Der Schriftsteller Hans Lach ist verhaftet worden: Mordverdacht. Auf der Party in der Villa seines Verlegers, zu der er ganz gegen die Regeln geladen war, hatte er einen berühmten Kritiker angepöbelt und bedroht, nachdem dieser am selben Abend in der Fernsehsendung `Sprechstunde` sein neues Buch böse verrissen hatte. Als am nächsten Morgen der gelbe Cashmere-Pullover des Kritikers blutgetränkt gefunden wird, fehlt zwar zunächst noch die Leiche (immerhin war in der Tatnacht ein halber Meter Neuschnee gefallen), aber Zweifel über den Mörder scheint niemand zu hegen. Lediglich Michael Landolf, ein in München lebender Historiker, spezialisiert auf Mystik, Kabbala, Alchemie und Rosenkreuzertum, schenkt den Vorwürfen gegen seinen Freund keinen Glauben. Zwei Ermittlungsstränge laufen parallel. Kriminalhauptkommissar Wedekind will die Schuld Lachs beweisen, Landolf dessen Unschuld. Wedekind liest die Bücher des Verhafteten und zieht daraus seine Schlüsse; Landolf befragt Freunde, Kollegen und die Gedichte schreibende Verlegersgattin. Beide müssen sich natürlich nicht zuletzt mit der `Sprechstunde` beschäftigen ... bis widersprüchliche Geständnisse zu einer schwer vorhersehbaren und doch zeitgeistgerechten, sarkastisch gestimmten Lösung führen. Der drastisch und genau, also spannend, erzählte Roman riskiert einen Beitrag zur Aufklärung über Zustandekommen und Wirken der öffentlichen Meinung: Vor und hinter den Kulissen des Kulturbetriebs geht es zu wie beim Boxsport oder an der Börse. Es wird auf Leben und Tod gespielt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2002Voll berechtigt
Walser-Roman in der Kritik
"Bereits der Titel ist skandalös. Deswegen verrate ich ihn nicht" - mit diesem Satz äußerte Martin Walser bereits im Februar gegenüber der Zeitschrift "Bunte" seine Erwartung, mit seinem neuen, bisher noch unveröffentlichten Roman "Tod eines Kritikers" einen Skandal auszulösen. In dem Gespräch berichtete er damals einige Details der Handlung. Auf die Frage, ob er selbst schon einmal den Wunsch gehabt hätte, ein Verbrecher zu sein, antwortete er: "Wer nicht?" Romane ohne autobiographischen Anteil seien keine Romane, "sondern Soziologie".
Nachdem der Suhrkamp Verlag am Donnerstag an verschiedene Redaktionen die vorläufige Fassung des umstrittenen Romans versandte, haben nun auch andere Zeitungen Stellung genommen. Dabei teilen fast alle Rezensenten der wichtigen Feuilletons den in dieser Zeitung geäußerten Eindruck (F.A.Z. vom 29. Mai). Frank Schirrmacher habe in "dem wesentlichen Punkt völlig recht", so Hellmuth Karasek im "Tagesspiegel". Das Buch sei ein "verstörendes übles Pamphlet": "Walser, und das ist das Schlimmste, holt literarisch nach (und bremst sich dabei nur im allerletzten Moment), was den Nazis nicht gelungen ist." Auch die "Frankfurter Rundschau" glaubt, daß der Roman die Heftigkeit der Vorwürfe "voll rechtfertigt": Nicht nur hantiere Walser mit antisemitischen Klischees, dem Text als Ganzem sei "eine höchst anrüchige motivische Matrix eingearbeitet, die die durch ,Schuld' und ,Schande' neurotisch gestörte deutsche Seele in den direkten Zusammenhang von individuellen und kollektiven Mordphantasien bringt". Auch wenn Rezensionen sich später den Details dieses "geschmacklosen und gefährlichen Buchs" widmen werden, "ausgesprochen werden darf und muß es schon jetzt".
