Produktdetails
- Verlag: Eichborn
- Seitenzahl: 161
- Abmessung: 18mm x 131mm x 218mm
- Gewicht: 291g
- ISBN-13: 9783821806891
- ISBN-10: 3821806893
- Artikelnr.: 08857564
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2001Einsamer Krieger
Tobias O. Meißners Roman vom
Kanzler-Attentäter Kain Zweifel
Nach den ersten Seiten sagt man sich, das wird wohl eine Parodie werden, wenngleich die Vorlage dafür im Dunkeln bleibt. In der Mitte aber ist klar, dass aus der Parodie nichts wird, vielleicht aber doch noch eine Satire des linken Stammtischmilieus, dem der Alltag der Bundesrepublik als Fortsetzung des „Dritten Reiches” erscheint, wo an Hühner-KZ und dem Auschwitz der Seelen gelitten wird. Am Ende ist man jedoch geneigt, dem Verlag Recht zu geben, der die Leser auffordert, das Buch als den „lang erwarteten politischen Roman eines jungen deutschen Schriftstellers ernst zu nehmen . . ., eine gnadenlose Analyse der gesellschaftlichen Gegenwart”.
Das ist auch so dahingesagt, bleiben wir einfach beim Original. Meißners Held, er hat mit Erfolg ein Attentat auf den Bundeskanzler verübt, rechtfertigt sich: „Ich kämpfe für eine Umverteilung des Bewußtseins von unten nach oben und für eine Umverteilung der Produktionsmittel von oben nach unten, weil ich der Meinung bin, daß dies letzten Endes allen zugute käme. ” Allerdings ist er gegen eine „Herrschaft des Proletariats” und „durchaus” für „eine Elite”. Dies wiederum sei nicht gemeint im „Sinne von Herrenrasse”, sondern „einfach nur, daß ein Politiker bestimmte Fähigkeiten besitzen sollte. Seine Allgemeinbildung sollte sehr umfassend sein, er sollte mehrere Fremdsprachen fließend sprechen, sich in den wichtigsten Ressorts wie ein Fachmann auskennen. ”
Seine Kenntnisse der Bedürfnisse „einfacher Menschen” hat sich der Held in einer zwei Monate dauernden Arbeit „als Wachmann in einem Asylantenheim” erworben: „Das war eine gute Zeit für mich, denn die Menschen dort waren noch echte Menschen. ” Und auf die Frage, was ihn letztendlich zum Kanzlermord getrieben habe, antwortet er einfach: „Ich bin beeinflußt worden vom Lauf der Geschichte. ” Er sorgt sich um den „Regenwald” und die „Ozonschicht”, ums „Trinkwasser” und „die Reserven an fossilen Brennstoffen”; kurzum, er ist der Ansicht, dass „wir das größte und prächtigste Schiff auf seiner Jungfernfahrt sind, und wir sinken, weil unsere Egos zu schwer geworden sind”.
Das alles ist aber nicht alles. Kain Zweifel – dies sein „Kriegername”, den richtigen erfährt man nicht –, auf frischer Tat ertappt und sogleich von einem Ermittler und einem Polizeipsychologen ins Verhör genommen, kann derart hemmungslos schwadronieren, weil die ermittelnden Beamten über seine Identität, sein Umfeld und den Tathergang gar nichts wissen wollen, sondern viel lieber mit ihm debattieren und dabei zu erkennen geben, dass in ihren Augen die Wirklichkeit nicht so beschaffen ist, dass man darum gleich den Kanzler töten müsse. Schließlich tritt noch ein „Agent” des Verfassungsschutzes auf und nimmt ebenso beredt an der Debatte teil, um Kain Zweifel zu belehren: „Die Dinge werden besser und nicht schlimmer. ”
In dem collagierten Roman „Starfish Rules” legte Meißner seinem Helden Robert Tondorf, einer Art Candide des 20. Jahrhunderts, das Bekenntnis in den Mund, „kein Krieger” zu sein – und das inmitten einer Welt von Mord und Totschlag. In „Todestag” dreht er den Spieß um. Kain Zweifel lebt in einer ruhig gestellten Welt des Opportunismus als einsamer „Krieger”, der vergeblich um Zustimmung für seinen Kampf wirbt. Und vielleicht ist dies der nicht leicht zu entziffernde parodistische Zug des Textes: ein Gegenspiel zu „Generation Golf”.
