Aufzeichnungen eines HundesMr. Bones, die spitzohrige Promenadenmischung, sieht die Welt durch die scharfen Augen dessen, der sie stets von unten hat betrachten müssen. Und er ist nicht auf den Mund, Pardon, auf die Schnauze gefallen. Seine weisen Erkenntnisse über das Hundeleben, das wir alle führen, sind ebenso amüsant wie traurig - denn in ihrem augenzwinkernden Humor ist ihnen jede Sentimentalität fremd.«Austers berührendstes, gefühlvollstes Buch.» (New York Times)
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.1999Der Trost der feuchten Nase
Paul Auster erforscht ein Hundeleben · Von Ingeborg Harms
Paul Auster ist auf den Hund gekommen. Als Studienobjekt wählt er die Promenadenmischung. Sein jüngster Held gehört einem Penner. Ein Leben lang war Mr. Bones mit Willy G. Christmas auf der Rolle. An einem verregneten Morgen in Baltimore findet die schöne Gewohnheit des zweisamen Streunens vor dem Edgar-Allan-Poe-Haus ein melancholisches Ende. Willy ist Dichter und, seit der Weihnachtsmann ihm einmal aus dem Fernseher heraus persönlich die Leviten las, von höheren Ahnungen beseelt. Sie bleiben ihm auch in seiner letzten Stunde treu. Durchnässt und auf den Asphalt gesunken, lauscht Mr. Bones einem von Hustenanfällen und Erschöpfungspausen unterbrochenen Sterbemonolog. Aus den Worten des Kranken und den panischen Gedanken, die indessen seinen Hund bewegen, nimmt die Vergangenheit des Duos Gestalt an.
Ihr ungewöhnliches Verhältnis rührt daher, dass Willy genauso großes Interesse an der Psyche seines Begleiters zeigte, wie es sonst nur das treue Tier für seinen Herrn bezeugt. Der phantasievolle Vagabund opferte einen Winter der Erforschung des hündischen Geruchssinns und scheute weder Zeit noch Mühe, um eine olfaktorische Symphonie für Mr. Bones zu komponieren. Von der Erinnerung an den Parcours durch nasse Lappen, alte Socken und parfümierte Unterhosen zehrt der Beglückte noch immer.
Mr. Bones unterscheidet sich nicht nur dadurch vom Klischee des ahnungslosen Tiers, dass er in Erinnerungen schwelgt, mit der Sterblichkeit vertraut ist und über die Ewigkeit nachgrübelt, er hat auch prophetische Träume. Während sein Herrchen für eine Weile einnickt, passieren die Stunden bis zu Willys Tod in allen Einzelheiten vor seinem inneren Auge Revue. Manches spricht dafür, dass Willy Recht hat, wenn er "dog" rückwärts liest und als "god" entziffert. Denn obwohl Mr. Bones zu den Paradoxien des menschlichen Sprachgebrauchs noch Fragen hat, ist er seinem Wesen nach allverstehend und -verzeihend. Umsicht und Gewissenhaftigkeit lassen ihn gegen seine Instinkte handeln. Sein Zartgefühl bringt ihn auf der Suche nach einem neuen zweibeinigen Freund sogar mehrfach in höchste Gefahr. Seltsamerweise hört er trotzdem nicht auf, ein Hund zu sein.
Auster beweist vielmehr, dass sich die Phänomenologie des Hundes erst dann überzeugend schreiben lässt, wenn man ihm den vornehmen Geist eines Naiven zugesteht. Sein Adel liegt vor allem darin, dass er den Ekel nicht kennt. Als Willy Blut und Rotz spuckt, legt er ihm mitfühlend die Schnauze in den Schoß. Mr. Bones ist Austers Version des Knochenmanns, und eine radikalere Revision des Todes lässt sich kaum denken. Er fletscht in der Not nicht drohend die Zähne, sondern tröstet mit feucht-kalten Nasenstupsern. Wenn die Zeiten gut sind, teilt er hemmungslos jeden Genuss.
Als es Mr. Bones einmal wirklich dreckig geht, erscheint ihm der tote Willy im Traum. Er erinnert ihn an die Geschichte seiner Mutter, die vor den Nazis geflohen ist: "Die haben sie auch umzubringen versucht. Sie haben sie gejagt wie einen Hund, und sie musste um ihr Leben laufen." Paul Auster hat eine Parabel der Erniedrigten und Beleidigten geschrieben, die abgründig, komisch und bewegend ist. Dabei vermischen sich Ohnmacht und Freiheit in verwirrender Weise. Gerade das Elend wird zur Quelle für Kunst und Erfindung. "Was immer ich gewesen bin", sagt Willy und spricht damit auch für Mr. Bones, "zum Wurm bin ich nie herabgesunken. Ich bin gesprungen, galoppiert, hab mich in die Lüfte erhoben, und wenn ich abgestürzt bin, hab ich mich immer wieder aufgerappelt und es noch einmal versucht."
