Ivano Matteoli, Sohn eines KP-Funktionärs, verlässt Anfang der sechziger Jahre sein toskanisches Heimatdorf gen Leningrad. Dort lernt er Bea kennen - Beate Ulbricht, das »erste Staatskind der DDR« und Tochter von Walter Ulbricht. Dies ist der Beginn einer Amour fou zwischen Ost und West, einer Liebe im politischen Geflecht zwischen Paris, Leningrad, Rom, Ost-Berlin und dem erzkatholischen Cigoli.
Die Erzählerin Anni kennt Ivano von Kindesbeinen an. Auf den Dächern der alten Häuser ihres toskanischen Heimatdorfes haben sie beide zusammen gesessen und den Männern beim Bocciaspielen zugesehen. Auch, als es sie wegen des Studiums in unterschiedliche Himmelsrichtungen verschlägt - sie nach Paris, ihn nach Leningrad -, verfolgt Anni aus der Distanz Ivanos Liebe zu der Deutschen Beate. Deren Eltern, Walter und Lotte Ulbricht, versuchen die Ehe der beiden zu verhindern. Das gelingt nicht, aber der Preis dafür ist hoch. Ines Geipel ist in ihrem ganz eigenen Ton ein raffinierter und kontrastreicher Roman darüber gelungen, wie das Autoritäre ins intimste Innere des Lebens eindringt.
Die Erzählerin Anni kennt Ivano von Kindesbeinen an. Auf den Dächern der alten Häuser ihres toskanischen Heimatdorfes haben sie beide zusammen gesessen und den Männern beim Bocciaspielen zugesehen. Auch, als es sie wegen des Studiums in unterschiedliche Himmelsrichtungen verschlägt - sie nach Paris, ihn nach Leningrad -, verfolgt Anni aus der Distanz Ivanos Liebe zu der Deutschen Beate. Deren Eltern, Walter und Lotte Ulbricht, versuchen die Ehe der beiden zu verhindern. Das gelingt nicht, aber der Preis dafür ist hoch. Ines Geipel ist in ihrem ganz eigenen Ton ein raffinierter und kontrastreicher Roman darüber gelungen, wie das Autoritäre ins intimste Innere des Lebens eindringt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2017Mit Geschichte zu jonglieren ist riskant
Was ist schiefgegangen mit diesem Roman? Seine Autorin, Ines Geipel, ist eine ebenso gute Schriftstellerin wie Kennerin der DDR - war sie dort doch selbst Spitzensportlerin, ehe sie angesichts der Doping-Praktiken des Regimes in den Westen floh und dort eine Folge exzellenter Bücher publizierte, die literaturwissenschaftlich begannen, dann sich der eigenen Biographie annahmen und auch Romane umfassen, die hochgelobt und viel gelesen wurden. Doch wenn es in dem neuen Werk, "Die Tochter des Diktators", einmal heißt: "Was ich überhaupt nicht konnte, war erzählen. Wenn ich das musste, stand jedes Mal in meinem Kopf ein Jongleur herum, der aberwitzig viele Teller schleuderte. Es war absehbar, dass einer ihm aus der Hand fallen würden", dann trifft das leider genau das Dilemma des Buchs.
Dessen Titel verweist auf die adoptierte Tochter von Walter Ulbricht, des langjährigen Staatsratsvorsitzenden der DDR. Diese 1944 als Kind einer Zwangsarbeiterin geborene Beate heiratete 1963 gegen den Willen ihrer Adoptiveltern einen italienischen Studenten, den sie in Ost-Berlin kennengelernt hatte. Die Ehe war kurz, der Druck des Vaters zu stark, Beate wich vor ihm nach Leningrad aus und kehrte erst nach dem Tod Ulbrichts wieder in die DDR zurück. 1991 wurde sie in ihrer Berliner Wohnung erschlagen aufgefunden; die Umstände blieben ungeklärt.
Was für ein Stoff! Doch all das auf nicht einmal zweihundert Seiten? Wenn es nur so wäre: Ines Geipel entscheidet sich aber, die Geschichte aus italienischer Perspektive zu erzählen, und so gehört der weitaus größere Part dem toskanischen Ort Cigoli und dessen Bewohnern. Viel mehr als ein Romanporträt der DDR in einer ihrer interessantesten und unbekanntesten Phasen - dem Jahrzehnt zwischen Mauerbau und der Ablösung Ulbrichts durch Honecker - ist "Tochter des Diktators" eine italienische Provinzgeschichte, historisch angereichert durch Bombenattentate, Partisanenvergangenheit und der gesellschaftlichen Dialektik aus Katholizismus und Kommunismus, erzählt von einer nunmehr alten Dorfbewohnerin, die auf die Geschehnisse seit ihrer Kindheit zurückblickt.
