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Partisan und Revolutionär, Staatspräsident Jugoslawiens, Diktator und Architekt eines alternativen sozialistischen Modells - bis heute entzieht sich Tito (1892-1980) jeder politisch und historisch eindimensionalen Zuordnung. Joze Pirjevec, Professor für Geschichte und ausgewiesener Tito-Experte, geht in dieser Biographie dem Phänomen Tito nach. Pirjevec folgt der Politisierung Josip Broz', wie Tito mit bürgerlichem Namen hieß, und seinem raschen Aufstieg in der Kommunistischen Partei Jugoslawiens und zeigt, wie er aus einer zerstrittenen Partei eine schlagkräftige Partisanenarmee geformt hat,…mehr

Produktbeschreibung
Partisan und Revolutionär, Staatspräsident Jugoslawiens, Diktator und Architekt eines alternativen sozialistischen Modells - bis heute entzieht sich Tito (1892-1980) jeder politisch und historisch eindimensionalen Zuordnung. Joze Pirjevec, Professor für Geschichte und ausgewiesener Tito-Experte, geht in dieser Biographie dem Phänomen Tito nach.
Pirjevec folgt der Politisierung Josip Broz', wie Tito mit bürgerlichem Namen hieß, und seinem raschen Aufstieg in der Kommunistischen Partei Jugoslawiens und zeigt, wie er aus einer zerstrittenen Partei eine schlagkräftige Partisanenarmee geformt hat, die Hitlers und Mussolinis Truppen besiegt hat. Er legt dar, mit welcher Weitsichtigkeit Tito schon bald nach dem Krieg in Opposition zu Stalin ging, wie er für Jugoslawien einen anderen sozialistischen Weg suchte und wie entscheidend er an der Gründung der Bewegung der Blockfreien Staaten beteiligt war. Aber er zeigt Tito auch als Diktator, der seine politischen Gegner gnadenlos verfolgte, sich als Held eines nationalen Mythos verehren ließ und den Personenkult genoss. Er sorgte nicht für einen Nachfolger, und als Tito 1980 starb, hinterließ er ein Machtvakuum, das innerhalb weniger Jahre zum gewaltsamen Zerfall des Vielvölkerstaates führte.
Diese erste umfassende Tito-Biographie, die zahlreiche Quellen erstmals zugänglich macht, liefert das lebendige Porträt der faszinierenden und oft widersprüchlichen Persönlichkeit eines der bedeutendsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts.
Autorenporträt
Joze Pirjevec wurde am 1. Juni 1940 in Triest geboren, promovierte 1977 an der Universität Ljubljana in Geschichte und forschte und unterrichtete an den Universitäten von Pisa, Triest und Padua. Er ist heute Professor für Geschichte an der Universität von Koper und Mitglied der slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Die vorliegende Biografie ist die Zusammenfassung seines dreißigjährigen Forschungsschwerpunkts.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Anders als etwa Stalin oder Lenin, konnte der jugoslawische Diktator Tito seine Legitimität nicht auf ideologischem Gebiet behaupten, dafür war er ein Meister der Selbstinszenierung, der weltweit die politische und kulturelle Prominenz zu bezirzen pflegte, weiß Marc Reichwein. Bis heute überdauert die Legende des charismatischen Führers, der Jugoslawien allein durch seine Person zusammenhielt - sodass es zerfallen musste, als er starb, so der Rezensent. Mit diesem Bild räumt Jože Pirjevec in seiner Biografie "Tito" auf, verrät Reichwein. Zwar schildert auch er Titos Charme und politische Chuzpe, aber er betont ebenso die Präsenz nationalistischer Unabhängigkeitsbewegungen schon in den Siebzigerjahren, deren Analyse weit stärkere Kontinuitäten vor und nach Tito erkennen lässt, die das Scheitern des jugoslawischen Staates der persönlichen Sphäre des Diktators entziehen, fasst der Rezensent angetan zusammen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2016

Der Unbeugsame
Eine erhellende und mitreißende Biographie über Jugoslawiens Herrscher Tito

Wer war der kroatische Kommunist mit den faszinierenden blau-grauen Augen, dem es im Zweiten Weltkrieg gelang, die deutschen und italienischen Besatzer ohne sowjetische Unterstützung aus dem besetzten Jugoslawien zu vertreiben? Was gab ihm die Zuversicht, verfeindete Völker in "Brüderlichkeit und Einheit" zusammenschweißen und einen vergleichsweise liberalen Sozialismus aufbauen zu können? Woher nahm er den Mut, sich erst gegen die Hegemonie Stalins, dann aber auch gegen westliche Einflussnahme zu stemmen?

