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1981 herrscht in Mailand Angst vor linksextremem Terrorismus. Ein Politiker der Christdemokraten wird umgebracht, der junge Staatsanwalt Colnaghi soll die Mörder jagen. Schon bald gelingt ihm ein Coup: die Verhaftung des Topterroristen Gianni Meraviglia. Doch je länger sich Colnaghi mit dessen Motiven und mit der Frage der Schuld beschäftigt, desto mehr will er diese merkwürdige Ethik verstehen, die das Vernichten von Menschenleben rechtfertigt. Warum wählen zwei Menschen, die, wie er und Meraviglia, von Gerechtigkeit träumen, zwei so gegensätzliche Wege? Mit vibrierender Intensität lässt…mehr

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Produktbeschreibung
1981 herrscht in Mailand Angst vor linksextremem Terrorismus. Ein Politiker der Christdemokraten wird umgebracht, der junge Staatsanwalt Colnaghi soll die Mörder jagen. Schon bald gelingt ihm ein Coup: die Verhaftung des Topterroristen Gianni Meraviglia. Doch je länger sich Colnaghi mit dessen Motiven und mit der Frage der Schuld beschäftigt, desto mehr will er diese merkwürdige Ethik verstehen, die das Vernichten von Menschenleben rechtfertigt. Warum wählen zwei Menschen, die, wie er und Meraviglia, von Gerechtigkeit träumen, zwei so gegensätzliche Wege? Mit vibrierender Intensität lässt Fontanas kluger und hochspannender Roman das Italien der "bleiernen Jahre" wiederauferstehen.
Autorenporträt
Giorgio Fontana, 1981 in Saronno in der Lombardei geboren, studierte Philosophie in Mailand und arbeitet als Journalist und Buchautor. Fontana hat bereits zahlreiche Essays, Reportagen sowie Romane veröffentlicht. Im Namen der Gerechtigkeit ist sein erster auch ins Deutsche übersetzte Roman. Das Buch wurde in Italien für acht Preise nominiert und 2012 mit dem Premio Racalmare - Leonardo Sciascia und dem Premio lo Straniero ausgezeichnet. 2014 erhielt Fontana den hochdotierten Premio Campiello.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Maike Albath findet es bemerkenswert, dass sich ein junger Autor wie Giorgio Fontana dem Thema Linksterrorismus und Geheimdienste in Italien zwischen 1979 und 1981 stellt. Wie der Autor anhand seiner der Wirklichkeit entlehnten Figur eines Staatsanwalts dieser bleiernen Jahre die Versuche schildert, den Dialog mit der Gegenseite zu suchen und sich die Gegenwart aus der Vergangenheit zu erklären, hat Albath beeindruckt. Vor allem achtet sie Fontanas Rechercheleistung. Zeitzeugenberichte und historische Quellen, in den Text eingeflossen und im Zusammenhang mit der Geschichte laut Albath einen erheblichen Sog entwickelnd, lassen sie über die eher schlichten literarischen Mittel des Autors hinwegsehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2015

Ein politischer Mord und seine Folgen
Spannend wie ein Thriller, dabei hochliterarisch: Giorgio Fontanas Mentalitätsstudie aus dem Italien von 1981

An diesem Roman bestechen vor allem zwei Dinge. Erstens ist bewundernswert, wie es dem gerade vierunddreißigjährigen Autor gelingt, eine Geschichte aus seinem Geburtsjahr 1981 zu erzählen und dabei die Atmosphäre aus Italiens "bleierner Zeit" so zu evozieren, dass man nie den Eindruck hat, hier bastele sich einer aus Angelesenem etwas zusammen. Dabei ist Fontana offen genug, um im Anhang seines Romans die Quellen aufzulisten, die er benutzt hat. Wie jeder wirklich gute Schriftsteller beginnt er nach der Aneignung des Materials jedoch zu erfinden und zu erzählen, und wo reale Eckpunkte jener Jahre erwähnt werden - die "schwarzen" Anschläge auf der Piazza Fontana in Mailand und auf dem Hauptbahnhof von Bologna oder die "rote" Entführung und Ermordung von Aldo Moro, die Ermordungen verschiedener Richter und Staatsanwälte -, ist dies nicht der maulfaule Rekurs auf die Geschichtsbücher, das schnelle Markenzeichen, um die Zeitläufte zu charakterisieren, sondern integraler Bestandteil der laufenden Erzählung. Personaler Erzähler des Romans ist der siebenunddreißigjährige Mailänder Staatsanwalt Giacomo Colnaghi, der bei der Fahndung nach einem Mörder aus dem Umkreis der Roten Brigaden einen großen Erfolg landet und dafür schließlich, der Buchtitel verrät das schon fast, am Ende mit dem Leben bezahlen muss.

