Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 14,38 €
  • Gebundenes Buch

Danzing 1945. Die Deutschen verlassen die brennende Stadt. Unter dramatischen Bedingungen gelingt etlichen die Flucht an Bord der "Friedrich Bernhoff", die vor Bornholm beschossen wird und sinkt. Viele Menschen kommen um, auch die Wallmanns aus der Lessingstraße 17. In ihrer verwaisten Wohnung findet bald darauf die Familie des Ich-Erzählers ein neues Zuhause. Wie viele heimatvertriebene Polen aus den sogenannten "kresy", den von Rußland besetzten Ostgebieten, beginnen auch sie ihre neue Existenz zwischen den fremdartigen, unversehrten, zurückgelassenen Dingen, den Zeugen einer untergegangenen…mehr

Produktbeschreibung
Danzing 1945. Die Deutschen verlassen die brennende Stadt. Unter dramatischen Bedingungen gelingt etlichen die Flucht an Bord der "Friedrich Bernhoff", die vor Bornholm beschossen wird und sinkt. Viele Menschen kommen um, auch die Wallmanns aus der Lessingstraße 17. In ihrer verwaisten Wohnung findet bald darauf die Familie des Ich-Erzählers ein neues Zuhause. Wie viele heimatvertriebene Polen aus den sogenannten "kresy", den von Rußland besetzten Ostgebieten, beginnen auch sie ihre neue Existenz zwischen den fremdartigen, unversehrten, zurückgelassenen Dingen, den Zeugen einer untergegangenen Welt. In dieser Villa mit Türmchen, Galerie und Veranda im Stadtteil Oliva, mit seinen schattigen Gärten und Buchenhainen, dem Dom und der Zisterzienserkirche, wohnt noch immer Herr Hannemann, einst Profesor der Anatomie, ein Deutscher, der gut Polnisch spricht. Nach dem mysteriösen Tod seiner Geliebten ist er von einer Art innerer Lähmung befallen. Er ist in Oliva geblieben. Nun erlebt er die Verwandlung Danzigs in eine polnische Stadt. In der Ulica Grottgera, wie die Lessingstraße jetzt heißt, verflechten sich die Geschichten der alten und neuen Bewohner. Da ist Hanka, eine junge Frau aus Galizien, die einen Selbstmordversuch unternimmt, weil sie das Grauen ihrer Kriegserlebnisse nicht mehr erträgt; und Adam, ein obdachloser taubstummer Junge, und viele andere.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2003

Professors Unrat
Seelenrettung: Stefan Chwins neuer Roman begeistert Polen

DANZIG, im Februar

Es kommt öfters vor, daß ein Literaturwissenschaftler zur Feder greift, um sich an einem Roman zu versuchen. Nicht immer geschieht dies zur Freude der Leser. Im Fall des Danziger Polonistik-Professors Stefan Chwin war es allerdings ein ausgesprochen glücklicher Umstand. Sein Roman "Tod in Danzig" (deutsch 1997), der von einem im Nachkriegsdanzig gebliebenen Deutschen handelte, wurde in Polen mit mehreren Preisen bedacht und avancierte zum Buch des Jahres. Dann folgte "Die Gouvernante" (deutsch 2000), eine Liebesgeschichte aus dem Warschau der Jahrhundertwende und zugleich ein Panoptikum der europäischen Gedanken und Ideen jener Zeit. Seitdem gehört der Dreiundfünfzigjährige, der auch ein vielbeachteter Essayist ist, zu den ersten Autoren seines Landes.

Sein vor wenigen Wochen erschienenes neues Buch wird in Polen abermals als literarische Sensation gefeiert. Der Roman "Goldener Pelikan" hält den Leser vom ersten bis zum letzten Satz in Atem. Dies liegt nicht allein an der keinen Augenblick nachlassenden Präzision, mit der Chwin seine Handlung konstruiert. Die Vielschichtigkeit des Werks, das außer konkreten topographischen, universalhistorischen und autobiographischen Bezügen eine komplexe symbolische Ebene besitzt, verlangt dem Leser intensive Konzentration ab.

Jakob, ein Danziger Juraprofessor mittleren Alters, erfolgreich und mit sich und seinem Leben offenbar sehr zufrieden, läßt bei der Aufnahmeprüfung eine Kandidatin durchfallen. Als sie ihn danach darauf anspricht, wimmelt er sie ab. Doch als er kurze Zeit später vom Selbstmord einer Jurakandidatin hört, beginnt er nach der jungen Frau zu suchen. Handelt es sich dabei um seine Kandidatin? Hat er ihren Tod auf dem Gewissen?