Der Biograph Joze Pirjevec lässt auf rund 700 Seiten keinen Zweifel an den außergewöhnlichen Eigenschaften und Talenten des Josip Broz, der den Vielvölkerstaat 35 Jahre lang regierte. Der Sohn einer slowenischen Mutter und eines kroatischen Vaters stammte aus ärmlichen Verhältnissen, brachte es als Partisanenführer, Staatspräsident und Architekt der Blockfreiheit schließlich zu weltweitem Ansehen. In seiner jugoslawischen Heimat wurde er als lebende Legende verehrt, und als er am 4. Mai 1980 in hohem Alter starb, rollte eine Welle aufrichtiger Trauer durchs Land.

Bereits in den achtziger Jahren begann in Jugoslawien die Dekonstruktion des Tito-Mythos - und nirgends war die Fallhöhe so groß wie dort, als das kommunistische System zusammenbrach. In Kroatien machte man den Kommunisten nicht nur für die Massaker an den fliehenden Kollaborationstruppen im Kärntener Bleiburg 1945 verantwortlich, sondern auch für eine angebliche serbische Vorherrschaft im Vielvölkerstaat. Führende Intellektuelle in Serbien warfen dem Kroaten dagegen politischen und kulturellen "Genozid" am serbischen Volk vor. Eine gravierende Wirtschafts- und Systemkrise und lang aufgestaute Konflikte zwischen den Teilrepubliken mündeten 1991 im blutigen Staatszerfall. Nun blühte die Tito-Hagiographie, und viele Menschen flohen angesichts von Nationalismus und Krieg in "Titostalgie". Ein geflügeltes Wort macht bis heute die Runde: "Sag mir, wie du über Tito denkst, und ich sage dir, wer du bist!"

In allen Nachfolgestaaten gab es aber auch Historiker, die Verdienste, Versäumnisse und Verfehlungen des Autokraten auf neuer Quellengrundlage und frei von politischem Missionseifer aufarbeiteten, darunter Joze Pirjevec in Slowenien sowie Slavko und Ivo Goldstein in Kroatien. Der Geschichtsprofessor Pirjevec gehört zur älteren Generation. Er hat mit spürbarer Sympathie über seinen Helden geschrieben. Wen das nicht stört, dem bietet diese erste deutschsprachige Biographie eine erhellende und immer wieder auch mitreißende Lektüre.

Der am 7. Mai 1892 geborene Josip Broz startete seine politische Karriere bereits als Jugendlicher in der Gewerkschaft. Als Kommunist saß er nach dem Ersten Weltkrieg jahrelang in jugoslawischen Gefängnissen, aber kaum entlassen, nahm er die Untergrundarbeit wieder auf. Dem Autor muss das so selbstverständlich erschienen sein, dass er die Frage, wie und warum dieser charismatische Mann zum Kommunisten wurde und es trotz widrigster Umstände sein Leben lang blieb, nicht einmal streift. Andererseits: Josip Broz betrachtete sich als Berufsrevolutionär, der seinem politischen Ziel, den Kommunismus durchzusetzen, alles Private unterordnete. Da die kommunistische Partei im königlichen Jugoslawien verboten war, wechselte er Decknamen und Identitäten, und nicht einmal sein tatsächlicher Geburtstag ist gesichert. Noch Jahrzehnte später, als er längst an der Staatsspitze stand, gab er nichts Persönliches preis.