Das Zweite, was an diesem Roman auffällt, ist seine gänzlich pathosfreie Ernsthaftigkeit. Wie schon bei Fontanas vorangegangenem Roman "Im Namen der Gerechtigkeit", dessen Protagonist ebenfalls ein Mailänder Staatsanwalt war, geht es um große Dinge. Es geht um Empathie für die Opfer und den Versuch, die Täter zu verstehen. Es geht um Gerechtigkeit, irdische wie himmlische, denn der Staatsanwalt Colnaghi ist "jung, gesprächsbereit, Demokrat und erzkatholisch obendrein". Es geht um "etwas, das kaputtgegangen war und wieder in Ordnung gebracht werden konnte", wobei dies der gestörte Rechtsfrieden ebenso sein kann wie ein defekter Fahrradschlauch, den der Staatsanwalt, im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, mühelos reparieren kann. Kurz vor dem Ende aber wird ihm klar, dass es um all das nicht wirklich geht, sondern "wie immer um den Schmerz ... Letztlich reduzierte sich alles einzig und allein auf den Schmerz."

Mit dem Schmerz kennt Colnaghi sich seit frühester Kindheit aus, denn er war noch ein Säugling, als sein Vater 1944 als Partisan erschossen wurde. Auch dessen Geschichte, wie sie Colnaghi aus Erzählungen seiner Mutter imaginiert, wird parallel erzählt. Dies ist der etwas schwächere Strang des Romans, weil Fontana sich dafür nicht genug Raum und Zeit nimmt und deshalb unweigerlich hier und da der Zeitraffer in Aktion tritt.

Die Qualität des Romans insgesamt beeinträchtigt das nur marginal. Er lebt vor allem von der Zurückhaltung, mit der er erzählt. Hier muss an einen fundamentalen Unterschied zwischen den terroristischen Hochphasen in Deutschland und in Italien während der Siebziger und Achtziger erinnert werden. Während in der Bundesrepublik wirklich "sechs gegen sechzig Millionen" kämpften (Heinrich Böll) und bei allem Leid, das sie verursachten, der westdeutsche Staat und die Demokratie nie ernsthaft in Gefahr waren, hat in Italien, wo die Zahl der Opfer des Terrorismus von links und rechts wesentlich höher war, mehrfach die Gefahr eines Staatsstreichs bestanden, bei dem die Loge P2, rechtsextremistische Gruppen und Geheimdienste Hand in Hand gearbeitet hätten. Fontana verzichtet aber darauf, einen an der Oberfläche verharrenden Politthriller zu schreiben, sondern entscheidet sich für eine Art mentalitätsgeschichtliche Mikrostudie.

Die erzählte Zeit des Romans umfasst die Monate von Januar bis Juli 1981. Ein nicht sonderlich sympathischer, aber auch nicht sonderlich wichtiger Politiker des rechten Rands der Democrazia Cristiana wird von einer (fiktiven) Splittergruppe der Roten Brigaden in Mailand erschossen. Ein Untersuchungsteam aus Staatsanwalt Colnaghi, seinem Kollegen Micillo aus einer angesehenen Juristenfamilie und der Richterin Caterina Franz, "friaulische Kommunistin ohne den leisesten Sinn für Humor", verfolgt den Fall und landet schließlich mit der Verhaftung des Anführers der Splittergruppe einen großen Coup. Colnaghis Familie ist derzeit im Urlaub am Meer. Ende Juli wird der Staatsanwalt auf dem Weg zum Dienst von zwei vermummten Männern erschossen.