Die Liaison zwischen Ivano und Beate bricht nach einem Drittel des Buchs wie ein Fremdkörper in die Handlung ein; nie mehr findet sie zu der gerade im Kleinen so beklemmenden Gewalt des Anfangs zurück, weil im Verhalten Beates und ihrer Eltern keine Rätsel sind. Und wenn man dann irgendwo im Buch von einem Sohn liest, "der seit Lichtjahren auf ihren Oberschenkeln prangte", dann waren Autorin und Lektorat auch von allen guten sprachlichen Geistern verlassen.
apl.
Ines Geipel: "Die Tochter des Diktators". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017.
198 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was ist schiefgegangen mit diesem Roman? Seine Autorin, Ines Geipel, ist eine ebenso gute Schriftstellerin wie Kennerin der DDR - war sie dort doch selbst Spitzensportlerin, ehe sie angesichts der Doping-Praktiken des Regimes in den Westen floh und dort eine Folge exzellenter Bücher publizierte, die literaturwissenschaftlich begannen, dann sich der eigenen Biographie annahmen und auch Romane umfassen, die hochgelobt und viel gelesen wurden. Doch wenn es in dem neuen Werk, "Die Tochter des Diktators", einmal heißt: "Was ich überhaupt nicht konnte, war erzählen. Wenn ich das musste, stand jedes Mal in meinem Kopf ein Jongleur herum, der aberwitzig viele Teller schleuderte. Es war absehbar, dass einer ihm aus der Hand fallen würden", dann trifft das leider genau das Dilemma des Buchs.
Dessen Titel verweist auf die adoptierte Tochter von Walter Ulbricht, des langjährigen Staatsratsvorsitzenden der DDR. Diese 1944 als Kind einer Zwangsarbeiterin geborene Beate heiratete 1963 gegen den Willen ihrer Adoptiveltern einen italienischen Studenten, den sie in Ost-Berlin kennengelernt hatte. Die Ehe war kurz, der Druck des Vaters zu stark, Beate wich vor ihm nach Leningrad aus und kehrte erst nach dem Tod Ulbrichts wieder in die DDR zurück. 1991 wurde sie in ihrer Berliner Wohnung erschlagen aufgefunden; die Umstände blieben ungeklärt.
Was für ein Stoff! Doch all das auf nicht einmal zweihundert Seiten? Wenn es nur so wäre: Ines Geipel entscheidet sich aber, die Geschichte aus italienischer Perspektive zu erzählen, und so gehört der weitaus größere Part dem toskanischen Ort Cigoli und dessen Bewohnern. Viel mehr als ein Romanporträt der DDR in einer ihrer interessantesten und unbekanntesten Phasen - dem Jahrzehnt zwischen Mauerbau und der Ablösung Ulbrichts durch Honecker - ist "Tochter des Diktators" eine italienische Provinzgeschichte, historisch angereichert durch Bombenattentate, Partisanenvergangenheit und der gesellschaftlichen Dialektik aus Katholizismus und Kommunismus, erzählt von einer nunmehr alten Dorfbewohnerin, die auf die Geschehnisse seit ihrer Kindheit zurückblickt.
Die Liaison zwischen Ivano und Beate bricht nach einem Drittel des Buchs wie ein Fremdkörper in die Handlung ein; nie mehr findet sie zu der gerade im Kleinen so beklemmenden Gewalt des Anfangs zurück, weil im Verhalten Beates und ihrer Eltern keine Rätsel sind. Und wenn man dann irgendwo im Buch von einem Sohn liest, "der seit Lichtjahren auf ihren Oberschenkeln prangte", dann waren Autorin und Lektorat auch von allen guten sprachlichen Geistern verlassen.
apl.
Ines Geipel: "Die Tochter des Diktators". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017.