Von diesem Zeitpunkt an nimmt sein eigenes Leben eine unerklärliche Wende. Obwohl er keine Beweise für seine Schuld findet, wird seine gesamte, bis dahin so solide und erfolgreiche Existenz zu einem einzigen Desaster, zu einem gespenstischen Fall in den Abgrund. Es ist, als hätte der Gedanke, ein fremdes Leben zerstört zu haben, in ihm ein selbstzerstörerisches Potential freigesetzt, dessen Grenzen er zu ergründen sucht. Er fängt mit kleinen Diebstählen im Supermarkt an, doch der Prozeß, den er damit in Gang setzt, ist nicht mehr aufzuhalten: Als er irgendwann ein Ende nimmt, ist Jakob ein Obdachloser, ein Bettler, der durch die tiefsten Abgründe der menschlichen Erniedrigung gegangen und dem Tod nur knapp entkommen ist, um schließlich, dank einer Frau, das Wunder einer Wiedergeburt zu erleben.

Chwins Roman ist ein Buch über die Zerbrechlichkeit des menschlichen Schicksals, über Leid, Verzweiflung und Hoffnung, über Todessehnsucht und Lebenskraft. Ein Buch über die Nivellierung aller Werte und Empfindungen, aber auch ein Diskurs über die Zweideutigkeit der modernen Sprache, die einerseits jedes individuelle Schicksal auf eine Aneinanderreihung von Worten reduziert und anderseits dem Menschen wortreiche Ausflüchte vor der Wahrheit ermöglicht.

Stefan Chwin selbst nennt es "ein Buch über das Zerbrechen und die Rettung der Seele" - ein Geheimnis, das ihn schon immer fasziniert habe. Er beobachte seit Jahren die moralische Situation, in der wir uns befinden, untersuche unser heutiges Gefühl für das Gute und das Böse, dem nicht zuletzt die Erfahrung des in Polen bis heute umstrittenen "Postmodernismus" ihren Stempel aufgedrückt habe. Die Grundbedingungen der modernen Zivilisation bewirkten, daß der Mensch von zwei widersprüchlichen Instinkten geleitet werde: der Angst, den allgemeinen Wettlauf zu verpassen, aus dem Spiel ausgeschlossen zu sein, und dem Wunsch, endlich nicht mehr dazuzugehören, auf alles pfeifen zu können. Jakobs Geschichte basiere eben auf dieser Dualität der Bedürfnisse.

So schildert Chwin den inneren Kampf seines Helden mit einer gehörigen Prise Ironie, indem er ihm etliche "Seelsorger" zur Seite stellt. Hier beginnt ein Spiel mit dem Leser, der hinter einigen Nebenfiguren bekannte polnische Persönlichkeiten erraten darf. Keinem gelingt es allerdings, Jakob aus seiner seelischen Krise herauszuhelfen. Die von ihm durchlebte Abwandlung der berühmten Legende vom heiligen Alex, "die", so Chwin, "in den Realien unserer Zeit überraschende Schattierungen bekommt", ist ein verzweifelter Selbsttherapieversuch.

Widersprüche und emotionale Ambivalenz scheinen auch Chwins eigene Biographie zu bestimmen. Gründe gab es genug: die katholische Kindheit im kommunistischen Polen, in der er zugleich ein heftiges Interesse für den Protestantismus empfand; die Jugendjahre, in denen er dem sogenannten "Danziger Kreis" angehörte, einer Gruppe von Wissenschaftlern und Studenten, die sowohl dem Kommunismus als auch dem nationalkatholisch geprägten Antikommunismus kritisch gegenüberstand und sich als Anhänger der "Antipsychiatrie" verstand: einer Theorie, die Begriffe wie "psychische Norm" oder "psychische Krankheit" ablehnte und von verschiedenen Möglichkeiten der menschlichen Existenz ausging.

Zu seiner Geburtsstadt Danzig, die in seiner Prosa eine so wichtige Rolle spielt, hatte er lange Zeit ebenfalls ein ambivalentes Verhältnis. Das lag, wie er heute sagt, an der ablehnenden Haltung seiner Eltern, die er als Kind deutlich spürte. Seine aus Warschau stammende Mutter konnte in Danzig ebensowenig heimisch werden wie sein Vater, der hierher aus Wilna kam. Hinzu kam das Gefühl, in einer, wie Chwin es nennt, "besetzten" Stadt zu leben, an einem Ort, der ursprünglich zu einer anderen Kultur gehört hatte. Erst allmählich stellte sich die Lust ein, die Stadt wie einen neuen Kontinent zu entdecken.

Als er begann, sein Verhältnis zu Danzig literarisch zu erforschen, mußte er sich gegen zwei Schriftstellerkollegen behaupten: den ebenfalls hier lebenden Pawel Huelle und natürlich gegen Günter Grass. Doch mit den beiden führt ihn höchstens ein topographischer Zufall zusammen: Sein Atelier liegt in Wrzeszcz (Langfuhr), jenem Stadtteil, in dem Grass seinerzeit aufgewachsen und Huelle heute zu Hause ist. Es befindet sich im zehnten Stock eines kommunistischen Plattenbaus, aus dem Fenster schaut man auf die Stadt, die Werft und die Halbinsel Westerplatte. Hier fühlt sich Chwin "dem wahren Leben" am nächsten, hier schreibt er seine Bücher. Ob er dabei einen goldenen "Pelikan" benutzt, verrät er allerdings nicht.

MARTA KIJOWSKA

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr