Eine Liebe in Zeiten des Krieges: Herman Bang erzählt die bewegende Geschichte eines jungen Mädchens, das sich angesichts des Sterbens in ein Dickicht aus Konvention und Pflichtgefühl, leidenschaftlicher Sehnsucht und Lebensgier verstrickt.
Tine, die Tochter des Küsters auf einer malerischen dänischen Ostseeinsel, ist bei dem jungen Ehepaar Berg ein gern und häufig gesehener Gast. Vor allem mit Frau Berg verbindet sie eine innige Freundschaft. Doch dann bricht jäh der Krieg in die Idylle ein: Tines friedliches Heimatdorf liegt plötzlich am Rand eines Schlachtfelds, Flüchtlinge und Verwundete werden einquartiert, während der Kanonendonner immer näher rückt. Inmitten der spannungsgeladenen Atmosphäre wird sich Tine ihrer lange verdrängten Gefühle für Berg bewusst ...
Vor dem Hintergrund des deutsch-dänischen Krieges 1864 entfaltet sich eine leise, melancholische Liebesgeschichte, in verhaltenen Gesten und zaghaften Blicken zunächst nur angedeutet. Eindringlich und mit großer stilistischer Feinheit schildert Herman Bang die schmerzhafte Sehnsucht und stumme Verlorenheit seiner Protagonistin.
Neuübersetzung zum 100. Todestag Herman Bangs am 29.1.2012
Tine, die Tochter des Küsters auf einer malerischen dänischen Ostseeinsel, ist bei dem jungen Ehepaar Berg ein gern und häufig gesehener Gast. Vor allem mit Frau Berg verbindet sie eine innige Freundschaft. Doch dann bricht jäh der Krieg in die Idylle ein: Tines friedliches Heimatdorf liegt plötzlich am Rand eines Schlachtfelds, Flüchtlinge und Verwundete werden einquartiert, während der Kanonendonner immer näher rückt. Inmitten der spannungsgeladenen Atmosphäre wird sich Tine ihrer lange verdrängten Gefühle für Berg bewusst ...
Vor dem Hintergrund des deutsch-dänischen Krieges 1864 entfaltet sich eine leise, melancholische Liebesgeschichte, in verhaltenen Gesten und zaghaften Blicken zunächst nur angedeutet. Eindringlich und mit großer stilistischer Feinheit schildert Herman Bang die schmerzhafte Sehnsucht und stumme Verlorenheit seiner Protagonistin.
Neuübersetzung zum 100. Todestag Herman Bangs am 29.1.2012
"Bang hat ein dichtes Gewebe geflochten aus Krieg, Liebe und Grauen. Aus Leidenschaft und Verrat. Aus gelähmtem Verstand und wechselhaften Gefühlen. Aus nationaler und persönlicher Überforderung." -- dradio.de, 23.09.2011
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2012Ganz Dänemark ist voller einsamer Frauen
Mit Jean Cocteau und Jean Genet hat man ihn zu den "Schreibern aus Sodom" gezählt und ihm damit unrecht getan. Herman Bang erzählt vor allem von der Sehnsucht.
Ein "getriebener Reisender in Sachen Literatur" wurde Herman Bang genannt, als getriebener Reisender starb er vor hundert Jahren, am 29. Januar 1912 in einem Krankenhaus im Wilden Westen, in Ogden, Utah. Er war sein Leben lang unterwegs, er versuchte sich als Schauspieler, das ging daneben, und als Rezitator, das war erfolgreicher, er tourte durch ganz Skandinavien, bis nach Russland. Als Journalist hatte er das Gespür für die Dramen des Alltags, sein Sinn für Bilder, Geräusche, Bewegungen suggerierte den Lesern, selbst mittendrin zu sein. Er war in Deutschland und Österreich (wo er wichtige Werke verfasste), inszenierte in Paris und Kopenhagen und unternahm immer wieder größere Reisen. Seine letzte führte ihn in die Vereinigten Staaten, im Januar 1912 erreichte er New York. Am 26. Januar fuhr er mit der Bahn von Chicago nach San Francisco, drei Tage später fand man ihn bewusstlos in seinem Abteil; die Todesursache war vermutlich eine Gehirnblutung.