Die "Süddeutsche Zeitung" glaubt als einzige nicht, daß das Buch in irgendeiner Weise Reich-Ranickis Judentum attackiere. Die "skandalöse Schärfe" des Romans erblickt sie vielmehr in der "durchgängigen Sexualisierung des Starkritikers". Doch auch sie hält "Tod eines Kritikers" für ein "Buch des Ressentiments gegen Marcel Reich-Ranicki", das die "Regionen des Degoutanten" nicht scheue. Der Abrechnungsfuror richte sich gegen den Fernsehkritiker und sei "so groß, daß er sich durch die Unausweichlichkeit, im Kritiker zugleich den Juden zu treffen, nicht aufhalten läßt". Die "Welt" dagegen hält den Antisemitismus für zentral, wenn es auch zwei Interpretationsmöglichkeiten gebe: "Nach der einen haben wir es mit einem antisemitischen Schlüsselroman zu tun, nach der anderen mit einem vom Schlüsselromancier dargestellten antisemitischen deutschen Literaturbetrieb." Doch sei der parodistische Zungenschlag vieler Romanfiguren "verräterisch": "Es fällt schwer, solche Witzelei angesichts des Schicksals der realen Frau Reich-Ranicki, die mit ihrem Mann das Warschauer Ghetto und in einem Kellerversteck überlebte, nicht als unerträgliche Geschmacklosigkeit zu empfinden, zumal da sich der Vater von Teofila Reich-Ranicki im Ghetto aus Verzweiflung erhängt hat."
Walser selbst widersprach derweil Gerüchten, Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld habe Bedenken gegen die Veröffentlichung gehabt. Er habe im Gegenteil begeistert reagiert und das Buch ein "Meisterstück genannt". Hans Magnus Enzensberger, der wie Walser bei Suhrkamp verlegt wird, kündigte an, den Roman nicht lesen zu wollen. Ein Verlag müsse den Kopf selbst hinhalten, wenn er ein Buch annehme.
F.A.Z.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Walser-Roman in der Kritik
"Bereits der Titel ist skandalös. Deswegen verrate ich ihn nicht" - mit diesem Satz äußerte Martin Walser bereits im Februar gegenüber der Zeitschrift "Bunte" seine Erwartung, mit seinem neuen, bisher noch unveröffentlichten Roman "Tod eines Kritikers" einen Skandal auszulösen. In dem Gespräch berichtete er damals einige Details der Handlung. Auf die Frage, ob er selbst schon einmal den Wunsch gehabt hätte, ein Verbrecher zu sein, antwortete er: "Wer nicht?" Romane ohne autobiographischen Anteil seien keine Romane, "sondern Soziologie".
Nachdem der Suhrkamp Verlag am Donnerstag an verschiedene Redaktionen die vorläufige Fassung des umstrittenen Romans versandte, haben nun auch andere Zeitungen Stellung genommen. Dabei teilen fast alle Rezensenten der wichtigen Feuilletons den in dieser Zeitung geäußerten Eindruck (F.A.Z. vom 29. Mai). Frank Schirrmacher habe in "dem wesentlichen Punkt völlig recht", so Hellmuth Karasek im "Tagesspiegel". Das Buch sei ein "verstörendes übles Pamphlet": "Walser, und das ist das Schlimmste, holt literarisch nach (und bremst sich dabei nur im allerletzten Moment), was den Nazis nicht gelungen ist." Auch die "Frankfurter Rundschau" glaubt, daß der Roman die Heftigkeit der Vorwürfe "voll rechtfertigt": Nicht nur hantiere Walser mit antisemitischen Klischees, dem Text als Ganzem sei "eine höchst anrüchige motivische Matrix eingearbeitet, die die durch ,Schuld' und ,Schande' neurotisch gestörte deutsche Seele in den direkten Zusammenhang von individuellen und kollektiven Mordphantasien bringt". Auch wenn Rezensionen sich später den Details dieses "geschmacklosen und gefährlichen Buchs" widmen werden, "ausgesprochen werden darf und muß es schon jetzt".