198 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»"Tochter des Diktators" ist ein intelligentes und sensibles Buch, voll mit originellen Bildern und Vergleichen.« Südkurier, 08.03.2018 »Ines Geipels Roman über die zerstörerische Kraft und die unbarmherzigen Mechanismen totalitärer Systeme präsentiert in seiner künstlerischen Komposition eine harmonische Mischung aus Dokumentation und Poesie.« Peter Mohr, Titel Kulturmagazin, 15.01.2018 »Ines Geipel [ist] eine große Erzählerin, eine, die beides kann: das essayistische, über das tatsächlich Geschehene reflektierende Schreiben, wie in ihren klugen Analysen über Amokläufer ("Der Amok-Komplex") oder in der Besichtigung der eigenen Generation ("Generation Mauer"), aber auch ein schwebendes, freies Erzählen in ganz eigenem Ton.« Christina Bylow, Der Tagesspiegel, 07.01.2018 »Genau das ist Ines Geipels Schreiben: der warme Blick einer Entkommenen auf die Untergegangenen.« Christina Bylow, Der Tagesspiegel, 07.01.2018 »Genau das ist Ines Geipels Schreiben: der warme Blick einer Entkommenen auf die Untergegangenen.« Christina Bylow, Der Tagesspiegel, 07.01.2018 »Frisch wirkt diese Sprache, weil sie nicht zu historisieren versucht, sondern die Geschichte zu uns heran holt, von hier und heute ist [...] Weil sie reich an treffenden Bildern ist, bekommt alles Kraft, Lebendigkeit und Farbe.« Tomas Gärtner, Dresdner Neueste Nachrichten, 1.12.2017 »Ines Geipel webt Wirkliches und Vermutetes zu einer anrührenden Geschichte über eine junge Frau, die nie eine wirkliche Chance im Leben hatte. Mit dieser Geschichte widerfährt ihr vielleicht späte Gerechtigkeit.« Magazin Märkische Lebensart, 12.2017 »Es ist eine verstörende Geschichte, die nicht chronologisch, sondern raffiniert aufgefächert erzählt wird. Eine gleichnishafte Geschichte für Unmenschlichkeit.« Roland Mischke, Sächsische Zeitung, 11.2017 »Ines Geipels Roman über die zerstörerische Kraft und die unbarmherzigen Mechanismen totalitärer Systeme präsentiert in einer künstlerischen Komposition eine harmonische Mischung aus Dokumentation und Poesie.« Peter Mohr, literaturkritik, 11.2017 »Ines Geipel [...] erzählt auf eindrucksvolle Weise von einer Liebe, die den falschen Idealen des realen Sozialismus zum Opfer fiel.« Welf Grombacher, Freie Presse, 03.11.2017 »Ein interessantes Schlaflicht auf ein Stück früher DDR-Geschichte.« Pauline Lindner, medienprofile, 10.2017 »Tatsächlich schafft Ines Geipel etwas Besonderes mit diesem Buch: Sie entwirft ein Zeitbild als einen Lebensraum für ihre Figuren und lässt ihnen ihre eigene Würde.« Cornelia Geissler, Frankfurter Rundschau, 30.08.2017 »Ines Geipels "Tochter des Diktators" ist eine gelungene literarische Erkundung jüngerer politischer Geschichte - und eine bewegende Erinnerung an ein dem Kalten Krieg geopfertes Schicksal.« Jörg Schieke, MDR, 10.2017 »Tochter des Diktators ist ein lesenswertes und gehaltvolles, gleichermaßen intelligentes wie sinnlich-sensibles Buch. « Stuttgarter Zeitung, 15.09.2017
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Nach nunmehr 18 Jahren wendet sich Ines Geipel mit "Tochter des Diktators" wieder dem literarischen Schreiben zu, nachdem sie sich in Folge ihres ersten Romans "Das Heft" vor allem dem Verfassen wissenschaftlicher und essayistischer Texte gewidmet und damit einige Erfolge gefeiert hatte, freut sich Rezensentin Cornelia Geissler. Und nicht nur das - in ihrem zweiten Roman verbindet sie ihr literarisches Talent mit historischem Wissen und beschäftigt sich mit einem Thema, das sie schon einmal in einem Essay behandelt hat: Die Tochter des DDR-Funktionärs Walter Ulbricht und ihrer komplizierten Ehe mit dem Italiener Ivano Matteoli. Diesmal nimmt sie dafür jedoch eine ganz andere und erfrischende Perspektive ein, so die überraschte Rezensentin: Die der Malerin Anni, die mit Ivano aufgewachsen ist und erst spät, nach einer Phase der Eifersucht ihre Gemeinsamkeiten mit der Frau ihres Jugendfreundes erkennt. Wenngleich die Autorin mitunter etwas zu dick aufträgt, gelingt ihr mit ihrem bildhaften Erzählen einiges, lobt Geissler: Vor allem erschafft sie authentische Figuren und konstruiert ihnen ein "Zeitbild als Lebensraum".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Nach nunmehr 18 Jahren wendet sich Ines Geipel mit "Tochter des Diktators" wieder dem literarischen Schreiben zu, nachdem sie sich in Folge ihres ersten Romans "Das Heft" vor allem dem Verfassen wissenschaftlicher und essayistischer Texte gewidmet und damit einige Erfolge gefeiert hatte, freut sich Rezensentin Cornelia Geissler. Und nicht nur das - in ihrem zweiten Roman verbindet sie ihr literarisches Talent mit historischem Wissen und beschäftigt sich mit einem Thema, das sie schon einmal in einem Essay behandelt hat: Die Tochter des DDR-Funktionärs Walter Ulbricht und ihrer komplizierten Ehe mit dem Italiener Ivano Matteoli. Diesmal nimmt sie dafür jedoch eine ganz andere und erfrischende Perspektive ein, so die überraschte Rezensentin: Die der Malerin Anni, die mit Ivano aufgewachsen ist und erst spät, nach einer Phase der Eifersucht ihre Gemeinsamkeiten mit der Frau ihres Jugendfreundes erkennt. Wenngleich die Autorin mitunter etwas zu dick aufträgt, gelingt ihr mit ihrem bildhaften Erzählen einiges, lobt Geissler: Vor allem erschafft sie authentische Figuren und konstruiert ihnen ein "Zeitbild als Lebensraum".
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