Die KPJ berief Josip Broz 1934 in ihr Zentralkomitee und schickte ihn zur Ausbildung in die Sowjetunion. Im Gegensatz zu zahlreichen Genossen überstand er die stalinistischen "Säuberungen" dort unbeschadet. Da die Archive der sowjetischen Geheimdienste immer noch geschlossen sind, bleibt die Frage offen, ob er dort an der stalinistischen Hexenjagd auf die "Trotzkisten" mitgewirkt hat, was ihm seine Rivalen und Gegner unterstellten, aber nie bewiesen. Als Generalsekretär begann Tito 1937, die in verfeindete Fraktionen gespaltene kommunistische Partei Jugoslawiens in eine straff organisierte Kaderpartei umzubauen - später eine wichtige Voraussetzung für den militärischen Erfolg der Partisanen.

In der Darstellung des Zweiten Weltkrieges wird das Buch nun sehr spannend - und bleibt es bis zum Schluss. Anschaulich wird geschildert, wie Tito nach dem Überfall auf Jugoslawien im April 1941 den bewaffneten Widerstand und den "Volksbefreiungskampf" organisierte, und zwar nicht nur gegen die militärisch weit überlegenen Besatzer, sondern auch im Widerspruch zu Stalin, der die Zeit noch nicht reif für die proletarische Revolution auf dem Balkan fand.

Es müssen starke innere Antriebe und Überzeugungen gewesen sein, die Tito dazu bewogen, für den Aufbau des Kommunismus immer wieder sein Leben zu riskieren und Zehntausende Partisanen in einen mörderischen Befreiungs- und Bruderkrieg gegen Wehrmacht, Ustascha und Tschetniks zu treiben. Sogar sein ärgster Feind, Reichsführer SS Heinrich Himmler, wünschte, "dass wir ein Dutzend solcher Titos in Deutschland hätten". Als die Wehrmacht ihn mit seinem Stab während der "Operation Rösselsprung" im Mai 1944 in einer bosnischen Höhle einkesselte, zog sich die Schlinge zusammen. Buchstäblich in letzter Sekunde gelang die Flucht durch Bachtäler und über Felswände. Was, wenn die deutschen Soldaten den legendären Partisanenführer damals gefasst oder getötet hätten? Hätten die jugoslawischen Kommunisten auch ohne ihn den Krieg gewinnen können?

In der faktenreichen und dichten Erzählung drängt sich der Schluss auf, dass die Geschichte ohne Titos Mut, Selbstsicherheit und Unbeugsamkeit einen ganz anderen Verlauf genommen hätte. Weder zum Partisanenkampf noch zum Bruch mit Stalin wäre es wohl gekommen. Klar wird aber auch: Das Projekt Jugoslawien ruhte auf vielen Schultern, weshalb der Titel des slowenischen Originals "Tito und seine Genossen" den Tenor des Buches bestens trifft. Zumal bei der kommunistischen Machtübernahme bei Kriegsende, als der künftige Staatsführer Tausende "Quislinge" liquidieren ließ, oder auch nach dem Rauswurf aus der Komintern, als er die Stalin-Anhänger in Arbeitslager sperren ließ, stützte er sich auf seinen Apparat. "Das, was kompromittiert", warf ihm sein ehemaliger Weggefährte Alexander Rankovic später vor, "Todesurteile, das Niederbrennen von Dörfern, all das, was schmutzig und schlecht ist, hat er . . . anderen überlassen".

Titos Herrschaft, so schließt der Autor, gründete nicht auf Tyrannei, sondern auf seinem hohen Ansehen, seiner natürlichen Autorität und einer tiefen Dankbarkeit, die viele Menschen für ihn empfanden. Dabei war ihm bewusst, dass sich hinter den Kulissen gravierende Probleme auftürmten: "Wenn Sie wüssten, wie ich die Zukunft Jugoslawiens sehe", bekannte er 1971 gegenüber einem Journalisten, "wären Sie schockiert." Gegenrezepte oder fähige Nachfolger hatte er allerdings nicht zur Hand, und so fiel Jugoslawien nach seinem Ableben "wie ein Kartenhaus" in sich zusammen.

MARIE-JANINE CALIC

Joze Pirjevec: Tito. Die Biografie. Verlag Antje Kunstmann, München 2016. 719 S., 39,95 [Euro].

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