Den Sinn des Lebens findet Willy seit seiner Bekehrung in guten Taten. Ihnen frönt er vor allem am Christtag, wenn er die Weihnachtsmannausstattung anzieht. Doch auch in den Todesstunden kommen ihm zum Wohl der Menschheit originelle Gedanken. Dazu gehört die Traumvision eines ungewöhnlichen Toasters: "Wozu soll es denn gut sein, das Brot einzusperren und hinter diesem hässlichen Edelstahl zu verstecken? Ich rede hier von durchsichtigem Glas, und dahinter die orangenen Glühdrähte."
Willy hat weder Zeit noch Mittel, seine Idee zu realisieren, aber Paul Auster springt für ihn ein. Mit "Timbuktu" schafft er eine Welt, die bis auf die Knochen transparent ist. Der Leser schaut ungehindert zu, wie die Glühdrähte der Zeit auf die Figuren wirken. Das liegt nicht nur daran, dass ihnen ein Dach über dem Kopf fehlt. Was ihnen mit hündischer Treue bis in die verlorensten Ecken folgt, ist eine geschmeidige Sprache. Ihr Meisterstück vollbringt sie, als sie mit Mr. Bones in den allerletzten Winkel schlüpft: Er träumt vom Jenseits, das sein Herrchen gern Timbuktu nannte. Dort wird er von Willy erwartet. Die Verlockung des Ortes ist so groß, dass Mr. Bones nach dem Erwachen beschließt, mit einer sechsspurigen Autobahn russisches Roulett zu spielen: "Er brauchte nur auf die Straße zu treten, und schon wäre er in Timbuktu. Er wäre im Land der Wörter und durchsichtigen Toaster." Doch so wie das Paradies sich als kalifornischer Strand erweist, der dem Hund von einem früheren Ausflug her bekannt ist, so liegt das Land der Wörter in Austers gläsernem Roman schon in seiner Verheißung. Mr. Bones bleibt auf dem Seitenstreifen nichts anderes übrig, als im Sinne von Nietzsche da capo zu schnaufen: "Aber das war das Schöne daran. Wenn man verlor, hatte man gewonnen."
Paul Auster: "Timbuktu". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Peter Torberg. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 192 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paul Auster erforscht ein Hundeleben · Von Ingeborg Harms
Paul Auster ist auf den Hund gekommen. Als Studienobjekt wählt er die Promenadenmischung. Sein jüngster Held gehört einem Penner. Ein Leben lang war Mr. Bones mit Willy G. Christmas auf der Rolle. An einem verregneten Morgen in Baltimore findet die schöne Gewohnheit des zweisamen Streunens vor dem Edgar-Allan-Poe-Haus ein melancholisches Ende. Willy ist Dichter und, seit der Weihnachtsmann ihm einmal aus dem Fernseher heraus persönlich die Leviten las, von höheren Ahnungen beseelt. Sie bleiben ihm auch in seiner letzten Stunde treu. Durchnässt und auf den Asphalt gesunken, lauscht Mr. Bones einem von Hustenanfällen und Erschöpfungspausen unterbrochenen Sterbemonolog. Aus den Worten des Kranken und den panischen Gedanken, die indessen seinen Hund bewegen, nimmt die Vergangenheit des Duos Gestalt an.
Ihr ungewöhnliches Verhältnis rührt daher, dass Willy genauso großes Interesse an der Psyche seines Begleiters zeigte, wie es sonst nur das treue Tier für seinen Herrn bezeugt. Der phantasievolle Vagabund opferte einen Winter der Erforschung des hündischen Geruchssinns und scheute weder Zeit noch Mühe, um eine olfaktorische Symphonie für Mr. Bones zu komponieren. Von der Erinnerung an den Parcours durch nasse Lappen, alte Socken und parfümierte Unterhosen zehrt der Beglückte noch immer.
