Als Teil des für die Kunstgeschichte noch neuen Forschungsgebietes der Rezeptionsästhetik beschreibt diese Untersuchung die weitreichende Wirkung der Malerei Tiziano Vecellios im 17. Jahrhundert, bezogen auf die Kunstvorlieben am Hof Karls I. in London. Ausgangspunkt ist die aus sammlungsgeschichtlicher Perspektive feststellbare Vorliebe für die venezianische Malerei des Cinquecento. Gesellschaftlich-politische Motive des Sammelns und Vermittelns von Tiziangemälden werden ebenso beleuchtet wie das zeitgenössische Kopienwesen und die Kunstrezeption englischer Reisender in Venedig. Mit Anton van Dyck kam schließlich der "Titianus redivivus" an den Londoner Hof, dessen stilistische wie ikonographische Nachahmungskünste das den englischen Auftraggebern so kostbare venezianische Cinquecento quasi wiedererschaffen konnte. Wie sehr dabei vor allem in der Bildnismalerei die Kunstbetrachtung von maltechnischen wie wirkungsästhetischen Maximen geleitet war, zeigen die Ausführungen zu den Portraits des 1. Grafen von Strafford. Enge inhaltliche Parallelen der zeitgenössischen englischen Tiziankritik zu venezianischen Kunsttraktaten des 16. Jahrhunderts unterstreichen den auch kunsttheoretisch fundierten Zugang zur Malerei Tizians in England.