Die "Süddeutsche Zeitung" glaubt als einzige nicht, daß das Buch in irgendeiner Weise Reich-Ranickis Judentum attackiere. Die "skandalöse Schärfe" des Romans erblickt sie vielmehr in der "durchgängigen Sexualisierung des Starkritikers". Doch auch sie hält "Tod eines Kritikers" für ein "Buch des Ressentiments gegen Marcel Reich-Ranicki", das die "Regionen des Degoutanten" nicht scheue. Der Abrechnungsfuror richte sich gegen den Fernsehkritiker und sei "so groß, daß er sich durch die Unausweichlichkeit, im Kritiker zugleich den Juden zu treffen, nicht aufhalten läßt". Die "Welt" dagegen hält den Antisemitismus für zentral, wenn es auch zwei Interpretationsmöglichkeiten gebe: "Nach der einen haben wir es mit einem antisemitischen Schlüsselroman zu tun, nach der anderen mit einem vom Schlüsselromancier dargestellten antisemitischen deutschen Literaturbetrieb." Doch sei der parodistische Zungenschlag vieler Romanfiguren "verräterisch": "Es fällt schwer, solche Witzelei angesichts des Schicksals der realen Frau Reich-Ranicki, die mit ihrem Mann das Warschauer Ghetto und in einem Kellerversteck überlebte, nicht als unerträgliche Geschmacklosigkeit zu empfinden, zumal da sich der Vater von Teofila Reich-Ranicki im Ghetto aus Verzweiflung erhängt hat."
Walser selbst widersprach derweil Gerüchten, Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld habe Bedenken gegen die Veröffentlichung gehabt. Er habe im Gegenteil begeistert reagiert und das Buch ein "Meisterstück genannt". Hans Magnus Enzensberger, der wie Walser bei Suhrkamp verlegt wird, kündigte an, den Roman nicht lesen zu wollen. Ein Verlag müsse den Kopf selbst hinhalten, wenn er ein Buch annehme.
F.A.Z.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Anderthalb Zeitungsseiten lang ist Jan Philipp Reemtsmas Kritik des Buches, als dessen "Weltdeutungsmuster" er einen latenten Antisemitismus beschreibt, den er im Verlauf zum antisemitischen Affektsturm ausarten sieht. Reemstma spricht in diesem Zusammenhang von einem "Kontrollverlust", von einer Unfähigkeit Walsers, die "intendierte Differenziertheit der formalen Komposition" auch zu erreichen. Walsers Versagen auf diesem Gebiet hat den Rezensenten irritiert. Auch, weil dieses Versagen seinen materiellen Ausdruck in der "stupenden Schmierigkeit der Walserschen Fantasien" finde, erklärt er und seziert kühl und ausführlich einige Topoi und Charakterisierungen des Romans. Besonders stoßen den Rezensenten die Typisierung des Kritikers als "geilen Juden, der Macht ausübt, die zu haben er nicht legitimiert ist" und die dagegen gesetzte Reinheit der Schriftstellerfigur Hans Lach ab. In der Verklärung der Reinheit offenbart sich für ihn allerdings Walsers Lust am Schmutz. Die unverhohlenen Anspielungen auf Marcel Reich-Ranicki und Verdrehung von dessen Lebensgeschichte ins Schlechte, findet Reemtsma nur noch "unerhört". Die Frage, ob sich Protagonist Ehrl-König zu Reich-Ranicki wie Thomas Manns Zauberer-Figur Naphta zu George Lukács verhalte, wird eindeutig mit nein beantwortet. Ehrl-König sei ein zusammengeflickter Popanz jenseits aller Plausibilität. Die Figur lebe nur aus ihrem Beleidigungs- und Skandalwert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Der umstrittenste deutschsprachige Roman der letzten Jahre
An diesem Buch kam schon keiner mehr vorbei, da war es noch nicht einmal erschienen. Martin Walsers Tod eines Kritikers löste eine Diskussion aus, in deren Verlauf beinahe alle zu Wort kamen, die in Sachen deutscher Literatur etwas zu sagen haben. Ins Rollen kam die Debatte, als F.A.Z.-Feuilleton-Chef Frank Schirrmacher den Vorabdruck des Werkes in der Frankfurter Allgemeinen mit dem Hinweis auf darin enthaltene antisemitische Äußerungen ablehnte. Walter Jens pflichtete ihm bei, Hellmuth Karasek sprach in Anlehnung an den Romantitel vom Selbstmord eines Literaten, Walser-Freund Joachim Kaiser widerum lobte die literarische Qualität des Buches und den "herzlichen Walser-Sound". Marcel Reich-Ranicki schließlich nannte den Band einen "erbärmlichen Roman".