Florian Illies, derselben Alterskohorte zugehörig wie Meißner, feiert seine Generation als eine Versammlung konsumverliebter Mitläufer, für die der Ödipuskomplex ein unverständliches Fremdwort geblieben ist, die umstandslos in die Schuhe ihrer Väter schlüpfen. Meißners Kain Zweifel dagegen erlegt sein Über-Ich in Wort und Tat. „Der Kanzler starb”, erzählt er dem Polizeipsychologen, „nicht für meine Sünden. Ich ließ ihn vielmehr für seine eigenen Sünden bezahlen. ”
Der Autor nennt seinen Text Roman, der Verlag spricht von „Verhörroman”, was immer das sein mag. Was vorliegt, ist eine Abfolge von Dialogen, versetzt mit knappen Regieanweisungen und ohne jeden Anflug einer epischen Geste, auch als Sprechtheaterstück schwer vorstellbar.
AGNES HÜFNER
TOBIAS O. MEISSNER: Todestag. Roman. Verlag Eichborn. Berlin, Berlin 2000. 160 Seiten, 32 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Tobias O. Meißners Roman vom
Kanzler-Attentäter Kain Zweifel
Nach den ersten Seiten sagt man sich, das wird wohl eine Parodie werden, wenngleich die Vorlage dafür im Dunkeln bleibt. In der Mitte aber ist klar, dass aus der Parodie nichts wird, vielleicht aber doch noch eine Satire des linken Stammtischmilieus, dem der Alltag der Bundesrepublik als Fortsetzung des „Dritten Reiches” erscheint, wo an Hühner-KZ und dem Auschwitz der Seelen gelitten wird. Am Ende ist man jedoch geneigt, dem Verlag Recht zu geben, der die Leser auffordert, das Buch als den „lang erwarteten politischen Roman eines jungen deutschen Schriftstellers ernst zu nehmen . . ., eine gnadenlose Analyse der gesellschaftlichen Gegenwart”.
Das ist auch so dahingesagt, bleiben wir einfach beim Original. Meißners Held, er hat mit Erfolg ein Attentat auf den Bundeskanzler verübt, rechtfertigt sich: „Ich kämpfe für eine Umverteilung des Bewußtseins von unten nach oben und für eine Umverteilung der Produktionsmittel von oben nach unten, weil ich der Meinung bin, daß dies letzten Endes allen zugute käme. ” Allerdings ist er gegen eine „Herrschaft des Proletariats” und „durchaus” für „eine Elite”. Dies wiederum sei nicht gemeint im „Sinne von Herrenrasse”, sondern „einfach nur, daß ein Politiker bestimmte Fähigkeiten besitzen sollte. Seine Allgemeinbildung sollte sehr umfassend sein, er sollte mehrere Fremdsprachen fließend sprechen, sich in den wichtigsten Ressorts wie ein Fachmann auskennen. ”
Seine Kenntnisse der Bedürfnisse „einfacher Menschen” hat sich der Held in einer zwei Monate dauernden Arbeit „als Wachmann in einem Asylantenheim” erworben: „Das war eine gute Zeit für mich, denn die Menschen dort waren noch echte Menschen. ” Und auf die Frage, was ihn letztendlich zum Kanzlermord getrieben habe, antwortet er einfach: „Ich bin beeinflußt worden vom Lauf der Geschichte. ” Er sorgt sich um den „Regenwald” und die „Ozonschicht”, ums „Trinkwasser” und „die Reserven an fossilen Brennstoffen”; kurzum, er ist der Ansicht, dass „wir das größte und prächtigste Schiff auf seiner Jungfernfahrt sind, und wir sinken, weil unsere Egos zu schwer geworden sind”.
Das alles ist aber nicht alles. Kain Zweifel – dies sein „Kriegername”, den richtigen erfährt man nicht –, auf frischer Tat ertappt und sogleich von einem Ermittler und einem Polizeipsychologen ins Verhör genommen, kann derart hemmungslos schwadronieren, weil die ermittelnden Beamten über seine Identität, sein Umfeld und den Tathergang gar nichts wissen wollen, sondern viel lieber mit ihm debattieren und dabei zu erkennen geben, dass in ihren Augen die Wirklichkeit nicht so beschaffen ist, dass man darum gleich den Kanzler töten müsse. Schließlich tritt noch ein „Agent” des Verfassungsschutzes auf und nimmt ebenso beredt an der Debatte teil, um Kain Zweifel zu belehren: „Die Dinge werden besser und nicht schlimmer. ”
In dem collagierten Roman „Starfish Rules” legte Meißner seinem Helden Robert Tondorf, einer Art Candide des 20. Jahrhunderts, das Bekenntnis in den Mund, „kein Krieger” zu sein – und das inmitten einer Welt von Mord und Totschlag. In „Todestag” dreht er den Spieß um. Kain Zweifel lebt in einer ruhig gestellten Welt des Opportunismus als einsamer „Krieger”, der vergeblich um Zustimmung für seinen Kampf wirbt. Und vielleicht ist dies der nicht leicht zu entziffernde parodistische Zug des Textes: ein Gegenspiel zu „Generation Golf”.