Bangs Leben ist von Verlusten geprägt. Die geliebte Mutter starb lungenkrank bereits 1871, er war vierzehn. Der inzwischen geistesverwirrte Vater, ein Pfarrer, folgte vier Jahre später. Aber der allererste Verlust betraf seine Heimat, die Insel Alsen, die 1864 mit ganz Schleswig an Preußen verlorenging. Die traumatische Niederlage, bis heute in Dänemark unvergessen, bildet den historischen Hintergrund von Bangs Roman "Tine" (1889). In dem berühmten zweiten Kapitel wird ein Kreis rauchender und trinkender Hurra-Patrioten durch die Meldung schockiert, das dänische Heer habe den Abwehrwall des Danewerks aufgegeben. Nun ist "alles aus den Fugen", nicht nur politisch. Die Heldin ist eine sehr junge Frau, sie liebt den Forstmeister, aber der begehrt sie nur, "unter dem Bild seiner Gattin befriedigte Berg die ihn peinigende Begierde". Tine ist eine typische Bang-Figur: sensibel, einsam, voll Sehnsucht nach einem erfüllten Leben. Ihr steht eine vollkommen verständnislose Gesellschaft gegenüber, die solchen Menschen die Daseinsberechtigung verweigert.
Hans Mayer hat den homosexuellen Bang mit Cocteau, Genet und anderen zu den "Schreibern aus Sodom" gezählt. Das führt ein wenig in die Irre. Zwar wurde der exzentrische Dichter schnell zum Inbegriff des blasierten, herausfordernden Dandys - auf den Fotos und Karikaturen in Lothar Müllers Überblick über Bangs Leben (der zum ersten Kennenlernen gut geeignet ist) können wir das studieren. Doch aus Sodom kam er nicht, noch weniger hat er Sodomitisches beschrieben. Bei kaum einem anderen Schriftsteller gibt es diese flirrende Melancholie, diese nervöse Atmosphäre, diese unstillbare Sehnsucht nach menschlicher Anerkennung. Seine Helden waren Frauen, weil Frauen seine weibliche Seite eben am besten verkörperten. Sie haben ihre Idee von der Welt und vom Leben, sie haben ihre Sehnsucht, sie lassen nicht von ihr ab, aber diese Sehnsucht lässt auch nicht von ihnen ab. Sie sind in ihr gefangen. Es sind eigenwillige Frauen, aber nicht unbedingt starke, sie setzen ihren Willen ja nicht durch: Bangs Frauen nehmen sich das Leben wie Tine oder sterben an gebrochenem Herzen wie Katinka in "Am Weg". Gert Ueding nannte Herman Bang in dieser Zeitung einmal einen "Flaubert des Fin de Siècle".
Manchmal ist dieser Schöpfer melancholischer Stimmungen fast zu deutlich. Zum Beispiel in der traurigen Erzählung "Ihre Hoheit", die übrigens mit "Am Weg" zuerst im Erzählungsband "Stille Existenzen" (1886) erschien. Sie entstand in Meiningen, das Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen zur Theaterstadt gemacht hatte. Vorbild für Bangs Heldin Maria Carolina dürfte Georgs Tochter Maria Elisabeth gewesen sein, die weder mit Schönheit noch Grazie gesegnet war, deren Tage immer gleich aussahen, die nichts konnte, nichts durfte und ständig weinte. Irgendwann liest sie Schillers Forderungen für das Volk, da geht ihr auf, dass sie natürlich auch für sie gelten, die Adlige: "Liebe, Menschenrecht, Freiheit", alles, was ihr versagt blieb. Die kleine Erzählung wimmelt von Wörtern wie "müde", "allein", "still und tot", "steif und leblos". Sie hat "matte Augen", "ein graues Gesicht" und fühlt sich "grenzenlos unglücklich". Mit vierzehn Jahren! Später verliebt sie sich in einen Schauspieler, der natürlich nichts merkt, noch später darf sie dann Äbtissin werden.
Was Bang prägte, woher Themen, Figuren und Stil stammen, verrät er in seinem eigenen Vorwort zu "Tine". Es sind drei Bilder aus der Kindheit: die stumme Mutter am Fenster, die plötzliche Abreise aus dem Elternhaus, die flüchtenden Dänen dann in Horsens, "dieses Bild von Flucht, Chaos und Schande reichte aus, um mein ganzes Leben zu prägen". Schon dieser Text wäre Grund genug, sich "Tine" anzuschaffen.
