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Zauberische dunkle Frauen wie Kirke, Medea und Nemesis auf der einen Seite. Lichtgestalten wie Aphrodite und Hera auf der anderen: Es ist nicht Zeus, zeigt der Mythologe Karl Kerényi, entlang dessen Achse sich das Weltbild der Griechen aufspannt - es sind Helios und Hades. Paradoxien von Tod und Leben, Nacht und Tag, Gut und Böse: Kerényis einfühlsame Prosa folgt den mythischen Frauen durch ein Labyrinth kultureller Bezüge.
Ein aufregendes Buch über die Frauenfiguren Griechenlands, die verborgene Logik ihrer Taten, die strenge und doch zauberische Systematik des mythischen Denkens.

Produktbeschreibung
Zauberische dunkle Frauen wie Kirke, Medea und Nemesis auf der einen Seite. Lichtgestalten wie Aphrodite und Hera auf der anderen:
Es ist nicht Zeus, zeigt der Mythologe Karl Kerényi, entlang dessen Achse sich das Weltbild der Griechen aufspannt - es sind Helios und Hades. Paradoxien von Tod und Leben, Nacht und Tag, Gut und Böse: Kerényis einfühlsame Prosa folgt den mythischen Frauen durch ein Labyrinth kultureller Bezüge.

Ein aufregendes Buch über die Frauenfiguren Griechenlands, die verborgene Logik ihrer Taten, die strenge und doch zauberische Systematik des mythischen Denkens.
Autorenporträt
Karl Kerenyi, geb. 1897 in Temesvar, gest. 1973 in Zürich, studierte klassische Philologie in Budapest und an verschiedenen deutschen Universitäten. Ab 1936 war er Professor für Religionswissenschaften in Pecs (Fünfkirchen), ab 1941 in Szeged. Er emigrierte 1943 in die Schweiz, wurde 1944 Gastprofessor in Basel und ab 1948 Forschungsleiter am C. G. Jung-Institut in Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.1997

Mehr Licht in die dunklen Geschichten
In bester Gesellschaft zum Reiseziel Olymp: Karl Kerényi spricht dem Sonnengott Helios die Vaterschaft bei den Mythen zu

Vielleicht hat Robert von Ranke-Graves nicht nur deshalb, weil Karl Kerényis griechische Mythologie vier Jahre vor seiner eigenen veröffentlicht wurde - was zugegebenermaßen bitter ist -, "echte hysterische Ausfälle gegen das Buch" produziert, sondern weil ihm eine bestimmte humanistisch-pädagogische Auslegungspraxis nicht paßte. Die durchzieht jedenfalls Kerényis im Rahmen einer Werkausgabe von Klett-Cotta jetzt wieder aufgelegtes, erstmals 1944 erschienenes Buch "Töchter der Sonne". Kerényi rechtfertigt sein Verfahren mit unverstelltem Bezug auf Thomas Mann: "Keine Kosmogonie kann sich unabhängig machen von der bereits bestehenden, den Erzähler selbst umfassenden Welt und von ihrer Denkbarkeit . . ." Die den Gelehrten während der Verfertigung seiner mythologischen Schrift umfassende Welt war vom Faschismus gepackt.

Mythos ist, was man sich erzählt. Das Wort meint die Rede, meint Erzählung und Fabel. Kerényi spricht gar von "archetypischer Übereinstimmung zwischen Mythologie und Romandichtung". Werden die Sagen über die Jahrhunderte immer weitergereicht, dann bilden sie sich um; teils schmückt man sie aus, teils werden vorgebliche Lücken geschlossen. So sind Mythen verfremdete Spuren einer zur Dichtung gewordenen Vergangenheit: der "ursprüngliche, festliche ,Mythos' . . . , der reine und tiefe, wie Philosophie und Musik zugleich". Das ließ sie zu Widersachern einer funktionablen Eindeutigkeit werden, die seit der Industrialisierung alle Seele, die sich nicht gegen Brauchbares eintauschen läßt, aus dem Produktionsprozeß wirft.

Die Entwicklung der Mythen allerdings, gerade weil flüssig, ist zäh. Hütete einst Esclarmonde de Foix den Gral, so kann am Ende sehr wohl ein "verwundeter" Amfortas aus ihr geworden sein. Die Figuren scheinen einander auszuschließen und überlappen sich doch. Sie sind Ableitungen von sich selbst; "Variantengebilde" nennt sie Kerényi. "Wir haben nur dann die Schwelle zum Mythos überschritten", so Roberto Calasso, "wenn wir plötzlich einen Zusammenhang zwischen dem bemerken, was unvereinbar ist." Der Mythos widerspricht dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Darin liegt der Reiz seines Formenspiels.