In ausführlichen, aber niemals geschwätzigen Rückblenden erzählt Fontana in diesem Rahmen die Geschichte von Colnaghis einfacher Herkunft, seine berufliche Entwicklung, die Beziehungen zu Freunden (der Buchhändler Mario in seiner Heimatstadt Saronno) und Kollegen (der Staatsanwalt Doni), das komplizierte Verhältnis zu seiner Frau und den beiden Söhnen. Fontana genügen oft ein paar Striche, wobei sein Erzählen keineswegs karg ist. Seine Schilderungen von Saronno (wo auch der Autor selbst geboren ist) und Mailand (wo er heute lebt) sind überaus eindrücklich. Seine Erzählökonomie erlaubt es ihm, in wenigen Sätzen eine Landschaft, eine Straße, das Innere einer Bar, die Vorstädte Mailands, den Umgang mit seinen Kollegen, die partielle Sprachlosigkeit in der Familie und schließlich auch die Atmosphäre der Angst und der Lähmung in diesen kritischen Jahren Italiens lebendig werden zu lassen. Dieses Buch, das außer der Festnahme und dem Mord wenig Spektakuläres bietet, ist eines der spannendsten, das ich in den letzten Jahren gelesen habe.

Der Boom italienischer Literatur, den es bei uns einmal gegeben hat, auch im Gefolge von Italien als Gastland in Frankfurt 1988, ist längst vorbei. Mehr als höfliches (Des-)Interesse ist nicht übrig geblieben, und außer einem bekannten kleinen Verlag in Berlin kümmert sich kaum jemand mehr um die neueren Entwicklungen dort. Schwer zu sagen, welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Den weiteren Weg von Giorgio Fontana jedenfalls sollte man überaus aufmerksam verfolgen.

JOCHEN SCHIMMANG

Giorgio Fontana: "Tod eines glücklichen Menschen". Roman.

Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Verlag Nagel & Kimche, München 2015. 254 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2015