PETER URBAN-HALLE
Herman Bang: "Tine". Roman.
Aus dem Dänischen von Ingeborg und Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich/München 2011. 318 S., geb., 19,95 [Euro].
Herman Bang: "Ihre Hoheit".
Erzählung.
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Insel Verlag, Berlin 2011. 92 S., geb., 12,90 [Euro].
Lothar Müller: "Herman Bang".
Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2011. 88 S., Illustrationen, geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Jean Cocteau und Jean Genet hat man ihn zu den "Schreibern aus Sodom" gezählt und ihm damit unrecht getan. Herman Bang erzählt vor allem von der Sehnsucht.
Ein "getriebener Reisender in Sachen Literatur" wurde Herman Bang genannt, als getriebener Reisender starb er vor hundert Jahren, am 29. Januar 1912 in einem Krankenhaus im Wilden Westen, in Ogden, Utah. Er war sein Leben lang unterwegs, er versuchte sich als Schauspieler, das ging daneben, und als Rezitator, das war erfolgreicher, er tourte durch ganz Skandinavien, bis nach Russland. Als Journalist hatte er das Gespür für die Dramen des Alltags, sein Sinn für Bilder, Geräusche, Bewegungen suggerierte den Lesern, selbst mittendrin zu sein. Er war in Deutschland und Österreich (wo er wichtige Werke verfasste), inszenierte in Paris und Kopenhagen und unternahm immer wieder größere Reisen. Seine letzte führte ihn in die Vereinigten Staaten, im Januar 1912 erreichte er New York. Am 26. Januar fuhr er mit der Bahn von Chicago nach San Francisco, drei Tage später fand man ihn bewusstlos in seinem Abteil; die Todesursache war vermutlich eine Gehirnblutung.
Bangs Leben ist von Verlusten geprägt. Die geliebte Mutter starb lungenkrank bereits 1871, er war vierzehn. Der inzwischen geistesverwirrte Vater, ein Pfarrer, folgte vier Jahre später. Aber der allererste Verlust betraf seine Heimat, die Insel Alsen, die 1864 mit ganz Schleswig an Preußen verlorenging. Die traumatische Niederlage, bis heute in Dänemark unvergessen, bildet den historischen Hintergrund von Bangs Roman "Tine" (1889). In dem berühmten zweiten Kapitel wird ein Kreis rauchender und trinkender Hurra-Patrioten durch die Meldung schockiert, das dänische Heer habe den Abwehrwall des Danewerks aufgegeben. Nun ist "alles aus den Fugen", nicht nur politisch. Die Heldin ist eine sehr junge Frau, sie liebt den Forstmeister, aber der begehrt sie nur, "unter dem Bild seiner Gattin befriedigte Berg die ihn peinigende Begierde". Tine ist eine typische Bang-Figur: sensibel, einsam, voll Sehnsucht nach einem erfüllten Leben. Ihr steht eine vollkommen verständnislose Gesellschaft gegenüber, die solchen Menschen die Daseinsberechtigung verweigert.
Hans Mayer hat den homosexuellen Bang mit Cocteau, Genet und anderen zu den "Schreibern aus Sodom" gezählt. Das führt ein wenig in die Irre. Zwar wurde der exzentrische Dichter schnell zum Inbegriff des blasierten, herausfordernden Dandys - auf den Fotos und Karikaturen in Lothar Müllers Überblick über Bangs Leben (der zum ersten Kennenlernen gut geeignet ist) können wir das studieren. Doch aus Sodom kam er nicht, noch weniger hat er Sodomitisches beschrieben. Bei kaum einem anderen Schriftsteller gibt es diese flirrende Melancholie, diese nervöse Atmosphäre, diese unstillbare Sehnsucht nach menschlicher Anerkennung. Seine Helden waren Frauen, weil Frauen seine weibliche Seite eben am besten verkörperten. Sie haben ihre Idee von der Welt und vom Leben, sie haben ihre Sehnsucht, sie lassen nicht von ihr ab, aber diese Sehnsucht lässt auch nicht von ihnen ab. Sie sind in ihr gefangen. Es sind eigenwillige Frauen, aber nicht unbedingt starke, sie setzen ihren Willen ja nicht durch: Bangs Frauen nehmen sich das Leben wie Tine oder sterben an gebrochenem Herzen wie Katinka in "Am Weg". Gert Ueding nannte Herman Bang in dieser Zeitung einmal einen "Flaubert des Fin de Siècle".
