutigen Venezuela auf die Forscher über: Molluskenfasern seien auf der Haut hängen geblieben, vermutet Humboldt in einem Artikel über „Medusen“, also Quallen, die er in einer seiner zahllosen Versuchsanordnungen auf einem Brett zerreibt, um dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Es sind zwar keine Mollusken, sondern Mikroalgen, die für die Biolumineszenz der Ozeane verantwortlich sind, aber als die Naturforscher 1799 als menschliche Leuchtkörper aus dem Wasser stiegen, war das sicher ein sehr überzeugender Auftritt.
„Augenfälliger könnte der Gedanke der Aufklärung mit seiner Lichtmetaphorik des Siècle des Lumières nicht hervortreten“, schreibt Sarah Bärtschi über die Mollusken-Episode, die am Beginn der von ihr herausgegebenen „Tierleben“-Texte steht. Ob Zitteraale, Krokodile, Moskitos, Löwenaffen, Jaguare oder Kondore – Humboldt experimentiert mit allem, was ihm über den Weg läuft, schwimmt, fliegt oder kriecht. Damit ist auch grob umrissen, was sein zoologisches Interesse von „Brehms Tierleben“ unterscheidet, auch wenn der Vergleich natürlich hinkt: Anders als der Tiervater, der im späteren 19. Jahrhundert ein systematisch-volkstümliches Standardwerk voller possierlicher bis drolliger Gesellen (Brehm über Papagei und Igel) schuf, ist Humboldt ein Pionier naturwissenschaftlicher Forschung, der um weitgehend unpossierliche Größenverhältnisse und Lebensbedingungen bemüht ist.
Humboldts Blick auf die Fauna erweist sich als eher „zufällige Zoologie“, betont Bärtschi, auch wenn der Forscher viele Artikel und ganze Bände über Tiere veröffentlicht. Seine Wissenschaft steht in „Wechselwirkung mit anderen Disziplinen, sowohl naturwissenschaftlichen als auch kulturanthropologischen“. Diese können klimatologischer, geologischer oder auch vulkanologischer Art sein, zum Beispiel, wenn es um Kraterfische geht, die bei Vulkanausbrüchen aus ihrem Habitat herausgeschleudert werden, oder um Nachtvögel, die in der riesigen Guácharo-Höhle nisten und einmal jährlich wegen ihres Bauchfetts massengeschlachtet werden.
Den schönsten Text dieser Sammlung hatte Humboldt 1849 in der dritten Auflage seiner „Ansichten von der Natur“ unter dem Titel „Das nächtliche Thierleben im Urwald“ veröffentlicht. Er beschreibt, wie sich der Dschungel von einer tiefen Ruhe – „man hörte nur bisweilen das Schnarchen der Süßwasser-Delphine“ – zum dröhnenden Konzert hoch steigert. „Das einförmig jammernde Geheul“ der Brüllaffen, der „winselnde, fein flötende Ton der kleinen Sapajous“, der Kapuzineräffchen, „das schnarrende Murren des gestreiften Nachtaffen“, das Geschrei des großen Tigers, des Pecari, des Faultiers und „einer Schar von Papageien“: hier wird Humboldt als eleganter und ausdrucksstarker Stilist kenntlich, für den die lebendige Schilderung aller Organismen notwendigerweise zur „Lehre vom Kosmos“ dazugehört.
Auch die Abbildungen sind bestechend: Humboldt hatte seine Skizzen, zum Zitteraal, der Seekuh oder verschiedenen Affen, von Künstlern ausarbeiten lassen; wobei die expressiven Affen mit ihren dunkelbraunen, schwarzen oder ockerfarbenen Pelzen manchmal auch ein trauriges Ende nehmen. Ein nächtliches Camp am Fluss Orinoko zeigt eine gut gelaunte Reisegruppe, die Feuer gegen Jaguare entfacht und die Hängematten so aufspannt, dass Schlangen keine Chance haben, „die abgerechnet, welche sich von oben von den Bäumen herablassen“. Auf dem Grill: Affenbraten, „ein Leckerbissen in dieser Welt“. Leider kamen weder die Zeichner noch der Forscher auf die Idee, einen Starschnitt der aus dem Wasser steigenden, biolumineszenten Schwimmer anzufertigen. Aber eine derart überirdische Aura wäre Humboldt, dieser Lichtgestalt des genauen Blicks, wohl auch fremd gewesen.
JUTTA PERSON
Alexander von Humboldt: Tierleben. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Sarah Bärtschi. Friedenauer Presse, Berlin 2019. 124 Seiten, 24 Euro.
Nachtaffen hat Humboldt am Orinoco beobachtet.
Foto: Universitätsbibliothek Bern
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de