Im Fadenkreuz
In seinem Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ wagt sich
Giorgio Fontana an ein heißes Eisen – den Terror in Italien um 1980
VON MAIKE ALBATH
Zuerst verroht die Sprache. Junge Leute beschimpfen die Repräsentanten des Staates als Faschisten, im rechten Lager der Politik ist von Rache die Rede, überall herrscht eine martialische Rhetorik. Als Staatsanwalt Colnaghi im Sommer 1981 einen spektakulären Coup landet und den gerade zweiundzwanzigjährigen Terroristen Gianni Meraviglia festsetzt, schuldig an der Ermordung eines Christdemokraten, sucht er das Gespräch mit dem charismatischen Anführer. Er will verstehen, wieso Kinder aus bürgerlichen Elternhäusern zu Waffen greifen. Die Wut könne er nachvollziehen, aber wieso diese grausamen Hinrichtungen? Worte ohne Taten seien nichts wert, entgegnet ihm Meraviglia, außerdem habe der italienische Staat die Spirale der Gewalt überhaupt erst in Gang gesetzt: Die Bomben in Mailand, Brescia und Bologna, der Terror von rechts, die Ermittlungen im linken Milieu, die ungeklärte Rolle der Geheimdienste.
  Und deshalb müssten jetzt Unschuldige sterben?, fragt Colnaghi zurück. Seine Loyalität zu einem faschistischen Staat habe ihn blind gemacht, er diene nur als Alibi, erwidert der Gefangene und beruft sich auf den Partisanenkampf während des Zweiten Weltkrieges. Ausgerechnet Giacomo Colnaghi gegenüber, dessen Vater in der Mailänder Provinz im Widerstand war und mit dem Leben bezahlte.
  Giorgio Fontana, 1981 geboren, aufgewachsen in einem Industriestädtchen bei Varese, Absolvent der Philosophischen Fakultät, Schriftsteller, Journalist und Essayist, zielt mit seinem zweiten Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ auf eine der schwierigsten und folgenreichsten Phasen der jüngeren Zeitgeschichte Italiens. Tatsächlich war es seit 1969 aus Angst vor einer Übermacht der Kommunistischen Partei zu Allianzen zwischen in- und ausländischen Geheimdiensten, hochrangigen Militärs, Politikern und Neofaschisten gekommen, auf deren Konto die „stragi di stato“ gingen, blutige Anschläge auf Banken, Schnellzüge und den Bahnhof von Bologna. Es war, anders als jetzt in Frankreich, ein Terrorismus mit besten Verbindungen zu den Eliten in Politik und Ökonomie.
  Das Ausmaß dieser „Strategie der Spannung“ kam erst nach dem Ende des Kalten Krieges ans Licht. Gleichzeitig hatten sich Teile der Studentenbewegung radikalisiert; ein mörderischer Linksterrorismus entstand. Zwischen 1979 und 1981 kulminierte die Gewalt in Exekutionen von Kriminologen, Untersuchungsrichtern und Staatsanwälten – mehrmals traf es ausgerechnet liberalere Vertreter dieser Berufsgruppen, die den Dialog mit der Gegenseite suchten. Genau darauf läuft auch Giorgio Fontanas Roman zu, was bereits der Titel „Tod eines glücklichen Menschen“ antizipiert – Giacomo Colnaghi gerät ins Fadenkreuz der Terroristen. Fontanas Held, katholisch geprägt und von einem tiefen Ethos durchdrungen, ahnt die fanatische Zwangsläufigkeit, mit der seine Gegner agieren. Den Tod im Nacken lässt ihn der Schriftsteller über seine Herkunft nachdenken und sein Leben rekapitulieren. Das Ergebnis ist ein spannungsreicher Roman mit philosophischem Tiefgang.
  Bereits in seinem Debüt „Im Namen der Gerechtigkeit“ (2013) hatte Giorgio Fontana von einem Staatsanwalt namens Doni erzählt, der kurz vor seiner Pensionierung mit den Widersprüchen des Rechtsstaates konfrontiert wird und erkennt, das die Gesetze den Problemen eines Einwanderungslandes nicht mehr entsprechen. In seinem neuen Roman wählt Fontana erneut Mailand als Schauplatz, greift einige der Figuren aus seinem Erstling auf und liefert deren Vorgeschichte. Seine Protagonisten sind fiktiv, aber von authentischen Figuren der Zeitgeschichte inspiriert.
  Für Colnaghi standen die Richter Emilio Alessandrini und Guido Galli Modell, 1979 und 1980 von der linksradikalen Terrorvereinigung Prima Linea ermordet. Die historischen Hintergründe sind exakt recherchiert; in einer Nachbemerkung nennt der Autor seine Quellen und weist auf einige Sachbücher zu dem Thema hin.
  „Tod eines glücklichen Menschen“ liefert nicht nur eine Momentaufnahme aus der Spätphase des italienischen Terrorismus, sondern resümiert den Partisanenkampf in Saronno, über den man kaum etwas wusste. In Rückblenden taucht nämlich die Geschichte von Colnaghis Vater auf, Arbeiter in einer Schraubenfabrik, der sich mit Anfang zwanzig für den Widerstand rekrutieren ließ. Ohne jede Glorifizierung wird vermittelt, wie die Politisierung in der Fabrik um sich griff, nach 1943 die Republik von Salò die Bevölkerung spaltete und das gegenseitige Niedermetzeln begann. Der junge Autor verarbeitet Material, das aus Gesprächen mit Zeitzeugen in seinem Heimatort stammt und zeichnet den Zwiespalt nach, den der Aktivismus mit sich brachte.
  Fontanas literarische Mittel sind nicht sonderlich avanciert, aber sein Roman ist klug konstruiert und entwickelt einen starken Sog. Karin Krieger, deren Übertragung von Andrea Camilleris „Die Revolution des Mondes“ zu den besten Übersetzungen aus dem Italienischen des vergangenen Jahres zählt, liefert die gewohnte Qualität. Irritierend ist allenfalls ihr Versuch, die dialektalen Verkürzungen, die sich dem Original zwanglos einfügen, im Deutschen nachzubilden. Formulierungen wie „Soller sich den Rotz doch an sei’m Schwarzhemd abwischen“, „Kümmer‘ dich gefälligst um dein‘ eig’nen Scheiß“, „biste“, „wollnse“, hamse“, „kannste“ entfalten ein eher unpassendes Gerhart-Hauptmann-Flair. Aber das fällt nicht sehr ins Gewicht.