Manchmal ist dieser Schöpfer melancholischer Stimmungen fast zu deutlich. Zum Beispiel in der traurigen Erzählung "Ihre Hoheit", die übrigens mit "Am Weg" zuerst im Erzählungsband "Stille Existenzen" (1886) erschien. Sie entstand in Meiningen, das Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen zur Theaterstadt gemacht hatte. Vorbild für Bangs Heldin Maria Carolina dürfte Georgs Tochter Maria Elisabeth gewesen sein, die weder mit Schönheit noch Grazie gesegnet war, deren Tage immer gleich aussahen, die nichts konnte, nichts durfte und ständig weinte. Irgendwann liest sie Schillers Forderungen für das Volk, da geht ihr auf, dass sie natürlich auch für sie gelten, die Adlige: "Liebe, Menschenrecht, Freiheit", alles, was ihr versagt blieb. Die kleine Erzählung wimmelt von Wörtern wie "müde", "allein", "still und tot", "steif und leblos". Sie hat "matte Augen", "ein graues Gesicht" und fühlt sich "grenzenlos unglücklich". Mit vierzehn Jahren! Später verliebt sie sich in einen Schauspieler, der natürlich nichts merkt, noch später darf sie dann Äbtissin werden.
Was Bang prägte, woher Themen, Figuren und Stil stammen, verrät er in seinem eigenen Vorwort zu "Tine". Es sind drei Bilder aus der Kindheit: die stumme Mutter am Fenster, die plötzliche Abreise aus dem Elternhaus, die flüchtenden Dänen dann in Horsens, "dieses Bild von Flucht, Chaos und Schande reichte aus, um mein ganzes Leben zu prägen". Schon dieser Text wäre Grund genug, sich "Tine" anzuschaffen.
PETER URBAN-HALLE
Herman Bang: "Tine". Roman.
Aus dem Dänischen von Ingeborg und Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich/München 2011. 318 S., geb., 19,95 [Euro].
Herman Bang: "Ihre Hoheit".
Erzählung.
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Insel Verlag, Berlin 2011. 92 S., geb., 12,90 [Euro].
Lothar Müller: "Herman Bang".
Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2011. 88 S., Illustrationen, geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die stille und doch eindrückliche Erzählweise, mit der Herman Bang (1852-1917) das Schicksal seiner jungen Protagonistin mit der Kriegsniederlage Dänemarks 1864 gegen Preußen und Österreich verknüpft, hat Rezensentin Hannelore Schlaffer in den Bann gezogen. Denn wie die Geschichte Tines, die ihre Freundin mit deren Mann betrügt und sich aus Scham und Schuldgefühl im Schlamm erstickt, spielt die Geschichte Dänemarks sich vor allem als hereinschallendes Kriegsgetöse in den Innenräumen der Häuser und Figuren ab, stellt sie fest. Die Konzentration auf das Kleine ist es, was Bang, dessen Roman 1889 erschienen ist, den Ruf des Impressionisten eingetragen hat, bei ihm wird allerdings die "Bescheidenheit" zum "Stilprinzip", erklärt die eingenommene Rezensentin. Besonders in der Kargheit der Sprache sieht Schlaffer die besondere Eindringlichkeit von Bangs Erzählweise, der nur ganz am Ende, wenn die Figuren schon längst hoffnungslos verstummt sind, die tragische Niederlage Dänemarks mit einigem "Pathos" ausmalt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Bang erweist sich hier einmal mehr als ungemein moderner, fein nuancierender Erzähler.« NZZ am Sonntag, 30.10.2011
»Jetzt, hundert Jahre nach seinem Tod, kann man Herman Bang in den vorzüglichen, mit historischen Erläuterungen und kundigen Nachworten versehenen Neuübersetzungen von Ingeborg und Aldo Keel lesen, die seit einigen Jahren der Manesse Verlag herausbringt.«