Das ist aber auch sein Skandal. Mythologisches zieht Nebel mit sich. Der war und ist Verschleierern dienlich. Hunderte mythologische Schriften, zumal zivilisations- und geistpessimistischen Inhalts, stammen aus der Latenzzeit des Hitler-Faschismus, und nicht von ungefähr wurde "der Mythos" mit Anhub der postmodernen Reaktion wieder gesellschaftsfähig. Das sagt nichts gegen ihn, will aber bedacht und beobachtet sein. Es ist verständlich, wenn man seine Widersprüche und Schrecken "aufzuklären" versucht. Denn einerseits steht er ja an der Wiege des Humanismus, und zwar nicht nur, wie etwas biologisch-historisch vorgängig ist. Sondern die mythischen Figurationen haben die Klassik bis in die Leporello-Arie geprägt, deren Urbild von Homer stammt.

Das wiederum hat die Deutungen revidiert. Doch Cotyttos Orgien behalten ihr Recht, und es bleibt, so nochmals Calasso, "Vergewaltigung . . . das Symbol für den göttlichen Übergriff". Die Geschichten der Mythologie erzählen, "wie die Seele und der Körper auf Erden immer noch das Göttliche erleiden, auch wenn sie es längst nicht mehr suchen und die rituelle Enge des Kontakts unsicher geworden ist". Dieses heidnisch Göttliche, das oft schlammig, blutig, "unrein" ist, gilt es humanistisch zu drainieren. Die Sonne wird angestellt, die Pontinischen Sümpfe, die Kirkes Zauberinsel umgeben, auszutrocknen.

Das geschieht in Karl Kerényis Buch. Er will das Apollinische aus dem Vor-Hellenischen herauslesen und interpretiert es also hinein - ein verständliches Unternehmen, vergegenwärtigt man sich die geschichtliche Situation, in der er dies tat. Gewissermaßen verteidigt er Apoll gegen einen politisch Amok laufenden Dionysos.

Wie Thomas Mann - Kerényi verband mit seinem "Dr. Hermeticus" eine langjährige Brieffreundschaft - war er sich einer philologisch wie jener sich der poetisch prekären Lage bewußt. Fand nun der Dichter in einer freudianisch gefärbten Psychologie einen Weg, "den Mythos den faschistischen Dunkelmännern aus den Händen zu nehmen" (Februar 1941), so war es Kerényi um einen goetheschen Humanismus zu tun. Daß sich Mann später nicht mehr auf den poetischen Mythologen festlegen lassen wollte, als den er sich - drei der Joseph-Bücher waren erschienen - in seinem Freud-Vortrag von 1937 erklärt hatte, ist wohl der Politik geschuldet. " Der gelebte Mythus aber ist die epische Idee meines Romans . . ., denn im Leben der Menschheit stellt das Mythische zwar eine frühe und primitive Stufe dar, im Leben des einzelnen aber eine späte und reife." Zwei Jahre später veröffentlichte Freud seine bis heute aufregende Moses-Studie.

Das Mythische indessen, das Thomas Mann vor Augen stand, war eines, wie es Kerényi zu erschreiben erst unternimmt: ein religiöses, erklärtes, durch Tradition und Form gebundenes. Er versucht, in "Töchter der Sonne" auch die dunklen Mythen . . . ich möchte sagen: zu apollinisieren. Kerényi will sogar noch den Zerstücklungsritus als einen zwar verschobenen, aber letztlich zivilisiert motivierten Akt erklären. "Deutung ist Verzückung genug", sagt Joseph apollonhell und weist jegliche Exaltation zurück.

Kerényi sucht eine solche Auf-Klärung um so mehr, als sich ja die in Europa tobende Barbarei gleichfalls auf "den Mythos" beruft. Gegen einen solchen sein "Mythologisches" zu halten ist eine allzu schwache Defensive; das weiß Kerényi auch. Apoll allerdings ist Olympier und in klassischer Leseart ohnedies ein Gott der Sublimation. Der frühen kultischen Bestialität, den miasmischen Sümpfen und der dionysischen Entindividuation kommt man damit nicht bei. "Der westliche Geist definiert", schreibt Camille Paglia, "das heißt: er zieht Grenzen. Darin besteht der Kern des Apollinischen." Ein archaischer Vater-Gott mußte her, der sich aus dem dunklen Mutter-Grund noch nicht so heiter abgehoben hat.