  „Der Tod eines glücklichen Menschen“, 2014 mit dem Premio Campiello ausgezeichnet, ist kein moralisierender Nachhilfeunterricht in Geschichte. Giorgio Fontana packt einen Stoff an, der wie kaum ein anderer der Aufarbeitung bedarf, und er tut es auf mitreißende Weise. Vor allem mit Colnaghi, der von den Sorgen eines jungen Familienvaters und der Zähigkeit des Justizapparates geplagt wird, gelingt ihm eine einprägsame Figur. Dass ein Autor, dessen Generation den Terrorismus häufig eher wie ein Pop-Phänomen behandelt, eine so fundierte Auseinandersetzung mit den ideologisch besetzten Verwerfungen wagt, ist bemerkenswert. Bis in die Gegenwart hinein laboriert Italien an den Folgen jener bleiernen Jahre.
Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2015. 255 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Im Sommer 1981 sucht
Staatsanwalt Colnaghi den Dialog
mit einem Terroristen
Die Wurzeln des aktuellen
Geschehens reichen in die Zeit
des Faschismus zurück
Geehrt am Mailänder Justizpalast: Die Terror-Opfer Emilio Alessandrini (Mitte) und Guido Galli (rechts), deren Fälle Fontanas Roman aufgreift, und der von der Mafia ermordete Anwalt Giorgio Ambrosoli (links).
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"An diesem Roman bestechen vor allem zwei Dinge. Erstens ist bewundernswert, wie es dem gerade vierunddreißigjährigen Autor gelingt, eine Geschichte aus seinem Geburtsjahr 1981 zu erzählen und dabei die Atmosphäre aus Italiens "bleierner Zeit" so zu evozieren, dass man nie den Eindruck hat, hier bastele sich einer aus Angelesenem etwas zusammen. ... Das Zweite, was an diesem Roman auffällt, ist seine gänzlich pathosfreie Ernsthaftigkeit. Spannend wie ein Thriller, dabei hochliterarisch." Jochen Schimmang, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.15 "Ein spannungsreicher Roman mit philosophischem Tiefgang. Er liefert nicht nur eine Momentaufnahme aus der Spätphase des italienischen Terrorismus, sondern resümiert den Partisanenkampf in Saronno, über den man kaum etwas wusste. ... 'Der Tod eines glücklichen Menschen', ... ist kein moralisierender Nachhilfeunterricht in Geschichte. Giorgio Fontana packt einen Stoff an, der wie kaum ein anderer der Aufarbeitung bedarf, und er tut es auf mitreißende Weise. ... Dass ein Autor, dessen Generation den Terrorismus häufig eher wie ein Pop-Phänomen behandelt, eine so fundierte Auseinandersetzung mit den ideologisch besetzten Verwerfungen wagt, ist bemerkenswert." Maike Albath, Süddeutsche Zeitung, 19.11.15 "Fontana (sprengt) die Grenzen des Genres. Colnaghi ist ein 'unorthodoxer' Staatsanwalt. Nicht in seinen Ermittlungsmethoden. Sein Arbeitsethos ist skrupulös: 'Ausnahmen immer, Fehler nie.' Ungewöhnlicher sind Colnaghis philosophische Nachdenklichkeit, seine Sorge um die Welt, die von Fontana eine differenzierte Darstellung erfahren. ... Mit Colnaghi ist Fontana eine überzeugende Figur gelungen!" Samuel Moser, Neue Zürcher Zeitung, 21.10.15 "Fontana erzählt Komplexes stimmungsvoll klar, niemals banal." Franziska Zaugg, Berner Zeitung, 12.01.2016 "Giorgio Fontana zeichnet sprachlich klar und sparsam ein überzeugendes Portrait seiner Hauptfigur. Die ethischen Diskurse werden auf hohem Niveau geführt, wirken aber nie scholastisch, sondern sehr inspirierend. (.) 'Tod eines glücklichen Menschen' ist ein Roman, den man verschlingt und der sehr berührt." Patrick Seibel, NDR Kultur, 24.08.2015 "Souverän verknüpft Fontana Spannungsfäden mit Reflexionen über die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck." Walter Titz, Kleine Zeitung, 15.08.16 "Mit verdichteter, unprätentiöser Sprache und dennoch griffigen Bildern voll Licht und Licht und Fantasie begleitet man Giorgio Fontanas 'Mann der Gerechtigkeit' in einer Zeit dramatisch verhärteter Fronten durch einen Diskurs über das Gewissen. Der Roman ist weniger Kriminalstück als philosophische Betrachtung des Wunsches nach Vergeltung und der Position, die man einnehmen kann, wenn das Töten zur Regel wird." Meike Dannenberg, BÜCHERmagazin, 06/2015 "Facettenreich ist das Porträt, das Giorgio Fontana von Mailand zeichnet. Nicht als Shopping-Paradies oder Industrie-Metropole erscheint die Stadt hier, sondern als ein Ort, der sich in der Schwüle auflöst. Fontana erzählt präzis, unaufgeregt, floskelfrei." Susanne Kübler, Sonntagszeitung, 26.07.15 "Dem jungen Autor gelingt es, die Intensität dieser Bedrohung in seinem Buch zu transportieren; obwohl er selbst erst 1981 geboren wurde und diese Zeiten gar nicht bewusst miterleben konnte. Fontana braucht dafür kein sprachliches Brimborium; es gelingt ihm, seinen Protagonisten mit wenigen Worten Leben einzuhauchen." Aachener Zeitung, 26.01.2016 "Mit vibrierender Intensität lässt Fontanas kluger und hochspannender Roman das Italien der 'bleiernen Jahre' wiederauferstehen." Buch-Magazin, 11/2015…mehr
Im Fadenkreuz