Florian Illies, derselben Alterskohorte zugehörig wie Meißner, feiert seine Generation als eine Versammlung konsumverliebter Mitläufer, für die der Ödipuskomplex ein unverständliches Fremdwort geblieben ist, die umstandslos in die Schuhe ihrer Väter schlüpfen. Meißners Kain Zweifel dagegen erlegt sein Über-Ich in Wort und Tat. „Der Kanzler starb”, erzählt er dem Polizeipsychologen, „nicht für meine Sünden. Ich ließ ihn vielmehr für seine eigenen Sünden bezahlen. ”
Der Autor nennt seinen Text Roman, der Verlag spricht von „Verhörroman”, was immer das sein mag. Was vorliegt, ist eine Abfolge von Dialogen, versetzt mit knappen Regieanweisungen und ohne jeden Anflug einer epischen Geste, auch als Sprechtheaterstück schwer vorstellbar.
AGNES HÜFNER
TOBIAS O. MEISSNER: Todestag. Roman. Verlag Eichborn. Berlin, Berlin 2000. 160 Seiten, 32 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2001Allzeit bereit zum Attentat
Unter Pappkameraden: Tobias O. Meißners Roman "Todestag"
Wenn ein Held den Namen Kain Zwaifel trägt und ein Buch mit dem Satz beginnt: "Helligkeit entfaltet sich wie ein weißer Schmetterling, flattert zweimal, kommt zur Ruhe", möchte man eigentlich nicht weiterlesen. Da es sich aber der Form nach um ein Drama oder, wie es verkaufsdienlicher auf dem Cover heißt, einen "Verhörroman" handelt, der ausschließlich aus wörtlicher Rede und einigen Regieanweisungen besteht, ist weiteres Metapherngeflatter nicht zu befürchten. Und für seinen sprechenden "Kriegernamen" ist der Held selbst verantwortlich, so wie der Autor ihn geschaffen hat, er kann nichts dafür. Er hat diesen Namen gewählt, um damit kundzutun, daß seine "bürgerliche Existenz beendet ist" und daß er es verdammt ernst meint.
Auf seinen an die Massen gerichteten Flugblättern kürzelt er mit den Initialen "KZ" - eine fatale Buchstabenkombination, deren historisches Schreckenspotential ihn in seiner persönlichen Welterrettungsmission jedoch keineswegs zu irritieren scheint. Daß ihn diese Geschmacklosigkeit als ernsthaften Revolutionär sofort disqualifiziert, kommt ihm nicht in den Sinn. Kain Zwaifel kennt tatsächlich keine Zweifel, weder ästhetisch noch moralisch. Der junge Mann möchte "die relativ sichere Position eines gut funktionierenden Getrieberädchens" überwinden und sich "durch Aktionen oder Schriften öffentlich zu Wort melden". Dazu ist ihm jedes Mittel recht. Was aber wäre aufmerksamkeitsheischender und öffentlichkeitsverstörender als ein Kanzlerattentat?
Gedacht, getan. Am Beginn von "Todestag" ist der Kanzler, bei dem es sich unzweifelhaft um Gerhard Schröder handelt, bereits erschossen, der Attentäter Kain Zwaifel verhaftet. Nicht daß er etwas gegen Schröder gehabt hätte. Kohl fand er weit unerträglicher. Aber es geht ihm nicht um die Person der Kanzler und nicht einmal um die Funktion, sondern allein darum, ein großes, gewaltiges Zeichen zu setzen und Verwirrung zu stiften, damit die Gesellschaft sich im eigenen Erschrecken selbst erkenne.