Mr. Bones unterscheidet sich nicht nur dadurch vom Klischee des ahnungslosen Tiers, dass er in Erinnerungen schwelgt, mit der Sterblichkeit vertraut ist und über die Ewigkeit nachgrübelt, er hat auch prophetische Träume. Während sein Herrchen für eine Weile einnickt, passieren die Stunden bis zu Willys Tod in allen Einzelheiten vor seinem inneren Auge Revue. Manches spricht dafür, dass Willy Recht hat, wenn er "dog" rückwärts liest und als "god" entziffert. Denn obwohl Mr. Bones zu den Paradoxien des menschlichen Sprachgebrauchs noch Fragen hat, ist er seinem Wesen nach allverstehend und -verzeihend. Umsicht und Gewissenhaftigkeit lassen ihn gegen seine Instinkte handeln. Sein Zartgefühl bringt ihn auf der Suche nach einem neuen zweibeinigen Freund sogar mehrfach in höchste Gefahr. Seltsamerweise hört er trotzdem nicht auf, ein Hund zu sein.
Auster beweist vielmehr, dass sich die Phänomenologie des Hundes erst dann überzeugend schreiben lässt, wenn man ihm den vornehmen Geist eines Naiven zugesteht. Sein Adel liegt vor allem darin, dass er den Ekel nicht kennt. Als Willy Blut und Rotz spuckt, legt er ihm mitfühlend die Schnauze in den Schoß. Mr. Bones ist Austers Version des Knochenmanns, und eine radikalere Revision des Todes lässt sich kaum denken. Er fletscht in der Not nicht drohend die Zähne, sondern tröstet mit feucht-kalten Nasenstupsern. Wenn die Zeiten gut sind, teilt er hemmungslos jeden Genuss.
Als es Mr. Bones einmal wirklich dreckig geht, erscheint ihm der tote Willy im Traum. Er erinnert ihn an die Geschichte seiner Mutter, die vor den Nazis geflohen ist: "Die haben sie auch umzubringen versucht. Sie haben sie gejagt wie einen Hund, und sie musste um ihr Leben laufen." Paul Auster hat eine Parabel der Erniedrigten und Beleidigten geschrieben, die abgründig, komisch und bewegend ist. Dabei vermischen sich Ohnmacht und Freiheit in verwirrender Weise. Gerade das Elend wird zur Quelle für Kunst und Erfindung. "Was immer ich gewesen bin", sagt Willy und spricht damit auch für Mr. Bones, "zum Wurm bin ich nie herabgesunken. Ich bin gesprungen, galoppiert, hab mich in die Lüfte erhoben, und wenn ich abgestürzt bin, hab ich mich immer wieder aufgerappelt und es noch einmal versucht."
Den Sinn des Lebens findet Willy seit seiner Bekehrung in guten Taten. Ihnen frönt er vor allem am Christtag, wenn er die Weihnachtsmannausstattung anzieht. Doch auch in den Todesstunden kommen ihm zum Wohl der Menschheit originelle Gedanken. Dazu gehört die Traumvision eines ungewöhnlichen Toasters: "Wozu soll es denn gut sein, das Brot einzusperren und hinter diesem hässlichen Edelstahl zu verstecken? Ich rede hier von durchsichtigem Glas, und dahinter die orangenen Glühdrähte."
Willy hat weder Zeit noch Mittel, seine Idee zu realisieren, aber Paul Auster springt für ihn ein. Mit "Timbuktu" schafft er eine Welt, die bis auf die Knochen transparent ist. Der Leser schaut ungehindert zu, wie die Glühdrähte der Zeit auf die Figuren wirken. Das liegt nicht nur daran, dass ihnen ein Dach über dem Kopf fehlt. Was ihnen mit hündischer Treue bis in die verlorensten Ecken folgt, ist eine geschmeidige Sprache. Ihr Meisterstück vollbringt sie, als sie mit Mr. Bones in den allerletzten Winkel schlüpft: Er träumt vom Jenseits, das sein Herrchen gern Timbuktu nannte. Dort wird er von Willy erwartet. Die Verlockung des Ortes ist so groß, dass Mr. Bones nach dem Erwachen beschließt, mit einer sechsspurigen Autobahn russisches Roulett zu spielen: "Er brauchte nur auf die Straße zu treten, und schon wäre er in Timbuktu. Er wäre im Land der Wörter und durchsichtigen Toaster." Doch so wie das Paradies sich als kalifornischer Strand erweist, der dem Hund von einem früheren Ausflug her bekannt ist, so liegt das Land der Wörter in Austers gläsernem Roman schon in seiner Verheißung. Mr. Bones bleibt auf dem Seitenstreifen nichts anderes übrig, als im Sinne von Nietzsche da capo zu schnaufen: "Aber das war das Schöne daran. Wenn man verlor, hatte man gewonnen."
Paul Auster: "Timbuktu". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Peter Torberg. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 192 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Austers berechnendstes, gefühlvollstes Buch. The New York Times