In seinem Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ wagt sich
Giorgio Fontana an ein heißes Eisen – den Terror in Italien um 1980

VON MAIKE ALBATH

Zuerst verroht die Sprache. Junge Leute beschimpfen die Repräsentanten des Staates als Faschisten, im rechten Lager der Politik ist von Rache die Rede, überall herrscht eine martialische Rhetorik. Als Staatsanwalt Colnaghi im Sommer 1981 einen spektakulären Coup landet und den gerade zweiundzwanzigjährigen Terroristen Gianni Meraviglia festsetzt, schuldig an der Ermordung eines Christdemokraten, sucht er das Gespräch mit dem charismatischen Anführer. Er will verstehen, wieso Kinder aus bürgerlichen Elternhäusern zu Waffen greifen. Die Wut könne er nachvollziehen, aber wieso diese grausamen Hinrichtungen? Worte ohne Taten seien nichts wert, entgegnet ihm Meraviglia, außerdem habe der italienische Staat die Spirale der Gewalt überhaupt erst in Gang gesetzt: Die Bomben in Mailand, Brescia und Bologna, der Terror von rechts, die Ermittlungen im linken Milieu, die ungeklärte Rolle der Geheimdienste.

  Und deshalb müssten jetzt Unschuldige sterben?, fragt Colnaghi zurück. Seine Loyalität zu einem faschistischen Staat habe ihn blind gemacht, er diene nur als Alibi, erwidert der Gefangene und beruft sich auf den Partisanenkampf während des Zweiten Weltkrieges. Ausgerechnet Giacomo Colnaghi gegenüber, dessen Vater in der Mailänder Provinz im Widerstand war und mit dem Leben bezahlte.

  Giorgio Fontana, 1981 geboren, aufgewachsen in einem Industriestädtchen bei Varese, Absolvent der Philosophischen Fakultät, Schriftsteller, Journalist und Essayist, zielt mit seinem zweiten Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ auf eine der schwierigsten und folgenreichsten Phasen der jüngeren Zeitgeschichte Italiens. Tatsächlich war es seit 1969 aus Angst vor einer Übermacht der Kommunistischen Partei zu Allianzen zwischen in- und ausländischen Geheimdiensten, hochrangigen Militärs, Politikern und Neofaschisten gekommen, auf deren Konto die „stragi di stato“ gingen, blutige Anschläge auf Banken, Schnellzüge und den Bahnhof von Bologna. Es war, anders als jetzt in Frankreich, ein Terrorismus mit besten Verbindungen zu den Eliten in Politik und Ökonomie.

  Das Ausmaß dieser „Strategie der Spannung“ kam erst nach dem Ende des Kalten Krieges ans Licht. Gleichzeitig hatten sich Teile der Studentenbewegung radikalisiert; ein mörderischer Linksterrorismus entstand. Zwischen 1979 und 1981 kulminierte die Gewalt in Exekutionen von Kriminologen, Untersuchungsrichtern und Staatsanwälten – mehrmals traf es ausgerechnet liberalere Vertreter dieser Berufsgruppen, die den Dialog mit der Gegenseite suchten. Genau darauf läuft auch Giorgio Fontanas Roman zu, was bereits der Titel „Tod eines glücklichen Menschen“ antizipiert – Giacomo Colnaghi gerät ins Fadenkreuz der Terroristen. Fontanas Held, katholisch geprägt und von einem tiefen Ethos durchdrungen, ahnt die fanatische Zwangsläufigkeit, mit der seine Gegner agieren. Den Tod im Nacken lässt ihn der Schriftsteller über seine Herkunft nachdenken und sein Leben rekapitulieren. Das Ergebnis ist ein spannungsreicher Roman mit philosophischem Tiefgang.

  Bereits in seinem Debüt „Im Namen der Gerechtigkeit“ (2013) hatte Giorgio Fontana von einem Staatsanwalt namens Doni erzählt, der kurz vor seiner Pensionierung mit den Widersprüchen des Rechtsstaates konfrontiert wird und erkennt, das die Gesetze den Problemen eines Einwanderungslandes nicht mehr entsprechen. In seinem neuen Roman wählt Fontana erneut Mailand als Schauplatz, greift einige der Figuren aus seinem Erstling auf und liefert deren Vorgeschichte. Seine Protagonisten sind fiktiv, aber von authentischen Figuren der Zeitgeschichte inspiriert.

  Für Colnaghi standen die Richter Emilio Alessandrini und Guido Galli Modell, 1979 und 1980 von der linksradikalen Terrorvereinigung Prima Linea ermordet. Die historischen Hintergründe sind exakt recherchiert; in einer Nachbemerkung nennt der Autor seine Quellen und weist auf einige Sachbücher zu dem Thema hin.

  „Tod eines glücklichen Menschen“ liefert nicht nur eine Momentaufnahme aus der Spätphase des italienischen Terrorismus, sondern resümiert den Partisanenkampf in Saronno, über den man kaum etwas wusste. In Rückblenden taucht nämlich die Geschichte von Colnaghis Vater auf, Arbeiter in einer Schraubenfabrik, der sich mit Anfang zwanzig für den Widerstand rekrutieren ließ. Ohne jede Glorifizierung wird vermittelt, wie die Politisierung in der Fabrik um sich griff, nach 1943 die Republik von Salò die Bevölkerung spaltete und das gegenseitige Niedermetzeln begann. Der junge Autor verarbeitet Material, das aus Gesprächen mit Zeitzeugen in seinem Heimatort stammt und zeichnet den Zwiespalt nach, den der Aktivismus mit sich brachte.

  Fontanas literarische Mittel sind nicht sonderlich avanciert, aber sein Roman ist klug konstruiert und entwickelt einen starken Sog. Karin Krieger, deren Übertragung von Andrea Camilleris „Die Revolution des Mondes“ zu den besten Übersetzungen aus dem Italienischen des vergangenen Jahres zählt, liefert die gewohnte Qualität. Irritierend ist allenfalls ihr Versuch, die dialektalen Verkürzungen, die sich dem Original zwanglos einfügen, im Deutschen nachzubilden. Formulierungen wie „Soller sich den Rotz doch an sei’m Schwarzhemd abwischen“, „Kümmer‘ dich gefälligst um dein‘ eig’nen Scheiß“, „biste“, „wollnse“, hamse“, „kannste“ entfalten ein eher unpassendes Gerhart-Hauptmann-Flair. Aber das fällt nicht sehr ins Gewicht.

  „Der Tod eines glücklichen Menschen“, 2014 mit dem Premio Campiello ausgezeichnet, ist kein moralisierender Nachhilfeunterricht in Geschichte. Giorgio Fontana packt einen Stoff an, der wie kaum ein anderer der Aufarbeitung bedarf, und er tut es auf mitreißende Weise. Vor allem mit Colnaghi, der von den Sorgen eines jungen Familienvaters und der Zähigkeit des Justizapparates geplagt wird, gelingt ihm eine einprägsame Figur. Dass ein Autor, dessen Generation den Terrorismus häufig eher wie ein Pop-Phänomen behandelt, eine so fundierte Auseinandersetzung mit den ideologisch besetzten Verwerfungen wagt, ist bemerkenswert. Bis in die Gegenwart hinein laboriert Italien an den Folgen jener bleiernen Jahre.

Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2015. 255 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Im Sommer 1981 sucht
Staatsanwalt Colnaghi den Dialog
mit einem Terroristen

Die Wurzeln des aktuellen
Geschehens reichen in die Zeit
des Faschismus zurück

Geehrt am Mailänder Justizpalast: Die Terror-Opfer Emilio Alessandrini (Mitte) und Guido Galli (rechts), deren Fälle Fontanas Roman aufgreift, und der von der Mafia ermordete Anwalt Giorgio Ambrosoli (links).

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