Tobias O. Meißner, ein junger Berliner Autor, beschränkt die eigentliche Handlung auf den geschlossenen Raum der Verhörzelle, in der außer dem Attentäter ein Ermittler und ein Psychologe anwesend sind, zu denen etwas später noch ein Agent des Verfassungsschutzes stößt. Diese statische Anlage erinnert an Romuald Karmakars Film "Der Totmacher", in dem Götz George in der Mörderrolle brillierte. So wie dort könnte das Verhör dazu dienen, eine ungeheuerliche Tat zu erklären und dabei ein Charakterprofil des Täters zu entwerfen. Das könnte eine Studie über fatale Konsequenzen radikaler Verzweiflung ergeben oder eine Abhandlung über die Dialektik von historischer Notwendigkeit und naiver Selbstüberschätzung. Daraus hätte ein eminent politisches, unzeitgemäßes Buch über die Hybris des Terrorismus werden können, eine Ausnahmeerscheinung in der Flut narzißtischer Alltagsprosa der jüngeren deutschen Literatur.
Doch Tobias O. Meißner macht sich die Sache gar zu einfach. Er scheint am Heroismus seines Helden keinerlei Zweifel zu entwickeln. Er will keinen psychologischen Roman schreiben, sondern ein Bekenntnisbuch - und scheitert daran. Er interessiert sich weniger für den Wahn als radikale Konsequenz einer scheinbar nicht mehr rational faßbaren Wirklichkeit als für die eher pamphletistischen Mitteilungen des Attentäters. Daß es viele gute Gründe gibt, an der Welt zu verzweifeln, ist unbestritten. Doch Kain Zwaifels Erkenntnisse über Ozonlochwachstum, Kosovo-Krieg, korrupte Politiker, Tierversuche, Konsumterror und Ausbeutung überschreiten an keiner Stelle das theoretische Niveau aufgeregter Autonomenprosa. Er - und mit ihm der Autor - entschuldigt sich mit dem Hinweis auf die Komplexität der zu bedenkenden Phänomene. Was er im Verhör nur andeuten könne, werde er in den Jahren der Haft in einem philosophischen Hauptwerk letztgültig erläutern. Als Leser des "Verhörromans" möchte man sich so billig aber nicht vertrösten lassen. Gerade weil der Autor seine Figur und ihre Ansichten so fürchterlich ernst nimmt, hätte man gerne etwas genauer gewußt, warum das Ozonloch einen Kanzlermord rechtfertigen und dieser zum Kampf gegen die ökologische Katastrophe beitragen soll.
Tobias O. Meißner debütierte 1997 als Dreißigjähriger mit einem ziemlich chaotischen Roman, in dem es unter anderem um Nazis und Jimi Hendrix ging. "Starfish Rules" hieß dieses Werk über das Amerika der dreißiger Jahre, das als "Synthese aus Franz Kafka und Quentin Tarantino" angepriesen wurde und dem Autor angeblich sofortigen "Kultstatus" verschaffte. Es folgte mit "Halb-Engel" die Legende vom Aufstieg und Ausstieg eines Rockmusikers, danach eine Science-fiction-Geschichte für eine Anthologie. Zeigte Meißner sich bisher eher dem literarischen Underground und der Pulp-fiction-Tradition verpflichtet, versucht er sich in "Todestag" nun am Genre des Politthrillers. Doch alles Spielerische, alle phantastische Erfindungskraft hat ihn vor dem Ernst dieser Aufgabe verlassen. Systematisch beraubt er sich jeder Möglichkeit, Spannung und Dynamik zu entwickeln, weil er dem Ermittler und dem Psychologen nicht mehr zugedacht hat als die Rolle biederer Stichwortgeber, die den Attentäter nicht in Verlegenheit bringen können.
Daß aber auch dessen eher pubertäre Phantasien nirgendwohin führen, scheint schließlich sogar dem Autor aufgefallen zu sein. Ansonsten wäre der Auftritt des knallharten "Agenten" als Gegenspieler gar nicht erforderlich gewesen, der Zwaifels Gelaber endlich Gelaber und den selbsternannten Erlöser einen eitlen Schwätzer nennt. Das Problem ist jedoch, daß der Autor mit dem Agenten eine zutiefst unsympathische, von bornierter Staatstreue und papierenen Dienstvorschriften verblendete Klischee-Gestalt auftreten läßt, die aber doch - und wie man befürchten muß: entgegen Meißners Absicht - alle Evidenz auf ihrer Seite hat. Spätestens mit diesem Auftritt fällt das Verhör endgültig in sich zusammen und verliert das letzte bißchen Lebendigkeit. Da bleibt nicht nur ein Kanzler auf der literarischen Strecke, sondern auch der Attentäter samt seinen Pappkameraden-Gesprächspartnern.