Erscheinungstermin vorverlegt
Soweit also der Abriss der Vorgeschichte. Angesichts des gestiegenen öffentlichen Interesses hat der Verlag die Veröffentlichung des Buches eilig vorverlegt, und so kann das zahlende Publikum nun die darin niedergeschriebene Geschichte über das Verhältnis eines Literaten zu seinem Kritiker selbst beurteilen. Der Plot ist schnell skizziert: Der populäre Fernseh-Literaturkritiker André Ehrl-König verschwindet spurlos, man findet statt seiner nur einen Pullover. Der Kritiker ist tot, vermutet die Polizei, die allerdings keine Leiche finden kann, da es in der Nacht der vermeintlichen Bluttat einen halben Meter Neuschnee gegeben hat. Einen Toten hat es also noch nicht, dafür aber schnell einen Verdächtigen: Hans Lach, Schriftsteller, Zeit seines Lebens verschmäht von Ehrl-König, der unmittelbar nach einem neuerlichen Verriss seines aktuellen Romans durch den Literatur-Papst uneingeladen auf dessen Aftershow-Party aufgetaucht war und ihm unter Zeugen drohte. Nur wenige Stunden vor der vermeintlichen Bluttat trug sich das zu, und nun also ist Ehrl-König unter einem halben Meter Schnee begraben. Vermutlich. Lach wird in Haft genommen. Der mit dem Verdächtigen befreundete Schriftsteller Michael Landolf nimmt sich der Geschichte an. Er sucht nach Indizien, die Lachs Unschuld beweisen könnten, doch findet er mehr und mehr Motive, die den Mord tatsächlich erklären könnten - in dem er sich dem Opfer nähert, in zahlreichen Gesprächen die unterschiedlichsten Seiten des André Ehrl-König ausleuchtet.
Walser gegen Reich-Ranicki
Walser bemüht sich nicht, zu verbergen, dass er diesen Roman als eine Abrechnung mit Marcel Reich-Ranicki geschrieben hat. André Ehrl-König ist eine über alle Maßen überzeichnete Karikatur Reich-Ranickis, die Hinweise auf den familiären (jüdischen) Hintergrund, auf die leicht nachzuahmende Sprechweise, auf die Gestik und vieles mehr sind unmissverständlich, ja plump. Wenn Joachim Kaiser vom "herzlichen Walser-Sound" redet, bleibt - zumindest was die Hauptperson des Romans angeht - schleierhaft, was er meint. Der Ton in diesem Buch ist in etwa so herzlich wie der eines Richters beim Verlesen eines Urteils, das den Angeklagten für zwanzig Jahre hinter Gitter bringt. Die von Schirrmacher und anderen erhobenen Vorwürfe des Antisemitismus wären tiefer zu ergründen, nach Walsers umstrittener Festrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 ist immer schnell die Rede davon. Walser ist in diesem Punkt allenfalls mangelnde Sensibilität vorzuwerfen. In der Diskussion untergegangen ist der vielleicht interessanteste Aspekt des Buches: Das Verhältnis der Literaten zu Star-Kritikern, die das Medienzeitalter hervorbringt. Deren scharfes Urteil relativiert sich bisweilen, wie sich an diesem Beispiel zeigt. Wenn Reich-Ranicki den "Tod eines Kritikers" ein erbärmliches Buch nennt, ist ihm das nicht zu verübeln. Wer wird schon ein Buch lieben, in dem er selber umgebracht zu werden scheint? (ah/André Lorenz. Medien)
An diesem Buch kam schon keiner mehr vorbei, da war es noch nicht einmal erschienen. Martin Walsers Tod eines Kritikers löste eine Diskussion aus, in deren Verlauf beinahe alle zu Wort kamen, die in Sachen deutscher Literatur etwas zu sagen haben. Ins Rollen kam die Debatte, als F.A.Z.-Feuilleton-Chef Frank Schirrmacher den Vorabdruck des Werkes in der Frankfurter Allgemeinen mit dem Hinweis auf darin enthaltene antisemitische Äußerungen ablehnte. Walter Jens pflichtete ihm bei, Hellmuth Karasek sprach in Anlehnung an den Romantitel vom Selbstmord eines Literaten, Walser-Freund Joachim Kaiser widerum lobte die literarische Qualität des Buches und den "herzlichen Walser-Sound". Marcel Reich-Ranicki schließlich nannte den Band einen "erbärmlichen Roman".