Da setzen Kerényis meisterhaft in der Immanenz bleibenden, teils wundervollen Spekulationen ein. Aus Orests Anrufung des Vaters im Vater leitet Kerényi eine vergessene frühere Bedeutung des eher peripheren Sonnengottes Helios ab. Der Monotheismus der Joseph-Romane Manns, dessen "schneidende apollinische Schärfe" Kerényi bewunderte, schimmert überall durch: "Das ethische Moment der Zeugenschaft des Sonnengottes hat im Zeugertum eine natürliche Wurzel." Patriarchaler kann man es nicht sagen. Kerényi tauscht den Bronzekessel, worin sich die Elemente vermengen, gegen das trennende, das observierende Auge. Zwar weist er nun sowohl Kirke wie Medea ihr "Sonnenhaftes" schlüssig nach. Bei Hera aber und auch bei Aphrodite scheitert er schließlich an beider verschatteter Mehrdeutigkeit, die sich von ihrem Mondcharakter nicht wegsezieren läßt.

Indessen, er insistiert und schlägt die Stier-Symbolik auf dem Weg über Pasiphaë - Mutter sowohl des Minotaurus wie der Ariadne - der Helios-Linie zu, obwohl ihm klar sein muß, daß ein Stier Matriarchatszeichen war, nämlich der Anahit geweiht, die die Griechen Artemis Tauropolos nannten. Abgesehen davon wird Helios' Mutter auch Euryphaëssa genannt, das ist "die Kuhäugige", und in Helios' Sohn wiederholt sich sogar der matriarchatstypische Opferungsritus des Frühlingskönigs. Wenn Kerényi von heiligen Kuhherden, "die einst dem Sonnenstier nachgeschaut", oder von Heras "säuglingshaftem Aufgehen im Gatten" spricht, dann sind das tolle Verdrehungen. Ist denn nicht der neue, der indirekte Brudermord durch Ariadne eine Art Inversion der Tat Medeas, die die kaum ins Licht "gerettete" Zauberin wieder in den mythisch dunklen Muttermund hineinzieht?

Gleichzeitig schlägt Kerényi mit dem alltäglich den Himmel befahrenden Sonnengott - nachts kehrt er in einem "Becher" über den Okeanos nach Osten zurück - sogar das Zirkuläre, geradezu Stammgut des Mutterrechts, noch den Vätern zu. Das ist so geschickt gemacht, daß er nebenbei den Demeter-Kreis als "selbstherrlich-weiblich" denunzieren kann. Insofern ist die von Kerényi erstrebte "Götterlehre als Menschenlehre" (Brief an Mann, November 1946) eine ausgesprochen intentiöse Unternehmung. Möglicherweise hat eigentlich dies Ranke-Graves' "Hysterie" bewirkt. Freilich gibt Kerényi selbst es zu: "Wir können nicht umhin zu ahnen, daß es eine einzige, große ,Königin' ist, die alle diese uneigentlichen Namen trägt." Doch dieses Ewigweibliche bleibt marienartig verklärt und zieht in den Himmel hinan und nicht auf die Erde hinunter.

Es macht Spaß, Kerényis Argumentationen zusammen mit Ranke-Graves oder Barbara Walker zu lesen, weil dadurch die Zielrichtung augenfällig wird. Er deutet die Mythologeme in abendländischer, jüdisch-christlicher Tradition als "Einzelphänomene eines einheitlichen, göttlichen Urphänomens". Joseph sprach es vor Amenhotep aus: "Denn das Licht ist das Mittel und ist die Mitte, von wo Verwandtschaft strahlt nach drei Seiten hin: zur Schönheit, zur Liebe und zu Erkenntnis der Wahrheit." So hat möglicherweise Pharao die "Töchter der Sonne" mitgezeugt; wenn auch anders, als Aigeus den Stier-Töter nicht zeugte.

Daß aber gerade auch Eindeutigkeit und Einzigkeit politisch diktatorische Prinzipien sind, gibt den Mythen ihre Modernität und rechtfertigt sie. Denn Mythologeme kennen kein fixiertes Zentrum, sie widerstreben dem Anspruch auf widerspruchsfreie Wahrheit. Vielmehr wollen sie Vielfalt sein und ganz aus ihren Gestaltungen und Masken leben. Aus dem Wandel beziehen sie ihre so unmoralische wie bis heute erstaunliche Energie. Sie läßt den Dionysiker in Kerényis Buch einen spöttischen Genuß finden, die Freunde Apolls indessen werden darin beruhigt. ALBAN NIKOLAI HERBST

Karl Kerényi: "Töchter der Sonne". Betrachtungen über griechische Gottheiten. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1997. 179 S., geb., 28,- DM.

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