JÖRG MAGENAU
Tobias O. Meißner: "Todestag". Verhörroman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000. 162 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unter Pappkameraden: Tobias O. Meißners Roman "Todestag"
Wenn ein Held den Namen Kain Zwaifel trägt und ein Buch mit dem Satz beginnt: "Helligkeit entfaltet sich wie ein weißer Schmetterling, flattert zweimal, kommt zur Ruhe", möchte man eigentlich nicht weiterlesen. Da es sich aber der Form nach um ein Drama oder, wie es verkaufsdienlicher auf dem Cover heißt, einen "Verhörroman" handelt, der ausschließlich aus wörtlicher Rede und einigen Regieanweisungen besteht, ist weiteres Metapherngeflatter nicht zu befürchten. Und für seinen sprechenden "Kriegernamen" ist der Held selbst verantwortlich, so wie der Autor ihn geschaffen hat, er kann nichts dafür. Er hat diesen Namen gewählt, um damit kundzutun, daß seine "bürgerliche Existenz beendet ist" und daß er es verdammt ernst meint.
Auf seinen an die Massen gerichteten Flugblättern kürzelt er mit den Initialen "KZ" - eine fatale Buchstabenkombination, deren historisches Schreckenspotential ihn in seiner persönlichen Welterrettungsmission jedoch keineswegs zu irritieren scheint. Daß ihn diese Geschmacklosigkeit als ernsthaften Revolutionär sofort disqualifiziert, kommt ihm nicht in den Sinn. Kain Zwaifel kennt tatsächlich keine Zweifel, weder ästhetisch noch moralisch. Der junge Mann möchte "die relativ sichere Position eines gut funktionierenden Getrieberädchens" überwinden und sich "durch Aktionen oder Schriften öffentlich zu Wort melden". Dazu ist ihm jedes Mittel recht. Was aber wäre aufmerksamkeitsheischender und öffentlichkeitsverstörender als ein Kanzlerattentat?
Gedacht, getan. Am Beginn von "Todestag" ist der Kanzler, bei dem es sich unzweifelhaft um Gerhard Schröder handelt, bereits erschossen, der Attentäter Kain Zwaifel verhaftet. Nicht daß er etwas gegen Schröder gehabt hätte. Kohl fand er weit unerträglicher. Aber es geht ihm nicht um die Person der Kanzler und nicht einmal um die Funktion, sondern allein darum, ein großes, gewaltiges Zeichen zu setzen und Verwirrung zu stiften, damit die Gesellschaft sich im eigenen Erschrecken selbst erkenne.
Tobias O. Meißner, ein junger Berliner Autor, beschränkt die eigentliche Handlung auf den geschlossenen Raum der Verhörzelle, in der außer dem Attentäter ein Ermittler und ein Psychologe anwesend sind, zu denen etwas später noch ein Agent des Verfassungsschutzes stößt. Diese statische Anlage erinnert an Romuald Karmakars Film "Der Totmacher", in dem Götz George in der Mörderrolle brillierte. So wie dort könnte das Verhör dazu dienen, eine ungeheuerliche Tat zu erklären und dabei ein Charakterprofil des Täters zu entwerfen. Das könnte eine Studie über fatale Konsequenzen radikaler Verzweiflung ergeben oder eine Abhandlung über die Dialektik von historischer Notwendigkeit und naiver Selbstüberschätzung. Daraus hätte ein eminent politisches, unzeitgemäßes Buch über die Hybris des Terrorismus werden können, eine Ausnahmeerscheinung in der Flut narzißtischer Alltagsprosa der jüngeren deutschen Literatur.
Doch Tobias O. Meißner macht sich die Sache gar zu einfach. Er scheint am Heroismus seines Helden keinerlei Zweifel zu entwickeln. Er will keinen psychologischen Roman schreiben, sondern ein Bekenntnisbuch - und scheitert daran. Er interessiert sich weniger für den Wahn als radikale Konsequenz einer scheinbar nicht mehr rational faßbaren Wirklichkeit als für die eher pamphletistischen Mitteilungen des Attentäters. Daß es viele gute Gründe gibt, an der Welt zu verzweifeln, ist unbestritten. Doch Kain Zwaifels Erkenntnisse über Ozonlochwachstum, Kosovo-Krieg, korrupte Politiker, Tierversuche, Konsumterror und Ausbeutung überschreiten an keiner Stelle das theoretische Niveau aufgeregter Autonomenprosa. Er - und mit ihm der Autor - entschuldigt sich mit dem Hinweis auf die Komplexität der zu bedenkenden Phänomene. Was er im Verhör nur andeuten könne, werde er in den Jahren der Haft in einem philosophischen Hauptwerk letztgültig erläutern. Als Leser des "Verhörromans" möchte man sich so billig aber nicht vertrösten lassen. Gerade weil der Autor seine Figur und ihre Ansichten so fürchterlich ernst nimmt, hätte man gerne etwas genauer gewußt, warum das Ozonloch einen Kanzlermord rechtfertigen und dieser zum Kampf gegen die ökologische Katastrophe beitragen soll.
