Das Alte Reich war kein Staat im modernen Sinn. Es bestand aus dem Kaiser, einigen hochstehenden Fürsten sowie einer Vielzahl von Kleinstterritorien und Stadtstaaten. Zur Sicherung des Friedens waren diese Reichsstände in regionalen Verbänden organisiert, den Reichskreisen. Die vorliegende mikrohistorische Fallstudie rekonstruiert die politische Praxis in diesen Reichskreisen an der Wende zum 18. Jahrhundert am Beispiel des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises. Als Quellengrundlage dienen die zahlreich und kompliziert überlieferten "Kreisakten", darunter Protokolle, Berichte und Briefe. Über akten- und archivkundliche Verfahren dringt die Untersuchung in die Tiefenstrukturen der politischen Praxis vor. So werden die Interdependenzen zwischen den verschiedenen Akteuren, den formalen Normen, informalen Regeln sowie den physischen und diskursiven Praktiken herausgearbeitet. Um 1700 stellte Niederrhein-Westfalen seinen Mitgliedern vor allem ein Forum bereit, um Maßnahmen zur kollektiven Sicherheit zu organisieren. Angesichts des Wettrüstens in Europa nach 1648 war das eine unverzichtbare Funktion. Allerdings lag gerade hierin ein mächtiger Transmissionsriemen für Mächte wie Brandenburg-Preußen, die Kreis und Reich im Verlauf des 18. Jahrhunderts auseinanderreißen sollten. Und das ausgerechnet unter Ausnutzung der traditionellen Verfassungsnormen und politischen Regeln