Erscheinungstermin vorverlegt
Soweit also der Abriss der Vorgeschichte. Angesichts des gestiegenen öffentlichen Interesses hat der Verlag die Veröffentlichung des Buches eilig vorverlegt, und so kann das zahlende Publikum nun die darin niedergeschriebene Geschichte über das Verhältnis eines Literaten zu seinem Kritiker selbst beurteilen. Der Plot ist schnell skizziert: Der populäre Fernseh-Literaturkritiker André Ehrl-König verschwindet spurlos, man findet statt seiner nur einen Pullover. Der Kritiker ist tot, vermutet die Polizei, die allerdings keine Leiche finden kann, da es in der Nacht der vermeintlichen Bluttat einen halben Meter Neuschnee gegeben hat. Einen Toten hat es also noch nicht, dafür aber schnell einen Verdächtigen: Hans Lach, Schriftsteller, Zeit seines Lebens verschmäht von Ehrl-König, der unmittelbar nach einem neuerlichen Verriss seines aktuellen Romans durch den Literatur-Papst uneingeladen auf dessen Aftershow-Party aufgetaucht war und ihm unter Zeugen drohte. Nur wenige Stunden vor der vermeintlichen Bluttat trug sich das zu, und nun also ist Ehrl-König unter einem halben Meter Schnee begraben. Vermutlich. Lach wird in Haft genommen. Der mit dem Verdächtigen befreundete Schriftsteller Michael Landolf nimmt sich der Geschichte an. Er sucht nach Indizien, die Lachs Unschuld beweisen könnten, doch findet er mehr und mehr Motive, die den Mord tatsächlich erklären könnten - in dem er sich dem Opfer nähert, in zahlreichen Gesprächen die unterschiedlichsten Seiten des André Ehrl-König ausleuchtet.
Walser gegen Reich-Ranicki
Walser bemüht sich nicht, zu verbergen, dass er diesen Roman als eine Abrechnung mit Marcel Reich-Ranicki geschrieben hat. André Ehrl-König ist eine über alle Maßen überzeichnete Karikatur Reich-Ranickis, die Hinweise auf den familiären (jüdischen) Hintergrund, auf die leicht nachzuahmende Sprechweise, auf die Gestik und vieles mehr sind unmissverständlich, ja plump. Wenn Joachim Kaiser vom "herzlichen Walser-Sound" redet, bleibt - zumindest was die Hauptperson des Romans angeht - schleierhaft, was er meint. Der Ton in diesem Buch ist in etwa so herzlich wie der eines Richters beim Verlesen eines Urteils, das den Angeklagten für zwanzig Jahre hinter Gitter bringt. Die von Schirrmacher und anderen erhobenen Vorwürfe des Antisemitismus wären tiefer zu ergründen, nach Walsers umstrittener Festrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 ist immer schnell die Rede davon. Walser ist in diesem Punkt allenfalls mangelnde Sensibilität vorzuwerfen. In der Diskussion untergegangen ist der vielleicht interessanteste Aspekt des Buches: Das Verhältnis der Literaten zu Star-Kritikern, die das Medienzeitalter hervorbringt. Deren scharfes Urteil relativiert sich bisweilen, wie sich an diesem Beispiel zeigt. Wenn Reich-Ranicki den "Tod eines Kritikers" ein erbärmliches Buch nennt, ist ihm das nicht zu verübeln. Wer wird schon ein Buch lieben, in dem er selber umgebracht zu werden scheint? (ah/André Lorenz. Medien)