Tobias O. Meißner debütierte 1997 als Dreißigjähriger mit einem ziemlich chaotischen Roman, in dem es unter anderem um Nazis und Jimi Hendrix ging. "Starfish Rules" hieß dieses Werk über das Amerika der dreißiger Jahre, das als "Synthese aus Franz Kafka und Quentin Tarantino" angepriesen wurde und dem Autor angeblich sofortigen "Kultstatus" verschaffte. Es folgte mit "Halb-Engel" die Legende vom Aufstieg und Ausstieg eines Rockmusikers, danach eine Science-fiction-Geschichte für eine Anthologie. Zeigte Meißner sich bisher eher dem literarischen Underground und der Pulp-fiction-Tradition verpflichtet, versucht er sich in "Todestag" nun am Genre des Politthrillers. Doch alles Spielerische, alle phantastische Erfindungskraft hat ihn vor dem Ernst dieser Aufgabe verlassen. Systematisch beraubt er sich jeder Möglichkeit, Spannung und Dynamik zu entwickeln, weil er dem Ermittler und dem Psychologen nicht mehr zugedacht hat als die Rolle biederer Stichwortgeber, die den Attentäter nicht in Verlegenheit bringen können.
Daß aber auch dessen eher pubertäre Phantasien nirgendwohin führen, scheint schließlich sogar dem Autor aufgefallen zu sein. Ansonsten wäre der Auftritt des knallharten "Agenten" als Gegenspieler gar nicht erforderlich gewesen, der Zwaifels Gelaber endlich Gelaber und den selbsternannten Erlöser einen eitlen Schwätzer nennt. Das Problem ist jedoch, daß der Autor mit dem Agenten eine zutiefst unsympathische, von bornierter Staatstreue und papierenen Dienstvorschriften verblendete Klischee-Gestalt auftreten läßt, die aber doch - und wie man befürchten muß: entgegen Meißners Absicht - alle Evidenz auf ihrer Seite hat. Spätestens mit diesem Auftritt fällt das Verhör endgültig in sich zusammen und verliert das letzte bißchen Lebendigkeit. Da bleibt nicht nur ein Kanzler auf der literarischen Strecke, sondern auch der Attentäter samt seinen Pappkameraden-Gesprächspartnern.
JÖRG MAGENAU
Tobias O. Meißner: "Todestag". Verhörroman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000. 162 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach Jörg Magenau hat der Autor mit diesem Roman einigermaßen Schiffbruch erlitten. Das, was Romuald Karmakar und Götz George eindrucksvoll in ihrem Film "Der Totmacher" gelungen ist, nämlich die psychologisch komplizierte Situation während eines Verhörs einzufangen und "dabei ein Charakterprofil des Täters zu entwerfen", sei hier nicht gelungen und offenbar auch gar nicht beabsichtigt. Auch die Motivation für einen terroristischen Anschlag wird hier nach Magenau nicht näher ins Visier genommen. Meißner mache es sich "gar zu einfach". Er interessiere sich nicht für das Psychologische, das Irrationale, sondern reduziere die Geschichte zu sehr auf die "pamphletistischen Mitteilungen des Attentäters". Dem Leser bleibt jedoch dabei - so Magenau - recht unverständlich, wieso das Ozonloch zu einem Attentat auf den Bundeskanzler geführt habe. Darüber hinaus hält es der Rezensent für einen Fehler, dass der Ermittler und der anwesendes Psychologe "lediglich biedere Stichwortgeber" abgeben und die Verhörsituation dadurch kaum Spannung entwickeln kann. Lediglich der Agent des Verfassungsschutzes bringt den Attentäter etwas in Bedrängnis, wie der Leser erfährt. Doch dieser Agent erscheint Magenau so unsympathisch, das auch durch diesen Auftritt keine wirkliche Dynamik und "Lebendigkeit" entstehen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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